08.02.2019 – Das Schachfestival in Gibraltar ist eines der stärksten offenen Turniere des Schachkalenders. Und ein Erlebnis. Der holländische Großmeister Jan Werle war dieses Jahr dabei und stellt interessante Partien vor. Außerdem verrät er, warum die Schachspieler in Gibraltar die Flugpläne täglich und intensiv studiert haben. | Foto: Niki Riga
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Gibraltar erleben
"Radio Gibrallltaaaaahh…Live bei uns im Studio ist Stuart Conquest, der Direktor eines der stärksten Schachturniere der Welt...." Die Radiosendung, in der Stuart Conquest, der in mehr als einer Hinsicht bemerkenswerte Turnierorganisator des Opens in Gibraltar, Auskunft über die neuesten Entwicklungen im Turnier erteilte, war jeden Morgen ein Genuss. Das kleine britische Überseegebiet ist stolzer Ausrichter des Gibraltar Opens, einem der wichtigsten Sportereignisse des Jahres, und im Laufe des Turniers waren regelmäßig Politiker zu Gast, um die Spitzenspieler in Aktion zu sehen.
Gibraltar besteht aus einem Felsen, auf und um den herum ungefähr 35.000 Einwohner leben. Mit seinen roten Doppeldeckerbussen, den roten Telefonzellen, die an jeder Straßenecke stehen und den Polizisten mit ihren langen Hüten ist Gibraltar typisch englisch. Aber die auch im europäischen Winter milden Temperaturen und die Palmen "verraten", dass man sich im Süden befindet.
Links: Telefonzelle vor dem Botanischen Garten | Foto: RalphCC BY 2.0 via Wikimedia Commons Rechts: Gibraltar Calypso Citibus | Foto: megabus13601CC BY-SA 2.0 via Flickr
Eine der Attraktionen Gibraltars sind die berühmten Affen, die auf dem Felsen leben. Doch Touristen werden gewarnt, auf ihre Wertsachen zu achten, denn wenn einer der Affen schnell zugreift und danach auf dem Felsen rasch das Weite sucht, gehen Fotoapparat oder Handy leicht verloren.
Wenn man zum Felsen oder nach Gibraltar möchte, führt kein Weg an der Landebahn des Flughafens, die eine vierspurige Straße kreuzt, vorbei. Eine ganze Reihe der Turnierteilnehmer haben während des gesamten Turniers auf spanischem Gebiet gewohnt und mussten erst durch den Zoll und dann auch noch die Landebahn passieren, bevor sie endlich in Gibraltar waren. Das hat dazu geführt, dass sie die Flugpläne Gibraltars sehr genau studiert haben, denn bei Ankunft und Abflug der Flugzeuge ist die wichtige Straße gesperrt.
Sightseeing auf dem Affenfelsen | Foto: Niki Riga
Dieses Jahr fand das Internationale Chess Festival in Gibraltar bereits zum 17. Mal statt, gespielt wurde im Caleta Hotel. Der "kleine Bruder" dieses Traditionsturniers ist das Juniorenfestival in Gibraltar, das letztes Jahr im August stattfand und mit einem Preisfonds von 15.000 Pfund locken konnte. Das Masters Open in Gibraltar selbst wetteifert mit dem Isle of Man Open um den Titel des stärksten offenen Turniers der Welt. Was mich betrifft, so empfinde ich es als sehr inspirierend neben Spitzenspielern wie Nakamura, Aronian, MVL oder Yu Yanghi zu spielen. Vertreter zahlreicher Länder, von den USA bis nach Nigeria und von Vietnam bis nach Norwegen, kämpften um die Preise. Für Platz eins gab es 25.000 britische Pfund, für Platz zwei £20.000 undder Dritte erhielt immer hin noch £15.000.
