Mülheim macht das!

von Stefan Löffler
23.02.2021 – Heinz Schmitz (1931-2021) baute mit siebzig ein Vereinsheim, stemmte mit achtzig die erste zentrale Runde der Schachbundesliga, schaffte den Spagat zwischen Geselligkeit und sportlichem Anspruch. Stefan Löffler über einen Visionär des Vereinsschachs - ein Nachruf. | Fotos: privat / Archiv Dieter Klein / Karl- das kulturelle Schachmagazin

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Es ist fast zwanzig Jahre her, seit die Stadt Mülheim ankündigte, ihre Seniorentagesstätten zu schließen. Der SV Mülheim-Nord musste sich daraufhin nach einem neuen Vereinslokal umschauen. Der Leiter des städtischen Sportamts sagte, er könne nicht helfen, doch Heinz Schmitz ließ nicht locker. Als die Sprache auf einen nie fertiggestellten Kabinentrakt am Südbad kam, der aber doch für einen Schachverein bestimmt nicht infrage käme, bestand der Vorsitzende darauf, sich das einmal anzusehen. Der Sportamtsleiter war skeptisch, schließlich saß ihm ein Rentner gegenüber, Anfang siebzig, aber der Mann redete so einnehmend auf ihn ein, dass er sich überreden ließ. Noch bevor eine Stunde vergangen war, standen die beiden  zwischen unverputzten Wänden, und Schmitz erklärte dem verdutzten Sportamtsleiter, dass der Schachverein die nötigen Umbauten übernehmen wird. Es dauerte nur ein paar Monate, bis am 29. Juni 2002 das Schachzentrum Mülheim eingeweiht wurde.

Einnehmend, zupackend, vorausschauend - so wird der am 13. Februar verstorbene Heinz Schmitz vielen in Erinnerung bleiben.

Heinz Schmitz

Mit dem eigenen Vereinsheim hat er seinen SV Mülheim-Nord auf lange Sicht bestens aufgestellt. Die Vereinsmitglieder stemmten die Umbauten tatsächlich aus eigener Kraft. Einen Maurermeister und Handwerker hatten sie in ihren Reihen. Schmitz besorgte einen langfristigen Kredit vom Landessportbund und übernahm die Planung und Bauleitung. Schließlich konnte er auf Jahrzehnte Berufserfahrung als Ingenieur bei der Kraftwerk Union zurückblicken.

Als Herzstück des Schachzentrums schuf er einen verglasten, schallgeschützten Turniersaal 

mit acht Tischen und elektronischen Brettern. Mit seiner Idee, dass ein Mannschaftskampf sowohl von jenseits der Glasscheibe als auch im Internet verfolgt werden kann, lag Schmitz goldrichtig. Wenn die erste Mannschaft Heimkämpfe spielte, war volles Haus. Und der Verein fand nun weit über die Stadt hinaus Beachtung.

Das grüne Mülheim, zwischen Duisburg und Essen am schönen Fluss Ruhr gelegen, hat Heinz Schmitz nur einmal für längere Zeit verlassen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs verbrachte er als Landverschickungskind einige Monate in Bayern. Nach seiner Heimkehr trat er 1945 in den Schachverein Kreuzfeld ein, aus dem 1970 durch Fusion mit Springer Schach Dümpten der Schachverein Mülheim-Nord 1931 entstand, der das Kreuzfelder Gründungsjahr in seinen Namen aufnahm.

Es war auch Heinz Schmitz´ Geburtsjahr. Vereinsjubiläen und runde Geburtstage trafen sich. Viele dieser Feste wurden im Haus von Heinz und Wilma Schmitz und ihrem großen Garten gefeiert. Fünfzig Gäste kamen da oft zusammen. Heinz Schmitz war ein Familienmensch. Wilma starb 2006, aber er hinterließ zwei Töchter, sechs Enkel und sechs Urenkel.

Seine zweite Familie war der Schachverein. Stets erkundigte er sich, wie es jedem ging. Hörte er, dass jemand Sorgen hatte, bot er Hilfe an. Schon als Jugendlicher übernahm er im Verein Aufgaben, von 1983 bis 2018 war er Erster Vorsitzender. Außer Kassierer hat er alle Positionen ausgeübt. Mehrmals war er Vereinsmeister und besetzte viele Jahre das erste Brett.

