Nur 30 Minuten nach Ende seiner Schlussrundenpartie gegen Michael Adams musste Fabiano Caruana gegen Ian Nepomniachtchi einen Blitz-Wettkampf um den Sieg bei den London Chess Classic 2017 spielen. Nepomniachtchi gilt als einer der besten Blitzer der Welt und war nach einem schnellen Remis in der Schlussrunde weit ausgeruhter als Caruana.
Aber wie sollte Caruana die halbe Stunde, die er bis zu Beginn des Play-Offs noch hatte, nutzen, um fit zu werden? Für Vorbereitung war die Zeit zu knapp. Stattdessen entschied sich Caruana für einen kleinen Imbiss - und Schach. Er schaute zu, wie sein Ex-Manager IM Lawrence Trent gegen Maxime Vachier-Lagrave im Blitzen antrat, Trent hatte drei Minuten, Vachier-Lagrave nur eine.
3 Minuten für Trent, 1 Minute für Vachier-Lagrave!
Doch dann wurde Caruana auf die Bühne gebeten, um zum Stichkampf um den Sieg bei den London Chess Classic gegen Nepomniachtchi anzutreten. Zuerst standen zwei Blitzpartien mit einem Zeitlimit von 10 Minuten für die ganze Partie und 5 Sekunden "Delay" pro Zug auf dem Programm. Sollte dieser Mini-Wettkampf 1-1 Unentschieden ausgehen, würde es zwei weitere Blitzpartien geben, dieses Mal mit einer Bedenkzeit von 5 Minuten für die ganze Partie sowie einem "Delay" von drei Sekunden pro Zug. Danach würde eine Armageddon-Partie entscheiden. Doch nachdem die ersten drei Blitzpartien alle Remis wurden, gewann Caruana die vierte Blitzpartie und damit auch die London Chess Classic.
Am nächsten Tag fand er Zeit für ein Interview.
Das Interview zum Nachhören
Macauley Peterson: Hi Fabiano. Die London Chess Classic sind gestern zu Ende gegangen. Zum Abschluss haben wir einen sehr spannenden und aufregenden Stichkampf erlebt. Am meisten verblüfft hat mich dabei allerdings, wie ruhig Du in den Wettkampf gegangen bist. Du hast nicht den Eindruck gemacht, gleich ein Playoff zu spielen, das über den Turnierausgang entscheidet.
Fabiano Caruana: Nun, ich glaube, wenn man eine Partie spielt, die sechs Stunden dauert, dann entspannt man sich mental, wenn sie zuende ist. Das habe ich gemacht. Ich habe den Stichkampf ernst genommen, ich wollte gut spielen, aber ich habe es auch so gesehen, dass ich mein wichtigstes Ziel mit Stichkampf bereits erreicht hatte - den geteilten Turniersieg. Und beim Stichkampf ging es nicht um Geld, sondern nur um den Titel und das Prestige — natürlich wollte ich gewinnen, denn schließlich ist das mein erster Sieg bei den London Chess Classic, einem der großen Superturniere mit den besten Spielern der Welt, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, ich hätte das Wichtigste schon erledigt und könnte mich einfach entspannen, blitzen und den Wettkampf genießen. Und ich glaube, für ihn war der Druck stärker — und das ist wahrscheinlich der Grund, warum er am Ende nervös wurde und ich die Dinge im Griff behalten konnte.
Die Bühne für den Stichkampf ist bereitet | Foto: Lennart Ootes
MP: In der ersten Partie stand ein Königsindischer Angriff auf dem Brett und ihr habt am Ende Remis gemacht, als beide nur noch sehr wenig Zeit auf der Uhr hatten. Ich hatte den Eindruck, ihr beide wolltet den Wettkampf auf dem Brett entscheiden, anstatt sich auf haarige zweischneidige Zeitnotduelle einzulassen.
