"Es war einmal ein Onkel..."

von Vlastimil Hort
12.12.2016 – Mit dem Kölner Mäzen Wilfried Hilgert hat uns kürzlich eine große Persönlichkeit des deutschen Schachlebens verlassen. Hilgert liebte das Schach und war ein Mann mit Ecken und Kanten. In seinen persönlichen Erinnerungen berichtet Vlastimil Hort, der viele Jahre für Porz gespielt hat, was er alles mit Wilfried Hilgert erlebt hat. Zum Tode von Wilfried Hilgert...

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Es war einmal ein Onkel…

Zum Tode von Wilfried Hilgert

Im Sommer 1978 spielte ich das IBM Turnier in Amsterdam. In einer Spielpause stand vor mir plötzlich ein sehr großer und eleganter Herr. Nachdem er sich kurz vorgestellt hatte, kam er sofort zur Sache. Das sollte auch in Zukunft das Markenzeichen von „Onkel Wilfried“ bleiben.

Wilfried Hilgert, in den späten 1970er Jahren

Er suche einen Trainer für sein Schachzentrum in Porz-Wahn, nachdem die Liaison mit dem Ehepaar Kortchnoi zerbrochen war, sagte er. Wir beide spielten sofort mit offenen Karten. Von der Idee war ich angetan, aber ich musste ihm leider sagen, dass ich das nicht alleine entscheiden könne.

Zu Zeiten des Eisernen Vorhangs und kalten Krieges war dieses, für mich interessante Engagement, fast unmöglich umzusetzen. Zudem konnte ich mir auch beim besten Willen nichts unter einem Sport und Schachzentrum Porz-Wahn vorstellen. Doch Hilgert ließ nicht locker, stand eines Tages in Prag und nahm die Verhandlungen mit PRAGOSPORT auf. Diese gestalteten sich allerdings äußerst schwierig. Dennoch die tschechische Wirtschaft brauchte genauso wie die damalige DDR ständig Devisen. Das war sein Vorteil!

PRAGOSPORT verkaufte in den Westen zum Beispiel tschechische Eishockeyspieler, Handballer, Eiskunstläufer und für Holiday on Ice die gesamte Statistentruppe. Ich kannte vier von diesen Mädeln. Damit überhaupt etwas von ihrem Honorar übrigblieb, wohnten sie zusammen in einem Wohnwagen, ernährten sich aus Konserven und lebten sehr sparsam. PRAGOSPORT war unbarmherzig – er kassierte immer ab. Vom Februar 1979 bis Mai 1985 hat Onkel Wilfried an PRAGOSPORT insgesamt um die 50.000 DM für meine Freigabe bezahlt.

Während Hilgerts Aufenthalt in Prag zeigte ich ihm auch die Schönheiten dieser Stadt. Jeder Rundgang endete immer in einer Bar. Und dort an der Theke musste ich ihm nicht nur beweisen, dass ich Königsindisch beherrsche, sondern dass ich auch trinkfest bin. Hier eine Whiskyflasche dort eine! Unglaublich, PRAGOSPORT hat mich tatsächlich an Hilgerts Schachzentrum verkauft. Schon am 9. Februar 1979 wartete Dr. Paul Tröger am Kölner Bahnhof auf mich, den neuen Porzer Kollegen. Paul Tröger kannte Prag sehr gut, weil er dort in den 30er Jahren an der deutschen Universität Journalistik studiert hatte.

Die damalige Porzer Mannschaft sah damals natürlich ganz anders aus als die heutige. Es spielten vor allem mehrere einheimische Spieler: Bodo Schmidt, Rüdiger Schmidt, Helmut Reefschläger, Matthias Gerusel. Die Jungs und der ganze Verein nahmen mich sehr wohlwollend auf. Meine Freundschaft zu einzelnen Personen und meine Sympathien für den Porzer Schachverein währen bis heute.

