28.11.2016 – Mit Mark Taimanov ist ein ganz Großer der Schachgeschichte von uns gegangen. Der russische Großmeister starb heute im Alter von 90 Jahren in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Taimanov war ein absolutes Multitatent. Als Kind war er schon ein Filmstar, später bildete er mit seiner damaligen Ehefrau ein grandioses Klavierduo. Als Schachgroßmeister war er einer der weltbesten Spieler, scheiterte aber als WM-Kandidat an Robert Fischer. Ein Nachruf von Dagobert Kohlmeyer...
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In Memoriam Mark Taimanov (1926-2016)
Mark Taimanov ist tot. Der russische Großmeister verstarb in der vergangenen Nacht in seiner Heimatstadt St. Petersburg. Die Schachwelt trauert um eine große historische Persönlichkeit unseres Spiels. Mark Taimanov hinterlässt seine vierte Ehefrau Nadjeshda und zwei Kinder im Alter von 12 Jahren. Als ich seine Witwe am Vormittag anrufe und kondoliere, ist ihre Stimme ruhig und gefasst. „Mark war schon eineinhalb Jahre schwer krank. Und er hat ein so hohes Alter erreicht. Wir alle sind dankbar dafür.“
Kasparov, Nadja und Mark Taimanov, 2011
Erst im Februar hatte der Großmeister seinen 90. Geburtstag gefeiert. In einem Interview erzählte Taimanov damals, dass in seiner Schachschule in der Nähe des Newski-Prospekts 80 Schüler lernen. „Sie wird weiter bestehen“, versichert Nadja heute.
Mark Taimanov ist ein Multitalent gewesen. Sein erster Schachlehrer im damaligen Leningrad war kein Geringerer als Michail Botwinnik. Er prophezeite dem elfjährigen Mark eine große Zukunft auf den 64 Feldern. Neben seiner Schachkarriere begeisterte Taimanov viele Menschen im In- und Ausland als Konzertpianist. Mit seiner ersten Ehefrau Ljubow Bruk war er viel auf Tourneen und nahm preisgekrönte Schallplatten auf.
Mark Taimanov 1970
Taimanov war sowjetischer Landesmeister, Olympiasieger und WM-Kandidat. Legendär ist auch sein Kandidatenmatch in Vancouver, das er 1971 gegen Bobby Fischer mit 0:6 verlor.
In seiner langen Karriere begegnete Mark Taimanov allen großen Schachspielern der Welt, aber auch einer Vielzahl von Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wie Churchill, Chrustschow und Fidel Castro. Letzterer, am Freitag verstorben, war ebenfalls vom Jahrgang 1926 wie der russische Großmeister. 1993 und 1994 wurde Mark Taimanov Seniorenweltmeister. Im Jahre 2004 wurde er mit 78 Jahren noch Vater von Zwillingen.
Familie Taimanov, 2012, in Dresden
Artur Jussupov: "Mark war ein positiver Mensch"
Mit Bestürzung hat auch Artur Jussupow auf den Tod von Mark Taimanov reagiert. Er sagte uns heute Mittag am Telefon: „Ich hatte das Glück, Mark mehrmals zu begegnen. Er war ein sehr positiver Mensch. Erst gestern habe ich eine Partie von ihm und mir im Unterricht gezeigt. Taimanov hatte einen guten positionellen Stil. Auch als er nicht mehr so jung war, hat er am Brett seine Klasse gezeigt. Wenn er die Stellung im Griff hatte, konnte er mit großer Leichtigkeit spielen. Aber es fehlte ihm die Verbissenheit, der Killerinstinkt, den man ja braucht, um ganz nach oben zu kommen. Das lag vielleicht auch an Mark Taimanovs leichter Lebensweise. Die hohe Niederlage gegen Fischer hat dann sicher sein Selbstvertrauen beeinflusst. Danach war er nicht mehr absolute Weltklasse. Seinen Humor hat Taimanov aber nie verloren. Er erzählte viele wunderbare Geschichten aus seinem langen Schachleben. Ich behalte ihn als einen Menschen mit positiver Ausstrahlung in Erinnerung.“
Mark Taimanov, Boris Spasski, Evgeni Vasiukov 2012 in Dresden
Bis zuletzt hat Taimanov das aktuelle Schachgeschehen mit großem Interesse verfolgt und kam einige Jahre lang mit der ganzen Familie im Sommer nach Dresden um alte Weggefährten beim Treffen der Großmeister Ü75 wieder zu sehen. Die Gespräche mit ihm waren für den Schachreporter immer ein großer Gewinn.
Mark Taimanov
Neben dem Schach und der Musik gab es noch ein Gebiet, auf dem Mark Taimanov einfach unschlagbar war... die Frauen. Seine vierte (!) Gattin Nadjeshda (heute 55) konnte auch ein Lied davon singen. Vor genau zwanzig Jahren hatte ich Gelegenheit, mit Mark Taimanov und ihr in London am Rand des Matchs Ladies gegen Veteranen auch über dieses Thema zu plaudern.
Was kommt bei Ihnen an erster Stelle?
