Mr. Godesberg: Interview mit Günter Poell (2)

von André Schulz
30.12.2016 – Günter Poell trat 1948 dem Godesberger Schachklub bei. Im Laufe der Jahrzehnte war er einer der wichtigsten Persönlichkeiten des Klubs und ist es immer noch. Im Zweiten Teil seines Interviews berichtet er über die Höhepunkte des Vereinslebens und die Probleme in der neueren Vereinsgeschichte, vielleicht exemplarisch für das deutsche Schachvereinsleben insgesamt. Mehr...

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Erster Teil des Interviews

 

Mit fast 70 Jahren (!) Vereinszugehörigkeit beim Godesberger Schachklub besitzt Günter einen Überblick über die Entwicklung des Schachlebens in seiner Region wie kein Zweiter. Auf der von Thomas Jackelen ausgezeichnet betreuten Webseite des Vereins hat Günter Poell kürzlich eine aktualisierte Chronik erstellt. In einem Interview gibt er hier den Lesern von ChessBase News, von denen auch viele im Westen zuhause sind, einen Einblick in die Geschichte des Bonner Schachlebens.

In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren war der GSK sicher der führende Klub in der Region. Was war hier besser als anderswo?

Es gab in diesen Jahrzehnten unter einer stets besonnen und tatkräftig wirkenden Führung genügend ehrenamtlich tätige Mitarbeiter die bereit waren sich auch zeitaufwendig zum Wohle des Klubs einzusetzen. Es gelang ferner für die hohen Kosten der Bundesliga, aber auch für den normalen Aufwand des Spielbetriebs, Spender zu finden. Bewertungen im Verhältnis zur benachbarten Konkurrenz möchte ich nicht vornehmen. Auch dort wird heute gute Arbeit zum Wohle unseres Sports geleistet.

Was waren die sportlichen Erfolge der Godesberger SK-Mannschaften? Wie viel Mannschaften gab es in der besten Zeit? Wie lange dauerte die Zeit mit der Profi-Mannschaft in der Ersten Bundesliga? Wie wurden die Profis integriert?

Der GSK hat positive und negative Zeiten im Spielbetrieb der Mannschaften erlebt. Aufstiegsserien in allen Spielklassen wurden gelegentlich auch durch Stillstand oder gar Abstieg unterbrochen. Beeinflusst hat dies die Zahl der Mitglieder kaum. Wohl aber die der Mannschaften. Den Höhepunkt erreichte hier der Klub im Jahre 2001 mit 10 Senioren-, 3 Jugend- und einer Frauenmannschaft. Seine größten Erfolge sind der Aufstieg in die 2. Bundesliga (1988 + 1990), der Aufstieg in die 1. Bundesliga (1999 - 2003), erneut (2004 + 2006), dann Verbleib in der 2. Bundesliga bis 2014. Dazu 1999 ein Dritter Platz in der Deutschen Pokalmeisterschaft für Mannschaften. Und last but not least als besonderer Stolz die Deutschen Mannschafts-Meisterschaften der Jugend (U20) in den Jahren 1986 und 1999. Spieler mit offiziellen ‚Reisekosten’ gab es von 1999 bis 2013. Mal mehr, mal weniger. Ausschließlich finanziert durch Sponsoren. Eine echte Integration der Gastspieler, also eine Teilnahme am wöchentlichen Spielbetrieb, fand natürlich nicht statt. Da es Jahr für Jahr aber fast immer die gleichen Schachfreunde waren, bestanden durchaus auch private Kontakte zu einzelnen Mitgliedern.

Als Chef des Godesberger Sport- und Bäderamtes hatten Sie nur einen kurzen Weg, um öffentliche Unterstützung zu erbitten. Hat die Stadt Bad Godesberg, später Bonn den oder die Schachklubs ausreichend unterstützt? Können Sie anderen Vereinen Tipps geben, wie man Unterstützung erhält?

Da die Bonner und davor die Bad Godesberger Sportförderung stets durch entsprechende Ausschüsse auf der Grundlage bestehender Richtlinien vollzogen wurde, hatte die Verwaltung der Stadt kaum Einfluss. Sie lieferte nur die Voraussetzungen mit den Sachaussagen. Zu allen Anträgen. Wichtig war vor allem schon vor langer Zeit, dass es (mir) gelang in diese Förderbestimmungen auch Schach als Sport einzubringen. Das war keine leichte Aufgabe. Und hier liegt auch meine Anregung. Dies müssen die Schachvereine andernorts erreichen. Auch der Deutschen Schachbund ist gefragt. Denn in vielen Städten und Gemeinden ist Schach eben nicht beim Sport integriert. Im übrigen war die kommunale Förderung finanziell gesehen bisher durchaus ansehnlich. Trotz einer jetzt sehr belastenden Haushaltskrise in Bonn.

