Gewinnserien: Bobby Fischer 1963-1965

von Johannes Fischer
02.10.2014 – Als Fabiano Caruana den Sinquefield Cup mit 7 aus 7 gegen die Weltelite begann, fragte sich die Schachwelt, ob das die beste Turnierleistung aller Zeiten war. Erinnerungen an Bobby Fischers legendären 11.0/11 Sieg in der US-Meisterschaft 1963/1964 wurden wach. Doch Fischers elf Gewinnpartien waren nur Teil einer sehr viel längeren Siegesserie. Mehr...

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Das Jahr 1962 verlief für den 19-jährigen Bobby Fischer unerwartet schlecht. Die größte Enttäuschung für Fischer, der unbedingt und möglichst schnell Schachweltmeister werden wollte, war sein vierter Platz im Kandidatenturnier in Curacao hinter Tigran Petrosian, Paul Keres und Efim Geller.

Fischer hatte gehofft, das Kandidatenturnier zu gewinnen und gegen den amtierenden Weltmeister Mikhail Botwinnik um den Titel spielen zu dürfen. Zudem fühlte er sich betrogen. Nach dem Turnier beschuldigte er die sowjetischen Spieler in einem Aufsehen erregenden Artikel mit dem Titel "The Russians Have Fixed World Chess", der in Sports Illustrated erschien, der Absprache und Manipulation, um zu verhindern, dass ein nicht-sowjetischer Spieler das Turnier gewinnt. (Eine deutsche Version dieses Artikels erschien am 10. Oktober 1962 im Spiegel unter dem Titel "Schacher im Schach: Das abgekartete Spiel der Russen"). Als Konsequenz erklärte Fischer, nicht mehr am Weltmeisterschaftszyklus teilnehmen zu wollen, solange nicht die Regeln geändert würden.

Bobby Fischer während der Schacholympiade 1960 in Leipzig

Aber bei der Olympiade 1962 in Varna hatte Fischer die Gelegenheit zur Revanche. Er spielte gegen Weltmeister Botvinnik, und diese Begegnung wurde später eine der umstrittensten Partien der Schachgeschichte. Fischer spielte mit Schwarz und kam bereits in der Eröffnung in Vorteil. Im Endspiel stand er schließlich auf Gewinn, doch am Ende vergab er seine Gewinnstellung zum Remis.

Die gesamte Olympiade in Varna verlief für den jungen Amerikaner enttäuschend. Mit drei Siegen, fünf Remis und drei Niederlagen kam er am ersten Brett auf 50% - nicht annähernd gut genug für jemanden, der sich für den besten Spieler der Welt hielt. Immerhin endete das Jahr gut, denn bei der US-Meisterschaft 1962/1963 sicherte Fischer zum fünften Mal den Titel des US-Meisters. Insgesamt nahm Fischer von 1957 bis 1966 acht Mal an der US-Meisterschaft teil und acht Mal gewann er auch den Titel. Aber 1962/1963 fiel die Entscheidung erst ganz zum Schluss. Nach zehn Runden lagen Fischer und Arthur Bisguier mit je 7 aus 10 gemeinsam an der Spitze der Tabelle, und wie der Zufall es wollte, spielten sie in der Schlussrunde gegeneinander.

Schachlegenden: (von links nach rechts) Arthur Bisguier, Susan Polgar, Arnold Denker

Im Laufe ihrer Karriere spielten Bisguier und Fischer nicht weniger als 15 Turnierpartien gegeneinander. Die erste dieser Begegnungen, beim 3. Rosenwald Tournament 1956, gewann Bisguier. Die zweite Partie zwischen den beiden, gespielt bei der Offenen US-Meisterschaft 1957, endete mit Remis. Die nächsten 13 Partien gingen dann alle an Fischer. In der Schlussrunde der US-Meisterschaft 1962/1963 übersah Bisguier mit Schwarz eine taktische Möglichkeit des Weißen in der Berliner Verteidigung und sah sich bald darauf einem vernichtenden Königsangriff im Endspiel ausgesetzt.

 

Für Fischer war das ein guter Start in ein phantastisches Jahr. Die vor kurzem veröffentlichte ChessBase DVD über Fischer, Band 1 der ChessBase Master Class Serie, verrät, wie gut das Jahr 1963 für Fischer verlief. Auf der DVD beschäftigen sich Dorian Rogozenco, Oliver Reeh, Mihail Marin und Karsten Müller mit verschiedenen Aspekten von Fischers Spiel in Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel, doch zusätzlich enthält die DVD eine Datenbank mit allen bekannten Fischer-Partien, die meisten kommentiert. Ein Blick in diese Datenbank zeigt, dass Fischer 1963 fast alle seine Turnierpartien gewonnen hat.

