Pal Benkö: Meine Erinnerungen an Augsburg

von Pal Benkö
26.11.2019 – Der im August verstorbene Pal Benkö hatte zum Augsburger Schachclub ein besonders inniges Verhältnis. 1986 lud ihn Johannes Pitl zu einem Turnier nach Augsburg ein und es entstand eine tiefe Freundschaft. Bisweilen brachte Benkö einen guten Freund mit, der sich vor alnger Zeit vom Schach zurückgezogen hatte und in Augsburg nicht immer erkannt wurde. Vor seinem Tod hat Pal Benkö noch seine Erinnerungen an Augsburg aufgeschrieben.

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"Ich liebe Augsburg"

Die Legende des amerikanischen und ungarischen Schachs erzählt über ihre Verbindung zu  Augsburg

Im Sommer 1986 flatterte mir in meine damalige ständige Sommerresidenz in Jersey City, New Jersey, direkt gegenüber Manhattan am westlichen Ufer des Hudson gelegen, aus heiterem Himmel eine Einladung ins Haus. Ich sollte zum Jahreswechsel 1986/87 Stargast eines Internationalen Meisterturniers im Augsburger Holiday Inn Hotel sein und danach als Zugpferd für ein Simultan in Gedenken an eine verstorbene lokale Schachgröße fungieren.

Die Einladung kam von Johannes Pitl, dem Vorsitzenden eines Augsburger Schachvereins, und
bot mir so glänzende Bedingungen, dass ich gar nicht Nein sagen konnte. Am zweiten Weihnachtstag 1986 reiste ich aus meinem damaligen Winter-Domizil in Budapest an und hatte nicht die leiseste Vorahnung, dass ich im Begriff stand, tatsächlich eine Freundschaft
fürs Leben anzubahnen.

Schachsportlich wurde das Turnier für mich ein Fiasko. Ich wurde meiner Favoritenrolle ganz und gar nicht gerecht, musste sogar eine Niederlage quittieren und landete ungeachtet einer schönen Gewinnpartie am Finalspieltag lediglich im gehobenen Mittelfeld des Endklassements der zwölf Teilnehmer.

Später erfuhr ich, dass diese Gewinnpartie meinem Gegner, einem Spitzenspieler des gastgebenden Vereins, nicht nur den geteilten Turniersieg, sondern auch die – schon im Falle eines Remis – anstehende Ernennung zum Internationalen Meister gekostet hatte. Letzteres war mir im Nachhinein schon mehr als peinlich, zumal mein späterer langjähriger Klubkamerad, FIDE-Meister Frank Röder bis zum heutigen Tage vergeblich seiner damals durch mich in doch etwas schusseliger Weise verpassten Titelernennung nachtrauern muss.

Mein Gastgeber ließ sich Anfang Januar 1987 indessen nicht den Hauch einer Enttäuschung
anmerken, obwohl das eingangs angesprochene Simultan-Memorial nach dem Turnier auch
für ihn zu einem Fiasko wurde. Statt der propagierten vierzig Gegner hatten sich für mich im
noblen Ambiente des Kongresszentrums, unmittelbar neben dem damals höchsten Hotel Europas gelegen (die Mahlzeiten nahmen wir täglich in der 35. Etage ein), nur etwas mehr als zwei Dutzend eingefunden! Ein kleiner Trost wird für Johannes Pitl wohl gewesen sein, dass der Oberbürgermeister als Schirmherr vom Anfang bis zum Ende der meiner Erinnerung nach weit über vierstündigen Veranstaltung anwesend gewesen ist.

Pitl machte gar nicht den Versuch, von dem für vierzig Gegner vereinbarten Honorar Abzüge
abzuhandeln! Schon damals stand er – wie später dann in allen unseren Vertragsabwicklungen
– bis zum letztem Jota zu allen Verabredungen.

Knapp eineinhalb Jahre später erwartete ich an einer Subwaystation in Jersey City einen aus
Manhattan kommenden Besucher. Schon nach einigen Stunden verabschiedete sich mein Gast
wieder mit einem freundschaftlichen Handschlag, der symbolisch im Bild festgehalten ist und
für den Augsburger und schwäbischen Schachsport bemerkenswerte Auswirkungen erlangen
sollte. Ich hatte nämlich mit Johannes Pitl verabredet, in den Wintermonaten der nächsten Jahre Punktspiele am Spitzenbrett des Schachklubs 1908 Göggingen zu bestreiten.

Johannes Pitl und Pal Benkö, Stationen einer wunderbaren Freundschaft: Jersey City, N.J., 8.6.1988: Damals standen die Zwillingstürme im Süden Manhattans noch ... ein Vierteljahrhundert später in Budapest: Vielfache Ehrengäste bei László Nagy und seinem First Saturday.

Das Photo vom 8.6.1988 dokumentiert damit in der Tat mit Symbolkraft den Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die mich nicht nur fast eine Dekade lang immer wieder in die zweitausend Jahre alte Stadt Augsburg führen sollte, sondern darüber hinaus lange anhielt und an Herzlichkeit sogar noch gewann.

