Botvinnik und Pirc/Moderne Verteidigung

von Alex Yermolinsky
25.05.2017 – Mikhail Botvinnik hat in vielen Eröffnungsvarianten neue Ideen gefunden. Dabei hat er nicht einzelne Züge gefunden, sondern ganze Systeme entwickelt. Alex Yermolinsky schaut sich an, wie erfolgreich Botvinnik Pirc und Moderne Verteidigung gespielt hat. Und erzählt von einer denkwürdigen Begegnung mit dem Patriarchen des sowjetischen Schachs.

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Der Name des 6. Weltmeisters der Schachgeschichte, Mikhail Botvinnik, ist untrennbar mit der berühmten Sowjetischen Schachschule verbunden. Bis heute, 26 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, gilt der Patriarch, wie er nicht unbedingt liebe- aber respektvoll genannt wird, als derjenige, der den Grundstein für die anhaltenden Erfolge von Spielern aus Russland und den Sowjetrepubliken gelegt hat.

Botvinniks Vorbereitungsmethoden waren legendär: tiefes Studium der Eröffnungen, genaue Analysen von Hängepartien; körperlich fit bleiben; ein strenges Turnierregime, bis hin zum Festlegen des besten Weges zum Spiellokal, etc. All das hat ihm geholfen, 30 Jahre Weltspitze zu bleiben. Er gewann den Weltmeistertitel nach dem Tod Aljechins und behielt ihn (mit zwei kurzen Unterbrechungen nach Niederlagen in den Weltmeisterschaftskämpfen gegen Smyslov und Tal) 15 Jahre lang. Doch zwei Jahre nach seiner Niederlage im WM-Kampf gegen Petrosian 1963, und nachdem die Fide ihm ein Revanchewettkampf verweigert hatte, verkündete Botvinnik überraschend, dass er genug davon hatte, um die Weltmeisterschaft zu kämpfen.

Zu diesem Zeitpunkt war er 52 Jahre alt und immer noch gut in Form. Man kann nur spekulieren, was geschehen wäre, hätte Botvinnik beschlossen, an den Kandidatenwettkämpfen 1965 teilzunehmen, wozu er als Verlierer des vorherigen Weltmeisterschaftskampfes qualifiziert war. Wäre die Auslosung die gleiche geblieben, dann hätte er im Viertelfinale einen Wettkampf gegen Smyslov gespielt, den vierten in zwölf Jahren.

Aber es war wie immer: wenn Botvinnik eine Entscheidung getroffen hatte, dann war daran nicht zu rütteln. Er arbeitete weiter als Elektroingenieur und interessierte sich zunehmend für das wachsende Gebiet der Computerwissenschaften. Was das Schach betrifft, so beschränkte er sich auf Mannschaftsturniere und gelegentliche Ausflüge in die Urlaubsparadiese Monte Carlo und Palma de Mallorca.

Botvinnik (rechts) und sein berühmtester Schüler: Garry Kasparov

Und dann gab es da noch die Botvinnik-Schachschule, die großen Einfluss auf die junge Generation sowjetischer Spieler hatte. Ich wurde schon oft gefragt, wie es mir dort gefallen hat. Wenn ich dann sage, dass ich nie dort war, sind die Leute schockiert. Was meine persönlichen Begegnungen mit dem großen Mann angeht, so gab es nur eine davon, aber die wirkte lange nach, allerdings anders als der Leser vielleicht denkt.

Als ich etwa 14 Jahre alt war, spielte ich für eine Leningrader Mannschaft in einem neuen Turnier, das von der Zeitung Komsomolskaya Pravda gesponsert wurde. In jeder Mannschaft war ein Großmeister Kapitän und die Mannschaftswettkämpfe waren eine Kombination aus Handicap-Simultanpartien an sechs Brettern. Nehmen wir einmal an, wir haben gegen Moskau gespielt: in diesem Fall hat Spassky für Leningrad simultan gegen die Moskauer Jugendlichen gespielt und die Leningrader Jugendlichen mussten gegen Smyslov antreten. Die Ergebnisse wurden dann addiert. War nach 45 Zügen keine Entscheidung gefallen, dann wurden die Partien abgeschätzt, wobei Hauptschiedsrichter Botvinnik das letzte Wort hatte.

In Runde zwei spielten wir gegen Riga und Mikhail Tal zog vor uns seine Runden.

