Biel: Ein guter Tag für Najdorf

von Marco Baldauf
29.07.2018 – Die Najdorf-Variante, eines der schärfsten Abspiele des Sizilianers, war heute definitiv eine gute Wahl der Schwarzspieler. Maxime Vachier-Lagrave brachte Weltmeister Magnus Carlsen in einer aufregenden Partie an den Rande einer Niederlage, Peter Svidler holte gegen Nico Georgiadis in einer äußerst scharf geführten Partie den vollen Zähler | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

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Svidlers Najdorf

Für Zuschauerinnen und Zuschauer war es eine Art déja-vu. Peter Svidler kommt nach seiner Partie zur Pressekonferenz, erklärt mehrmals eigentlich keine Ahnung von der Najdorf-Theorie des 21. Jahrhunderts zu haben, zeigt aber dennoch erstaunlich viel Gefühl und gute Intuition für die scharfen Stellungen, welche aus dieser Eröffnung entstehen können. So bestätigte Svidler einmal mehr seine Standhaftigkeit in diesen Stellungstypen.

Peter Svidler: selbsternannter Najdorf-Laie - aber irgendwie doch ein großer Könner dieser Eröffnung | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

Weltmeister Magnus Carlsen hatte Svidler in Runde 3 mit dem aggressivsten aller Abspiele, der Lg5-Variante angesprungen, Georgiadis wählte mit 6.Le3 nebst schnellem g4 und h4 eine ähnlich forsche Gangart. Carlsen opferte im Mittelspiel eine Leichtfigur, Georgiadis warf ebenso Haus und Hof in den Angriff. Beide Male knapp, aber doch: beide Male entkam der bedrängte Svidlersche König. Svidler scheint seinen Najdorf zu kennen - auch ohne in der Theorie auf dem neuesten Stand zu sein!

 

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Vachier-Lagraves Najdorf

Die Eröffnungswahl des Franzosen sollte hingegen für wenig Überraschung gesorgt haben. Schließlich ist Vachier-Lagrave neben Radoslaw Wojtaszek der einzige Weltklassespieler welcher voll und ganz auf dieses Abspiel im Sizilianer vertraut. Carlsen wiederholte die Lg5-Variante freilich nicht, probierte sich aber in einer ebenfalls zweischneidigen Variante und wählte mit 6.f3 den Englischen Angriff. Vachier-Lagrave unterband den normalerweise folgenden Angriff frühzeitig mit 8...h5 und schaffte sich selbst Angriffschancen am Königsflügel.

Najdorf-Experte Maxime Vachier-Lagrave | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

Am Damenflügel hatte hingegen Carlsen große Fortschritte gemacht. Werfen wir einen Blick in die Stellung nach dem 31. Zug von Schwarz. Vachier-Lagrave hatte soeben auf a5 einen zweiten Bauern ins Geschäft gesteckt, dafür jedoch vier Angriffsfiguren auf den König des Weltmeisters gerichtet. Mittels ...f3 zielte er nun auf die Öffnung der weißen Königsstellung.

 

Carlsen schwitze Blut und Wasser. Noch vor wenigen Zügen schien er die Stellung vollkommen unter Kontrolle zu haben, nun waren die schwarzen Figuren kaum in Zaum zu halten. 32.h4 sollte den schwarzen Springer zurücktreiben und so etwas Zeit zu bekommen. MVL parierte die Drohung, da er das starke Opfer 32...Td2 33.hxg5-fxg2 unterschätzte. Auf den einzigen Zug 34.Le3 berechnete er 34...Ld4 und ließ den einfachen Sidestep des Turms nach c2 außer Acht. An dieser Stelle kann dem Franzosen natürlich kein Vorwurft gemacht werden, ruhige Züge in Stellungen mit Minusfigur sind immer schwer zu sehen. Und ein erster Blick auf die Stellung nach 34...Tc2 zeigt das unfassbare große Angriffspotenzial des redurzierten schwarzen Materials nicht auf.

 

Das wichtigste schwarze Motiv ist etwas versteckt aber dafür um so schöner. 35...Le5 gefolgt von 36...Tf1+ 37.Txf1-Lh2+ lenkt den König ab, sodass im folgenden Zug sich der g-Bauer auf f1 zur Dame umwandelt. Dies geschieht mit Schach, was wichtig ist wenn man die Verteidigungsidee 35.Ld7-Le5 36.Lh3 betrachtet: der Läufer überdeckt zwar das Feld f1, doch kann er die Dame aufgrund des im Schach stehenden Königs nicht schlagen.