FC: Nun gut, ich stand die ganze Partie über schlechter, ich dachte einmal sogar, dass ich auf Verlust stand, aber als wir dann doch ins Endspiel kamen, habe ich ihn allmählich überspielt. Und irgendwann, nachdem ich die ganze Partie über weniger Zeit hatte als er, war der Zeitverbrauch plötzlich auch ungefähr ausgeglichen; wir hatten beide noch etwa zwölf Sekunden. Dann bietet er Remis an, ich denke ein bisschen nach und sehe dann, dass ich noch sieben Sekunden habe. In diesem Moment konnte ich bei der Bedenkzeit einfach keine Entscheidung treffen. Also habe ich mir gesagt, okay, Remis ist in Ordnung.
Hätte ich weitergespielt, hätte es Chaos gegeben. Wahrscheinlich stehe ich besser, aber erstens habe ich keine klare Fortsetzung gesehen, und dann bin ich wahrscheinlich psychologisch im Hintertreffen, wenn ich das Remis ablehne. Man hat dann leicht das Gefühl, man muss etwas beweisen, während er einfach sehr schnell Züge macht, während ich kämpfe. Und ich hatte das Gefühl, meine Zeit würde sehr knapp werden und die Dinge könnten schiefgehen. Gut, ich hätte die Partie gewinnen können, und man kann meine Entscheidung kritisieren, aber ich glaube, die Partie ist völlig offen und im Grunde genommen stehen die Chancen 50/50. Und ich wollte nicht, dass der Stichkampf von einer Zeitnotschlacht mit offenem Ausgang abhängt.
MP: Ja, ich glaube, dieses Gefühl kennen Spieler jeder Spielstärke, wenn sie ein solch strategisches Remisangebot bekommen.
FC: Genau.
Fabiano Caruana und Ian Nepomniachtchi amüsieren sich | Foto: Lennart Ootes
MP: In der zweiten Partie stand eine Art Sizilianer auf dem Brett, der schließlich zu einem geschlossenen Sizilianer wurde. Die Partie schien so ähnlich zu verlaufen wie die erste: Du hattest weniger Zeit auf der Uhr, er bot Remis an.
FC: Ich glaube, er stand wieder besser, aber hat keine allzu großen Anstrengungen unternommen. Er hätte mir wahrscheinlich ernste Probleme bereiten können. Aber die Schlussstellung ist mehr oder weniger ausgeglichen. Ich stehe ein bisschen schlechter, und ich glaube, ich hatte noch ungefähr vier Minuten auf der Uhr — genug Zeit, um die Probleme zu lösen.
Da habe ich mir keine großen Sorgen mehr gemacht und er hatte wohl auch keine Hoffnung mehr, das Endspiel gewinnen zu können. Das Interessante an dieser Stellung ist, dass er selbst im Endspiel Probleme hat zu gewinnen, denn wenn er meinen Bauern auf a3 nimmt, dann wird sein Läufer auf a3 oft von meinem Springer auf d3 eingesperrt. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie er die Stellung gewinnen kann, selbst wenn die Dinge sehr gut für ihn laufen. Nach der Eröffnung in der Partie schien mir ein Remis deshalb ein gutes Ergebnis zu sein.
Der Stichkampf, Partie 1 | Quelle: Saint Louis Chess Club on YouTube
MP: Dann wurden 5-Minuten-Partien gespielt, und in der dritten Partie ist ihm im 13. Zug ein ungewöhnlicher Fehler unterlaufen, der ihn eine Figur gekostet hat. Aber danach konnte er die Stellung zusammenhalten und hat einfach weitergespielt, bis die Uhr immer wichtiger wurde. Wie hast Du diese Partie erlebt?