Mikhail Tal vs Alex Yermolinsky, 1972

[Event "Komsomolskaya Pravda"] [Site "Moscow"] [Date "1972.??.??"] [Round "2"] [White "Yermolinsky, Alex"] [Black "Tal, M."] [Result "1/2-1/2"] [ECO "A37"] [PlyCount "91"] [EventDate "1972.11.08"] [EventType "simul"] [EventRounds "5"] 1. Nf3 c5 2. g3 Nc6 3. Bg2 g6 4. O-O Bg7 5. c4 e6 6. Nc3 Nge7 7. d3 O-O 8. Bd2 d5 9. Qc1 b6 10. Bh6 Bb7 11. Bxg7 Kxg7 12. Rb1 $1 Nf5 13. a3 Rc8 14. b4 $14 Qf6 $1 15. Qb2 $6 dxc4 $1 16. dxc4 Ba8 $6 17. Rfd1 $6 cxb4 18. axb4 Rfd8 19. Qa3 $1 Ncd4 $11 20. Nxd4 Rxd4 21. Rxd4 Qxd4 22. Bxa8 Rxa8 23. c5 $1 bxc5 24. bxc5 Rc8 $15 25. Nb5 Qe5 26. Rc1 Qxe2 27. Nd6 $1 Rc6 $1 28. Nxf5+ gxf5 29. Qa1+ Kg6 30. Qxa7 $6 Qd2 $15 31. Ra1 $1 Qc3 32. Qa8 Rxc5 33. Qg8+ Qg7 34. Qxg7+ Kxg7 35. Kg2 Rc3 36. Ra4 e5 37. Ra6 f6 38. Ra7+ Kg6 39. Ra8 f4 40. gxf4 e4 41. Rg8+ Kf5 42. Rg7 h5 43. Rh7 Kg4 44. h3+ Rxh3 45. Rg7+ Kh4 46. Rg6 1/2-1/2

Ich hielt 45 Züge lang durch, dann wurde die Partie unterbrochen. Tal wirkte ein wenig verwirrt, wahrscheinlich war er müde, weil er fünf Stunden am Stück auf den Beinen gewesen war. Botvinnik kam an unser Brett und schaute sich erst auf die Stellung an, dann mich und meinte dann mit harscher Stimme: "Das Partieformular". Als wäre eine Partie gegen Tal nicht genug, um die Fassung zu verlieren, redete jetzt tatsächlich auch noch der Patriarch mit mir. Ich brachte kein Wort heraus, sondern gab ihm einfach mein Partieformular.

Botvinnik hatte schon ein paar Jahre kein Turnierschach mehr gespielt, aber sein Geist war immer noch wach und klar. In wenigen Sekunden spielte er die Partie im Kopf nach. Er hatte genug gesehen: angesichts meines feigen Spiels presste er die Lippen zusammen. Ohne ein Wort zusagen, gab mir der Patriarch das Partieformular zurück und das war's dann - für ihn hatte ich aufgehört zu existieren.

Mihail Tal bei einem Simultan in der UdSSR in den 1970ern

Er wandte sich an Tal und sagte, “Nun ja, Misha, wir wissen beide, dass Du gewonnen hättest, wenn die Partie weiter gespielt worden wäre, aber in der augenblicklichen Stellung kann ich nicht auf Gewinn für Schwarz entscheiden." Tal, der aussah, als wäre ihm das völlig egal, zuckte mit den Schultern und gab mir die Hand. Ich bekam meinen halben Punkt und lernte eine wichtige Lektion. Auch wenn die Stellung auf dem Brett totremis ist, so entscheidet am Ende doch derjenige, der das Sagen hat.

Ich liebe Abschweifungen. Ich könnte den ganzen Tag von meinen Erlebnissen mit Grandpa Simpson erzählen. Aber leider muss ich mich trotz großer innerer Widerstände wieder auf das Thema dieses Artikels konzentrieren, Botvinniks Antwort auf 1.e4 in den Jahren, als er nicht mehr Weltmeister war. Aber vorher noch ein bisschen Geschichte.

Botvinnik war zwar zunächst ein Anhänger von 1..e5, aber später gab er diesen klassischen Ansatz weitgehend auf und probierte stattdessen eine ganze Reihe von Eröffnungen, in der Regel als Vorbereitung auf sein nächstes WM-Match. Der klassische Sizilianer mit dem typischen gxf6 leistete ihm dabei recht gute Dienste - bis zu einer vernichtenden Niederlage gegen Keres beim Aljechin-Gedenkturnier 1956. Dann spielte er von kleinen Schlenkern zum Drachen abgesehen vor allem Französisch, aber in seinen Wettkämpfen gegen Smyslov und Tal erlitt auch diese Eröffnung heftige Schläge. Für die Revanchewettkämpfe gegen beide Spieler entschied sich Botvinnik für das solide Caro-Kann und das war dann auch die Situation nach dem Ende seiner WM-Tage. Und bei seinem Wettkampf gegen Petrosian musste er sich natürlich keine Sorgen wegen 1.e4 machen.