Vlastimil Hort

Bundesliga, damals

Vlastimil Hort, Tony Miles

Internationale Atmosphäre in Köln-Wahn: Tal und Ostermeyer schauen bei Gerusel aufs Brett

Das Finale der deutschen Mannschaftsmeisterschaft sollte im April 1979 stattfinden. Solingen und Porz waren die Favoriten und ihre Begegnung das große Highlight der Schach-Saison. Auf der einen Seite mit großen unruhigen Schritten „Onkel Wilfried“, auf der anderen Seite der kleine Egon Everts. Es war ein Machtkampf der Giganten. Ich hatte wirklich Glück, denn vor den Augen meines Chefs, konnte ich den entscheidenden Punkt gegen L. Kavalek machen. Wir gewannen die Mannschaftsmeisterschaft und es wurde in Porz gefeiert. Wilfried Hilgert war ein sehr generöser Chef – er ließ für uns die Puppen tanzen. Schließlich waren wir alle noch in unseren besten Jahren.
Demokratisch ging es im Porzer Schachleben natürlich nicht zu. Alles entschied der Chef himself. Die Aufstellung und die Instruktionen während des Spiels … jetzt musst Du auf Gewinn spielen …, jetzt biete Remis an…, diese Befehle gab alleine Wilfried Hilgert. Wer die Musik bezahlt, bestimmt schließlich auch das Repertoire. Leistung, Leistung, Leistung, das war Wilfried Hilgerts Credo.

Der Chef im Gespräch

Mit 14 Jahren hatte er schon sein erstes Arbeitsengagement bei der Schießbude eines Wanderzirkus. Seine Aufgabe war es, die Blechbüchsen immer wieder aufzubauen. Wilfried war und blieb ein Arbeitstier. In einem späteren Lebensabschnitt hatte er sogar einmal vier Arbeitsstellen. Er arbeite als Polier, beriet eine Kirchengemeinde bei der Sanierung, hatte bereits sein kleines Immobilienbüro eröffnet und in der Nacht verdiente er sich sein Geld als Nachtportier in den Kölner Nobelhotels – wo er immer auch ein bisschen Schlaf nachholen konnte. Der Rubel rollte, rollte und rollte.

Vlastimil Hort, nun auch in Farbe

Hilgert liebte, genauso wie sein Bruder Volkmar, das Schachspiel leidenschaftlich. Die Schachszene, das Schicksal von Schachakteuren, der deutschen Schachbund – alle waren für ihn in späteren Zeiten des Lebens seine persönlichen Schachfiguren auf seinem Lebensbrett.

„Ich werde die Wirtschaftspolizei auf Sie ansetzten“, schrie mich der Direktor von PRAGOSPORT, Herr Maly, an. Was war passiert? PRAGOSPORT hatte einfach vergessen die Vertragsverlängerung an Porz zu schicken. Und Wilfried Hilgert, als akkurater Geschäftsmann stellte daraufhin unverzüglich seine regelmäßigen Zahlungen für mich ein.

Bei einer Flasche Whisky kamen wir dann zu einem Thema, das für mich lebenswichtig war. „Wenn Du willst, können wir eine Wette abschließen, schlug mir mein Boss vor. „Ich wette meine beste Flasche Whisky, dass Dein Sohn Daniel, den Du gerne in den Westen holen willst, Dir einen Korb geben wird.“ Damit traf er mich an meiner empfindlichsten Stelle. Ich blieb nämlich nur noch wegen meines Sohnes in der Tschechoslowakei. Auf diese Wette von Hilgert ging ich aber nicht ein, denn sie war mir zu makaber. Allerdings behielt er leider Recht. Mein Sohn kam nicht!

Etwa um 1986 mischte Bayern München im Schach plötzlich auf höchster Ebene mit. Bis dahin waren Porz und Solingen die Hauptakteure. Heinrich Jellissen war der Chef vom Schachverein Bayern München. Während eines Wettkampfes in Porz wartet Jellissen im Flur auf mich. Das fand ich schon seltsam. Für mich war er bis dahin ein Mann der Schach gerne hatte und ehrlich war. „Vlastimil, ich habe für Dich ein interessantes Angebot, Du hast sicher 25.000 DM übrig, um es lukrativ anzulegen. Ich würde Dir jährlich 8% Rendite garantieren. Andere Schachkollegen sind mit ihren Anlagen schon bei mir und sehr zufrieden.“ Er nannte mir sogar ein paar Namen. Ich bat um Bedenkzeit. Beim Mittagessen erzählte ich Hilgert unter vier Augen von dem Vorschlag „Vlastimil, wenn Du das machst, bist Du total verrückt und Dein Geld los!“ Zu meinem Glück und dank Hilgert habe ich das „lukrative“ Angebot abgelehnt. Das Desaster, das Jellissens Anleger später dann erlebten, ist in der Szene hinreichend bekannt.

