Rücktrittswelle beim Schachbund

von André Schulz
24.04.2015 – Am 16. Mai treffen sich die Delegierten der Länder in Halberstadt zum Bundeskongress des DSB. Neben den Berichten stehen die Wahlen für die Ämter an. In durchaus schwierigen Zeiten scheint der Schachbund sich in einer Führungskrise zu befinden. Fast das ganze Präsidium will sich zurückziehen, wie Michael S. Langer im Interview berichtet. Mehr...

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Am 16. Mai treffen sich die Delegierten der Länder in Halberstadt (Hotel Spiegelsberg) zum Kongress des Deutschen Schachbundes. Der Kongress findet alle zwei Jahre statt. Neben einer Bestandsaufnahme der Vorgänge in der vergangenen Periode sind natürlich auch die Wahlen für die Ämter ein wichtiges Thema. Vor vier Jahren hat Herbert Bastian Robert von Weizsäcker als Präsident des Deutschen Schachbundes abgelöst. Professor von Weizsäcker hatte sich als Nachfolger von Alfred Schlya (DSB-Präsident von 2001-2007) nicht mehr zur Wahl gestellt. Im letzten Jahr hatte der Deutsche Schachbund im Zuge der Umverteilung der Fördergelder für den Spitzensport einige Hürden zu überwinden und war zeitweilig völlig aus der Förderung des Innenministeriums gefallen. Dank der gemeinsamen Anstrengung zahlreicher Schachfreunde konnte am Ende die Förderwürdigkeit des Schachbundes wieder hergestellt werden. Im Zusammenhang mit den Wahlen zum FIDE-Präsidium - Garry Kasparov war beim FIDE-Kongress während der Schacholympiade in Tromsö gegen den Amtsinhaber Kirsan Ilyumzhinov angetreten - kam es innerhalb des DSB-Präsidiums zu einer Kontroverse über den Standpunkt des Schachbundes. Horst Metzing war als vom DSB beauftragt, den deutschen Verband international zu vertreten, und hatte sich bei der ECU-Wahl in das "Ticket" von Silvio Danailov aufnehmen lassen. Danailov gehörte zu den Unterstützern von Kasparov. Kasparov äußerte nach der Wahl die Auffassung, der DSB hätte für Ilyumzhinov gestimmt.

In durchaus stürmischen Zeiten - angesichts von Generationswechsel, Mitgliederschwund und Vereinssterben muss der Schachbund sich im Hinblick auf eine ungewissen Zukunft zukunftssicher neu ausrichten - wurde das DSB-Präsidium von einer Rücktrittswelle ergriffen, die es in dieser Form im Schachbund bisher noch nicht gegeben hat.

Interview mit Michael S. Langer

Michael S. Langer

Gemäß Ihren eigenen Ankündigungen vom Februar wird der Vize-Präsident Finanzen Michael S. Langer des Deutschen Schachbundes demnächst Geschichte sein. Sie treten zurück.

Das ist richtig. Nach den 12 Jahren, die ich im Deutschen Schachbund ehrenamtlich tätig war, habe ich meine Tätigkeit für mich selber hinterfragt und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Arbeit im DSB-Präsidium für mich inhaltlich und atmosphärisch nicht mehr positiv zu bewerten ist. Ich bleibe noch bis zum Kongress in Halberstadt im Amt und stelle mich dann nicht mehr zur Wiederwahl - aus den genannten Gründen.

Das klingt etwas vage, "inhaltlich und atmosphärisch nicht mehr positiv" zu bewerten, deutet aber offenbar auf Reibereien innerhalb des Präsidiums hin.

Ja, das ist richtig. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber ich habe meine Gründe auch in der Kongressbroschüre 2015 schon dargelegt. Es ist also kein Geheimnis, und deshalb kann ich es hier gerne auch wiederholen.

1. Ich halte den ohne Abstimmung in unseren Gremien aktuell eingeschlagenen Weg im internationalen Bereich für grundverkehrt und bin nicht bereit, diesen mit zu verantworten.

2. Durch die Vorgänge in Tromsö fühle ich mich vorgeführt. Meine Aufgabe als „Member of the verification committee“ innerhalb der FIDE werde ich ebenfalls nicht wahrnehmen und habe das der FIDE bereits mitgeteilt.

