"Zug um Zug" - Schach, Gesellschaft,
Politik
Ausstellung im Bonner "Haus der
Geschichte"
Von André Schulz
Die Idee zu einer Sammlung von
Ausstellungsstücken zur Geschichte Deutschlands seit der Teilung im Jahr 1945
stammte vom früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, dem die Darstellung der
Geschichte des Landes als Historiker ein besonderes Anliegen war. Schon bei
Amtsantritt schlug er eine entsprechende Stiftung vor und 1989 wurde mit den
Arbeiten zum Bau des Hauses, das die Sammlung aufnehmen sollte, begonnen.
Zusammen mit der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland,
dem Kunstmuseum Bonn, dem Forschungsmuseum Koenig und dem Deutschen Museum Bonn
bildet das Haus heute die so genannte Bonner Museumsmeile an der Bundesstraße 9,
die durch Bonn hindurch den Rhein entlang nach Koblenz führt. Der Eintritt zum
Haus der Geschichte, das eine Dauerausstellung und wechselnde, sehr interessante
Wechselausstellungen beherbergt, ist frei.
Die abkürzende Bezeichnung
"Haus der Geschichte" führt grundsätzlich in die Irre. Ohne den korrekten Zusatz
"... der Bundesrepublik Deutschland" würde ein falscher Eindruck vermittelt. Wer
das Haus besucht, sieht zwar gleich einen olivgrünen amerikanischen Jeep neben
einer angedeuteten Ruine und gegenüber steht auch ein Karteischrank des
Suchdienstes des Roten Kreuzes. Warum dieses aber hier steht, wird jedoch nicht
groß erklärt und das Wissen darüber quasi vorausgesetzt. Fast scheint es, als
sei die vorherige Geschichte für dieses Ausstellungshaus mit einer Art
historischer Kreissäge sorgfältig abgetrennt worden - Geschichte amputiert.
Im Folgenden kann der Besucher
in einem Rundgang einen informativen Steifzug durch den Gang der Geschichte der
beiden Länder unternehmen, die von Amerikanern, Engländern, Franzosen hier, von
den Sowjets dort (aus Sicht der BRD, aus Sicht der DDR genau andersherum)
errichtet wurden. Der Gang wird durch Gegenstände der jeweiligen Zeitepoche
illustriert. Was für den einen banal ist, mag dem anderen vielleicht sehr fremd
vorkommen. Wirkt für heutige Grundschüler ein Schallplattenspieler nicht ebenso
antiquiert wie für die älteren Mitbürger eine Kutsche oder dergleichen?
Eines der größeren Ausstellungstücke ist der
Mercedes Benz 300 Dienstwagen des ersten
Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Sein Fahrer holte ihn immer in Bad
Honnef-Rhöndorf ab und brachte ihn nach Bonn ins Kanzleramt.
Die häufigen Anweisungen des
Kanzlers an den Fahrer sind inzwischen sprichwörtlich: "Jeht et nich schneller!"
Der Wagen wurde später verkauft und landete schließlich in den USA. Von dort
wurde er zurückgekauft.
Mit der Ausstellung "Zug um Zug
- Schach, Gesellschaft, Politik", sind nun aber doch ein paar Stücke ins Haus
der Geschichte hineingeraten, die konzeptionell dort eigentlich keine Heimat
haben: Zeugnisse der deutschen Arbeiterbewegung in den Zwanzigern und Belege der
Diktatur und des großen Krieges in den Dreißiger und Vierziger Jahren.
Die Ausstellung ist eine Idee des Gründers der Berliner Lasker-Gesellschaft,
Paul Werner Wagner, der sie zusammen dem früheren Präsidenten des Hauses
angestoßen hat. Ursprünglich dachte er dabei an das enger gefasste Thema "Schach
in Krieg und Gefangenschaft". Im Laufe der Konzeption wurde dies zum endgültigen
Ausstellungsboden, nämlich "Schach und Politik" und "Schach und Herrschaft".
