Die künstlerische Seite des
Schachs
Interview mit Wolfgang Uhlmann zum 70. Geburtstag
Von Dagobert Kohlmeyer
Der Jubilar am Brett
Wolfgang Uhlmann in seinem Arbeitszimmer
D i e
Nachricht des Monats war Kasparows Rücktritt als Schachprofi. Wie kommentierst
du ihn?
Auf der
einen Seite ist das für die Schachwelt natürlich sehr betrüblich, weil er doch
von seiner Kreativität her bis zuletzt bewiesen hat, dass er die erste Geige
spielt. Kasparows abschließende Turniersiege bei der russischen
Landesmeisterschaft in Moskau und im März in Linares waren großartig. Zum
anderen habe ich Verständnis dafür, dass er die ganzen Querelen satt hat und
jetzt auf der Höhe seines schachlichen Könnens abtritt. Vielleicht war das der
rechte Zeitpunkt, den Jüngeren das Terrain zu überlassen.
Er hat
das Weltschach immerhin 20 Jahre lang dominiert, was in der heutigen Zeit
unglaublich ist.
Eigentlich
kann er keine besseren Ergebnisse mehr erzielen. Alles, was es zu
gewinnen
gab, hat Garri Kasparow erreicht. Insofern verstehe ich ihn und auch die
Tatsache, dass er etwas schachmüde ist. Wir dürfen ja eines nicht vergessen:
Diese permanente Analysetätigkeit zehrt enorm an den Kräften. Außerdem möchte er
seinen nächsten Lebensabschnitt sicher auch noch für andere Dinge nutzen. Das
sind alles Dinge, für die ich Verständnis aufbringe.
Es gibt
aber auch Stimmen, die sagen, dass Kasparow vielleicht noch einmal wiederkommt.
Zum Beispiel wenn ihn jemand mit sehr viel Geld an den Schachtisch lockt.
Das ist
anzunehmen. Wir wissen ja, wie das mit dem „Abschied vom Abschied“ ist. In einem
solchen Fall könnte er seine Pläne immer noch einmal ändern.
Wolfgang, Deine Zeitgenossen und Kontrahenten am Brett vor 40 Jahren hießen
Larsen, Tal, Spasski oder Portisch. Wie hat sich die Schachwelt seither
verändert?
Gewaltig.
Man kann beide Epochen nicht miteinander vergleichen. Die Topspieler von heute
haben das ganze Computerwissen zur Hand. Um sich auf Turniere vorzubereiten, ist
eine große Fleißarbeit nötig. Aber das Kreative leidet natürlich darunter. Wir
mussten uns früher jede Kleinigkeit am Schachbrett selbst erarbeiten. Heute
gewinnen viele Spieler allein durch ihre häusliche Vorbereitung.
Macht es
dir also auch keine Freude, wenn zwei Supergroßmeister 25 präparierte Züge aufs
Brett knallen und erst dann zu überlegen beginnen?
Nein,
keinesfalls. Das ist nicht mehr schön. Die Schachwelt lebt in erster Linie von
gut gespielten Partien. Und die Schönheit unseres Spiels, das ja unbestritten
eine künstlerische Komponente hat, geht dadurch in der Neuzeit mehr und mehr
verloren. Das dürfen wir nicht vergessen.
Arbeitest du eigentlich mit einem Computer?
Sehr wenig.
Durch meine Augen bin ich etwas gehandicapt. Hin und wieder benutze ich den
Rechner, aber nicht so professionell wie andere Spieler, die jederzeit das
aktuellste Theoriewissen abrufen können.
Dennoch
spielst du noch munter weiter Wettkampfschach...
Solange es
mir Freude bereitet und ich erfolgreich bin, ja. In den vergangenen Jahren war
ich zum Beispiel eine wichtige Stütze unseres deutschen Seniorenteams. Wir
wurden Welt- und Europameister, was schon eine tolle Sache ist. Erst vor wenigen
Wochen bei der Senioren-EM in Dresden lagen wir wieder ganz vorn.
Ist es
noch immer dein Traum, auch einmal Senioren-Einzelweltmeister zu werden?
Na ja,
aufgegeben habe ich ihn noch nicht. Aber ganz so verbissen sehe ich die Sache
nicht mehr. Zweimal war ich in den 90er Jahren sehr nahe dran. Einmal gewann
Alexej Suetin und das andere Mal Wladimir Bagirow ganz knapp, nur nach
Feinwertung, vor mir. Letztes Jahr vor der Einzel-WM in Halle wurde ich leider
krank. Ich war in einer phantastischen Form, zeigte vorher bei der Team-WM auf
der Isle of Man sehr gute Leistungen. Aber dann kam eine dicke Erkältung. Nun,
wenn sich die Gelegenheit noch einmal bietet, würde ich sie am Schopf packen
Sehr
erfreulich für deine Heimatstadt ist, dass Dresden die Schacholympiade 2008
ausrichtet. Was sagst du dazu?
