ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Bessel Kok
„Yvette, why don´t you take a class of champagne?“ Vlastimil und ich lieben diesen Satz von Ihnen. Ist er Ihr Lebensmotto?
Ja, das könnte passen. Ich habe noch nie so darüber gedacht, aber das ist ein gutes Lebensmotto.
Sie leben seit 1995 in Prag – War die „Unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ der Grund für diese Entscheidung?
Nein, nein. Der Grund war Vaclav Havel. Ich bekam das Angebot, das Telefonnetz für die Tschechoslowakei aufzubauen. Eigentlich war ich nicht so daran interessiert, denn ich war zu dieser Zeit in Berlin sehr glücklich. Gemacht habe ich es schließlich, um meinen Kontakt zu Havel aufzufrischen. Dann habe ich die Cesky Telekom für 10 Jahre mit viel Freude geleitet. Ich hatte 28.000 tschechische Angestellte, aber auch 1 Million Tschechen, die auf die Einführung des Telefons warteten. Bis ihr Anschluss dann endlich klappte, waren einige schon verstorben.
Vaclav Havel – Freiheitskämpfer und Staatspräsident. Sie waren lange sein Begleiter und Freund?
Ja! – und das habe ich dem Schach zu verdanken. Im Mai 1990, fünf Monate nach der Revolution, haben wir eine Partie Schach gespielt. Wir feierten gemeinsam die Rückkehr der tschechoslowakischen Großmeister - Dissidenten. Meine Rückkehr nach Tschechien, 1995, war eine glückliche Wiederbelebung unserer Beziehung. Für mich bleibt er der Mandela des Ostens.
Was schätzen Sie an Ihrer neuen Heimat?
Für mich ist das eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Tschechien wird als Land unterschätzt. „Ost Europa“, sagen viele Holländer mit ein wenig Arroganz. Die Tschechen sind nicht arrogant. Gerne mag ich den zynischen Humor der Tschechen, das bisschen Schwejk in ihnen. Aber all das Positive, das ich hier erwähne, gefällt den Tschechen selbst nicht. Sie sind eigentlich recht kritisch zu ihrem Land.
Meine Sympathie für Tschechien hat natürlich auch einen praktischen Grund: Ich habe hier meine Frau und Familie gefunden und bin glücklich verheiratet.
Tschechisches Bier oder französischer Wein?
Französischer Wein, ganz klar.
Schach früher – Schach heute?
Ich bin nicht sentimental. Früher war nicht alles besser. In 90% der Fälle ist das Unsinn, Geschwätz der alten Leute. Aber im Schach trifft es zu! Erstmal, früher gab es keinen Computer – jetzt ist er im Schach nicht mehr wegzudenken. Die Vorbereitung, Analyse, alles hat sich dadurch um 180 ° gedreht. Zweitens hat sich dadurch auch die Charakteristik der Topspieler verändert. Ich habe mich dazu einmal so geäußert: „Die Großmeister sind von romantischen, burgundischen, belesenen, rauchenden, weintrinkenden Intellektuellen zu joggenden, milchtrinkenden Computer-Nerds mutiert.“
Drittens hat sich das Spieltempo geändert – die Zeit zum tiefen Nachdenken fehlt. Alles muss schneller und schneller werden, abgebrochene Partien darf es nicht mehr geben.
All das macht mir Sorgen. Das Interesse am Schach beim großen Publikum wird immer kleiner. Die Identifikation mit Spitzenspielern ist nicht mehr so einfach. Helden im Schach gibt’s zwar noch, aber nur sporadisch. Das müsste man ändern. Wenn heute zu einem kleinen Turnier ein bedeutender Spieler aus früheren Zeiten erscheint, erregt das mehr Aufmerksamkeit als wenn zwei junge aufstrebende Chinesen mit hoher Elo-Zahl ein Match spielen.
Die Position vom heutigen FIDE-Präsident Iljumschinov ist geschwächt, seine Prinzengarde ist nah an einer Revolte. Hätten Sie Lust, noch einmal zu kandidieren?
Nein, nein, nein! Zum einen habe ich es in Turin 2006 versucht. Dort habe ich gelernt, dass ein FIDE-Präsident viel, sehr viel Geld braucht, aber teilweise auch unter dem Tisch.
Die FIDE-Organisation besteht aus hunderten kleiner Funktionäre und die machen alle ihren kleinen Job – eine Organisation innerhalb einer Organisation. Sie machen! Nur eines wollen Sie nicht, Veränderung! Es sind sicher gute Leute, aber sie klammern sich an ihre kleinen Funktionen und Jobs. Meine Kandidatur würde ihnen zu viel Unruhe bringen.
Sie hatten sich in Turin beworben und gegen Iljumschinov mit ein paar Stimmen verloren. Ging es damals mit rechten Mitteln zu?
Nein, nein, aber ich kann das nicht beweisen. Ich habe verloren, aber ich habe es auch miterlebt, wie Abgeordnete, die mir ihre Stimme zugesagt hatten, aus mysteriösen Gründen einen Abend vorher umkippten.