Die schachlichen Resultate meiner Augsburger Zeit können natürlich nicht den hohen
Ansprüchen eines zweimaligen Finalisten der Schachweltmeisterschaft gerecht werden, obwohl ich z. B. mit dem geteilten dritten Platz beim III. Internationalen Holiday-Inn-Augsburg Großmeisterturnier 1988/89 (der spätere Vizepräsident der FIDE, Bachar Kouatly, siegte und wurde mit dem Sieg erster französischer Großmeister) und auch mit Platz zwei beim Internationalen Turmhotel Augsburg Meisterturnier 1991/92 mehr oder weniger halbwegs zufrieden sein konnte.

Immerhin setzte sich nämlich meine Gegnerschaft größtenteils aus hungrigen, jungen Normkandidaten zusammen und desweiteren fiel mir durchwegs die Rolle des Turnierseniors zu. Rückblickend überrascht mich die Aussage meines Freundes Johannes, dass bei den von ihm organisierten Meisterturnieren bis heute nicht weniger als 29 Normresultate (in 23 Turnieren!) erzielt wurden, kein bisschen. 

Mein Score am ersten Brett in der zweiten Bundesliga habe ich natürlich nicht mehr in Erinnerung, nur soviel fällt mir ein, das meine einzige Niederlage gegen FIDE-Meister Mathias
Holzhäuer vom SK Schmiden völlig unnötig aufgrund eines Zeitnotfehlers zustande kam.

Gerne erinnere ich mich auch an die offizielle Ehrung seitens der Stadt für die Bronzemedaille,
die ich mir bei der Seniorenweltmeisterschaft 1992 in Bad Wörishofen erspielt hatte. Das Turnier war damals hochkarätig besetzt:

1. Geller 2. Lein 5. Taimanow 6. Suetin 7. Krogius …10. Unzicker …17. Pachman.

Erwähnenswert aus meiner Augsburger Zeit ist folgende Episode: In den letzten Jahren hat mich regelmäßig Bobby Fischer nach Augsburg begleitet. Einmal ergab sich eine urkomische Szene, als wir beide einem gemeinsamen Bekannten aus alten Zeiten begegneten, dem Weltenbummler Henry Herbst, der sich inzwischen in Augsburg niedergelassen hatte und beim Schachklub 1908 Göggingen mittlerweile, wenn man so will, gewissermaßen auch mein Vereinskamerad geworden war.

Sir Henry – wie er in Schachkreisen genannt wurde – freute sich so ungemein über die unerwartete Begegnung mit mir, dass er meinen großgewachsenen, bärtigen Begleiter gänzlich ignorierte, ihm wirklich keinerlei Beachtung schenkte und den berühmten 11. Schachweltmeister der Geschichte einfach nicht erkannte. Als ich Johannes Pitl viele Jahre später die Episode erzählte, schüttete er sich aus vor Lachen.

Benkö und Fischer, ca. 1965/66 | Foto: Beth Cassidy

Aus unzähligen Gesprächen mit Johannes Pitl, in dessen Cabrio ich regelmäßig zu sämtlichen
Auswärtsspielen seines Klubs in der zweiten Bundesliga und bayerischen Oberliga chauffiert
wurde, wusste ich um seine Bewunderung für Bobby Fischer. So lag es nahe, dass ich nach vielen vergeblichen Versuchen eines Tages Bobby mit Erfolg dazu überreden konnte, meinen honorigen Gastgeber doch endlich persönlich kennen zu lernen. Natürlich war Johannes Pitl total begeistert und völlig von den Socken. Aus der ersten Begegnung in meinem Hotelzimmer im Hotel Ibis beim Königsplatz entwickelte sich dann zwischen Bobby und Johannes eine tiefe und ehrliche Freundschaft, die sich in vielen Treffen der beiden vor allem in Augsburg und Budapest, am Ende auch in Reykjavik niederschlug.

Es entbehrt nicht der Tragik, dass weder Johannes noch ich Bobby in den letzten Wochen seines Lebens, als er uns gebraucht hätte, zur Seite stehen konnten. Abschließend gratuliere ich Johannes zu den Erfolgen seines Sohnes am Schachbrett – neben und trotz seiner bemerkenswerten Karriere als Diplom-Mathematiker.

Leider war Gregory bei unseren persönlichen Begegnungen noch zu jung, als dass ich ihm am Schachbrett wichtige Ratschläge hätte erteilen können.

 


Pal Benkö war ein Weltklasse-Schachgroßmeister, Autor und Komponist von Endspielstudien und Problemen. Zweimal, 1959 und 1962, qualifizierte sich Pal Benkö für das Kandidaten-Turnier zur Weltmeisterschaft. 1970 gab er seinen Platz im Interzonenturnier an Bobby Fischer ab, der den folgenden WM-Kampf gegen Spasski gewann. Pal wurde 1928 geboren, lebte zuletzt wieder in Budapest, Ungarn. Er starb am 26. August 2019.

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