VOM
SCHACHFIEBER GEPACKT
Von Peter
Münder
Stefan
Zweigs legendäre "Schachnovelle" erschien im November 1941. Im
Februar 1942, also vor sechzig Jahren, nahm sich der berühmte Autor im
brasilianischen Exil das Leben. Im Kieler Literaturhaus fand aus diesem Anlass
mit Schachmotiven von Elke Rehder und eine Lesung des Rezitators Henning
Westpfahl statt.
Vom
birneförmigen Kopf flattert ein wirres Haar-Geflecht empor, das als Schachbrett
gestaltet ist. Der fließende Übergang vom Kopf zum Schachbrett vermittelt
eindrucksvoll die düstere Quintessenz von Stefan Zweigs „Schachnovelle":
Ein Mensch wird vom Schachfieber gepackt, entdeckt das Spiel als
Überlebensstrategie während der Gestapo-Haft, doch als dazu übergeht, gegen
sich Selbst zu spielen, erfasst ihn eine Art Schizophrenie.
Die Hamburger
Künstlerin Elke Rehder, die dieses Motiv gestaltet hat, befasst sich schon seit
vielen Jahren mit dem Thema Schach, sie hat die „Schachnovelle“ als
bibliophile Ausgabe in ihrer eigenen mit handbetriebenen Presse im
Bleisatzverfahren herausgebracht und mit Holzschnitte illustriert.
„Schachfaszination“ hat sie ihre Ausstellung eindrucksvoller Einblattdrucke,
Radierungen und Holzschnitte genannt.

Elke Rehder
Vor diesen Bildern erklärt die
Künstlerin vor der Lesung Rezitators Westphal, was sie am Schach so fasziniert:
„Für mich ist Schach eine intellektuelle Duell-Situation, ein geistiger Kampf
von zwei Kontrahenten, spannend finde ich den abstrakten Prozess der sich im
Kopf abspielt“. Mit einer Idealisierung und Verklärung der Geistestitanen hat
sie nichts am Hut; der Personenkult um Bobby Fischer nach dessen WM Sieg in Reykjavik
interessiert sie eben sowenig wie die Diva-Allüren des dollargierigen Gari
Kasparow. Man findet keine Porträts dieser Weltmeister und ihren Schachbildern;
auch keine am Brett grübelnden Spieler mit zerfurchter Stirn. Dafür reizt es
sie, den hölzernen Figuren Leben einzuhauchen und sie als charakterstarke
Herrscher über ihre Felder zu zeigen. Eins ihrer Bilder heißt etwa „Läufer
nach b3“.

Elke Rehder: Angriff der Bauern

Elke Rehder: Die irrationale Stellung
Das
Malerische in einem kleinen Park beim Schwedenkai gelegene Kieler Literaturhaus
führte aus Anlass des 60. Todestages von Stefan Zweig einen originellen
wie gelungenen Schachabend durch: In einer Ausstellung wurden Elke
Rehders Schachmotive gezeigt und in einer Auslesung des Kieler Rezitators
Henning Westphal die „Schachnovelle“ sehr lebendig und mitreißend
vorgetragen.
Stefan
Zweig spielte ja schon während seiner Salzburger Zeit nach dem Ersten Weltkrieg
Schach. Während seiner letzten Jahre im brasilianischen Exil hatte er sich ein
Schachbuch besorgt, bekannte Partien berühmter Meister analysiert und mit
seinem Freund Ernst Feder regelmäßig Schach gespielt. Wenige Monate später
vor seinem Freitod im Februar 1942 hatte er die Idee die Schachnovelle, die er
allerdings viel zu selbstkritisch als „zu abstrakt für das große
Publikum“ einschätzte- ein klares Fehlurteil in eigener Sache. Denn kaum ein
Werk wurde vom breiten Lesepublikum so
begeistert aufgenommen (was ja auch die Verfilmung beweisen) wie die
„Schachnovelle“.
Das
während der Überfahrt nach New York nach Buenos Aires auf einen Luxusdampfer
stattfindende Schachduell der beiden Kontrahenten Dr. B. und dem eher tumben,
halb alphabetischen Bauerntölpel und „Schachautomaten“ Mirko Czentovic
wird zum Konflikt zweier gegensätzlicher Weltanschauungen und Kulturen.
Der zivilisierte Österreicher Dr. B., ehemaliger
Verwalter großer Klöster, aus dessen Familie Leibarzt des Kaisers
stammt, repräsentiert den liberaldemokratischen aufgeklärten Geist Europas,
während der ungehobelte, dreiste, größenwahnsinnige und geldgierige Czentovic
den rücksichtslosen neuen Barbaren verkörpert. „Ist es nicht eigentlich
verflucht leicht, sich für einen großen Menschen zu halten, wenn man
Beethoven, ein Dante, ein Napoleon je gelebt haben?“, Heißt es bei Zweig.
„Dieser Bursche weiß in seinem vermauerten Gehirn nur das eine, dass er ebene
nicht ahnt, dass es außer Schach und Geld noch andere Werte auf unserer Erde
gibt, hat er allen Grund, von sich begeistert zu sein“. Der Schach-Roboter
Czentovic, dieses „Spezimen intellektueller Eingleisigkeit“, kann sein
„Phlegma und seine Imbezilität mit ordinärer Habgier“ überspielen und
sich als Kulturbanause über die feinsinnigen Kulturträger, über gute Manieren
und zivilisatorische Errungenschaften kaltlächelnd hinwegzusetzen. Er ist als
Inkarnation einer dumpfen, gefühllosen Monomanie genau jener Prototyp des
unzivilisierten „neuen Menschen“, vor dem es Stefan Zweig so grauste.
Zutiefst deprimierte ihn Erfolg der Nazi-Truppen in Europa. Als die Wehrmacht
auch in Nordafrika mit einer Gegenoffensive in Libyen die britische Armee zu
überrollen schien und schließlich auch Singapur von den Japanern erobert
wurde, war der anglophilie Zweig, dessen erste Exilstation ja London gewesen
war, zutiefst erschüttert und verzweifelt. Für ihn schien damit der
„Untergang des Abendlandes“ besiegelt, den Oswald Spengler ja in seinem Buch
prophezeit hatte.
Im
Schachduell zwischen den kultivierten Österreicher Dr. B., ohnehin Czentovic
beschrieb Stefan Zweig die
Auseinandersetzung zwischen einer dem Untergang verdammten Kultur und dem
Vertreter der neuen Barbarei. Im Unterschied zu Thomas Mann, der im
amerikanischen Exil ziemlich spät, aber entschlossen, den Kampf gegen die
Nazi-Barbarei unterstützte und den geistigen Verflachungsprozess für umkehrbar
und verhinderbar hielt, sah der deprimierte Verfasser der „Sternstunden der
Menschheit“ für den aufgeklärten Liberalismus und Humanismus keine Hoffnung
mehr und nahm sich zusammen mit seiner Frau Lotte am 22. Februar 1942 in
Petropolis das Leben.
In seiner
Lesung konnte der junge Kieler Rezitator Westphal die facettenreichen,
ironischen Aspekte des dramatischen Psycho-Duells wunderbar
herausarbeiten. Das Großartige an der „Schachnovelle“ ist ja nicht
nur die dramatische Schilderung des Duells am Brett, sondern auch das subtile
Psychogramm eines Mannes, für den die Analyse der 150 Meisterpartien, die
Beschäftigung mit dem Schach während der Gestapo-Haft einerseits zu
erfolgreichen Überlebensstrategie wird, andererseits aber auch zur monomanen
Besessenheit gerät und damit eine neue Gefährdung darstellt: „War es damals
in der Zelle noch Schachspiel oder Wahnsinn.“ –dies will Dr. B. eben im
Wettkampf mit dem Weltmeister herausfinden. Tatsächlich gewinnt Dr. B. die
erste Partie, doch bei der zweiten gerät er in einen Fieberwahn und beginnt zu
halluzinieren, weshalb der Erzähler zum Abbruch der Partie rät.