Was denken Sie heute über Iljumschinov?
Er liebt Schach und hat viel für das Schach getan. Das kann man nicht unbedingt von seinen Adjutanten sagen. Seine ehemaligen Kontakte zu Gaddafi, Saddam Hussein etc. sind allerdings vollkommen inakzeptabel. Er ist ein kontroverser Mann. Jedoch noch schlimmer finde ich die Haltung seiner damals loyalen Vertreter, die ihm alles zu verdanken haben - zum Beispiel Makropoulos und seine Kollegen. Die FIDE ist wirklich ein Schlangennest.
Wenn nicht Sie, wer wird der nächste FIDE-Präsident?
Es gibt keinen Kandidaten, so enden wir wahrscheinlich bei Makropoulos. Ich bin nicht sicher, aber er unterstützt die Interessen der meisten Funktionäre – keine Änderung also. Das Schach kommt dabei zu kurz.
Während Ihrer SWIFT-Karriere waren Sie Initiator der GMA (Grandmaster Assoziation). Ist es mit der Chess Trade Union zu vergleichen?
Auf jeden Fall war es meine schönste Zeit im Schach. Man kann die GMA mit der Tennis Assoziation vergleichen. Die GMA wurde gegründet, um die Konditionen für die Schach-Profis international zu verbessern. Ein Turnierzyklus sollte installiert werden - der Weltcup! Sechs Turniere im Jahr, an denen 30 Topspieler der Welt teilnehmen konnten. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Ost und West war auch ein Ziel. Es war eine phantastische Periode im Schach, die Jahre von 1987 bis 1993.
Woran ist die Idee gescheitert?
Wir waren anfangs sehr erfolgreich. Spitzenmanager Kavalek, top World Cup Turniere, zufriedene Großmeister und ein gut funktionierendes Büro in Brüssel. Timman und ich hatten einen Vorschlag erarbeitet, um unabhängig neben der FIDE existieren zu können. Die FIDE sollte 25% der Preisgelder bekommen und wir hätten unabhängig, aber friedlich nebeneinander funktionieren können. Diesen Vorschlag wollte ich allen Großmeistern vorlegen, um ihr o.k. zu bekommen. Garry Kasparov verfolgte eine andere Strategie, er wollte sich völlig von der FIDE trennen. Ich war damit nicht einverstanden, ich betrachtete das als einen Fehler, denn uns fehlte die Infrastruktur um die Aufgaben der FIDE übernehmen zu können.
So kam es zu der großen GMA-Versammlung in Murcia 1992. Ich erinnere mich noch gut, Garry kam in Begleitung eines berühmten französischen Advokaten. Ich habe meine Position deutlich gemacht und die Argumente dafür vorgetragen. Eine Vielzahl von Reden folgte. Dann kam es zur Abstimmung und zu einem Drama. Der Vorschlag von Timman und mir hatte die meisten Stimmen bekommen. Garrys Entwicklung im Demokratieprozess bei dieser Entscheidung war noch nicht soweit.
Nach der verlorenen Abstimmung sagte er: „Ich verlasse die GMA. Ich gehe meinen eigenen Weg.“ Das war schrecklich, denn er war der Weltmeister. Für mich ein Desaster, ich hatte gleichzeitig gewonnen und verloren! Wir hatten damals einen exzellenten Aufsichtsrat mit Karpov, Larsen, Nunn, Portisch, Timman, u.a. – alle arbeiteten hart und ich war stolz darauf. Leider endete mit Kasparovs Austritt die GMA.
How I became World Champion Vol.1 1973-1985
Garry Kasparov ist nicht nur einer der besten Schachspieler der Welt, er ist auch ein ausgezeichneter Schachtrainer. Im Rückblick auf seine Karriere zeigt der 13. Weltmeister eine Auswahl seiner besten Partien - mit auch heute noch verblüffenden Ideen
Karpov oder Kasparov? Wer wäre der bessere Kandidat?
Kasparov! Ich habe große Konflikte mit ihm gehabt, aber er ist (noch immer) das Synonym für Schach. Er ist ein bisschen der Björn Borg im Schach. Das ist nicht Anti-Karpov, denn ich habe beide während meiner Kandidatur für die FIDE unterstützt. Karpov ist eher der ruhige Verwalter. Leider hätte auch Kasparov kaum eine Chance, denn sein Unruhe-Faktor ist doppelt so hoch wie meiner.
FIDE oder FIFA – würden Sie beide Organisationen gleich einstufen?
Es gibt sicher Übereinstimmungen. Der neu gewählte FIFA-Präsident verfolgt die gleichen Interessen wie Blatter. Der holländische Kandidat wollte Änderung und ist ohne Chance geblieben. Föderationen entwickeln ihre eigene Kultur und vergessen den Sport!
Kosmopolit, Bohemien, Mäzen, Ökonom…
Ja und Kunstliebhaber.
Sie sind ein bekannter Ökonom – quo vadis Europa?
