Reise zum Lago Maggiore
Von André Schulz
Wer Flugzeuge nicht nur laut und hässlich, sondern auch
unheimlich findet, ganz besonders von innen betrachtet, für den bietet sich zur
Reise in den Tessin vor allem der Zug an. Von Hamburg kann man etwas Zeit
sparen, wenn man die City Night Line der Deutschen Bahn nutzt. Besonderen
Komfort bieten die Schlafabteile. Dort liegt man auf einer Pritsche
und ist, falls man eine Einzelkabine gewählt hat, der einzige Schnarcher im
Abteil. Schlafen kann man dennoch nicht. Dafür sorgt das permanente Geräusch der
aufbrausenden Klimaanlage. Und wer darüber dennoch eingeschlafen ist, wird alle
15 Minuten von einem lauten Quietschen und Knarren irgendwo aus dem Inneren des
Wagens kommend geweckt. Am nächsten Morgen bedankt sich das überaus freundliche
Zugpersonal, dass man sich für die City Night Line entscheiden hat. Sie wissen,
warum sie sich dafür bedanken.
Von Zürich aus besteigt man den Intercity der Schweizer Staatsbahn, um nach
Bellinzona weiter zu fahren.
Sich das Bahn fahren in der Schweiz vorzustellen, ist zunächst einigermaßen
leicht. Es ist so, als führe man in einer gewaltigen Modelleisenbahnanlage von
Märklin, nur eben viel größer (Maßstab 1:1) und man selbst sitzt eben nicht davor, sondern ist drin.
Zunächst geht es bald an einigen Seen entlang, auf die man schon aus einer
gewissen Höhe hinunterblickt. Am Zuge See sieht man am gegenüberliegenden Ufer
die ersten kleineren, aber schon steilen Gipfel.
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Oben liegt Schnee. Von manchen
stürzen sich kleine Bäche den Hang hinab. Quer über Täler und Hänge sind
Stromleitungen gespannt.
Auch diesseits des Tals steigen Berge auf und die Schienentrasse ist daran
irgendwie befestigt.
Die Bahn fährt manchmal links um den Berg herum oder rechts um den Berg herum.
Wenn der Berg links ist, und man selber rechts sitzt, kann man sehen, was sich
rechst von der Bahn befindet - Nichts. Manchmal 50 Meter Nichts, manchmal 100
oder vielleicht 200 Meter Nichts, weil unter einem eine tiefe Schlucht ist. Über
diese führt eine Steinbrücke, die an einigen Stellen weiß - bemalt? - ist und
irgendwie baufällig wirkt, was man in einer Kurve sehen konnte. Wenn der Berg
links ist, dann ist die eigene Bahn bei einer zweispurigen Strecke übrigens
außen, während die entgegenkommende - sie fährt von Mailand nach Zürich - innen
ist. Obwohl man weit in die Landschaft schauen kann, bekommt man ein Gefühl von
Enge.
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Dies ist kein Bild von dieser Fahrt, vermittelt aber ganz gut das Fahrgefühl
Die Fahrt ist begleitet von dem ständigen "Patatong" das man von Bahnfahrten
kennt, wenn die Stahlräder über die Grenze zwischen zwei Schienen fährt. Ein
beruhigendes Geräusch, das einen schönen Kontrapunkt setzt zu dem Gedanken, von
dem man ergriffen wirde, wenn sich der Zug während der Fahrt neigt, was er häufig macht, zum Beispiel in
Richtung Abgrund - auf einem dieser Steinviadukte. Man fragt
sich, welche Rolle das nicht so hohe Metallgeländer, rechts neben den Schienen
spielt, und ob es dabei erfolgreich sein kann.
Wenn die Bahn nicht rechts oder links am Berg vorbeifährt, dann
fährt sie hindurch. Es gibt reichlich Tunnel, den ersten schon gleich hinter dem
Bahnhof von Zürich. Der Blick auf die Hänge gegenüber zeigt die Trasse der
Autobahn, die aufwärts zum St. Gotthard-Pass führt, die Stelle an der man hier
die Alpen überquert. Unter der Autobahn befinden gelegentlich bis zu sich zu 70
Meter hohe Betonstelzen, auf denen die Autobahn ruht, wenn Sie recht steil nach
oben oder recht steil nach unten, oder auch manchmal ganz wenig abschüssig von
einem Hang über eine Schlucht zum nächsten führt. An den Betonstelzen sieht man,
dass das Auto gegenüber der Bahn das moderne Verkehrsmittel ist. Die
Bahnbrückenpfeiler sind gemauert.
Auch die Autobahn fährt durch den Berg, wenn der Weg außen herum
zu aufwändig ist, wie die Bahn. Meist führt der Weg in den Berg einspurig
hinein. Jede Fahrtrichtung hat eine eigenen Tunnel. Umso überraschender ist es,
wenn ein plötzliches Knallen und ein lautes "PschPschPsch" ertönt, weil nun doch
im gleichen Tunnel ein Zug in die andere Richtung vorbeizischt. Warum ist er auf
der linken Seite? Wird in Schweizer Bahntunneln nicht rechts gefahren?
