Der Countdown für Elista läuft
Kramnik ist Optimist - er will gewinnen
Von Dagobert Kohlmeyer
Kramnik und Topalow in Dortmund, 2005
Die
Schachszene schaut nach Elista, wo am kommenden Wochenende das WM-Match zwischen
Wladimir Kramnik und Weselin Topalow beginnt. Die Eröffnung ist am 21.
September, ab 23. September sprechen die Figuren. Mit dem Duell in der
kalmückischen Steppe soll die Schachwelt nach 13 Jahren Trennung und zwei
verschiedenen Champions wieder vereint werden. Von der Bedeutung her also ein
Zweikampf wie 1972 Fischer – Spasski in Reykjavik? Das meinen zumindest viele
Experten. Beide Spieler und ihre Teams fliegen an diesem Wochenende mit der
gleichen Chartermaschine von Moskau aus nach Elista. Dagobert Kohlmeyer hat sich
zuvor für uns im Kramnik-Lager umgehört.
Der
Weltmeister im klassischen Schach ist schon ein Phänomen. Nach längerer
Durststrecke kämpft und spielt Kramnik in diesem Jahr wie zu seinen Glanzzeiten.
Bei der Schacholympiade in Turin erzielte der wieder genesene Moskauer das beste
Ergebnis, im August gewann er zum wiederholten Mal das Sparkassen Chess Meeting
in Dortmund. Der siebente Streich in „seinem Revier“ fiel Kramnik aber nicht in
den Schoß. Erst ein energischer Endspurt mit zwei spektakulären Gewinnpartien
sicherte dem russischen Figurenkünstler diesen Erfolg. In der vorletzten Runde
fegte er den Georgier Baadur Jobava in nur 15 Zügen vom Brett. Es war der
kürzeste Sieg in Kramniks Karriere. Am Schlusstag bezwang er auch den bis dahin
führenden Ungarn Peter Leko in einer dramatischen Partie. Es war Schach vom
Feinsten.
Unser
Berliner Reporter ging der Frage nach:
Ist Kramnik damit für sein bevorstehendes WM-Match
gegen Weselin Topalow in Elista gerüstet?
Manager Carsten Hensel aus Dortmund erklärte vor seiner Abreise nach Russland:
„Unsere
Vorbereitung verlief optimal. Wladimir ist in einer stabilen körperlichen
Verfassung, voller Energie und hoch motiviert. Wir sind ganz optimistisch.
Wo war das Trainingscamp?
Die
Vorbereitung geschah an verschiedenen Orten in Westeuropa, vor allem in
Südfrankreich und Deutschland.
Wer gehört zu den Teams der WM-Finalisten?
Wir sind
insgesamt sieben Leute, Topalows Gruppe umfasst zehn Personen.
(Auf der
FIDE Website wurden inzwischen die Teams vorgestellt.) Topalow wird von seinem
Manager Silvio Danailow
begleitet. Als Sekundanten unterstützen ihn Ivan Cheparinow (Bulgarien),
Alexander Onischuk (USA) und Francisco Vallejo Pons (Spanien). Kramnik hat von
seinem Trainerteam in Brissago nur noch Miguel Illescas behalten, hinzu kamen
Sergej Rublewski und Alexander Motylow (beide Russland). Koch und
Physiotherapeut des Russen sind geblieben.
Carsten, Elista liegt sehr abgelegen. Wird der Medienandrang in
der Steppe denn groß sein?
Wir haben im
Vorfeld an die 50 Wünsche für Exklusivinterviews bekommen, und zwar nicht nur
aus Russland, sondern weltweit. Soviel Zeit hat Wladimir Kramnik natürlich vor
dem Match nicht gehabt.
Wie könnte man das Problem lösen?
Ganz
einfach. Die Journalisten, die den Weg nach Kalmückien nicht scheuen, werden von
uns auch bedient. Wer nach Elista kommt, dem stehen wir Rede und Antwort.