Zuschauer an den Bildschirmen

Dass die Jungen, wenn sie sein Niveau erreichten, zu anderen Vereinen in höheren Ligen wechselten, wurmte ihn, doch den sozialen Zusammenhalt für sportliche Ziele aufs Spiel zu setzen, kam zunächst nicht in Frage. Dass „Nord“, wie der Verein in der Region genannt wird, in den Neunzigerjahren ehrgeiziger wurde, ergab sich teils aus Chancen, die Schmitz erkannte, teils aus Zufall. Eines Abends tauchte ein Unbekannter beim Vereinsabend auf, der sich als Großmeister Mihail Saltaev entpuppte, gerade aus Usbekistan übersiedelt und neuerdings in Mülheim wohnhaft. 1998 war es soweit, dass Schmitz einen ansprach, den er seit je gern in seinem Verein gesehen hätte und der bald als erster gebürtiger Mülheimer Großmeister werden sollte: Daniel Hausrath.

Reden hielt Heinz Schmitz für seine Leben gern, hier bei der Weihnachtsfeier 2000 mit (von links) Christoph Sielecki, Gerd Schebler, Daniel Hausrath, Ralf Schlehöfer und Klaus Friedrichs.

Hausrath nennt Schmitz „meinen Ziehvater“. Dass er sich als Stützpunkttrainer und Schachlehrer eine Existenz aufbauen konnte, verdankt er einer Anstellung beim Verein. Die nötigen Zuschussgeber fand Schmitz. Damit sich die gewöhnlichen Vereinsmitglieder nicht daran stören konnten, dass ihre Beiträge für Profis und Halbprofis draufgingen, hatte er bereits 1995 einen Förderverein gegründet, in den die von ihm geworbenen Sponsoren einzahlten. So gelang der Spagat zwischen geselligen Heimatverein und sportlichem Aufstieg.

Am Schachbrett

Schmitz liebte es zu philosophieren und zu diskutieren, auch wenn wenige gegen ihn ankamen. Persönlich wurde er dabei fast nie. Was ihm im Schachleben nicht passte oder wie sich der Verein entwickeln konnte, schrieb er ins Nord-Echo, seine preisgekrönte Vereinszeitschrift. Weit über den Verein hinaus wurde seine „Spitze Feder“ gelesen und diskutiert.

Ganz bestimmt stand in seiner Kolumne auch einmal dieser Lieblingssatz von ihm: „Unsere Spieler müssen von zuhause den Mülheimer Kirchturm sehen können.“ Beispielsweise von Bochum aus ist das natürlich nicht möglich. Der dort lebende Daniel Fridman war von Schmitz aber trotzdem mitgemeint, seit er 2003 zum Verein stieß. 2004 ist Nord in der Schachbundesliga angekommen. Die Kirchturmphilosophie wurde gedehnt und schließlich geopfert für zwei zweite Plätze und einen dritten Platz.

Mindestens soviel Wert wie auf die Resultate legte Schmitz auf die heimischen Auftritte. Ein Höhepunkt war vor zehn Jahren die Bundesligarunde im Mülheimer Kunstmuseum, das zu dem Anlass eine Schach-Ausstellung mit so illustren Namen wie Marcel Duchamp und Wassily Kandinsky aufbot.

Schach und Kunst

In der Ausstellung

Der nächste Knaller war da bereits in Planung und folgte ein paar Monate später. Die Idee, Bundesligarunden zentral auszurichten, stammte bereits aus den Neunzigerjahren. An die Umsetzung wagte sich keiner, bis Schmitz sagte: Mülheim macht das! Im Oktober 2011 absolvierten die 16 stärksten deutschen Vereinsteams ihren Saisonauftakt in der nur einen Steinwurf vom Nord-Vereinsheim gelegenen RWE-Halle.

Zentrale Bundesligarunde

Ein Achtzigjähriger machte der Liga vor, wie ein Schachevent geht. Einen anderen Achtzigjährigen, Viktor Kortschnoi, hatte Schmitz als Ehrengast dabei.

Viktor Kortschnoj und Heinz Schmitz

Seitdem er den Anfang machte, trägt die Bundesliga fast jede Saison zentrale Runden aus. Die Veranstaltung hatte auch einen regionalen Nebeneffekt. Die RWE-Halle wurde auf Jahre Austragungsort des NRW-Schulschach-Cup. Schulschach gehörte da längst zum Konzept von Schmitz, der auch Schachbegegnungen zwischen Grundschulkindern und Senioren organisierte. Bis zu fünf Tagen pro Woche - gemeint ist vor Corona - ist im Schachzentrum Betrieb. Am liebsten war Schmitz der Mittwochnachmittag, an dem alles mögliche, nicht nur Schach, gespielt wurde und vor allem Senioren seine Gäste waren.