Botvinnik ging die Dinge grundsätzlich prinzipiell an und auch hier war das nicht anders: die Zeit für eine neue Eröffnung war gekommen und Botvinnik überraschte alle mit seiner Wahl der relativ unerforschten Pirc-Verteidigung, die sich später mit 1...g6 in die Moderne Verteidigung verwandelte. Erste Erfahrungen hatte er in einer bemerkenswerten Partie gegen Wolfgang Unzicker gesammelt, die ebenfalls beim Aljechin-Gedenkturnier 1956 gespielt wurde.

Wolfgang Unzicker vs Mikhail Botvinnik, 1956 (mit Anmerkungen von GM Valery Chekhov)

[Event "Alekhine mem"] [Site "Moscow"] [Date "1956.??.??"] [Round "?"] [White "Unzicker, Wolfgang"] [Black "Botvinnik, Mikhail"] [Result "1/2-1/2"] [ECO "B07"] [Annotator "Chekhov"] [PlyCount "39"] [EventDate "1956.??.??"] [EventType "tourn"] [EventRounds "15"] [EventCountry "URS"] [SourceTitle "MCL"] [Source "ChessBase"] 1. e4 d6 2. d4 Nf6 3. Nc3 g6 4. Bg5 h6 5. Bh4 (5. Bf4 Bg7 6. h3 c5 7. dxc5 Qa5 8. Qd2 Qxc5 9. Be3 Qa5 10. Bd3 Nc6 11. Nge2 Nd7 12. O-O $13 {Kholmov, R-Botvinnik,M/URS/1963/}) (5. Bxf6 exf6 6. Qd2 Bg7 7. O-O-O c6 8. Kb1 O-O 9. h4 f5 10. Bd3 fxe4 11. Nxe4 d5 12. Nc3 Qf6 13. Nge2 {Vasiukov,E-Parma,B/Suhumi/ 1966/} Bf5 $10) (5. Be3 $5) 5... Bg7 6. Be2 c5 7. e5 (7. dxc5 Qa5 8. Qd2 Qxc5 $10) 7... Nh5 (7... Nfd7 8. exd6 g5 9. Bg3 cxd4 10. Nb5 $36) 8. dxc5 (8. Bxh5 $2 cxd4 $1 9. Qxd4 (9. Nb5 Qa5+) 9... Bxe5 $17) 8... Nf4 9. Bg3 dxe5 (9... Nxe2 10. Ngxe2 dxe5 11. Qxd8+ Kxd8 12. O-O-O+) 10. Qxd8+ Kxd8 11. O-O-O+ Bd7 12. Bf3 Nc6 13. Bxf4 (13. Nge2 g5) 13... exf4 14. Nge2 h5 $1 (14... g5 15. Rd2 $5 (15. Bg4 $6 e6 16. Nb5 Ke7 17. Nd6 Ne5 $1 (17... Rab8 18. Nxf7 $1))) 15. Rd2 (15. Nxf4 $2 Bh6 16. g3 e5) 15... Kc8 16. Rhd1 Rd8 17. Nd5 e6 {[#]} (17... Rb8 $5) 18. Ne7+ $1 Kc7 (18... Nxe7 19. Bxb7+ Kxb7 20. Rxd7+ Rxd7 21. Rxd7+ Kc6 22. Rxe7 $16) 19. Nxc6 Bxc6 20. Nd4 (20. Nd4 Bxd4 (20... Bxf3 21. Nb5+ Kc6 22. Rxd8 ) 21. Rxd4 Rxd4 22. Rxd4 Bxf3 23. gxf3 g5 24. Kd2 $13) 1/2-1/2

Botvinnik (links) gegen Unzicker, 1961

Sechs Jahre später setzten die beiden bei der Schacholympiade in Varna 1962 ihre Diskussion dieser Variante fort.

Wolfgang Unzicker vs Mikhail Botvinnik, 1962 (mit Anmerkungen von Alex Yermolinsky)