In der Entwicklung des Schachspiels spiegelt sich ein Teil der europäischen
Kulturgeschichte. Die Schachfiguren selbst zeigen noch heute die Aufgaben -und
Rollenverteilung der Gesellschaft im späten Mittelalter oder der frühen Neuzeit.
Der Turm symbolisiert die mittelalterliche Burg, der Springer den Ritter, der
Läufer den Bischoff und die kirchliche Gewalt. Davor steht das Volk, die Bauern.
König und Dame stehen im Zentrum des Spiels, die Dame wurde in der
mittelalterlichen Interpretation zur mächtigsten Figur.
Die frühesten Dokumente der
Ausstellung stammen aus dem 13.Jahrhundert. In zeitgenössischen Handschriften,
Drucken, Gemälden, Büchern und den Figuren selbst wird der Lauf der
gesellschaftlichen Veränderung abgebildet und dokumentiert.
In verschiedenen Figurensätze aus den den Epochen, zeigen sich auf kunstvolle,
humorvolle, martialische oder futuristische Weise die Ideenwelt ihrer
Erschaffer.
Die zunehmende
Industrialisierung seit der Mitte des 19.Jahrhunderts führt schließlich zu
dramatischen gesellschaftlichen Veränderungen. Ende des 19.jahrhunderts
entstehen die ersten Arbeiterschachvereine, von 1909 bis 1914 wird eine
Arbeiterschachzeitung herausgegeben. Die ersten Schachuhren werden gebaut, die
Figuren erhalten die Staunton-Einheitsform.
Die große
Arbeiterschachbewegung in der SU in den Zwanziger Jahren stößt auch in
Deutschland auf Resonanz.
Schließlich wurde die
Schachbewegung wie alle anderen Elemente des deutschen Kulturlebens von den
Nationalsozialisten gleich geschaltet.
Kraft durch Freude
Rechts Hitler und Göring, links Kinder beim Schach in der
Schülerzeitung
Symbolhaft ist das Bild des in Uniform mit Hakenkreuz spielenden 20-jährigen
Klaus Junge, des wohl größten deutschen Schachtalents seiner Zeit.
Von der Naziideologie verführt
und vergiftet, wird Klaus Junge in den letzten Kriegstagen bei der Verteidigung
des Deutschen Reiches in den Harburger Bergen bei Hamburg erschossen. Sein
geistiger Mentor, der Rüstungsfabrikant Herbert Heinicke, überlebt das
Kriegsende unbeschadet und kann nachKriegsende als Edelmetallhändler seinen
Wohlstand mehren. Davon zeugt jedoch kein Foto.
Die Prunkstücke der Ausstellung sind der vom Paderborner Heinz Nixdorf Museums
Forum hergestellte Nachbau des Schachtürken...
... der original Schachtisch,
an dem 1972 die sensationelle WM-Kampf zwischen Fischer und Spassky gespielt
wurde...
Als säßen sie am Tisch
und eine Enigma.
Die deutsche
Verschlüsselungsmaschine symbolisiert die Leistungen der englischen
Schachspieler Hugh Alexander, Stuart Milner-Barry, Harry Golombek und einiger
mehr bei der Dekodierung deutscher Verschlüsselungsmaschinen im Zweiten
Weltkrieg im englischen Funkaufklärungszentrum Bletchley Park.
Nach dem Krieg wird 1953 die letzte
gemeinsame deutsche Meisterschaft gespielt. Bei der Schacholympiade 1960 in
Leipzig sitzen sich schon zwei deutsche Mannschaften gegenüber.
Die Ausstellung ist ein
eindrucksvolles Zeugnis der Bedeutung, die das Schachspiel im menschlichen
Kulturleben inne hat und zeigt seine Verflechtung auch mit den politischen
Vorgängen im Lauf der Zeiten.
Zug um Zug. Schach – Gesellschaft – Politik
1. November 2006 - 11. Februar 2007
Di -So 9 - 19 Uhr Eintritt frei
Zug um Zug im Haus der Geschichte...
Fotos. Wolfgang Rzychon