Zum 100sten Geburtstag von Klaus Junge

von Dagobert Kohlmeyer
01.01.2024 – Klaus Junge wäre vielleicht der beste deutsche Schachspieler in den 1950er Jahre gewesen, wenn er diese erlebt hätte. Der Hamburger war eines der größten deutschen Talente, starb aber in den letzten Tagen des Krieges. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 100sten mal. Eine Würdigung von Dagobert Kohlmeyer.

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Erinnerung an den tragischen Schachhelden Klaus Junge

Heute vor 100 Jahren erblickte Klaus Junge, eines der größten Schachtalente Deutschlands, das Licht der Welt. Mit seinem Namen ist aber auch eine der größten Tragödien der deutschen Schachgeschichte verbunden. Klaus Junge wurde am 1. Januar 1924 als jüngstes Kind einer deutsch-chilenischen Familie in Concepción geboren. 1928 übersiedelten die Eltern mit ihren fünf Söhnen nach Norddeutschland, wohl um ihnen eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Klaus war ein sehr begabter Schüler, legte das Abitur mit 17 Jahren ab und begann ein Mathematikstudium an der Hamburger Universität.

Sein Vater war ein starker Schachspieler und hatte 1922 sogar die chilenische Landesmeisterschaft gewonnen. Er brachte auch seinen Söhnen das Spiel bei. Der hochbegabte Klaus lernte es fast beim Zuschauen. Mit acht Jahren schlug er seine älteren Brüder, als Zwölfjähriger wurde er Mitglied im Hamburger Schachklub. Rasch entwickelte er sich weiter. Er war erst 13, als eine erste Gewinnpartie von ihm in einer Hamburger Schachspalte erschien. Im Sommer 1939 wurde der 15-Jährige Klaus zur Jugendschachwoche nach Fürstenwalde bei Berlin eingeladen, wo u.a. auch die talentierten Edith Keller (17) und Wolfgang Unzicker (14) teilnahmen.

Trainingsgruppe von Willi Schlage

Mit 17 Jahren gewann Klaus Junge die Hamburger Stadtmeisterschaft sowie die Turniere von Bad Elster und ad Oeynhausen. Als der zweite Weltkrieg begann, kam das internationale Schachleben weitgehend zum Erliegen. Im Deutschen Reich bzw. in den besetzten Gebieten lebten nur wenige Spitzenspieler, unter ihnen Alexander Aljechin, Paul Keres und Jefim Bogoljubow. 1941 erreichte der junge Schachspieler die Endrunde der Deutschen Meisterschaft und teilte sich auf Anhieb den ersten Platz mit Paul Schmidt. Ein großer Erfolg, obwohl er das zusätzliche Match um den ersten Platz verlor. Junge nahm 1941 am Turnier in Krakau teil und wurde ungeschlagen Vierter hinter Aljechin, Paul Schmidt und Bogoljubow. 1942 gewann er die nationalen Turniere in Dresden und Hamburg und wurde in Rostock hinter Carl Carls Zweiter.

Im gleichen Jahr sorgte der aufstrebende Schachstar in Salzburg mit seinem Sieg über den großen Aljechin für enormes Aufsehen. Die vielbeachtete Partie, in der der Weltmeister erkennbar etwas zu sorglos agierte, ging über 69 Züge. Wenn ein 18-jähriger Spieler damals den Schachweltmeister schlug, war das mehr als eine Fußnote der Geschichte. 

Ein stolzer Sieg von Klaus Junge. Er belegte in diesem Turnier am Ende hinter dem Champion und Paul Keres den dritten Rang. Beim Duras-Memorial Ende 1942 in Prag teilte er mit Aljechin den ersten Platz. Das war der größte Erfolg in seiner Karriere. Der Weltmeister nahm Junge jetzt ernst und konnte nur durch einen Sieg über ihn in der letzten Runde noch zum führenden Hamburger aufschließen.

Aus der Deutschen Wochenschau 1942:

Mit 18 Jahren hatte Junge schon Großmeisterstärke. Gerühmt wurde seine frühe spielerische Reife, vor allem im Endspiel. In jener Zeit spielte Junge auch Fernschach, darunter gegen den Berliner Meister Rudolf Teschner.

Zur Chronistenpflicht gehört, auch auf den Bruch und die Tragik in Klaus Junges Biographie zu verweisen. In den Turniersälen hatte er großen Erfolg und präsentierte sich als strahlender Schachheld. Doch ehe er den Zenit seines Könnens erreichen konnte, ging sein kurzes Leben dunkel und tragisch zu Ende. Junge war, vor allem durch den Einfluss des Vaters, ein großer Anhänger des Nationalsozialismus. Er wurde Anfang 1943 zur Wehrmacht eingezogen und diente bei der Artillerie.

In den letzten Kriegstagen kämpfte Klaus Junge als Leutnant bei Welle in der Lüneburger Heide. Mit zehn anderen Soldaten sollte er nur mit Panzerfäusten den Vormarsch britischer Panzer aufhalten. Ein sinnloses Unterfangen, doch Junge steckte in einem Dilemma. Er tat es aus Überzeugung und gegen den erklärten Willen der Bevölkerung, die schon weiße Fahnen herausgehängt hatte. Am 17. April 1945 fiel die deutsche Schachhoffnung, also kurz vor Kriegsende, im Tornister die Analyse eines interessanten Endspiels. Junge wurde nur 21 Jahre alt! Drei seiner Brüder sind ebenfalls im Krieg umgekommen; der Bruder Hermann sogar erst am 2. Mai 1945, sechs Tage vor der Kapitulation Deutschlands. Wie sinnlos! Den letzten Einsatz „Für Führer, Volk und Vaterland“ bezahlte auch Klaus Junge mit seinem Leben. Ein großer Figurenkünstler opferte sich auf dem zweifelhaften Feld der Ehre. Und weil es diesen Bruch in seiner Biographie gibt, müssen wir immer unterscheiden zwischen Junges politischer Verblendung und seinem überragendem Schachtalent. Deshalb wechseln Ablehnung, Bedauern und Bewunderung einander ab.

Die Grabstätte in Welle | Foto: André Schulz

Klaus Junge galt für manche als das vielleicht größte deutsche Schachgenie seit Emanuel Lasker und Siegbert Tarrasch, aber sein tragisches Schicksal verhinderte weitere Taten von ihm auf dem Brett.                             


Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.