[Event "Varna olm"] [Site "Varna"] [Date "1962.??.??"] [Round "?"] [White "Unzicker, Wolfgang"] [Black "Botvinnik, Mikhail"] [Result "0-1"] [ECO "B08"] [Annotator "AlexYermo"] [PlyCount "80"] [EventDate "1962.??.??"] [EventType "team"] [EventCountry "BUL"] [SourceTitle "MCD"] [Source "ChessBase"] 1. e4 d6 2. d4 g6 3. Nc3 Nf6 4. Nf3 Bg7 5. Be2 O-O 6. Bf4 Nc6 7. d5 ({The young Gata Kamsky played} 7. O-O {in our secret training match played in Kamskys' dinky apartment in a run down part of old Leningrad back in 1986. I faced numerous challenges in that encounter. Firstly, Gata was only 14, but already a formidable opponent. Secondly, one had to be diplomatic when dealiing with Gata's father, Rustam Kamsky, who was known for his quick temper. And thirdly, once the game was over the real challenge would be to get out of the neighborhood without being mugged by local denizens. I passed it all with flying colors. The game in question went} Bg4 8. d5 Nb8 $6 ({I wasn't sure about} 8... e5 9. dxc6 exf4 10. e5 dxe5 11. cxb7 Qxd1 12. Raxd1 Rab8 13. h3 Bf5 14. Ba6) ({but} 8... Bxf3 9. Bxf3 Ne5 10. Be2 c6 {was more relaible.}) 9. Qd2 Nbd7 10. h3 Bxf3 11. Bxf3 c6 12. Rad1 Qb6 (12... cxd5 $142 13. exd5 Rc8 { Black needs to resolve the situation without fear of opening the e-file. After all, Rf8-e8 is always there for him}) 13. b3 Rfc8 (13... cxd5 14. Nxd5 Nxd5 15. exd5 $14) 14. Na4 Qd8 15. dxc6 $1 bxc6 16. c4 Ne8 17. Qc2 ({The immediate} 17. c5 $1 {would pose huge problems}) 17... Ne5 18. Bg4 Nxg4 19. hxg4 e5 20. Bg3 Qe7 21. c5 dxc5 22. Nxc5 $16 {Somehow I managed to survive this.}) 7... e5 $1 { This energetic reply is the reason why Bf4 systems aren't popular to this day.} 8. dxe6 ({On} 8. Bg5 {Black can try} Nd4 ({A standard Kings Indian type of play,} 8... Ne7 9. Qd2 Nh5 10. O-O-O f6 11. Be3 f5 12. Bg5 fxe4 13. Nxe4 Nf4 { is there as well.}) 9. Nxd4 exd4 10. Qxd4 h6 {Black counts on a bishop pair to bail him out.} ({His counterplay after} 10... Nxe4 11. Qxg7+ Kxg7 12. Bxd8 Nxc3 13. Bxc7 Nxe2 14. Kxe2 Bf5 15. c3 Rfe8+ {may not be enough to safely reach a draw in a pawn down ending.}) 11. Bxf6 Bxf6 12. Qd3 Re8 13. O-O Bd7 {etc.}) 8... Bxe6 9. O-O Re8 10. Re1 h6 $1 {Botvinnik devises a plan directed against White's DSB.} 11. h3 g5 12. Be3 ({In a complex situation after} 12. Bh2 Nd7 13. Qd2 Nc5 {White is lacking adequate protection to his e4-pawn, and his Nf3 has no moves!}) 12... d5 $1 {This shot underlines a major difference between the Pirc and Kings Indian - having left his pawn on c2 White doesn't have firm control over the critical d5-square.} 13. exd5 Nxd5 14. Nxd5 Qxd5 15. c3 Qxd1 16. Rexd1 Rad8 17. Bb5 Bd5 18. Nd4 Bxd4 19. Bxd4 a6 20. Bxc6 Bxc6 {Of course, it should have been a draw, but Botvinnik's patience was rewarded with a full point.} 21. Re1 f5 22. f3 Bb5 23. b4 b6 24. Rxe8+ Rxe8 25. a4 Bc4 26. a5 Re6 27. axb6 cxb6 28. Kf2 Kf7 29. Re1 $6 {This can only be played if White is absolutely sure what he's going to do.} Rxe1 30. Kxe1 a5 31. bxa5 bxa5 32. g3 $2 ({With his king reaching the safe corner on a1 all White had to do is to reduce the number of pawn on the K-side, so he can sac his bishop for the last pawn. Therefore,} 32. f4 $1 a4 (32... gxf4 33. Be5 a4 34. Kd2 Bf1 35. Bxf4 h5 36. g4 $11) 33. Kd2 Bf1 34. fxg5 hxg5 35. g3 Bxh3 36. Be3 {draws.}) 32... a4 33. Kd2 a3 34. Kc2 h5 {Now it's pretty hard for White to stop the upcomiing breakthrough.} 35. h4 f4 $1 {[#]} 36. Be5 (36. Bf2 gxh4 37. gxf4 (37. gxh4 Kg6 38. Kb1 Kf5 39. Ka1 Bd5 40. Kb1 Bxf3 41. Ka2 Ke4 42. Kxa3 Kd3 43. Kb4 Ke2 $19) 37... h3 38. Bg3 Kg6 39. Bh2 Kf5 40. Kb1 h4 41. Ka1 Be2 42. Ka2 Bxf3 43. Kxa3 Be4 44. Kb2 Kg4 45. Kc1 Kf3 46. Kd2 Kg2 47. Ke3 Kxh2 48. Kf2 Bd3 {and White runs out of moves.}) ({The most challenging defense appears to be} 36. gxf4 gxh4 37. f5 h3 38. Be5 {but Black wins by brute calculation, which I'm sure would appeal to Botvinnik's scientific mind:} Bd5 39. Kb1 Bxf3 40. Ka2 Be4 41. f6 (41. Kxa3 Bxf5 42. Kb2 Ke6 43. Bb8 Kd5 44. Kc1 Ke4 {winning the race to the K-side.}) 41... Ke6 42. Kxa3 Bg6 $1 43. Bb8 Kxf6 {with the same outcome}) 36... Ke6 37. Bc7 gxh4 38. Bxf4 h3 39. g4 h4 40. Bh2 Be2 {The pawns will fall, adn then the black king will reach g2 before his white counterpart can get back.} 0-1

