08.01.2013 – Betrug oder gute Form? Engine oder Eingebung? Das starke Spiel und der überraschende
Erfolg des 25-jährigen Bulgaren Borislav Ivanov, der beim Open
in Zadar mit einer Zahl von 2227 gestartet war und eine Elo-Performance von
2697 erzielte, sorgten für geteiltes Echo. Viele mochten nicht glauben,
dass es dabei mit rechten Dingen zuging und unterstellten Ivanov, er hätte
mit Computerhilfe gespielt, andere pochten auf die Unschuldsvermutung und
wiesen darauf hin, dass man Ivanov nichts nachweisen konnte. Der Bulgare Tiger
Lilov, ChessBase-Autor, renommierter Trainer und ein Landsmann Ivanovs, wollte
es genau wissen und begab sich auf Spurensuche. Was er herausgefunden hat,
verrät er in einem ebenso faszinierenden wie spannenden Videoblog.Lilov im Shop...Zur Spurensuche...
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ChessBase-Autor Tiger Lilov
Zu Beginn des Videos verweist Lilov auf den Turnierbericht
bei Chessbase.com über das Zadar-Open, der von Ivanovs ungewöhnlicher
Elo-Performance und den dadurch geweckten Betrugsverdacht berichtet. Lilov
schildert, welche Zahlen verdächtig wirken, aber hütet sich vor
vorschnellen Schlussfolgerungen. Er setzt stattdessen auf genaue Analyse und
schaut sich alle neun von Ivanov in Zadar gespielten Partien gründlich
an. Im Hintergrund läuft dabei Houdini, die "zur Zeit stärkste
Schach-Engine des Planeten", denn Lilov möchte wissen, inwieweit
Ivanovs tatsächlich gespielte Züge Parallelen zu den Vorschlägen
des Computers aufweisen.
Die Übereinstimmung ist groß. Wie Lilov feststellt, spielt Ivanov
fast perfektes Schach und folgt in mindestens 9 von 10 Fällen einem der
jeweils drei Vorschläge Houdinis.
Natürlich kann man sich fragen, warum Ivanov dann nicht alle Partien
gewonnen und in der zweiten Runde gegen GM Ognen Jovanovic sogar verloren
hat? Es spricht für Livov und sein Streben nach Objektivität, dass
er diesen Fragen nicht ausweicht, sondern nachgeht. So stellt er zunächst
fest, dass Ivanov auch bei der Niederlage gegen Jovanovic fast ausschließlich
Houdini-Empfehlungen folgt. Aber in dieser Partie führte das nicht zum
Erfolg, da die Stellung nach der Eröffnung geschlossen war und Computer
in geschlossenen Stellungen bekanntlich schlechter spielen. Verloren hat Ivanov
die Partie schließlich durch einen, so Lilov, aufschlußreichen
Fehler, in Remisstellung.
In der folgenden Stellung spielte Schwarz 115...Ld6?? und übersah
die einfache weiße Drohung 116.Sf4 mit Verlust des Bd5. Tatsächlich
spielte Weiß in der Partie 116.Sf4 und erhielt nach 116...Lxf4
117.Kxf4 ein leicht gewonnenes Bauernendspiel. Wie Lilov erklärt,
hätte Schwarz in der Diagrammstellung seinen König mit Ke6-d6 lediglich
zur Deckung des Bauern d5 nach d6 bringen müssen, um jede Verlustgefahr
abzuwehren.
Mit anderen Worten: Schwarz hatte diese Partie bislang fast perfekt gespielt,
keine Fehler gemacht und übersah jetzt eine einfache Drohung, die ihn
zu einem Übergang in ein verlorenes Bauernendspiel zwang. Lilov erklärt
sich dieses Übersehen mit Zeitnot und vermutet, dass die richtige Fortsetzung
in der Hektik der Schlussphase nicht übermittelt werden konnte.