Wir alle
sind glücklich darüber, und ich als gebürtiger Dresdner ganz besonders. Es ist
großartig, dass wir diesen Höhepunkt in unserer Stadt veranstalten dürfen. Du
weißt ja, wir haben ja sehr gute Organisatoren. Allen voran Dr. Dirk Jordan, der
schon jetzt mustergültig die Weichen für diese große Veranstaltung gestellt hat.
Wie
bringst du dich als lebende Legende in der Zeit bis dahin ein, um den Standort
Dresden als Schachmetropole noch bekannter zu machen?
Ich werde
im Rahmen meiner Möglichkeiten mitwirken. Gedacht ist an Vorträge und daran,
dass ich schachspezifisch mit Rat und Tat zur Seite stehe oder simultan spiele.
Und dann, wenn es so weit ist, werde ich während der Olympiade gern als
Kommentator arbeiten. Das wären meine Vorstellungen.
Meinst
du, dass dieses Ereignis in Deutschland einen Schachboom auslösen wird?
Ich denke,
die Olympiade wird eine landesweite Wirkung haben. In der Vergangenheit gab es
schon in München, Leipzig und Siegen Schacholympiaden. Aber ich glaube, in
Dresden wird das bundesweit noch mehr Aktivitäten auslösen. Ich verspreche mir
davon, dass wieder ein stärkeres Schachleben in unserem Land entstehen kann und
dass viele, viele junge Spieler den Weg in die Vereine finden.
Vergessen wir auch das Internet nicht…
Richtig, es
zieht vor allem junge Leute an. Und dadurch gibt es ja heute völlig neue
Übertragungsmöglichkeiten, die kräftig genutzt werden können und ihre
zusätzliche Wirkung haben werden.
In
Dresden gilt Falko Bindrich als größtes Nachwuchstalent, aber bis zur Weltspitze
ist es noch ein sehr weiter Weg…
Ja sicher.
Andere Supertalente wie der Ukrainer Karjakin und der Schwede Carlsen gehen ja
nicht zur Schule und investieren wesentlich mehr Zeit ins Schach als es junge
Leute in Deutschland tun. Bei uns ginge das gar nicht, denn die
Existenzgrundlage ist wichtiger. Allein vom Schach zu leben, ist nur sehr
wenigen vergönnt. Dieses Risiko kann man einem jungen Spieler in Deutschland
kaum empfehlen. Das ist ein Problem, wo man eben Abstriche machen muss.
Garri
Kasparow hat die Schachbühne verlassen, Wladimir Kramnik sitzt derzeit auf dem
Thron. Wer wird auf längere Sicht der neue Champion?
Es gibt
viele große Talente, wir haben mit Karjakin und Carlsen schon zwei erwähnt. Aber
sie müssen reifen. Im Schach geht die Entwicklung nicht so schnell voran wie in
anderen Sportarten. Wir sehen bei Peter Leko, dass er doch relativ lange
gebraucht hat, um sich unter den Weltbesten zu etablieren. Aber ob er bei seiner
Spielweise so weit kommen wird wie zum Beispiel Karpow oder Kasparow, ist die
große Frage. Denn Kreativität, Mut und Risikofreude sind Faktoren, die wir
Schachspieler lieben. Wer das am besten verkörperte, das waren unsere Könige.
Wer ist
für dich der Größte unter ihnen?
In der
Jugend bewunderte ich besonders Alexander Aljechin. Mein indirekter Lehrmeister
war dann Michail Botwinnik, den ich sehr verehrte. Heute muss ich im gleichen
Atemzug Fischer und Kasparow nennen. Sie sind die absoluten Kings der Neuzeit.
Bobby
Fischer ist jetzt in Island…
Ich freue
mich sehr darüber. Skandalös fand ich, was für eine Affäre die USA daraus
gemacht hatten. Fischer hat durch seinen WM-Sieg 1972 über Spasski mitten im
kalten Krieg viel für das Renommee Amerikas getan. Von der Schachszene wird er
wegen seiner Leistungen, seiner Kreativität und seines fairen Verhaltens als
Spieler bewundert. Das kann man nicht einfach negieren. Was sich um seine Person
abgespielt hat, war eine Tragödie.
Uhlmann mit Wolfgang Unzicker (li.)
Kortschnoj (re.) gegen Uhlmann
Hier einige
Glanzpartien gegen Botwinnik, Unzicker, Smyslow und Anand, an die sich Wolfgang
Uhlmann gern erinnert. Der Sieg gegen Vishy Anand 1990 in Amsterdam erhielt den
Preis für die schönste Kombination.
Uhlmann: Vier Glanzpartien...