Wohl
wissend, wie schwierig es ist, einen WM-Finalisten unmittelbar vor dem Match ans
Mikrofon zu bekommen, nutzten wir schon bei den Schachtagen in Dortmund die
Gelegenheit zum Gespräch mit Kramnik.
Kramnik und Kohlmeyer beim Interview
"Ich möchte meine Chancen
maximal nutzen!“
Interview mit Wladimir Kramnik
Gratulation zum siebten Streich in Dortmund, Wladimir! Wie war
deine Gefühlslage nach dem spannenden Fotofinish?
Ich freue
mich sehr, wieder in Dortmund gewonnen zu haben. Es ist immer angenehm, hier zu
spielen. Umso mehr, wenn man die internationalen Schachtage als Sieger verlässt.
Zumal mein letzter Erfolg im Revier schon fünf Jahre zurückliegt.
Lange Zeit sah es nicht nach einem Sieg für dich aus?
Ich wollte
in Dortmund gutes Schach spielen und habe nicht so sehr auf das Ergebnis
gesehen. Weil ich in Gedanken schon bei meinem WM-Match gegen Topalow in Elista
war. Das hat erste Priorität. Zum Schluss entwickelten sich die Ereignisse
günstig für mich. Man braucht zum Erfolg auch Glück.
Ist ein Turniergewinn die beste Motivation für neue Ziele?
Sicher. Aber
der erste Platz in Dortmund war diesmal nicht das Allerwichtigste für mich. Ich
habe einfach gespielt und es genommen, wie es kommt. Es tut mir Leid um Peter
Leko, der ein gutes Turnier gespielt hat und den ich kurz vor dem Ziel gestoppt
habe. Er hätte den Sieg auch verdient gehabt.
Werden die letzten Partien gegen dich jetzt zum Trauma für den
Ungarn?
Ich hoffe
nicht, aber auch bei der WM 2004 in Brissago war es im letzten Spiel so oder
auch in Linares. Das ist sehr bitter, weil Peter im Prinzip sehr gutes Schach
gezeigt hat. Und ich wollte nicht unbedingt gewinnen, aber es gelang mir, weil
ich meine späte Chance nutzte.
Bist du zufrieden mit deinem Spiel?
Das kann man
nie sein. Ich muss mein Schach bis zum Match in Elista noch verbessern, um den
dortigen Zweikampf erfolgreich zu bestehen. Sicher hätte ich in Dortmund aus den
Weißpartien noch mehr Punkte herausholen können. Mit meinem Spiel als Schwarzer
bin ich zufrieden. Ich hatte dort keine Probleme, obwohl ich experimentiert habe
und verschiedene Sachen ausprobierte.
Du hast in der vorletzten Runde Baadur Jobava, einen Sekundanten
Topalows, vernichtend geschlagen. Ist das ein psychologischer Vorteil.
Das hat sich
so ergeben. Er kam schlecht aus der Eröffnung heraus und gestattete mir eine
nette Kombination. Nach seiner langen Partie gegen Gelfand war er sichtlich
angeschlagen. Möglicherweise hat mein Gesamtsieg auch eine psychologische
Nebenwirkung auf Topalow.
Schilderst du uns bitte deine Situation vor dem
Vereinigungsmatch? Wie fühlst du dich? Hast du alles zur Vorbereitung für Elista
getan?
Das
Trainingslager für das WM-Duell in Kalmückien dauert einige Wochen. Wir
bereiten uns intensiv vor. Die Namen meiner Sekundanten gebe ich erst kurz vor
dem Match bekannt. Im Prinzip verläuft alles normal. Mit dem erreichten Stand
bin ich zufrieden.
Viele Experten betonen die Tatsache, dass Topalow unglaublich
viel Energie besitzt und sehen ihn deshalb gegen dich im Vorteil. Welche Chance
rechnest du dir selbst aus?