Doch Ivanov schlug umgehend zurück und vernichtete in Runde 3 GM Bojan
Kurajica mit brillantem Spiel an zwei Flügeln, das taktisch präzise
von einem Mattangriff gekrönt wurde. Wie Lilov erläutert, ist Houdini
erneut fast immer der gleichen Meinung wie Ivanov. Bemerkenswert an dieser
Partie sei vor allem jedoch, dass Ivanov "chaotische, unlogische Züge"
gespielt hat, deren Sinn auf verborgenen taktischen Möglichkeiten und
präziser Berechnung beruhte. Als auffällig empfindet Lilov auch,
dass Schwarz fast keinerlei Widerstand leistete. Der erfahrene Großmeister
mit 2520 ließ sich wehrlos von einem Spieler mit 2227 besiegen.
In Runde vier folgte dann ein Remis gegen Davorin Kuljasevic, erneut mit frappanten
Parallen zu Houdini. Allerdings wurde die Partie gleich nach der Eröffnung
so vereinfacht, dass Schwarz nur wenig taktische Möglichkeiten hatte,
um seinen Gegner zu überlisten.
In den Runden fünf und sechs folgten vernichtende Siege gegen Zelcic
und Kozul, die beide im Mattangriff geschlagen wurden. Und wieder ergab sich
eine starke Übereinstimmung mit den Vorschlägen Houdinis. Verblüffend
ist für Lilov einmal mehr, wie präzise Ivanov dabei gespielt hat,
eine Präzision, die, so Lilov, "auch der beste Spieler nicht erreicht",
eben weil der Mensch seine Züge intuitiv auswählt und diese Intuition
immer fehleranfällig ist.
Nach Runde sieben kommt es zur Untersuchung Ivanovs durch die Turnierleitung
und in Runde acht folgt die Partie gegen den späteren Turniersieger Borki
Predojevic, die im Gegensatz zu den früheren Partien, nicht live im Internet
übertragen wird. Wie Lilov zeigt, ist von der vorherigen Präzision
und Kreativität Ivanovs nichts mehr zu sehen. Er verliert chancenlos
und kläglich.
In der neunten und letzten Runde gewinnt Ivanov dann mit einfallsreichem und
taktisch präzisem Spiel gegen GM Ivan Saric und wird nach Wertung Vierter
im Turnier.
Lilov kommt zu dem Schluss, dass "mehr als 95 bis 97 Prozent der Züge
Ivanovs Züge sind, die auch die stärkste Engine [der Welt] vorschlägt",
und kein Mensch zu einer solchen Leistung fähig ist.
Doch Lilov begnügt sich nicht damit, die Partien von Zadar zu analysieren,
sondern gräbt noch tiefer - und fördert Überraschendes zutage.
Er schaut sich die Schachkarriere Ivanovs an und stellt fest, dass der Bulgare
bis September 2012 Schwierigkeiten hatte, überhaupt je eine Partie gegen
Spieler mit mehr als 2200 Elo zu gewinnen. Auch beim Balkan Chess Festival
Belogradchik 2012 ist in der ersten Runde vom späteren Ivanov nicht viel
zu sehen. Er verliert gegen einen Spieler mit 1916 Elo. Dann jedoch kommt
es zur großen Metamorphose: Ivanov verwandelt sich über Nacht in
einen gefährlichen und starken Spieler und holt aus den nächsten
Runden 7 aus 7.
Für Lilov besteht kein Zweifel, dass Ivanov bei diesem Turnier das erste
Mal Computerhilfe in Anspruch genommen hat. Am Ende des faszinierenden Videos,
in dem Lilov mit präzisen Analysen und tiefem Schachverständnis
beeindruckt, folgt noch ein weiteres Highlight: Lilov zeigt welche Hilfsmittel
Ivanov in Anspruch genommen haben könnte: kleine Kameras, mit denen man
die Stellung an einen Partner übermitteln kann, der irgendwo auf der
Welt sitzt und die Partie am Computer analysiert, sowie ein Mini-Mikrofon,
das sich so gut und tief im Ohr verbergen lässt, dass es nicht zu entdecken
ist.
Wie Lilov erläutert, sind sowohl Kamera als auch Mikrofon in Bulgarien
für etwa 50 Euro zu bekommen und beliebte Hilfsmittel von Studenten
bei Prüfungen. Um Betrug bei Schachturnieren vorzubeugen, fordert Lilov,
dass Turnierveranstalter einen Sender haben sollten, der Störgeräusche
aussendet und die elektronische Signale unterbindet.
ChessBaseDie ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.
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