Das Rahmenprogramm war umfangreich, unter anderem gab es "Master Classes" mit Hikaru Nakamura, Sarasadat Khademalsharieh und Adhiban Baskaran und einen Abend stellten sich Nigel Short, Maxime Vachier-Lagrave, Fiona Steil-Antoni und Irene Sukandar den Fragen des Publikums (später, ab Minute 49, kam auch noch Alejandro Ramirez dazu):
Das legendäre Battle of Sexes, bei dem eine Frauenmannschaft gegen eine Herrenmannschaft auf einem großen Schachbrett eine Beratungspartie spielt, wurde durch ein phantastisches (Luft-)Gitarrensolo des Turnierdirektors eingeleitet. Stuart ist leidenschaftlicher Fan der Beatles und er nutzte seine Zeit im Scheinwerferlicht, um in die Rolle von Paul McCartney zu schlüpfen. Nach diesem Auftakt gewannen die Damen die erste der Partien gegen die Herren, die sich jedoch als zäh erwiesen und in Partie zwei zum 1-1 Ausgleich kamen. Doch in der dritten und letzten Partien übersahen die Herren dann einen "kleinen" taktischen Trick und verloren so Partie und Wettkampf.
Stuart Conquest an der Gitarre | Foto: Niki Riga
Die Partie endete mit 26.♘h2 ♛h4 27.♖xg6 ♜ad8 28.♖f1 ♛h5 29.♖g3 ♜d7 30.♘g4 ♚h7 31.♘xh6 ♜e6 32.♘f5 ♜g6 33.♖xg6 fxg6 34.♘xg7 ♜xg7 35.♕xc5 a5 36.♕xa5 1-0
Einen Schönheitspreis gab es auch. Die Jury, die darüber entschied, bestand aus Simon Williams und Jovanka Houska, die das Turnier live kommentierten. Sie wählten die Partie zwischen Gawain Jones und Alejandro Ramirez, ein kurzes, aber scharfes Remis, zur schönsten Partie des Turniers.
Diese DVD gibt Ihnen einen Plan mit der Französichen Verteidigung anzufangen. Der effizienteste Weg die Eröffnung und ihre Ideen, Pläne und typischen Strukturen zu verstehen ist das Studieren klassicher Varianten.
Steven Linares, der Minister für Kultur, Medien, Jugend und Sport, überreicht Alejandro Ramirez und Gawain Jones den Schönheitspreis | Foto: Niki Riga
Die Spielerinnen im Open konnten Frauenpreise und die Preise im Open gewinnen. Die besten Spielerinnen der Welt, darunter auch Anna und Mariya Muzychuk und die amtierende Frauenweltmeisterin Ju Wenjun kämpften um einen der insgesamt 15 Frauenpreise - die Spielerin, die den niedrigsten Preis gewann, konnte immerhin noch 500 britische Pfund mit nach Hause nehmen, die beste Spielerin erhielt 15.000 britische Pfund. Im Spielsaal hängt ein großes Bild mit den bisherigen Gewinnerinnen des Frauenpreises, und die Überschrift dieses Bildes lautet: "Gibraltar, die Heimat des Frauenschachs".
Der Frauenpreis ging am Ende an Tan Zhongyi aus China: sie kam auf 7 Punkte aus 10 Partien und eine Elo-Performance von 2585. In der folgenden Partie gegen eine Konkurrentin um den Frauenpreis, IM Tsolakidou Stavroula aus Griechenland, zeigt die Chinesin gute Endspieltechnik, indem sie ihren König auf eine Pilgerreise schickt, die ihn nach a2 führt, wo er seiner Seite den Sieg sichert.
Zweitbeste Frau im Feld war Mariya Muzychuk aus der Ukraine - sie holte 6½ aus 10 und kam auf eine Elo-Performance von 2718.
Tan Zhongyi | Foto: John Saunders
Auch Ivanchuk war dieses Jahr wieder dabei, und als eines der größten Schachgenies aller Zeiten, schenkt ihm das Publikum immer noch viel Aufmerksamkeit. Seine verblüffenden Gedankengänge, die Ideen und Pläne, die er auf dem "Planeten Ivanchuk" schmiedet, sind spektakulär. Bei einer der Runden beobachtete ein Zuschauer, wie Ivanchuk in tiefer Konzentration versunken mit nur noch einer Minute auf der Uhr an die Decke starrte. Ihre Blicke begegneten sich und wenige Sekunden später kehrte Ivanchuk wie unter Schock zu Mutter Erde zurück, erkannte, wie wenig Bedenkzeit ihm noch geblieben war und spielte die letzten drei Züge bis zur Zeitkontrolle sehr schnell.
Nach dem Turnier kam er zu dem Schluss, dass er gegen "zu viele Frauen" gespielt hätte, "fünf in zehn Runden, das ist zuviel... Ich beklage mich nicht, aber okay, das ist ein wenig ungewöhnlich, vielleicht ein Rekord".