3. Das Vorgehen des Präsidenten beim Thema Strukturreform bin ich nicht bereit mitzutragen.

4. Die Arbeitsatmosphäre im Präsidium finde ich unerträglich. Es gibt keine kooperative Führung. Nur in den seltensten Fällen werden überhaupt verbindliche Ergebnisse erzielt.

5. Die Ignoranz des Präsidiums gegenüber unseren Referenten ist in eklatanter Weise ausgeprägt.

Das ist jetzt eine Menge Diskussionsstoff. Zunächst: Was ist die Kongressbroschüre 2015?

Das ist die etwa 200-seitige Broschüre mit allen Rechenschaftsberichten und Themen des Kongress. Diese erhalten die DSB-Delegierten vor dem Kongress in ausgedruckter Form. Ich habe mich ja in der Vergangenheit stets für größtmögliche Transparenz eingesetzt. Deswegen gibt es die Broschüre jetzt und mit tatkräftiger Unterstützung und Umsetzung von Michael Woltmann auch schon als pdf-Dokument zum Download. Wer will, kann sie herunter laden. Es stehen viele formale Punkte und Berichte darin, aber man findet auch viele interessante Sachen. Dort habe ich auch für die Vertreter der Länder meine Nichtkandidatur erläutert - im Wesentlichen, wie gerade eben noch einmal wieder gegeben.

Download der Kongressbroschüre 2015...

Wenn man die Punkte zusammenfasst: Es gibt Meinungsverschiedenheiten mit Herbert Bastian, dem Präsidenten des DSB.

Michael S. Langer, Herbert Bastian

Ja. Meinungsverschiedenheiten sind im Prinzip nichts Schlimmes. Allerdings muss man im Präsidium dann über die unterschiedlichen Auffassungen reden und zu einem konstruktiven Ergebnis, bzw. Kompromiss kommen.

Und das war nicht der Fall?

Nein, das entspricht nicht unbedingt Herberts am Organigramm orientierten Führungsstil.

Was verbirgt sich hinter der Formulierung "eingeschlagener Weg im internationalen Bereich" und "Vorgänge in Tromsö"?

Ich muss etwas ausholen: Nachdem Horst Metzing als langjähriger Geschäftsführers der Berliner Geschäftsstelle des Schachbundes aus Altersgründen ausgeschieden ist, sollte er die Aufgabe als Vertreter des DSB in den internationalen Verbänden, ECU und FIDE, übernehmen. Horst hat auf diesem Feld so viel Erfahrung wie sonst niemand in Deutschland, hat früher schon Aufgaben im ECU-Präsidium übernommen, und ist international eine bekannte und auch angesehene Größe mit einigen diplomatischen Fähigkeiten. Für die Wahl zum ECU-Präsidium, die Kontinentalwahlen fanden ebenfalls während der Schacholympiade in Tromsö statt, wurde Horst gefragt, ob er sich nicht im "Ticket" von Silvio Danailov aufstellen lassen möchte. Nach Rücksprache mit dem Präsidium hat Horst Metzing dort zugesagt. Danailov gehörte zu den Unterstützern von Kasparov, der bei der FIDE-Wahl gegen Kirsan Ilyumzhinov angetreten ist. In der Vergangenheit hat der Schachbund Kasparov und Karpov - ich erinnere an die Wahl in Khanty-Mansiysk 2010 - unterstützt. Robert von Weizsäcker hatte sich damals zum Beispiel auch auf Initiative von Kasparov und Karpov als ECU-Kandidat aufstellen lassen. Man konnte international also davon ausgehen, dass der DSB auch bei dieser Wahl zu den Unterstützern von Kasparov gehören würde, womit wir uns in einem Boot mit einer Reihe von anderen "westlichen" Verbänden befunden hätten. Die Frage wurde im Vorwege natürlich im Präsidium diskutiert. Nachdem unser Präsident von der FIDE-Präsidiumssitzung 2013 aus Tallinn zurückgekehrt war, vertrat er offensiv bezüglich der Wahl eine andere Auffassung als die übrigen Präsidiums-Mitglieder.

Kasparov hat nach der Wahl behauptet, der DSB hätte für Ilyumzhinov gestimmt.

Das hat er so gesagt.

Also hat er?

