Vlastimil Hort: Erinnerungen an das Prager Schachcafé U Novaku

von Vlastimil Hort
10.11.2020 – Das Zentrum des Prager Schachlebens war über Jahrzehnte das Schachcafé im Kaufhaus U Novaku. Hier traf sich die Bohème zum Billard-, Karten- und Schachspiel und mancher Weltklassespieler wurde hier geboren. Vlastimil Hort erinnert sich an die "goldenen Zeiten."

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Das Schachcafé U Nováků

Das Café U Nováků in Prag war einmal ein sehr beliebter Treffpunkt für Schachspieler aus der ganzen Welt. Weniger bekannt ist, dass dort unter der Schirmherrschaft des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Masaryk auch die Schacholympiade von 1931 stattfand. Selbst Alexander Aljechin, der damalige Weltmeister,  war anwesend.  Er spielte am ersten Brett für Frankreich.

Alexander Aljechin, bei der Schacholympiade 1931, hier gegen Stahlberg

 

Normalerweise versammelte sich die Prager Bohème im Café U Nováků um Schach, Karten oder Billard zu spielen.

Eine Etage tiefer befand sich ein bekanntes Varieté, das von dem ein oder anderen nach dem Spiel noch gerne besucht wurde.

U Novaku auf einer alten Postkarte

Nach der samtenen Revolution von 1990 wurde das Varieté privatisiert. Die schönen und historischen Schachtische des U Nováků mussten leider den Einarmigen Banditen und Roulettetischen weichen. Das war das AUS für die Schachspieler. Sie mussten die Koffer packen, um dem kapitalistischen Realismus Platz zu machen. Schade!

 

Anstatt zu studieren verbrachte ich als Student meine Zeit lieber mit Blitzpartien in diesem Café. Die endeten meistens erst spät in der Nacht. Oft traf ich dort auch auf den ersten tschechoslowakischen Schachprofi Karel Opočenský, der bei der Schacholympiade die letzte und wichtigste Partie gegen Hans Kmoch (Österreich) spielte. Es war die Partie, die über die Verteilung der Medaillen entschied. Im Nachhinein zeigte Opo diese Partie nie gerne, denn er hatte mit 2 Bauern mehr den Gewinn verpasst!

 

„Eine gute Taube findet immer wieder zu ihrem Herkunftsort zurück“. Der starke tschechische Spieler Karel Skalička, der nach der Olympiade in Buenos Aires (1939) nicht mehr in sein tschechisches Heimatland zurückkehren wollte, besuchte Prag kurz vor seinem Tode.

Das tschechoslwakische Team bei der Schacholympiade startete als Böhmen und Mähren

 

Im U Nováků konnte ich Zeuge von der herzlichen Umarmung der ehemaligen Mannschaftskameraden Opočenský und Skalička werden.

Auch Salo Flohr verbrachte hier häufig seine Zeit, noch lange bevor er Schachprofi wurde.

Salo Flohr

1925 war er mit seinem Bruder Moses aus den Karpaten nach der Tschechoslowakei gekommen, um Arbeit zu finden und den Hunger zu stillen. Beide konnten kaum die tschechische Sprache verstehen. Um zu überleben verkauften sie in der ersten Zeit  frisch eingelegtes Sauerkraut auf dem Markt. Die schweren Fässer zu transportieren war für den schmächtigen Salo zu anstrengend. Deshalb wechselte er zum „Zeitungsfach“ und zog als Zeitungsjunge von Kneipe zu Kneipe. Auf diesem Weg stolperte er im U Nováků geradezu in sein Schach-Glück. Dort erlernte er nicht nur das Königliche Spiel, sondern so "en passant"  auch die tschechische Sprache!

 

In den späteren, sozialistischen Zeiten erleichterte das Café U Nováků den Sicherheitsdiensten ihre Arbeit sehr. Hier hatten sie das kriminelle Geschehen unter Kontrolle. Denn an diesem Ort wurden ihnen Spieler, Diebe, Betrüger – alle Kleinkriminellen auf dem Präsentierteller serviert.

Das U Novaku heute

Bis zu seiner endgültigen Schließung war das Café von 15.00 Uhr nachmittags bis nachts um ein Uhr geöffnet. Neben den hervorragenden Bieren konnte man im Café bis kurz vor Mitternacht auch bestens und preisgünstig essen. Viele ausländische Großmeister, wie Najdorf, Hübner und Lombardy waren dort zu Gast.

Wie anfangs schon gesagt, nach der samtenen Revolution konnten selbst die großen Wettbüros die horrenden Mieten nicht bezahlen. Die Schachspieler verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Schade! Schade!

Wenn ich nach Prag komme, besuche ich die historischen Räumlichkeiten in dem wunderschönen Jugendstilhaus immer gerne  und die Figuren und die längst vergessenen Menschen werden für mich wieder lebendig …

Vlastimil Hort live:

Meine Partien gegen die Weltmeister

Hort stellte einige seiner Partien gegen die Weltmeister vor und weiß viel über diese großen Persönlichkeiten des Schachs zu berichten.

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Wer Vlastimil Horts Erinnerungen liebt, findet viele weitere Anekdoten in seinem Buch "Schachgeschichten". In Kürze erscheint eine englische Ausgabe. Inzwischen arbeitet Vlastimil Hort an einem zweiten Band.

Vlastimil Hort „Meine Schachgeschichten“. 2019, Seite 82 ff. (Schach-Niggemann)

 

 


Ehemaliger Weltklasse-Spieler, WM-Kandidat, vielfacher Autor und bekannter TV Schachmoderator.

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