Godesberger Schachlegenden: Hans Lotzien, Günter Poell, Hans Peter Forsbach

Heinz-Josef Ullrich, Jugendwart beim GSK und Schiedsrichter bei vielen Bundesliga-Kämpfen der SG Porz

links: Servatius Knebel, rechts Günter Poell

Warum musste der Godesberger Schachklub die Räume in der Marienkirche verlassen? Was waren die weiteren Stationen?

Dem GSK wurde nach 31 Jahren der Nutzung gekündigt, weil die katholische Kirche zunächst eine völlige Schließung, später dann eine anderweitige Nutzung des Pfarrheims wegen nicht mehr zu tragender Kosten anstrebte. Sie bot dem GSK aber eine gleichwertige Spielstätte im Pfarrheim St. Augustinus an. Die nutzten wir dann sieben Jahre bis zu einer erneuten Kündigung mit der Begründung, künftig nur noch eine eigene Nutzung vorzunehmen oder das Gebäude sogar zu veräußern. Es gelang dann nach langem mühsamem Suchen noch rechtzeitig geeignete Räume in der ev. Heiland-Gemeinde im Vorort Mehlem zu ähnlichen Bedingungen anzumieten. Aber auch hier wurde das Mietverhältnis wegen Eigennutzung nach 2 Jahren wieder beendet. Nun ist der GSK seit einem Jahr zentral in der verpachteten Stadthalle Bad Godesberg, vor allem in einem ehemaligen Trinkpavillon des Kurbades, untergebracht. Dass hier für 2020 ebenfalls wegen einer auf mindestens ein Jahr terminierten Sanierung des ganzen Objekts erneut der Auszug droht, ist für die Verantwortlichen im Klub eine neue Belastung.

Der WM-Kampf Kramnik gegen Anand 2008 war sicher ein Highlight in der Schachgeschichte der Stadt. Konnte sich der Verein dort einbringen?

Ganz sicher war dieses Ereignis für viele Schachanhänger in Bonn und der ganzen Region von großem Interesse. Der GSK und der Schachbezirk/Verband waren aber in der Vorbereitung und dem Ablauf des Ereignisses kaum eingebunden. Allerdings organisierten wir im Spielsaal den Helferdienst, richteten für Journalisten und Prominente ein Blitzturnier aus und veranstalteten auf dem Münsterplatz einen Werbegag mit Simultanschach für den sogar TV und Rundfunk anreisten. Profitiert haben wir ohne Zweifel auch durch das Interesse in der Bevölkerung für Schach an sich. Besonders hervorgerufen durch die von uns mitgetragene tägliche Presse.

Zuletzt spielte der Godesberger SK in der Zweiten Liga und hatte mit Dr. Robert Hübner einen der besten deutschen Spieler in seinen Reihen. Doch dann hat der Verein die Mannschaft zurück gezogen. Wieso?

Die Spieler der ’Ersten’ waren überwiegend nicht bereit die ‚Spielervereinbarung’ zu unterschreiben. Die Kritik richtete sich allein gegen eine Textpassage mit der dem Schiedsrichter das Recht eingeräumt wird ohne Begründung seines Verdachts auf Betrug einschneidende Maßnahmen wie körperliche Untersuchung zu fordern und durchzuführen. Da entsprechende Vorlagen des GSK beim DSB nicht akzeptiert wurden war die Abmeldung des Teams die logische Konsequenz. Erst Monate später haben wir dann eher zufällig erfahren, dass Spieler anderer Vereine die Spielerlaubnis in der 2. Bundesliga doch erhielten, obgleich sie die oben genannte Bestimmung in dem entsprechenden Formular gestrichen und/oder mit Zusätzen versehen haben. Unter diesen Umständen hätten unsere Spieler auch unterschrieben. Der GSK, der in diesem Zusammenhang (wegen Rückzug) auch eine Buße von 1.000 € zahlen musste, forderte mit der Begründung: Zweierlei Maß beim DSB, diesen Betrag zurück. Das wurde mit einer nach meiner Auffassung rechtlich nicht vertretbaren Begründung vom Präsidium abgelehnt. Der Vorstand - dem ich ja nicht mehr angehöre – hat nach Abwägen einen Schluss-Strich gezogen. Mich persönlich ärgert hier vor allem die Tatsache, dass der Deutsche Schachbund keine Bereitschaft zur friedlichen Lösung des in der Tat ja ‚merkwürdigen’ Vorfalls zeigte. Und dies gegenüber einem Verein, der in den letzten Jahrzehnten mindestens 10 Deutsche Meisterschaften und/oder ähnlich zu bewertende Veranstaltungen auf eigene Kosten ausgerichtet hat.