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Fischers nächstes Turnier nach der US-Meisterschaft war das Western Open, ein Turnier nach Schweizer System, das Fischer souverän mit 7,5 aus 8 gewann. Nach Siegen in den ersten Runden kam der spätere Weltmeister in Runde vier gegen Paul Poschel über ein Remis nicht hinaus - für lange Zeit Fischers letztes Remis in einer Turnierpartie.

Nach dem Remis gegen Poschel beendete Fischer das Western Open mit 4.0/4 und im gleichen Stil gewann er auch sein nächstes Turnier, das New York State Open, erneut ein Turnier nach Schweizer System und zugleich das letzte Mal, dass Fischer nach Schweizer System spielte. Fischer gewann mit 7 aus 7 und dehnte seine Gewinnserie so auf 11 Siege in 11 Partien aus. Als nächstes Turnier stand die berühmt gewordene US-Meisterschaft 1963/1964 auf dem Programm.

In der ersten Runde spielte Fischer gegen Edmar Mednis und hatte Glück, dass seine Siegesserie anhielt und er nicht seine erste Niederlage im Jahr 1963 hinnehmen musste. Nach ehrgeizigem, aber keineswegs überzeugendem Spiel war Fischer in Schwierigkeiten geraten und Mednis hätte gewinnen können.

 

Doch nachdem er in der ersten Runde noch einmal davongekommen war, überrannte Fischer seine Gegner förmlich. Ein paar von ihnen hatten Remischancen, die meisten wurden jedoch einfach überspielt. Ein hübscher, nur 21 Züge dauernder Sieg, gelang Fischer in der vorletzten Runde gegen Pal Benkö - Fischers letzte Partie im Jahr 1963.

Pal Benko

 

Alles in allem hatte Fischer im Jahr 1963 26 Turnierpartien gespielt und ein Ergebnis von 25,5 aus 26 erzielt. In diesem Stil beendete er auch die US-Meisterschaft. In seiner ersten Partie des Jahres 1964 besiegte er Anthony Saidy in der letzten Runde des Turniers, das er so mit 11 aus 11 gewann und dabei seine Siegesserie auf 22 gewonnene Turnierpartien in Folge ausdehnte. Allerdings stand dem Wunderkind bei diesem Sieg das Glück zur Seite: Wie Endspielexperte Karsten Müller in einer ausführlichen Analyse (auf der oben erwähnten DVD) der Schlussphase der Partie Saidy-Fischer zeigt, übersah Saidy in einem schwierigen Endspiel ein Remis.

 

Aber Fischers Sieg gegen Saidy sollte seine einzige Turnierpartie im Jahre 1964 bleiben. Obwohl die FIDE die Regeln des Weltmeisterschaftszyklus geändert und das Kandidatenturnier durch Kandidatenwettkämpfe ersetzt hatte, war Fischer noch immer so erbost über den Weltschachverband, dass er auf die Teilnahme am Interzonenturnier 1964 in Amsterdam verzichtete. Auch bei der Schacholympiade in Tel Aviv ging er nicht an den Start. Stattdessen unternahm er Anfang 1964 eine ausgedehnte Simultantournee durch die USA.

Bobby Fischer - intensiv und umstritten

Das erste Turnier, das er danach wieder spielte, war das Capablanca Memorial 1965 in Havanna. Aber aufgrund politischer Spannungen zwischen der USA und dem kommunistischen Regime in Kuba durfte Fischer aufgrund einer Anweisung der US-Regierung nicht nach Havanna reisen. Doch offensichtlich wollte Fischer unbedingt an diesem Turnier teilnehmen und erklärte sich so damit einverstanden, von New York aus zu spielen und jeden einzelnen Zug und Gegenzug per Telex zu übermitteln - ein mühsames und zeitaufwändiges Verfahren. Aber mit einem Sieg gegen den Westdeutschen Heinz Lehmann startete Fischer gut ins Turnier. In der zweiten Runde schlug Fischer Ex-Weltmeister Vassily Smyslov und dehnte damit seine Siegesserie auf 24 Gewinnpartien in Folge aus. Doch kurz vor Erreichen der magischen Marke von 25 Siegen in Folge endete Fischers Siegesserie dann doch: Mit einem Remis gegen den rumänischen GM Victor Ciocaltea in der dritten Runde des Capablanca Memorial.

Bobby Fischer während des WM-Matches 1972 gegen Boris Spassky in Reykjavik


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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