Zugegeben, die Gegner kamen ihm entgegen, aber Botvinniks Gesamtergebnis mit Pirc und der Modernen Verteidigung übertraf alle Erwartungen: +14 = 6 und nicht eine Niederlage! Eine große Rolle bei diesen Erfolgen des Ex-Weltmeisters spielte die Tatsache, dass er sich in Drachen- und Caro-Kann-Strukturen, auf deren Schnittstellen die Moderne Verteidigung beruht, so gut auskannte.

Und wie wäre es mit einer Partie, in der das thematische Qualitätsopfer zu sehen ist?

Aivars Gisplis vs Mikhail Botvinnik, 1963 (mit Anmerkungen von Alex Yermolinsky)

[Event "URS-chT"] [Site "Moscow"] [Date "1963.??.??"] [Round "?"] [White "Gipslis, Aivars"] [Black "Botvinnik, Mikhail"] [Result "0-1"] [ECO "B06"] [Annotator "AlexYermo"] [PlyCount "64"] [EventDate "1963.??.??"] [EventType "team"] [EventCountry "URS"] [SourceTitle "EXT 99"] [Source "ChessBase"] [SourceDate "1998.11.10"] 1. e4 g6 2. d4 Bg7 3. Nf3 d6 4. Bc4 Nf6 5. Qe2 {A popular system back in the day. Without any pretence White intends e4-e5. Botvinnik's opponent, Latvia's #2 after Tal, possessed a style similar to his famous compatriot.} c6 {In light of his opponent's intentions Botvinnik establishes control over the d5-square.} ({Apparently, today's common alternative} 5... Nc6 {which invites} 6. e5 dxe5 7. dxe5 Ng4 8. e6 Bxe6 9. Bxe6 fxe6 10. Qxe6 Nd4 {was not quite to his liking.}) 6. Bb3 (6. e5 Nd5 {actually leads us to Alekhine's Defense.}) 6... O-O 7. O-O (7. Nc3 Bg4 8. h3 Bxf3 9. Qxf3 e6 $1 10. Bg5 h6 11. Bh4 Nbd7 12. O-O-O Qa5 13. Qe2 ({a better plan would be to force the black knight back with} 13. Bg3 d5 14. e5 Ne8) 13... b5 14. f4 b4 15. Nb1 d5 $1 { Medina-Botvinnik, Palma de Mallorca 1967}) 7... a5 {Recently, we saw two games of Magnus Carlsen's in this line, both played in bullet competition stages of his matches on Chess.com} 8. a4 (8. a3 Bg4 9. Nbd2 Nbd7 $6 (9... e6 10. h3 Bxf3 11. Nxf3 d5 12. e5 Nfd7 13. c4 {illustrates the point of the modest a2-a3 move: White doesn't have a glaring weakness on b4.}) 10. h3 Bxf3 11. Nxf3 e5 ({ Too late for} 11... e6 {as White answers it in resolute manner:} 12. e5 dxe5 13. dxe5 Nd5 14. c4 $14) 12. dxe5 dxe5 13. c3 Nc5 14. Bc2 a4 $6 15. Nxe5 Re8 16. f4 $14 {Carlsen-Nakamura 1s+1spm Chess.com 2016}) (8. a4 e6 $5 9. e5 Nd5 10. exd6 Qxd6 11. Na3 {was Carlsen-Petrosian from the same competition.}) 8... Bg4 {The most logical. Botvinnik moves his LSB out before building a pawn chain on the same color squares.} (8... b6 $6 9. Rd1 Ba6 10. Qe1 Qc7 11. e5 dxe5 12. dxe5 Nd5 13. e6 fxe6 14. Ng5 Rf6 15. Nxe6 {1-0, Kramnik-Svidler, Dortmund Semifinals 2004}) 9. Nbd2 d5 10. e5 Nfd7 11. h3 Bxf3 12. Nxf3 e6 13. Bg5 ({Shouldn't White strike in the center first? Followed in another example from the Patriach's files.