Zwei Hängepartien in Bergamo

von Johannes Fischer
18.07.2014 – Die Hängepartie: Früher war sie fester Bestandteil des Turnieralltags und der Ausdruck ging sogar in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Doch Anfang der 1990er begann ihr Niedergang und heute ist sie fast ausgestorben. Aber in der fünften Runde des ACP Turniers in Bergamo waren zwei Exemplare der selten gewordenen Gattung zu bestaunen. Mehr...

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Die Hängepartie führte zu schlaflosen Nächten, zahlreichen Erzählungen, in denen der Held die ganze Nacht eine aussichtslos scheinende Stellung analysiert, um dann in den frühen Morgenstunden mit einem rettenden Einfall belohnt zu werden. Dazu kamen jede Menge Tragödien, wenn die Analysen am Brett vergessen oder verwechselt worden waren oder man den falschen Zug abgegeben hatte.

Hängepartien durfte man mit beliebig vielen Helfern beliebiger Spielstärke analysieren. Das wurde immer als unfair empfunden, denn wer zufällig oder auch nicht zufällig einen oder mehrere Großmeister zur Analyse seiner Hängepartie überreden oder engagieren konnte, hatte hier die besseren Chancen.

Ein historisches Dokument: Das Hängepartieformular der Begegnung
Efim Geller - Bent Larsen, Kopenhagen 1966.
Stellung und Zeitverbrauch wurden aufgezeichnet, der Vermerk
"Geller hat seinen 41. Zug abgegeben"
machte deutlich, wer am Zug war. (Foto: Wikipedia)

Doch allmählich tauchten dann immer mehr wirklich starke Sekundanten auf, die bereit waren, ohne Honorar klaglos und unermüdlich die ganze Nacht zu analysieren. Objektiv und mit allen Kräften. Die Computer. Dazu kam, dass die Unterbrechung einer Schachpartie in den 1990ern wirklich nicht mehr zeitgemäß war. Also schaffte man die Hängepartien ab und spielte bis zur Entscheidung. Vielleicht gibt es Schachspieler, die das Ende der Hängepartien bedauern, aber ernsthafte Bemühungen, die Hängepartien wieder einzuführen, hat es nicht gegeben.

So sind die Hängepartien beim ACP Golden Classic Turnier in Bergamo dann auch kein Versuch, die alte Praxis wiederzubeleben, sondern eine spielerische und nostalgische Reminiszenz an vergangene Schachzeiten. Nachdem die Ausbeute an Hängepartien in den ersten vier Runden etwas dünn ausgefallen war, kam es in Runde fünf gleich zu zwei abgebrochenen Partien.

Runde 5

Donnerstag, 17. Juli
Jobava, Baadur
Hp
Almasi, Zoltan
Sutovsky, Emil
½-½
Nepomniachtchi, Ian
Brunello, Sabino
Hp
Vocaturo, Daniele

Emil Sutovsky gegen Ian Nepomniachtchi. (© Antonio Milesi)

Die erste und einzige Partie der Runde, die beendet wurde, war die Begegnung zwischen Emil Sutovsky und Ian Nepomniachtchi. Sutovsky übernahm in einem Sizilianer mit 3.Lb5+ aus der Eröffnung heraus die Initiative und zwang Nepomniachtchi zu genauer Verteidigung. Doch Sutovskys Spiel verlor im weiteren Verlauf der Partie immer mehr an Schwung, sein Vorteil versandete und im Endspiel übernahm schließlich Nepomniachtchi die Intiative. Doch jetzt verteidigte sich Sutovsky genau und so endete die Partie schließlich mit Remis.

In der Partie zwischen Baadur Jobava und Zoltan Almasi kommt dann endlich die Nostalgie - sprich die Hängepartie - wieder zu ihrem Recht. Die Partie wurde nach 51 Zügen abgebrochen, allerdings beurteilen die Engines die Stellung als klar gewonnen für Weiß.

Baadur Jobava - Zoltan Almasi, Stellung nach 51...f5

Auf den ersten Blick scheint diese Stellung sehr gut, wenn nicht sogar gewonnen für Weiß zu sein:
Er hat einen Bauern mehr und die Bauern h5 und g7 sind gefährdet.

Vorausgegangen war dieser Stellung ein zäher Kampf, in dem Jobava mit Weiß in einer Italienischen Eröffnung recht schnell einen Bauern mehr hatte, für den Schwarz allerdings die bessere Entwicklung beanspruchen konnte. Doch im weiteren Verlauf der Partie konsolidierte Jobava seine Stellung allmählich und rettete seinen Bauernvorsprung ins Endspiel. Am Samstag kann er sehen, ob sein Vorteil zum Gewinn reicht - dann wird die Partie fortgesetzt.

Wie ging das noch einmal?

Ach ja, wer am Zug ist, schreibt den geplanten Zug auf sein Partieformular (am besten so, dass der Gegner ihn nicht sieht), dann werden die Partieformulare in einen Umschlag gesteckt und beide Spieler können die Stellung analysieren.

Zu einer Hängepartie kam es auch in der rein italienischen Begegnung zwischen Sabino Brunello und Daniele Vocaturo. Vocaturo spielte mit Schwarz und zeigte, warum der Königsinder bei angriffslustigen Spielern so beliebt ist. So opferte er früh einen Bauern, um seinen Schwarzfelder und seine restlichen Figuren zu aktivieren. Das wollte sich Brunello nicht allzu lange gefallen lassen und so gab er seinen Mehrbauern recht bald zurück. Das bessere Spiel behielt aber Schwarz. So kam es schließlich zu folgender Stellung:

Sabino Brunello - Daniele Vocaturo, Stellung nach 45.Le4

Hm. Schwarz scheint gut zu stehen. Er könnte mit seinem Abgabezug den Bauern auf h3 genommen haben
und sich dann mit Mehrbauern und Läuferpaar Hoffnungen auf einen Gewinn machen.

"Alles lief schief. Ich stand schlecht und habe aus Verzweiflung ein Bauernopfer angenommen.
Außerdem habe ich sein wirklich starkes Läuferpaar unterschätzt." - Brunello

In Bergamo kommen auch zahlreiche Sportlegenden ans Brett. In der fünften Runde schaute Tennisschiedsrichter Carlos Bernardes vorbei und führte in der Partie Brunello-Vocaturo den ersten Zug aus.

Als Tennisschiedsrichter hat der aus Brasilien stammende Bernardes einige der bedeutendsten Matches
der letzten Jahre geleitet, darunter etliche Begegnungen zwischen Roger Federer und Rafael Nadal.

Tabelle

Diese Tabelle demonstriert sehr gut, warum Hängepartien ein Gefühl des Nicht-zu-Ende-Gebrachten erzeugen. Denn aufgrund der ungeraden Anzahl von Spielern, der Ruhetage und der Hängepartien haben die Spieler nicht alle die gleiche Zahl an Partien. Ein Teilnehmer (Nepomniachtchi) kommt auf fünf Partien, drei Spieler haben drei Partien beendet, drei Spieler vier.

Partien

 

 

Fotos: Lennart Ootes, David Kaufmann

Turnierseite


Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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