Für Carlsens Fans war hoffen und beten angesagt | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

Vachier-Lagrave zog jedoch den Springer zurück und auch dies sah äußerst vielversprechend für ihn aus. Carlsen eilte sich mit Gegenspiel und schob seinen a-Bauern energisch in Richtung Umwandlungsfeld. a5-a6-a7-a8 waren seine Züge Nr. 33 bis 36. In der Zwischenzeit hatte Vachier-Lagrave seinen Springer zurück in den Angriff gebracht (33...Se5), den Turm auf die zweite Reihe beordert (34...Td2) und auf g2 zugeschnappt (35...fxg2):

 

Es folgte die Abtauschoperation 36...Sf3+ 37.Kg2-Sxe1 38.Kf1-Tdxf2 39.Ke1-Txa8 40.Kf2 und Vachier-Lagrave hatte ein leicht besseres Endspiel erreicht.

 

Der Bauer auf h4 ist sehr schwach und Carlsen Läufer auf c6 aus dem Spiel. Mit 40...Tf8+ nebst ...Tf4 legte MVL seinen Finger sofort in die Wunde, doch Carlsens Gegenspiel am Damenflügel war schnell genug sodass die Partie wenige Züge später mit einem Remis endete.

Carlsen zeigte sich nach der Partie wie immer sehr selbstkritisch. Er habe die schwarzen Chancen am Königsflügel unterschätzt, im Zulassen des Manövers 29...Tb3 und 30...Td3 einen großen Fehler begangen und sei nun erleichtert am Ende einen halben Punkt ergattert zu haben. MVL war hingegen zufrieden. Die oben besprochene Variante mit der Pointe 34...Tc2 nicht gesehen zu haben sei normal - er mache sich hier keine Vorwürfe.

Ein erleichterter Weltmeister bei der Analyse | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

Bei all diesen spannenden Najdorf Partien ging der sauber herausgespielte Sieg Shakriyar Mamedyarovs in Biel fast etwas unter. Mamedyarov gewann damit bereits seine vierte Partie und liegt nun mit 5½ Punkten bereits einen Zähler vor Verfolger Carlsen. David Navara hatte Mamedyarov zu Beginn des Mittelspiels mit großem Schwung attackiert, die aktuelle Nr. 3 der Welt wehrte die Angriffswelle jedoch gekommt ab und stürzte sich in der Folge auf die hinterbliebenen Bauernschwächen des Tschechen. Bald entstand ein sehr vorteilhaftes Turmendspiel, welches Mamedyarov geduldig und gekonnt nach Hause brachte.

 

Lange Zeit knetete Mamedyarov diesen Stellungstypen. Die Statik dieser Stellung beruht meines Erachtens auf drei Motiven bzw. Plänen für Weiß. Erstens muss Schwarz immer den Vorstoß b7 unter Kontrolle haben, d.h. er muss diesen Zug mit ...Kg7 bzw. ...Kh7 beantworten können (um das Motiv Th8-Txb7 Th7+ aus der Stellung zu nehmen).

 

So folgt in dieser Stellung auf 1...Kf7 der Turmschwenk 2.Th8! Auf 2...Txb7 folgt nun 3.Th7+ nebst Turmgewinn. Die 7. Reihe ist für den König also vermint. Bleibt er mit einem Zug wie 1...Kd6 auf der 6. Reihe so gewinnt nach 2.Td8+-Kc7 3.b8/D-Txb8 4.Txb8-Kxb8 das Bauernendspiel

Zweitens kann Weiß auf Matt spielen. Versteckt sich der schwarze König beispielsweise auf g7 so kann Weiß mittels 1.Kg5 und 2.Tb7+ den schwarzen Monarchen auf die Grundreihe drängen (beispielsweise g8) um daraufhin mit 3.Kg6 Mattdrohungen aufzustellen.

 

Folgt auf 3. Kg6 ...Kf8, so greift wieder Motiv #1: 4.Tb8+-Ke7 5.b7 und das folgende 6.Th8 wird die Partie gewinnen. Da Schwarz auch dies verhindern muss ist es notwendig den eigenen König nicht zu weit am Königsflügel abdrängen zu lassen. Daraufhin kommt allerdrings der dritte Gewinnplan zum Zuge, nämlich das Aufgeben des b-Bauern bei Gewinn des g-Bauern (Tg8 nebst Txg4).

 

Steht der schwarze König zu weit am Damenflügel, so ist das Endspiel mit nur einem Bauern, dem g-Bauern durch einfaches Absperren des verteidigenden Königs einfach zum Sieg zu führen. So geschah es auch in der Partie, Analysediagramm war die Partiestellung nach dem 61. Zug Mamedyarovs.

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Nach dem Gewinn des g-Bauern war die Partie entgültig entschieden | Fotos: Simon Bohnenblust, Lennart Ootes

Ergebnisse

 

Tabelle

 

Partien

 

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Marco Baldauf, Jahrgang 1990, spielt seit seinem sechsten Lebensjahr Schach. Zwei Mal wurde er Deutscher Jugendmeister, seit 2015 spielt er für die Schachfreunde Berlin in der Bundesliga. Für Chessbase schreibt er gelegentlich auf der Homepage, kommentiert live oder versucht sich als Autor von Fritztrainern.

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