} 13. c4 Na6 14. Bg5 Qb6 15. Ba2 Nb4 16. Be7 Rfe8 17. Bd6 Nxa2 18. Rxa2 Qb3 19. Rfa1 Qxc4 20. Qxc4 dxc4 21. Nd2 Nb6 22. Bc5 Ra6 23. g3 Rd8 24. Rc1 Bf8 25. Ne4 Kg7 26. Kf1 Bxc5 27. dxc5 Rd4 28. Nd6 Nd7 29. Nxb7 Nxe5 $17 {Matanovic-Botvinnik, Belgrade 1969}) (13. Rd1 $1 c5 ({The preparatory } 13... Qb6 14. Ba2 Na6 {puts the black knight out of position, so White doesn't have to recapture on d4 with the pawn.} 15. c3 c5 16. Be3 cxd4 17. Bxd4 ) 14. c4 Qb6 15. Ba2 dxc4 16. d5 $1) 13... Qb6 14. Ra3 {Artificial.} c5 15. c4 dxc4 16. Bxc4 cxd4 $1 {Botvinnik doesn't give Gipslis a chance to recover and play d4-d5.} 17. Be7 Rc8 18. Bd6 Nc6 19. Rb3 Nb4 20. Ng5 {[#]} Rxc4 $1 { Unlike Petrosian trademark exchange sacrifices that often were defensive in nature and could be declined by the opponent, Botvinnik's were pure powerplay.} ({The ironclad battleship of Botvinnik's chess would not allow even a small leak to spring , such as in} 20... Nxe5 21. Bxe5 Bxe5 22. Qxe5 Rxc4 23. Ne4 Qc7 24. Nf6+ Kh8 25. Qg5) 21. Qxc4 Nxe5 22. Bxe5 Bxe5 23. Rf3 {Followed are a few moves of quiet preparation} Rf8 24. Rd1 Bg7 25. Ne4 e5 26. g4 h6 $1 {[#] What is White to do here?} 27. Rc1 ({A traditional approach calls for endgame, but} 27. Qc5 Qxc5 28. Nxc5 {will be answered by} b6 $1 29. Ne4 (29. Nd7 Rc8 30. Nxb6 Rc2) 29... f5 30. gxf5 gxf5 31. Nd6 {serves the purpose of stabilizing the situation. However, the unfortunate position of Rf3 makes White's prospects gloomy after} f4 32. Rc1 d3 33. Kg2 Rd8) ({Alternatively, insisting on g4-g5 with} 27. h4 {weakens the king:} Qd8 28. g5 Qd7 29. Rg3 Rc8) 27... Qd8 $1 28. Qc7 Qd5 $1 {As we have often seen on Patriarch's games it's all about centralization.} 29. Nf6+ Bxf6 30. Rxf6 Nd3 31. Qc4 Qe4 32. Qc2 Kg7 0-1

Eine interessante Frage, auf die wir die Antwort nie erfahren werden, ist die, wie ein Wettkampf zwischen Fischer und Botvinnik verlaufen wäre, hätten die beiden 1970 gegeneinander gespielt. Der Patriarch selbst meinte, er hätte einen solchen Wettkampf wahrscheinlich verloren und tatsächlich wäre es schwer gewesen, gegen den vielleicht besten Spieler, der je gelebt hat, anzutreten, und ihm dabei ein Altershandicap von 32 Jahren einzuräumen. Doch in Anbetracht von Botvinniks mentaler Stärke bezweifle ich, dass er so untergegangen wäre wie Taimanov und Larsen ein Jahr später. Schade, dass die Verhandlungen gescheitert sind, denn dieser Wettkampf hätte Geschichte geschrieben.

Mikhail Botvinnik hat einmal gegen den 32 Jahre jüngeren Bobby Fischer gespielt, bei der Schacholympiade 1962 in Varna.

Doch was hätte Botvinnik gegen Fischers 1.e4 gespielt? Wahrscheinlich mehr als eine Eröffnung und die Pirc-Verteidigung hätte eine dieser Eröffnungen sein können.

Schauen wir uns an, wie Mikhail Moiseevich Bobbys geliebten Dreibauernangriff behandelt hat.

