Eine Revolution sorgt für eine Revolution
Wir schreiben das Jahr 1906. Der Herbst naht, die Stimmung ist bei Dr. Emanuel Lasker so trist wie das Wetter. Seit dem Turnier von Cambridge Springs im US-Staat Ohio 1904 lebt der Weltmeister in den USA. Der Grund waren weniger die Aussichten, die im Turnierschach geboten wurden, vielmehr strebte Lasker eine akademische Laufbahn in den USA an. Seine Bewerbungen wurden jedoch abgelehnt. Die Assistenzprofessur an der Universität von St. Louis, von der der Lasker-Biograph Dr. Jaques Hannak im Buch über Laskers Leben schreibt, gehört allerdings in den Bereich der Fabel. Ein Dutzend Vorträge an der Tulane University in New Orleans werden die einzigen Nachweise einer Tätigkeit in der Welt der Universitäten bleiben.
Nur im Schach war der Weltmeister gefragt. Simultantourneen, Vorträge und etwas Schachunterricht waren jedoch nicht der erhoffte Ansturm, den sich Lasker für seinen Amerikaaufenthalt vorgestellt hatte. Der letzte große Erfolg war also nach zwei Jahren in den USA der geteilte zweite Platz (mit David Janowski) in Cambridge Springs geblieben. Sieger war der US-Champion Frank Marshall mit klarem Vorsprung geworden. Der Meister aus New York hatte dann auch Lasker sofort zu einem Kampf um die Weltmeisterschaft herausgefordert, den Lasker jedoch abgelehnt hatte.
Seitdem brodelte es in der Schachwelt. Der Tenor: „Weshalb gibt es einen Weltmeister, aber keine WM-Kämpfe?“ Tatsächlich hatte es nach dem Rückkampf zwischen Lasker und Wilhelm Steinitz 1896/97 in Moskau keinen Titelkampf mehr gegeben. Damals hatte Lasker mit +10 =5 -2 dominiert. Jetzt, nach fast zehn Jahren, sollte wieder um den Weltmeistertitel gekämpft werden. 1905/06 machte der ungarische Meister Geza Maroczy eine monatelange Rundreise durch Nordamerika. Der hochgewachsene, stets freundliche, gebildete Meister kam beim Publikum gut an. Folgerichtig entstand die Idee, dass der Mathematiklehrer aus Budapest der nächste WM-Gegner von Lasker sein könnte.
Am 6. April 1906 war es dann soweit. Bei der Gründungsfeier des „Rice-Schachklubs“ in New York unterzeichneten Lasker und Maroczy den Vertrag über die Bedingungen für den Kampf. Danach zahlten beide Spieler bis zum 15. Oktober 1906 einen Einsatz von 2000 Dollar, nach dem Prinzip „the winner takes it all“. Bis zum 1. Juni 1906 sollten davon 500 Dollar als Reugeld gezahlt werden. Würde ein Spieler danach seine Zusage zum Wettkampf zurückziehen, fiele das Reugeld als Entschädigung an den anderen Spieler. Es sollte an drei Etappenorten auf acht Gewinnpartien gespielt werden. Erst in Wien, bis ein Spieler drei Gewinne erzielt hat, danach in Havanna bis einer fünf Siege aufwies, der Schluss in den USA. Beginn sollte der 15. Oktober 1906 sein.
Nachdem alles feierlich besiegelt war, geriet das Unternehmen ins Stocken. Zunächst zahlte Maroczy das Reugeld nicht. Weder bis zum 1. Juni noch später. Dann stellte er sich „tot“; weder Briefe noch Telegramme wurden von Maroczy beantwortet. Den einzigen Kontakt hatte das amerikanische Organisationskomitee telegraphisch zu dem Wiener Großmeister Georg Marco. Doch auch dessen Auskünfte blieben vage.
Erst am 23. September 1906 druckte die deutsche Schachzeitschrift „Wochenschau“ ein Lebenszeichen von Geza Maroczy ab. In einer ungarischen Zeitung ließ er sich darüber aus, dass seine Wiener Unterstützer den Vertrag neu verhandeln wollten und nannte dabei Baron von Rothschild und den Seidenfabrikanten Leopold Trebitsch. Außerdem beschrieb er äußerst bildhaft die instabile Lage auf Kuba: „Es herrscht Revolution. Die Lage ist völlig unsicher. Ich für meinen Teil möchte nicht in einem Saal spielen, in dem in die Decke krachende Gewehrkugeln den Stuck auf das Brett fallen lassen.“ Da konnte auch das versöhnliche Angebot „Man könne es ja im nächsten Jahr noch einmal versuchen, falls die Bedingungen bessere seien“ nichts mehr an dem Eklat ändern.
Die Amerikaner waren stocksauer. Es sollte 18 Jahre dauern, ehe Maroczy wieder in die USA (New York 1924) eingeladen wurde. Der Ärger über das höchst merkwürdige Verhalten von Maroczy verflog, und die Amerikaner suchten nach einer anderen Lösung. Die hatte man schnell gefunden: der unverwüstliche Marshall war bereit. Als Sieger von Scheveningen 1905 und Nürnberg 1906, sowie dem dritten Rang in Barmen 1905 konnte er auf beachtliche Erfolge verweisen.
Für Lasker kam der früher verschmähte Kandidat Marshall sehr gelegen. Jetzt konnte er seine schachliche Revolution starten. Schon 1903 hatte er nach der ersten Herausforderung durch Marshall, die daran scheiterte, dass Marshall die 2000 Dollar Einsatz nicht aufbringen konnte, geäußert. Lasker sagte damals über den Preisfond: „Meiner Ansicht nach sollte die Schachwelt, wenn sie das große Vergnügen, die Aufregung und den theoretischen Gewinn eines solchen Weltmeisterschaftskampfes wünscht, nicht solche Opfer von uns modernen Gladiatoren verlangen.“
Die New York Daily Tribune berichtet
Nun erneuerte er die Forderung, dass nicht die Kontrahenten sondern die Schachliebhaber das Spektakel bezahlen. Zeitschriften vertrat Lasker erneut die Meinung, dass die Schachwelt, die ja von diesem Wettkampf den Genuss habe, die 1000 Dollar für den Sieger aufbringen soll. Wäre die Summe bis zum 10. Dezember 1906 beisammen, könne der Wettkampf im Januar beginnen. Andernfalls nähme er an, dass die Schachwelt kein Interesse an diesem Wettkampf habe.
Zumindest die amerikanische Schachwelt hatte. Issac Rice und sein Klub stifteten allein über 250 Dollar. Am Ende waren deutlich mehr als die geforderte Summe beisammen, sodass die Spieler den Überschuss unter sich für Spesen aufteilten.
Am 26. Januar begann die WM in New York und führte in zweieinhalb Monaten über Philadelphia, Washington, Baltimore, Chicago, Memphis zurück nach New York. Lasker triumphierte nach nur 15 Partien ungeschlagen mit acht Siegen und sieben Unentschieden.
Alle Partien des Matches
Stand nach 15 Runden
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