"Ich bin nicht Erster geworden, aber ich bin hier und wie immer...ist es ein großes Vergnügen, hier zu sein."
Natürlich waren die etablierten Weltklassespieler die Turnierfavoriten, aber am Ende siegte ein Anderer: der junge russische Großmeister Vladislav Artemiev (2709), auf Platz zwei landete Karthikeyan Murali (2570) aus Indien. Artemiev holte 8½ aus 10 Partien und kam damit auf eine Rating-Performance von 2941!
Hier sind ein paar Höhepunkte aus Artemievs Partien:
Click or tap a game in the game list to switch
In der letzten Runde gewann Artemiev mit Schwarz gegen Yu Yangyi. | Foto: John Saunders
Der indische GM Karthikeyan Murali war die größte Entdeckung des Turniers. Der 19-jährige hat zur Zeit eine Elo-Zahl von 2570, aber holte in Gibraltar 8 Punkte aus 10 Partien und erzielte so eine Elo-Performance von 2749. In der Schlussrunde gewann er gegen Maxime Vachier-Lagrave. Hier ist eine kleine Auswahl seiner Partien aus diesem Turnier:
Karthikeyan nach Runde 10 | Foto: David Llada
Leider gibt es bei einem Turnier nicht nur Sieger, sondern auch Verlierer. Aronian, der das Turnier im letzten Jahr gewonnen hatte, verlor in der letzten Runde gegen den englischen GM David Howell. Bei der Abschlussfeier konnte ich ihn fragen, was in der Partie passiert war, und er meinte, er hätte kein kühnes Opfer gebracht, sondern einfach eine Figur eingestellt.
Das dynamische Spiel, basierend auf einem starken strategischen Fundament, hat mich von jeher fasziniert, und ich habe auf diesen DVDs die Varianten vorgeschlagen, die ich auch persönlich in der Praxis bevorzuge.
Das Schottische Gambit ist ein energisches, aber absolut gesundes System für Weiß, der einen Bauern opfert, um die Stellung zu öffnen und den schwarzen König so schnell wie möglich zur Strecke zu bringen.
Auch IM Lawrence Trent stattete Gibraltar einen Besuch ab und berichtete darüber in seiner Weekly Show:
Die Stars von morgen
Karthikeyan Murali gewann in den Runden acht und neun gegen zwei 2700+ Gegner. Von den zehn Partien, die er in Gibraltar gespielt hat, gefiel ihm selbst sein Sieg gegen Rauf Mamedov am besten. Karthikeyan spielte mit Schwarz und präsentierte in der Caro-Kann-Verteidigung eine neue Idee.
Vielleicht findet die Idee mit ...f6 im Caro-Kann ja Nachahmer?
Beim Rilton Cup 2018-19 hat Kathikeyan verraten, welche Ziele er 2019 erreichen will.
Abhimanyu Puranik zählt ebenfalls zur großen Gruppe der jungen indischen Talente. Er ist 19 Jahre und kommt auf eine Elo-Zahl von 2536, die aber wahrscheinlich zu niedrig ist. In Runde zwei gelang ihm ein Remis gegen Maxime Vachier-Lagrave und gegen Short gewann er sogar. Nach der Eröffnung stand Short besser, aber geriet dann mit seinem Turm auf Abwege.
Hier spielte Schwarz 29...Kf8 und nach 30.Ta7 Db8 hatte der weiße Turm keine Felder mehr. Short kämpfte noch eine Weile weiter, aber vergeblich.
Auch D. Gukesh, der zur Zeit jüngste Großmeister der Welt, war in Gibraltar dabei. Mit 6½/10 landete er am Ende auf dem 27. Platz. In der siebten Runde gelang ihm ein hübscher Sieg gegen GM Eduardo Iturrizaga Bonelli aus Venezuela:
Nach 29...♜xd1 30.♕xd1 ♝g7 31.♕d4 c5! stand Schwarz klar besser und gewann schließlich im 40. Zug.
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Jan WerleJan Werle ist seit 2006 Großmeister und spielte in der Bundesliga für Solingen und Bremen. 2008 spielte er für die Niederlande bei der Schacholympiade im Nationalteam, ebenso 2009 bei der Mannschaftseuropameisterschaft.
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