Franciscus Kuijpers vs Mikhail Botvinnik, 1966 (Anmerkungen von Alex Yermolinsky)

[Event "IBM"] [Site "Amsterdam"] [Date "1966.??.??"] [Round "5"] [White "Kuijpers, Franciscus Antonius"] [Black "Botvinnik, Mikhail"] [Result "0-1"] [ECO "B09"] [Annotator "AlexYermo"] [PlyCount "108"] [EventDate "1966.??.??"] [EventType "tourn"] [EventRounds "9"] [EventCountry "NED"] [SourceTitle "MCL"] [Source "ChessBase"] 1. e4 g6 2. d4 d6 3. Nc3 Nf6 4. f4 Bg7 5. Nf3 O-O 6. Bd3 Nc6 7. e5 Ne8 $5 (7... dxe5 8. fxe5 Nh5 {is a modern line.} (8... Nd5 9. Nxd5 Qxd5 10. c3 Bg4 11. Qe2 Rad8 12. Be4 Qd7 13. Be3 f6 14. O-O-O {was the recent game Karjakin-Van Wely, Tata Steel 2017. Black encountered difficult problems there.}) 9. Be3 f6 10. exf6 exf6 11. O-O {From this position Anand lost a blitz game to Dubov in the last year's World Rapid and Blitz Championship.} ({Clearly better choice was} 11. Qd2 Bg4 12. O-O-O {As a rule in the Pirc White enjoys a considerably better success rate with long castling than in the Kings Indian. Small wonder, as his king is safer under the cover of the c2-pawn, and the extra tempo also comes in handy.})) 8. Be3 Nb4 $1 9. Bc4 Bf5 10. Rc1 (10. Bb3 {would still be answered by} c5 $1 11. Qe2 (11. dxc5 dxe5 12. Nxe5 Qxd1+ 13. Rxd1 Bxc2 { is about equal.}) 11... c4 12. Qxc4 Nxc2+ 13. Bxc2 Bxc2 {and the strong LSB gives Black hopes in his fight against White's powerful center.}) 10... c5 $1 11. d5 Bg4 {The e5-pawn came under assault, and Whiute decided to part with it rather than help Ne8 back into the game.} 12. O-O $5 dxe5 13. fxe5 Bxe5 14. Qe1 Bxf3 15. Rxf3 Nd6 16. Bf1 {[#] Normally, we'd expect to see Botvinnik on the White side of a Benoni agains the likes of Tal or Stein. Perhaps influenced by his adversaries play, Botvinnik decided to sac the c5-pawn, which he wasn't forced to do.} Nf5 $5 (16... Rc8 17. a3 Na6 $15) 17. Bxc5 Bd6 18. Bf2 Rc8 19. a3 Rxc3 $6 {Thematic, but a step too far.} 20. bxc3 Nxd5 21. Rd1 $6 {Imprecise. } ({One can imagine R.J. Fischer conducting the game in a more energetic fashion:} 21. c4 Nf6 22. c5 Bb8 23. Rd1 Qc7 24. g3 Ng4 25. Bh3 {etc.}) 21... Nf6 22. Bd3 Ng7 23. h3 Qc7 24. a4 Nd7 25. Bg3 Ne5 26. Bxe5 Bxe5 27. Be4 b6 { Black has stablized the situation, and the rest of the game features the steamroller effect Botvinnik's play has always impressed on on his opponents.} 28. Rfd3 Bd6 29. Bf3 Ne6 30. Kh1 Nc5 31. Rd4 Be5 32. Rc4 a5 33. Qd2 Bg7 34. Qd5 Rc8 35. Bg4 e6 36. Qd6 Be5 37. Qd2 f5 38. Bf3 Bf6 39. Qe2 Kf7 40. Qe3 Bg7 41. Qd2 Be5 42. h4 Qe7 43. Qh6 Bg7 44. Qe3 Rd8 45. Rxd8 Qxd8 46. h5 e5 47. h6 Bf6 48. g4 e4 49. Be2 Be5 50. Qf2 Qg5 51. gxf5 gxf5 52. Rxc5 bxc5 53. Bc4+ Kg6 54. Qxc5 Qxh6+ 0-1

Karpovs klassischer Aufbau mit Sf3, Le2 kam in der folgenden Partie zur Anwendung und hier erwies sich der Patriarch wirklich als bahnbrechend.