Topalow ist
sehr stark, ganz klar. Dennoch lässt mich all dieses Gerede ziemlich kalt. Mögen
sie ihn doch zum Favoriten erklären, bitte schön. Ich denke, dass ich auch meine
Meriten besitze und genügend Matcherfahrung habe. Außerdem spricht mein Score
von plus 4 gegen ihn für mich.
Zweimal hast du schon die Schachkrone erobert: in London gegen
Garri Kasparow und in Brissago gegen Peter Leko. Ist das der Grund für deine
Zuversicht?
Sicher, das
kommt noch hinzu. Ich denke, ich habe auch in diesem WM-Fight, der sehr hart
wird, meine Chancen und bin überzeugt von mir. Deshalb rechne ich fest mit dem
Sieg und werde das Maximum tun, um dieses Ziel zu erreichen. Topalow hatte in
jüngster Zeit viele Erfolge, aber ich zeige auch ansteigende Form.
Der Computer ist Favorit
Im Spätherbst folgt dann dein Duell in Bonn gegen Deep Fritz. Das
wird wieder ein ganz anderer Wettbewerb. Ist so ein Zweikampf überhaupt noch
gewinnbar?
Nur sehr
schwer. Einige Spitzenspieler würden zu so einem Match überhaupt nicht mehr
antreten. Sie befürchten, dass eine deutliche Niederlage ihr Spiel gegen
menschliche Gegner negativ beeinflussen könnte. Es ist klar, dass die
Rechenmonster praktisch jeden Tag stärker werden, denn sie werden ständig
verbessert.
Du hast schon eigene Erfahrungen gegen das „Monster“ gesammelt
und vor vier Jahren in Bahrain 4:4 gegen Deep Fritz gespielt. Wie erklärst du
den kuriosen Verlauf des Matchs in Manama? Nachdem du dort bereits 3:1 geführt
hast, schlug die Maschine plötzlich zurück! Was ist passiert?
Kramnik und Mathias Feist (Deep Fritz) in Bahrain
Es ist immer
schwierig, gegen einen Computer zu spielen. Je mehr Partien man absolviert, umso
müder wird man. Und es fällt immer schwerer, alle Varianten genau zu berechnen.
Mir schien mein Springeropfer mit Weiß in der sechsten Partie logisch zu sein.
Ich dachte, meinen Stellungsvorteil zu behalten, aber die Maschine bewies mir
das Gegenteil. Er war schon brutal.
Wer ist in deinen Augen Favorit in Bonn?
Eindeutig
der Computer. Die Maschinen werden immer intelligenter. Ich verstehe sehr gut,
dass das Schachprogramm Deep Fritz bei unserem Match die Favoritenrolle hat. Es
hat die größeren Aussichten, diesen Zweikampf zu gewinnen. Dennoch glaube ich,
dass es durchaus Möglichkeiten gibt, den Rechner in der einen oder anderen
Partie zu schlagen. Vielleicht bin ich der letzte Mensch, der gegen einen
Rechner bestehen kann.
Wie viel Prozent Chancen siehst du für dich?
Ich kann und
möchte es nicht in Zahlen ausdrücken. Auf jeden Fall werde ich versuchen, alle
Gelegenheiten, die sich bieten, zu nutzen.
Für einen so ungleichen Zweikampf braucht man ebenfalls
Sekundanten. Welche werden es bei diesem Event sein?
Mein
Trainerteam für den Kampf gegen Deep Fritz wird anders besetzt sein als das, mit
dem ich in Elista arbeite. In Bonn brauche ich Leute nicht nur mit
Schachverständnis, sondern auch mit großem Computerwissen.
Könnte der Kölner Großmeister Christopher Lutz wieder dabei sein?
Er wohnt praktisch „nebenan“ und war auch schon vor vier Jahren in Bahrain mit
von der Partie.
Vielleicht.
Ich denke im Moment erst einmal an die 12 Partien von Elista. Die Vorbereitung
auf das WM-Match hat jetzt erste Priorität. Nach dem Titelkampf wird endgültig
entschieden, wie das Team für den Zweikampf Mensch gegen Maschine in Bonn genau
aussehen wird.