Dass er im Rathaus oder bei der Stadtsparkasse ein offenes Ohr fand, hatte er sich über viele Jahre durch gute Ideen, Zuverlässigkeit und Präsenz erarbeitet. Termine des Mülheimer Sportbunds oder Jahresempfänge der Parteien nahm Schmitz stets wahr. Sein Netzwerk machte ihn aber auch praktisch unersetzlich. Als er immer schlechter laufen konnte, fanden Vorstandssitzungen bei ihm zuhause statt. Mit der ersten Mannschaft mitreisen konnte er längst nicht mehr. Seine mittwöchlichen Spielnachmittage hielt er noch ab, so lange es seine Gesundheit erlaubte. Mit 87 gab er den Vorsitz ab. Nach langer Krankheit ist Heinz Schmitz im Krankenhaus im Beisein Angehöriger für immer eingeschlafen.

Bei der Einweihung des Schachzentrums

Mit Dank an Daniel Hausrath, Daniel Fridman, Christian Zickelbein und ganz besonders an Dieter Klein, Heinz Schmitz´ geschiedenen Schwiegersohn und Kassier des SV Mülheim-Nord.

Die Traueranzeige des SV Mülheim Nord

In tiefer Trauer nehmen wir Abschied von unserem Ehrenvorsitzenden

Heinz Schmitz
geb.: 23.03.1931 gest.: 13.02.2021

Heinz Schmitz war seit dem 01.10.1945 aktives Mitglied des Schachvereins Mülheim-Nord 1931 e.V. Er prägte ihn über viele Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen. Bereits kurz nach seinem Eintritt nahm er 1946 seine erste Aufgabe im Vereinsvorstand an. Seitdem war er nahezu ununterbrochen im Vorstand tätig als Schachwart, Spielleiter, Jugendleiter und Pressewart. Seit 1983 prägte er als 1. Vorsitzender mit beeindruckender Schaffenskraft die Entwicklung unseres Schachvereins.

Unter seiner Leitung entwickelte sich der Verein zu einem der größten und spielstärksten Schachvereine Deutschlands. Dies war nicht nur seinem überaus großem Engagement, vor allem auch in seiner Ruhestandszeit ab 1991, zu verdanken, sondern auch seinen kreativen Visionen und seiner
regionalen und überregionalen Vernetzung. Er entwickelte für den Verein ein Leitbild und setzte dieses sehr erfolgreich konsequent um.

Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass 1995 der Verein der Freunde und Förderer des Schachsports in Mülheim an der Ruhr e.V. gegründet wurde.
Zu verdanken ist ihm das auch überregional bekannte Vereinsheim, das Schachzentrum Mülheim, welches in Eigenarbeit erstellt und am 29.06.2002 eröffnet wurde.

Im Jahr 2004 stieg die 1. Mannschaft in die 1. Schachbundesliga auf und spielt seitdem sehr erfolgreich auf der höchsten Spielebene.
Unvergessen bleibt auch seine „Spitze Zunge“, mit der er über viele Jahre in seiner Vereinszeitschrift „Nord-Echo“, welche der Deutsche Schachbund als beste Vereinszeitung aller Deutschen Schachvereine auszeichnete, meinungsbildend den Schachsport beeinflusste.

Seine herausragende Persönlichkeit wurde vereinsintern wie vereinsextern hochgeschätzt. Sein Name hat in der Schachszene bundesweites Renommee. Auch in Mülheim war Heinz Schmitz in Politik, Verwaltung und anderen Institutionen außerordentlich angesehen. Direkt nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus dem Vorstand wurde Heinz Schmitz 2018 zum Ehrenvorsitzenden des Schachvereins Mülheim-Nord 1931 e.V. ernannt. Daneben hat er im Laufe der Zeit alle weiteren Ehrungen des Schachvereins erhalten, die der Verein zu vergeben hat. So ist er in Anerkennung seiner
großartigen Leistungen 1981 zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt worden.

Am 05.10.2003 wurde sein ehrenamtliches Engagement über viele Jahrzehnte von der Stadt Mülheim an der Ruhr mit der Ehrenspange der Stadt Mülheim ausgezeichnet.

Der Schachverein Mülheim Nord sowie der Verein der Freunde und Förderer des Schachsports in Mülheim an der Ruhr e.V. verlieren mit Heinz ein geschätztes und hochgeachtetes Mitglied aber auch einen stets zuverlässigen Freund. Sein Wirken wird für uns Ansporn und Verpflichtung sein. Wir
werden ihn stets in ehrender und dankbarer Erinnerung behalten.

Schachverein Mülheim-Nord 1931 e.V.,
Verein der Freunde und Förderer des Schachsports in Mülheim an der Ruhr e.V.
 

Michael Stadel Prof. Dr. Jörg Stender Dieter Klein
1. Vorsitzender 2. Vorsitzender Kassenwart

 

SV Mülheim-Nord: https://svmuelheimnord.de/

Zur Eröffnung des Schachzentrums (pdf)...

 


Stefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.

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