Marat Muhutdinov vs Mikhail Botvinnik, 1967 (mit Anmerkungen von Alex Yermolinsky)

[Event "URS-chT"] [Site "URS"] [Date "1967.??.??"] [Round "?"] [White "Muhutdinov, Marat"] [Black "Botvinnik, Mikhail"] [Result "0-1"] [ECO "B08"] [Annotator "AlexYermo"] [PlyCount "74"] [EventDate "1967.??.??"] [EventType "team"] [EventRounds "11"] [EventCountry "URS"] [SourceTitle "MCD"] [Source "ChessBase"] 1. e4 g6 2. d4 Bg7 3. Nc3 d6 4. Nf3 Nf6 5. Be2 O-O 6. O-O Bg4 7. h3 Bxf3 8. Bxf3 Nc6 9. Ne2 e5 10. c3 Re8 $6 {This forces White's hand in the center, but in the closed formation that rook doesn't belong to e8.} ({Modern experts on the Pirc prefer} 10... Kh8) (10... a5) ({or} 10... Nd7) 11. d5 Ne7 12. g4 $5 { An interesting attempt directed againstr Black's main plan with f7-f5.} (12. c4 Nd7 13. Nc3 f5 {is standard issue.}) 12... h6 13. Ng3 c6 14. c4 {[#] Botvinnik was not known for his Kings Indian skills, but here he paves the road for his future pupil Garry Kasparov's exploits in similar structures - see Timman-Kasparov, World Cup Reykjavik 1988.} b5 $5 15. cxb5 cxd5 16. exd5 a6 17. Be3 $2 {Too much respect for the living legend.} (17. bxa6 Rxa6 18. a4 $1 Qa8 19. Bd2 Nexd5 20. b4 e4 21. Bg2 {was the right plan, putting the emphasis on the connected passers.}) 17... axb5 18. Qd2 Kh7 19. a3 Qd7 20. Rac1 Ra4 $1 { A pretty cool way to support e5-e4. Who says Botvinnik's chess was boring?} 21. Rc2 e4 22. Bg2 Nexd5 23. Rfc1 $2 ({Of course, the bishop was worth saving.} 23. Bd4 Qe6 24. Ne2 {with mutual chances, although the extra pawn already speaks in Black's favor.}) 23... Nxe3 24. fxe3 Ra7 25. Ne2 Re5 {That boring centralization again.} 26. Nd4 Rb7 27. Nc6 Rd5 28. Qb4 h5 $1 {The beginning of the end.} 29. gxh5 Rxh5 30. Rd1 d5 31. Nd4 Rg5 32. Kf1 Nh5 33. Rf2 Qc7 34. Ke2 Rg3 35. Rdf1 Rxe3+ 36. Kxe3 Bh6+ 37. Ke2 Ng3+ 0-1

1970 verteidigte Botvinnik die Flagge des Vaterlands ein letztes Mal. Im Wettkampf UdSSR gegen den Rest der Welt spielte er bescheiden an Brett acht. In seinen beiden Schwarzpartien gegen Jugoslawiens Nummer zwei, Milan Matulovic, spielte er Pirc/Moderne Verteidigung. Hier sind die Partien mit den Anmerkungen aus dem Bulletin des Wettkampfs.

Milan Matulovic vs Mihail Botvinnik, 1970 (Anmerkungen aus dem offiziellen Bulletin)

Abschließend möchte ich noch hinzufügen, dass Botvinnik trotz seiner Erfolge mit der neu entdeckten Eröffnung die Nachteile dieser Variante durchaus kannte. In wichtigen Begegnungen in der Spätphase seiner Karriere schenkte er der Caro-Kann-Verteidigung mehr Vertrauen, vor allem wenn er gegen starke Spieler antreten musste. So griff er gegen Tal (UdSSR Spartakiade 1964), Gligoric (Mannschaftseuropameisterschaft 1965), Spassky und noch einmal Tal (Mannschaftsmeisterschaft der UdSSR 1966) zur Caro-Kann-Verteidigung. Das Gleiche gilt auf für Botvinniks letztes Turnier, Leiden 1970, ein Rundenturnier mit vier Spielern: Spassky, Larsen und Donner – hier gab es keine Moderne Verteidigung.

Man könnte sagen, dass der große Meister, der das Ende seiner Karriere in einem Schachumfeld genoss, das recht entspannt war, mit Pirc/Moderner Verteidigung ein wenig experimentierte. Bei diesem System musste sich Botvinnik keine Sorgen über die neuesten theoretischen Entwicklungen machen, so langsam sie damals auch im Vergleich zu heute bekannt wurden. So entschied er sich für 1...g6 mit Schwarz und 1.c4 mit Weiß und danach hieß es einfach Schach spielen!

Übersetzung: Johannes Fischer


Alex Yermolinsky ist Großmeister und Autor zahlreicher populärer Bücher. Er wurde am 11. April 1958 in Leningrad geboren und emigrierte 1990 in die USA, wo er heute noch lebt.

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