Die Frauen sind meine größte Leidenschaft. Erst danach folgen die Musik und das Schach. Ich möchte an die Worte des großen Siegbert Tarrasch erinnern, der sagte: „Das Schach kann ähnlich wie die Musik und die Liebe aus einem Talent einen glücklichen Menschen machen.“
Sie haben verhältnismäßig spät mit Schachspielen begonnen...
Ja, erst mit elf Jahren. Das ist eine interessante Geschichte. Zum Schach bin ich kurioserweise durch die Musik und das Kino gekommen.
Wie das?
Ich hatte in einer Leningrader Musikschule mit sieben Jahren das Klavierspielen erlernt. Einige Zeit später, das war im Jahre 1937, wurde ein Film mit dem Titel "Das Konzert Beethovens" gedreht. Ich wurde für die Hauptrolle ausgewählt, spielte aber in dem Film keinen Pianisten, sondern einen Geiger.
Sie erlernten also auch dieses Instrument?
Ja, das musste ich. Der Film wurde übrigens ein großer Erfolg und erhielt auf dem internationalen Filmfestival in Paris den ersten Preis. So wurde ich plötzlich ein bekannter Filmdarsteller.
Und das Schach?
In dieser Zeit fällt auch meine erste Begegnung mit dem königlichen Spiel. Im gerade eröffneten Leningrader Pionierpalast sollten damals die talentiertesten Mädchen und Jungen auf den verschiedensten Gebieten der Kultur ausgebildet werden. Als man mich fragte, wofür ich mich denn noch interessiere, sagte meine innere Stimme: 'Geh in den Schachklub!' Und so geschah es.
Wer war Ihr erster Lehrer?
Ich hatte nur einige Vorkenntnisse. Der Leiter des Schachklubs war niemand anderes als unser großer Michail Botwinnik, der damals in Leningrad lebte. Er war ein bemerkenswerter Lehrer. Dank seiner Hilfe begann meine Schachkarriere.
Und wie kam die Musik zu Ihrem Recht?
Ich beendete nach dem zweiten Weltkrieg das Leningrader Konservatorium und trat gemeinsam mit meiner ersten Ehefrau Ljubow Bruk viele Jahre lang in der Sowjetunion und in vielen Ländern der Erde auf. Wir gehörten zu den fünf besten Piano-Duetten der Welt und nahmen auch Schallplatten auf. Parallel dazu lief meine Schachkarriere. Ich spielte recht erfolgreich und brachte es bis zum WM-Kandidaten.
Wer sind Ihre Lieblingskomponisten?
Fragen Sie mich doch, welches meine Lieblingseröffnungen sind. Das wäre einfacher zu beantworten. Also, der große Bach, Mozart, die Romantiker Chopin, Schumann sowie die Russen Tschaikowski und Rachmaninov.
Und welche Eröffnungen haben es Ihnen besonders angetan?
Mit Schwarz natürlich Sizilianisch und Nimzo-Indisch. Ich habe etliche Bücher über diese Partieanfänge geschrieben, die auch in Deutschland erschienen sind. Über Englisch habe ich ebenfalls eine Monographie verfasst.
Sie veröffentlichten aber auch noch andere Titel...
Ja, zum Beispiel das Buch "Ich war ein Opfer Fischers".
Das kann man laut sagen.
Bei meinem WM-Kandidaten-Match gegen den Amerikaner 1971 in Vancouver ging ich mit Pauken und Trompeten unter (Taimanov verlor 0:6!), aber ich bin noch heute glücklich, einen Wettkampf mit Fischer gespielt zu haben. Er war eine einmalige Erscheinung in der Schachgeschichte.
1971 in Vancouver gegen Fischer. Die 6. Partie.
Sie sind zum wiederholten Male verheiratet. Befürworten Sie die Polygamie?
Ich muss gestehen, dass ich in dieser Sphäre des Lebens nie monogam war.
Wird Nadjeshda Ihre letzte Ehefrau sein?
Ja, das ist sicher. Ich lege mich hier ganz offiziell fest: Sie ist mein Schwanengesang und nimmt deshalb einen besonderen Platz ein.
Warum?
Keine Frau gleicht der anderen. Nadja aber hat von allen etwas. Ich liebe sie sehr, nicht nur wegen ihrer Jugend. Eine bessere finde ich nicht mehr. Sie ist unter anderem eine hervorragende Hausfrau. Sie sollten ihre Pelmeni kosten! Nach Nadjas Rezept wird diese russische Spezialität in einem Züricher Restaurant zubereitet.
Sind Sie sich Marks sicher, Nadeszhda?
Nadja Taimanov: Ich weiß nicht recht. Eine meiner Freundinnen, deren Sohn in die siebente Klasse geht, sagte neulich: „Marks nächste Frau sitzt vielleicht mit meinem Jungen in derselben Klasse." - Mark Taimanov: Das ist ein netter Scherz, aber ausgeschlossen.
So war er. Ein Mensch, der das Leben liebte. Mark, wir vermissen dich schon jetzt.
Dagobert KohlmeyerDagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.
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