Ich bin ein kritischer Europa-Fan. Komischerweise kann der Brexit Europa helfen. „A blessing in disguise“, sagt man in Englisch. Plötzlich müssen in Europa wieder alle an einem Strang ziehen und England ist zum gemeinsamen Feind geworden. Ich bin ein Europäer, aber die Reformen sind nötig und notwendig. Womit wir wieder beim Thema wären. Wie macht man eine Reform mit Leuten in Brüssel, die ein Vermögen verdienen und an ihren Stühlen festkleben?
Wer wird der nächste tschechische Präsident?
Keine Idee. Der heutige Präsident Miloš Zeman hat seine Kandidatur noch nicht bekanntgegeben. Die Frage kommt zu früh.
Wird Macron seine Reformen in Frankreich durchsetzen können?
Ich denke, nur teilweise… Er wird auch Probleme haben, die er jetzt noch unterschätzt. Ich habe Angst, dass er gezwungen sein wird, Kompromisse zu machen. Aber es ist gut, dass in Frankreich solch ein frischer Wind weht.
Was denken Sie über den Brexit?
Total unnötig. Ich glaube, die Ursache dafür waren zwei unglaublich naive, politische Fehlleistungen… Erstens Cameron, der ein (unnötiges) Referendum organisierte, wettete und verlor. Dann Madame May, die eine Neu-Wahl organisierte, wettete und auch fast verliert. Ich glaube, dass die Briten irgendwo tief in ihrem Herzen jetzt frustriert sind.
Die tschechische Krone ist im Aufschwung gegenüber dem Euro.
Die tschechische Krone ist durch Interventionen künstlich niedrig gehalten worden – jetzt sind diese aufgehoben und die Krone bekommt ihren angemessenen Wert.
Was sagen Sie zu der Entwicklung in Griechenland?
Europa ist verantwortlich dafür. Man hätte Griechenland kein Geld geben dürfen, ohne gute Absprachen. Solche Absprachen müssen getroffen werden, bevor alles Geld ausgegeben ist. Jetzt muss die griechische Bevölkerung den Preis dafür zahlen. Ich finde, dass wir den Griechen weiter helfen müssen, ob wir wollen oder nicht. Es kann nicht sein, dass die griechische Bevölkerung jetzt für die Fehler der Europäischen Gemeinschaft büßen muss.
Angela Merkel war zu Zeiten des Eisernen Vorhangs in Prag. Was denken Sie über ihre heutige Politik?
Ich bin ein Bewunderer von ihr. Nicht mit allem, was sie macht, bin ich einverstanden, aber sie hat große Führungsqualitäten. Es gibt eigentlich nur einen Mann in Europa, den ich bewundere und das ist Frau Merkel. Alle anderen führenden Politiker in Europa verblassen gegen sie.
Frauen, Schach, Literatur, Dolce Vita …
Frauen sind meine besten Kameraden. Ich fühle mich wohl in ihrer Gesellschaft, ich fühle mich bei ihnen zu Hause. Dolce Vita ist mein Lebensstil, ich habe einen optimistischen Blick auf die Welt. Schach bleibt meine Leidenschaft, wie das Lesen. Ich lese regelmäßig - meine letzte Entdeckung war Philipp Roth.
Wo liegen Ihre Prioritäten heute?
First, meine Familie, meine Frau Martina, mein kleiner Sohn Daniel und selbstverständlich auch meine schon erwachsenen Kinder aus der ersten Ehe. Ich will weitermachen mit allem, was ich schätze. Ich möchte weiterhin Projekte, die ich gut finde, unterstützen. Außerdem neue Aktivitäten ausbauen.
Ich bin im Aufsichtsrat des größten Dokumentarfilmfestival der Welt und Vorsitzender vom Quick-Step Floors Radsportteam. Wir haben zwei deutsche Fahrer, Kittel und Schwarzman, unter Vertrag und stehen jetzt an der Spitze im Welt Ranking. Auch in Prag bin ich aktiv – bin Vorsitzender des Kunsthauses „Dox“ und im Aufsichtsrat des tschechischen Theaters „Archa“. Darüber hinaus arbeite ich an der Biographie der Emmanuelle-Darstellerin Sylvia Kristel mit, sie war eine gute Freundin von mir.
Last but not least unterstütze ich Schach, meine alte Liebe. Sie ist noch nicht tot, sie flackert von Zeit zu Zeit immer wieder auf.
Wird es eine Biographie über Bessel Kok geben?
Ja, der belgische Journalist Hugo Camp arbeitet bereits daran. Aber es wird keine chronologische nach Daten werden. Alle meine Lebensthemen sollen dort ein Dach über dem Kopf finden.
„Je ne regrette rien“ – würden Sie gerne etwas in Ihrem Leben rückgängig machen?
Alles war gut. Vielleicht war es ein Fehler, 1989 Präsident von Belgacom zu werden. Das war ein politischer Alptraum, der fünf Jahre gedauert hat. Zwar bin ich stolz auf die Ergebnisse, aber vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre bei SWIFT geblieben.
Zum guten Schluss, auf meinem Grabstein könnte stehen „I had fun“.