FC: Er hat eine Figur eingestellt, und ich war so schockiert, dass ich mehr Zeit verbraucht habe als ich eigentlich sollte. Ich habe vielleicht ganze 20 Sekunden gebraucht, um nach Se4 wirklich zu begreifen, ob ich etwas übersehen habe — denn ich hatte den Zug gesehen, und gesehen, dass ich dann einfach hxg5 spiele und er eine Figur weniger hat. Aber dann hat er angefangen, sehr schnell zu spielen und mir Probleme zu bereiten. Ich hatte nie den Eindruck, dass ich völlig auf Gewinn stehe. Irgendwann habe ich gedacht, ich gewinne all seine Bauern am Damenflügel und dann wäre die Sache erledigt, aber er leistete hartnäckig Widerstand, meine Zeit wurde immer knapper, und das Problem in diesen Stellungen ist, dass Du zwar pro Zug drei Sekunden hast, aber keine Zeit gewinnen kannst. Du hast drei Sekunden für den Rest der Partie. Ich weiß noch, dass ich irgendwann, als ich nur noch drei Sekunden auf der Uhr hatte, gedacht habe ‘vielleicht verliere ich auch noch nach Zeit’. Ich habe f5 übersehen, aber ich glaube, selbst wenn die Stellung gewonnen sein sollte, dann hätte ich sie nie gewonnen. Aber er hat ausgezeichnet Widerstand geleistet und ich habe nicht schnell genug gespielt. Darauf läuft es im Prinzip hinaus.
Remis!
MP: Du musst genaue Züge finden, aber hast dafür einfach keine Zeit.
FC: Genau, ich muss wenigstens einen Plan haben, wobei ich zugleich nichts einstellen darf, und das ist eine schwierige Kombination. Denn meistens muss man passiv spielen, um nichts einzustellen. Die einfachste Möglichkeit, nichts einzustellen, besteht darin, die eigene Stellung einfach stabil zu halten, aber um Fortschritte zu erzielen, muss man schon etwas unternehmen und anfangen, Varianten zu rechnen.
MP: Wenn man in einer Partie, in der man klar auf Gewinn gestanden hat, nur ein Remis schafft, dann besteht die Gefahr, dass einem das bei der nächsten Partie nachhängt, vor allem, wenn man nur fünf Minuten Pause zwischen den beiden Partien hat. Aber tatsächlich hast Du die vierte Partie dominiert. Und Yasser Seirawan hat den Zug 37.Sd7, der Zug, mit dem Du großen Vorteil bekommen hast, als “Star Move” bezeichnet.
37.Sd7 - herausragend oder einfache Taktik?
FC: Nun ja, für mich sah das eher wie eine ziemlich normale taktische Möglichkeit aus. Ich habe gedacht, vielleicht hat er Dc6 übersehen, und dann habe ich Sd4 übersehen, aber zum Glück bleibt sein König erst einmal auf e5. Aber dann wurde es merkwürdig. Ich habe gedacht, ich setze ihn Matt, aber hatte nicht genug Zeit, um das Matt bis zum Ende zu berechnen, und zugleich habe ich zu viel Zeit für offensichtliche Züge verbraucht. Ich hätte entweder bis zum Matt rechnen oder einfach schnell spielen und meinen Vorteil behalten sollen. So kam es am Ende wieder zu einer Zeitnotschlacht, aber ich glaube, ich habe hier glücklicherweise keine groben Patzer gemacht. Vielleicht habe ich meinen Sieg gefährtdet, und tatsächlich wurde ich leicht panisch, als er 60...e3 gespielt hat.
Ruhe bewahren und Schach geben
Aber irgendwie habe ich die Dinge im Griff behalten, wobei ich allerdings glaube, dass meine Stellung so sehr gewonnen ist, dass ich eigentlich irgendwann nur irgendwelche Züge machen muss, um zu gewinnen.
Ein Anti-Sizilianisch Repertoire
Was spielt man gegen Sizilianisch? Loek van Wely empfiehlt ein schlagkräftiges Repertoire, das die theoretischen Hauptvarianten umgeht und dem Weißen gutes Spiel verspricht.