Es war Karnevalszeit. „Taxi kommt gleich“, meldete Onkel Wilfried. Rein zufällig waren wir uns in Porz auf der Straße begegnet. Ein wenig misstrauisch war ich schon, aber mehr noch neugierig. Das Taxi fuhr Richtung Flughafen Köln/Bonn. „Kümmere Dich um nichts, alles ist bestens organisiert und es wird Dich keinen Pfennig kosten.“ Mehr verriet er nicht. Es war für mich ein Flug ins Ungewisse. Später las ich von Saint-Exupéry „Le vol dans la nuit“ und fand mich da bestens wieder.

Wilfried behauptete, wir fliegen nach Hamburg. Mir war schon klar, dass das nicht stimmen konnte. Die Stewardess, die ich fragte „Wohin fliegen wir eigentlich“, war sehr irritiert. Nach unserer Landung dann in München, stiegen wir wieder in ein Taxi und waren nach 2 Stunden am Ziel: Reit im Winkl. Von dem Ort hatte ich noch nie gehört. Überall lag Schnee – meterhoch. Es war sehr kalt und ich eigentlich nicht dafür angezogen. Onkel Wilfried trug eine dicke Winterjacke und festes Schuhwerk. Endlich rückte er mit seiner Überraschung raus. Wir hatten beste Plätze in der ersten Reihe für den Jodelabend der berühmten Geschwister Maria und Margot Hellwig. Dann wurde gejodelt bis uns die Ohren wackelten. Es hätte ein gelungener Ausflug sein können, wäre Onkel Wilfried nicht plötzlich verschwunden. Ich versuchte ein Hotelzimmer zu finden, aber alles war ausgebucht. Es blieb mir nichts anderes übrig, als wieder in den Festsaal zurückzugehen. Inzwischen war der Saal menschenleer, alles dunkel, die Heizung ausgestellt und mein Tee mit Grog kalt geworden. Es sollte meine sibirische Nacht werden. Draußen waren es minus 20 Grad, drinnen nicht viel mehr. Verzweifelt suchte ich nach etwas, das mich wärmen konnte. Schließlich fiel mein Blick auf die opulenten Samtvorhänge. Mir war jetzt alles egal, ich wickelte mich einfach in diesen schönen Samt in der Hoffnung, dass ich die Nacht überleben würde. Am nächsten Morgen kreuzten sich unsere Wege wieder. Hilgert frisch rasiert, strahlte wie ein Honigkuchenpferd und lud mich zu einem königlichen Frühstück ein. Er war mild wie nie und bot mir sogar eine Massage an. Ich konnte ihm nicht böse sein, so war Hilgert. Gott sei Dank hatte ich keine Erfrierungen und die Nacht unbeschadet überstanden.

Im Job waren Leistung und Gegenleistung sein Credo. Mit 56 waren meine Schachfähigkeiten für die erste Mannschaft nicht mehr attraktiv genug. Wir spielten wieder mit offenen Karten: „Vlastimil, ich biete Dir das erste Brett in der zweiten Mannschaft für die Hälfte der Gage.“ Ich nahm meinen Hut und ging.

In Porz bei Onkel Wilfried verbrachte ich bemerkenswerte und amüsante 20 Jahre, an die ich gerne zurückdenke. Wenn in jeder deutschen größeren Stadt so ein Mann wie Hilgert wäre, dann könnte Schach aufblühen und profitieren.
 

Fotos: Heinz-Josef Ullrich


Ehemaliger Weltklasse-Spieler, WM-Kandidat, vielfacher Autor und bekannter TV Schachmoderator.

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