Henning Westphal liest
"Die Schachnovelle".
Keinesfalls
abbrechen will die Künstlerin Elke Rehder die Auseinandersetzung mit dem Thema
Schach: „Es ist so spannendes Gebiet mit immer neuen Facetten und
Konstellationen- das werde ich auf
jeden Fall noch lange weiter gestalten. Auch für mich ist Schach eine
unendliche Geschichte“. Begeistert und nachdenklich regierten die zahlreich
erschienenen Zuhörer auf diese gelungene Kombination von Ausstellung und
Lesung.
Info:
Die Ausstellung „Schachfaszination“ ist bis zum 28.2 im Kieler
Literaturhaus, Schwanweg 13 (Tel. 0431 5796840) zu sehen.
Die Künstlerin Elke Rehder ist über Tel. 040-711 92 37 zu erreichen.
Mehr
zu Stefan Zweig:

Stefan
Zweig, am 28.November 1881 in Wien geboren. Erste Gedichte als Gymnasiast unter
dem Einfluss von Hugo
von Hofmannsthal und Rainer
Maria Rilke. Erste Veröffentlichungen seit 1901, anfangs Gedichte, später
Erzählungen. Es folgen Übersetzungen französischer Autoren. Zweig
veröffentlicht Feulletons, Dramen und eine erste Biografien. Viele Reisen und
Begegnungen mit anderen Schriftstellern. Während des ersten Weltkrieges leistet
Zweig Dienst im Kriegspressequartier (-1917).
Später unter dem Einfluss von Romain Rolland
(1866-1944) zunehmend pazifistische Weltsicht, auch verursacht durch eigene
Erlebnisse in den Kriegsjahren in Galizien. Korrespondent der Wiener Neuen
Freien Presse, ab 1919 Übersiedlung nach Salzburg (bis 1934), dort
Veröffentlichung zahlreicher Erzählungen und Essays. Durch Vermittlung Maxim
Gorkis Übersetzung der Werke ins Russische.
Nach der nationalsozialistischen
Machtübernahme
Flucht nach London (1934). Beschlagnahme und Verkaufsverbot seiner Bücher durch
die Nazis 1936. 1940 nimmt Zweig die englischen Staatsbürgerschaft an, er
verlässt Europa, geht erst nach New York, reist nach Argentinien, Paraguay und
Brasilien, wo er sich 1941 niederlässt. Im gleichen Jahr veröffentlicht er die
Schachnovelle. Am 22. Februar 1942 scheiden Stefan Zweig und seine Frau in
Petropolis (Brasilien) "aus freiem Willen und mit klaren Sinnen" aus dem Leben.

Zu seiner Zeit war Stefan Zweig der erfolgreichste, meistgelesene und
meistübersetzte deutschsprachige Schriftsteller. Sein letztes Werk "Die
Schachnovelle" hielt er selbst für zu kompliziert, um erfolgreich zu
sein.

Heute ist
es die bekannteste Arbeit Stefan Zweigs. Ebenso erfolgreich wie das Buch (Fischer Taschenbuch,
ca. Euro 5,00, Infos
bei Amazon...), war die Verfilmung von Gerd Oswald aus dem Jahr
1960, mit Curd Jürgens und Mario
Adorf (Als
Video bei Amazon...).
Bilder
aus dem Film:



André
Schulz/13.02.02