Der Stichkampf, Partie 3 | Quelle: Saint Louis Chess Club on YouTube
MP: Du hast früher manchmal Probleme im Blitz gehabt, dieses Jahr allerdings eine Reihe von guten Ergebnissen im Blitz erzielt. Blitzt Du jetzt besser, hast Du daran gearbeitet oder gibt es andere Gründe?
FC: Ich glaube nicht, dass ich jemals wirklich schlecht geblitzt habe, aber tatsächlich hatte ich eine Reihe schlechter Ergebnisse, vor allem in den Blitzturnieren zu Beginn der großen Turniere, in denen die Farbverteilung festgelegt wurde.
MP: Turniere wie Zürich...
FC: Nein, in Zürich habe ich tatsächlich immer gut gespielt — in einem Jahr habe ich gewonnen und einmal habe ich +1 erzielt und wurde Zweiter. In Zürich habe ich nie schlecht gespielt, aber beim Norway Chess Turnier habe ich zwei Mal schrecklich abgeschnitten, genau wie ein paar Mal beim Blitzturnier vor dem Tal Memorial, und auch in London einmal. Aber ich hatte immer das Gefühl, das lag auch an den Umständen — ich war nicht in Form oder die Dinge liefen nicht gut für mich. Aber ich hatte nie das Gefühl, ich wäre im Blitzen deutlich schlechter als andere Spieler. Ich bin wohl nicht auf dem gleichen Level wie, sagen wir, Maxime oder Levon oder Hikaru, aber ich kann all diesen Spielern Paroli bieten. In den letzten Monaten lief es beim Blitzen gut für mich. Zum Beispiel gegen Grischuk, und den dreimaligen Blitzweltmeister im Blitzen zu schlagen, ist natürlich ein großer Erfolg. Natürlich war der Tiebreak kürzer und ein bisschen chaotisch, aber Nepo ist im Blitzen einfach großartig — er ist sowieso ganz einfach ein großartiger Spieler, aber gilt bei kürzeren Bedenkzeiten als besonders stark, und das macht diesen Erfolg noch schöner.
MP: Dennoch hast Du Dich, wenn ich richtig informiert bin, dafür entschieden, nicht in Riyadh bei den Weltmeisterschaften im Schnell- und Blitzschach im Dezember anzutreten. Was hat Dich dazu bewogen?
FC: Ich würde sehr gerne spielen. Nicht zuletzt ist der Preisfonds sehr attraktiv. Außerdem spiele ich gerne in diesen Turnieren. Ein Weltmeistertitel im Blitz- oder im Schnellschach wäre der perfekte Abschluss des Jahres. Aber der Zeitplan haut für mich einfach nicht hin, denn ich lebe in den USA und muss irgendwo auch einmal wieder nach Hause und dann steht auch noch Wijk aan Zee auf dem Programm. Das gibt ein riesiges Durcheinander — ich glaube, ich könnte nicht einmal zurück, das heißt, ich wäre im Prinzip drei Monate nicht zu Hause. Ich habe mir gesagt, das Jahr ist sehr schön zu Ende gegangen. Warum sollte ich dann noch anderen Dingen nachjagen? Stattdessen die Dinge einfach locker angehen lassen und sich auf die nächsten beiden Turniere freuen.
MP: Dass das Turnier erst anderthalb Monate vor Beginn angekündigt wurde, war vermutlich auch nicht gerade hilfreich.
FC: Ja, das geschah erst in letzter Minute und dann ist es schwierig.
MP: Dein nächstes großes Turnier ist also Wijk aan Zee und das ist auch Dein letztes Turnier vor dem Kandidatenturnier in Berlin?
FC: Ja.
MP: Dann viel Glück!
Malcolm Pein gratuliert dem Sieger der London Chess Classic 2017 | Foto: Lennart Ootes
Übertragung aus dem Englischen: Johannes Fischer