Die Frage um die „Spielervereinbarung“ hat auch innerhalb des Vereins zu Verwerfungen geführt, wieso?

Es gab zwischen den die ‚Vereinbarung’ in dieser Form ablehnenden Spielern und dem Vorstand eine unterschiedliche Auffassung zu diesem Thema, die nicht überbrückt werden konnte und deshalb leider sogar zu Austritten führte.

Manches altes Vereinsmitglied spricht von einem gewissen „Niedergang“ des Vereins. Stimmt das und was sind die Ursachen?

Es kommt darauf an, wie man den ‚Niedergang’ einstuft. Denkt man an einen GSK mit einer Mannschaft in der Bundesliga, dann kann man dies durchaus so sehen. Denn nun gibt es ja keine Großmeister-Partien mehr am Tisch mit der entsprechenden Atmosphäre. Sieht man hingegen, dass auch weiterhin sieben Mannschaften - davon eine in der Oberliga NRW und zwei in der Regionalliga Mittelrhein – spielen, dann sollte man eher die Veränderung ein Orientieren vom Spitzen- zum Breitensport hin nennen. Auffällig ist allerdings ein auch andernorts zu beobachtender fehlender Bezug vieler Mitglieder zum Vereins. Dessen Angebote werden, bildlich gesagt, wie im (Wiener) Caféhaus, angenommen. Im Grunde sogar als selbstverständlich erwartet. Aber ohne eine wie auch immer geartete Reaktion auf die Probleme. Außerdem ist zusätzlich ein deutlicher Rückgang an freien Partien ohne Zeitbegrenzung festzustellen. Blitz und Schnellschach sind in unserer hektischen Zeit wohl mehr gefragt. Selbst Klubturniere werden zumindest bei uns von vielen sogar als ‚Belastung’ empfunden. Mannschaftskämpfe zunehmend auch. Und damit verbunden ist dann zwangsläufig ein Rückgang der Bereitschaft zum Wohle des Ganzen ehrenamtlich eine Aufgabe zu übernehmen.

Als gelegentlicher Besucher von Godesberg fällt einem ein Wandel im Bild der Menschen hier auf. Es gibt viele Einwanderer aus dem Nahen Osten und Nordafrika, offensichtlich auch eine Zunahme von Konflikten. Hat der Wandel in der Struktur der Bevölkerung Auswirkungen auf den Verein? Gibt es dort viele Mitglieder mit anderem kulturellem Hintergrund? Gibt es öffentlich unterstützte Integrationsprogramme?

Man muss hier bei uns unterscheiden zwischen den sogenannten ‚Medizin-Touristen’ und den ‚Asylsuchenden’. Die erste Gruppe kommt hier nach Bonn allein zur medizinischen Versorgung. Sie bringen meistens ihre (Groß)-Familien mit. Die Frauen fallen durch die ‚morgenländische’ Kleidung auf. Das so veränderte Bild in den Fußgängerzonen wird von einem größeren Teil der Bevölkerung kritisch gesehen. Andere wiederum stört es nicht. Für diese sind es (salopp gesagt) die neuen ‚Kurgäste’. Die zweite Gruppe stellen die zugewiesenen Zuwanderer dar. Verteilt auf das ganze Land. Sie leben in entsprechenden Übergangsheimen und warten auf eine Entscheidung über ihre Anträge und danach auf die eventuelle Eingliederung. Erstere nehmen am sportlichen Angebot überhaupt nicht teil. Die anderen sehr wohl. Sie sind auch hier schon im Fußball echt integriert. Für sie gibt es sogar Programme und Hilfen. Was die hier Details angeht so bin ich überfragt. Es gibt traditionell unter den Mitgliedern des GSK durchaus auch solche mit einem anderen kulturellen Hintergrund. Dies aber nicht erst jetzt. Manche schon seit Jahren. Bonn war ja schon immer international. Probleme sind bisher wohl nicht entstanden.

Ist der Verein noch in der Jugendarbeit aktiv? Auf welche Weise? Verglichen mit 1948: Warum sollen die Kinder noch Schach lernen?