Niemand weiß wirklich, wie Herbert abgestimmt hat. Die Wahl war geheim. Er sagt, er hätte sich an den Beschluss des Präsidiums gehalten und Kasparov gewählt.

Nach der Wahl wurde Herbert Bastian allerdings als FIDE-Vizepräsident vorgeschlagen und auch gewählt.

Das stimmt.

Wer die FIDE kennt, könnte auf die Idee kommen, dass hier eine Belohnung vergeben wurde.

Kann man das!?

Herbert Bastian

Aber eigentlich ist es doch für die internationale Rolle des DSB nicht schlecht, wenn ein deutscher Vertreter Vizepräsident der FIDE ist.

Mag sein. Dafür reden jetzt einige Verbände nicht mehr mit uns und es wird sicher noch einige Zeit dauern, bis deutsche Spieler für manche Turniere im Ausland wieder Einladungen erhalten.

Und was bedeutet Strukturreform? Gab es nicht erst kürzlich eine?

Richtig. Wir haben in einem komplizierten und langwierigen Prozess 2009 die Anzahl der Präsidiumsmitglieder im DSB reduziert, einmal um Kosten zu sparen, vor allem aber auch, um handlungsfähiger und flexibler zu sein. Herbert Bastian will nun die Anzahl der Präsidiumsmitglieder wieder erhöhen. U.a. möchte er ein weibliches Präsidiumsmitglied installieren, das sich dann um Frauenfragen kümmern soll. Ich halte das so exklusiv in dieser Ebene für nicht zielgerichtet. Wie gesagt, es war nicht einfach, aber richtig, das Präsidium auf die jetzige Anzahl von fünf Mitgliedern zu reduzieren.

Herbert Bastian, Michael S. Langer in Dortmund

Soweit zu Ihrem Rückzug. Aber das ist ja nicht der einzige. Es gibt ja offenbar eine regelrechte Rücktrittswelle.

Das ist richtig. Im Sommer letzten Jahres hat Professor Dr. Christian Warneke seinen Rücktritt als Vorsitzender der Deutschen Schachjugend erklärt. Er war dort lange Jahre sehr aktiv, seit 2009 als Vorsitzender.

Hat sich Christan Warneke zu seinen Motiven geäußert?

Auf sehr ironische Weise. Herbert Bastian hat er geschrieben, er könne sich auch gut vorstellen, wieder ein Amt im DSB zu übernehmen, allerdings nicht so lange Herbert in führender Rolle im DSB tätig sei.

Professor Dr. Christian Warneke

Damit ist das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht. Anfang der Woche erklärt jetzt auch noch Michael Woltmann seinen Rückzug...

Das ist sehr bedauerlich. Ich habe mit Michael Woltmann gerne und gut zusammen gearbeitet. Nachdem klar war, dass ich mich aus dem Präsidium zurückziehen werde, sah es so aus, als würde Michael Woltmann vielleicht die Aufgabe als Stellvertretender Präsident übernehmen. Michael hat in seinem Bereich Verbandsentwicklung, aber auch sonst, einiges bewegt und ein weiteres Engagement hätte dem Schachbund gut getan. Offenbar hat es da wohl auch sehr heftige atmosphärische Störungen gegeben.

Michael Woltmann

Damit sind also drei der fünf Präsidiumsmitglieder ausgeschieden.

Nein, vier! Joachim Gries, Vizepräsident Sport, hat ebenfalls seinen Rückzug zum nächsten Kongress erklärt. Gries hat das bisher nicht an die große Glocke gehängt, gibt in der Kongressbroschüre gesundheitliche Gründe an - er hatte einen Herzanfall. Aber die ganze Wahrheit ist dies bestimmt nicht.

Joachim Gries

Damit zieht sich ja eigentlich das ganze Präsidium um den DSB-Präsidenten Herbert Bastian zurück?

Ja, der Präsident alleine zu Hause! Ich hoffe, die Delegierten werden in Halberstadt nicht zu überrascht sein, dass sie so viele neue Leute wählen müssen.

Das heißt: In den kommenden schwierigen Zeiten muss der Schachbund mit einer ganz neuen Mannschaft die Probleme bewältigen?

Es sieht leider so aus.

Wir danken für das Gespräch.

 

Fotos: Deutscher Schachbund, Deutsche Schachjugend, Dagobert Kohlmeyer

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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