Zwischen den aufragenden Steinwänden zeigen sich in der Ferne weitere Schnee
bedeckte Berge. Dann geht es wieder in einen Tunnel, der diesmal sehr lang zu
sein scheint. Daran, dass von der Schwerkraft vornüber gezogen wird, merkt man,
dass der Zug im Berg hinunter fährt. Nach dem Tunnelausgang macht der Zug aus
Gründen, die ich niemals wissen will noch eine Art Vollbremsung und kommt fast
zum Stillstand, bevor dann doch wieder Fahrt aufnimmt. Jetzt ist das Licht ganz
anders, die Sonne, auf der anderen Seite nicht zu sehen - dort zog Nebel, oder
schon Wolken?, an den Gipfeln vorbei - scheint. Hier ist es immer noch Schweiz,
aber nun steht Ristorante an den Häusern und die Leute fangen an Ferrari zu
heißen, wie man auf einem Firmenschild erkennen kann. Logischerweise führt der
Weg auch bald an einer Go-Cart-Bahn vorbei. Dann ist man bald in Bellinzona. Von
dort geht es mit einem anderen Zug weiter nach Locarno, ein Bus bringt einen
nach Ascona.
Das Hotel, in diesem Fall das Casa Berna, holt seine Gäste gerne an der
Busstation ab. Schon bald biegt der freundliche Portier in Richtung Berg ab und
es geht in Serpentinen rasch aufwärts. Am Hang wird die Straße bald immer
schmaler und hat nur noch die Breite des Hotel eigenen Kleinbusses zuzüglich
zweier Wanderer, die sich am Abgrund ans Straßengeländer drücken. Manchmal ist
wieder das Metallgeländer zu sehen, dass auch schon zur Abgrenzung der
Bahnstrecke Verwendung fand, meist aber nicht.
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Das ist natürlich nicht die Straße, sondern ein Fußweg
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Das ist die Straße
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Die kleinen Begrenzungssteine zieren den Rand.
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Versuchen Sie beim Verlassen der Fahrbahn, die Steine zu treffen.
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Links Fels, rechts Abgrund
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Platz für ein Auto, eigentlich nicht mal das
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Manchmal kommt etwas entgegen
Dann liegen am Straßenrand, dort wo der Teer an den Rändern
schon etwas rissig ist, nur noch ein paar Steine, höchstens 15 Zentimeter hoch.
Ich weiß nicht zu welchem Zweck.
Jedenfalls strahlt der Fahrer viel Zuversicht aus und erreicht das Hotel
mühelos. Wie man sich aus der Anfahrt denken kann, liegt dieses direkt am Hang
und wurde mehr oder weniger in den Stein gebaut. Die Aussicht vom Balkon des
Zimmers über den See ist sehr weitläufig. Man könnte sogar bis zum Luganer See
blicken, wenn keine Berge dazwischen wären. Vor dem Balkon steil abwärts ist
wieder nur das Nichts, bevor vielleicht 300 Meter tiefer -zumindest gefühlt-
wieder Grund und Boden zu sehen ist. Wer Höhenangst hat, kann diese hier
ausleben. Manchmal hat man auch das Gefühl, das Haus neige sich etwas zum
Abgrund hin.
Das leichte Misstrauen bei der Anfahrt war sicher unbegründet. Nachdenklich
stimmt aber, dass kurze Zeit später an der Straße oberhalb des Hotels (in der
Schweiz gibt es eigentlich weniger ein Nebeneinander, als ein Über- und
Untereinander) ein sehr schwerer Kranwagen vorfährt und einen riesigen Arm
ausfährt. Dann wird der Haken in etwas Orangefarbenes eingehängt, dass sich
neben der Straße in einem Gebüsch befindet. Es handelt sich dabei um einen
VW-Pritschenwagen, der von der Straße abgekommen ist und von dem Gebüsch am Fall
in die Tiefe gehindert wurde. Der Fahrer soll am morgen vergessen haben, die
Handbremse zu ziehen. Eigentlich passiert hier sehr wenig. Gut, dass die Büsche
dort wachsen. Ohne sie wäre der Lieferwagen wohl in den Hotelpool 10 Meter
tiefer geplumpst. Eine andere Möglichkeit als in einem Hotelpool durch ein
niederfallenden Lieferwagen zu Tode zu kommen...
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Pool. Vorsicht Steinschlag bzw. Achten Sie auf Autos von oben
...oder gleich selbst mit Bahn oder Auto vom Hang
zu stürzen, bietet die einheimische Fauna. In der Tat sind die Hänge auch von
Skorpionen bewohnt und ein Gast erzählte, wie sich ein solcher in sein Zimmer
verirrt hatte. Allerdings sind die hiesigen Skorpione nicht nur recht klein,
sondern auch nicht besonders giftig.
Es empfiehlt sich, in diesem Fall ruhig zu
bleiben, damit das Reptil sich nicht erschreckt und versteckt, und das Personal
zu rufen. Diese fängt das Untier so ein, wie man anderswo Wespen fängt. Glas
drauf, Deckel drunter und weg damit.
Am Ende haben sich die Strapazen jedoch gelohnt
und der gebotene Sonnenaufgang am nächsten Tag ist nur schwer zu überbieten.
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André Schulz