Wie schon dargestellt ist der GSK in der Jugendarbeit weiterhin sehr aktiv. Wie schon seit Jahrzehnten. Jeden Freitag werden Anfänger und Fortgeschrittene von ehrenamtlich tätigen Mitgliedern geschult. Zwei Jugendmannschaften sind im Einsatz. Es gibt eigene Jugend-Turniere. Schach vom Nullpunkt bieten wir aber nicht an. Das überlassen wir der Volkshochschule.
Warum sollten die Kinder Schach lernen? Nun eine allgemeine immer wieder zu lesende und sicher richtige Antwort: Schach fördert die Entwicklung des Kindes, die Kombinationsgabe, die Konzentrationsfähigkeit, das logisches Denken und allgemein die Intelligenz. Und dies motiviert dann schon die Eltern – sogar wenn sie selbst nicht spielen.

Wie viele Mitglieder hat der Verein heute? Wie sieht die Zukunft des Vereins aus?

Derzeit sind 162 Mitglieder in Mivis gespeichert. Darunter etwa 40 Jugendliche und Kinder. Man muss aber wissen, dass nur etwa 70 im Mannschaftssport an den Start gehen. und bei unseren internen Turnieren sind allenfalls maximal 30 ‚vor Ort’ im Einsatz. Normale freie Spielabende sind leider sogar deutlich geringer besetzt. Gut besucht hingegen werden seit vielen Jahren die beiden Open Im Grunde sind wir also – was das Ausüben des Schachspiels angeht – kein echter Großverein (mehr).
Die Zukunft ist beim GSK wohl eindeutig auf den Breitensport ausgerichtet. Die Zeit des Spitzensports ist seit zwei Jahren abgeschlossen. Ohne Sponsor keine Bundesliga machbar. Es fällt auch auf, dass viele Mitglieder auf die eigene Partie sehr fixiert sind, das Interesse jedoch am Verein an sich mehr als früher in den Hintergrund tritt. Hier sind die Vereine gefordert über das eigentliche Spiel hinaus Angebote zu unterbreiten. Denn Schachspielen kann man auch zuhause. Die Konkurrenz im Internet ist nicht mehr zu vernachlässigen. Ein wichtiger aber mühsamer Weg.

Herzlichen Dank für diese Interview mit vielen interessanten Einblicken!

Günter Poell, seit 1948 Mitglied im Godesberger Schachklub (Foto: Godesberger SK)


 

Fotos, wenn nicht anders angegeben: Heinz Josef Ullrich


Zeitgeschichte:  Die Chronik des Godesberger Schachklubs...
 

Anhang:

Vereine mit mehr als 150 Mitgliedern

  Verein Alle M W
01 Hamburger SK von 1830 eV 679 559 120
02 Schachzwerge Magdeburg 564 421 143
03 OSG Baden-Baden 272 208 64
04 Schach-Club Vaterstetten-Grasbrunn 217 182 35
05 SC Garching 1980 e.V. 211 181 30
06 Karlsruher SF 1853 192 143 49
07 SV Stuttgart-Wolfbusch 1956 e.V. 190 142 48
08 Schachgemeinschaft Leipzig 187 160 27
09 Lübecker SV von 1873 186 163 23
10 SC Moosburg 1956 e.V. 185 148 37
11 Schachgemeinschaft Porz e.V. 176 152 24
12 Schachverein Mülheim-Nord 1931 e.V 173 146 27
13 SC Kreuzberg e.V. 172 167 5
14 SK Bebenhausen 1992 171 152 19
15 Godesberger Schachklub 1929 e.V. 169 161 8
16 SC Erlangen 48/88 166 148 18
17 DJK Aufwärts St. Josef Aachen 1920 165 145 20
18 Schachklub Münster 32 e.V. 164 150 14
19 SV "Glück auf" Rüdersdorf e.V. 164 106 58
20 Schachfreunde Brackel 1930 e.V. 161 151 10
21 Stuttgarter SF 1879 159 147 12
22 SC Tarrasch 45 München 156 143 13
23 SAbt SV Werder Bremen 155 143 12
24 Krefelder Schachklub Turm 1851 e.V. 154 129 25
25 SV Balingen 153 131 22
27 SK Freiburg-Zähringen 1887 e.V. 152 124 28
28 SK Sontheim/Brenz e.V. 150 121 29

 

Die zehn mitgliedstärksten Vereine vor 5 Jahren (2011)

Anzahl der Mitglieder
01. Hamburger SK von 1830 419
02. Schachzwerge Magdeburg 226
03. SV Stuttgart-Wolfbusch 1956 198
04. Schachgemeinschaft Leipzig 193
05. SV "Glück auf" Rüdersdorf 188
06. OSG Baden-Baden 187
07. SV Werder Bremen 187
08. SC Garching 1980 173
09. Godesberger Schachklub 1929 173
10. Schachgemeinschaft Porz 172
 

Quelle: Deutscher Schachbund

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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