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Ich weiß noch, wie meine Schachuhr 0.00 angezeigt hat. Dann hatte mich die Verzweiflung in ihren Klauen. Ich kann mich nicht rühren, nicht atmen, sprechen oder hören - und es ist dunkel.
Dann wache ich auf - zum Glück war es nur ein Traum. Ich habe nicht in Gewinnstellung die Zeit überschritten! Aber während die Uhr herunterzählte - 0.03, 0.02 - wusste ich, dass ich einen Zug machen musste, irgendeinen Zug. 0.01...
Ich zitterte und doch brach mir der Schweiß aus. Mein Zug war ein schrecklicher Patzer und mir schnürte es die Kehle zu, doch plötzlich...
...klingelte mein Wecker! Auf einmal wünschte ich mir meine Schachalbträume zurück. Damit kann ich umgehen. Und allemal besser, als in aller Herrgottsfrühe aufzustehen — ich bin keine Lärche.
Vielleicht ging es Simon Williams (links, mit Weiß) ähnlich, denn in Runde fünf wäre er fast genullt worden.
Jeder Schachspieler kennt das. Figuren einstellen macht einfach keinen Spaß, genau wie die Zeit zu überschreiten oder aufstehen zu müssen, wenn der Schönheitsschlaf noch lange nicht vorbei ist. Aber was soll man machen, wenn Doppelrunden auf dem Programm stehen? Und als wäre das nicht schlimm genug, gibt es beim Wochenend-Turnier in Bunratty am Samstag sogar drei Runden...
So ein Morgen ist für mich einfach zu früh
Stellen Sie sich vor, Sie spielen am Freitag eine lange Partie, danach kommen unvermeidlich ein paar Pint Bier, gefolgt von einem schweren Kopf samstag früh, doch dann spielen sie wieder, trinken wieder und immer so weiter, bis die Wirklichkeit unwirklich wirkt. Das Leben ist hart.
Aber warum, so fragt man sich, sind 362 Spieler bereit, diese "Härten" einmal mehr auf sich zu nehmen?
Weil die Schachleidenschaft nie genug bekommt?
Weil die Umgebung so idyllisch ist?
(Sie ist tatsächlich idyllisch, aber irgendwann sind die touristischen Möglichkeiten erschöpft)
Weil das Leben zu kurz ist, um schlechtes Bier zu trinken?
Offensichtlich ist das eine Frage der Perspektive. Bunratty bietet einen Adrenalin-Kick mit all seiner schrecklichen Schönheit, aber über die Dosierung des Adrenalins entscheidet man selbst. Und auch wenn es ein wenig enttäuschend klingt, so gab es, so weit ich weiß, in den 25 Jahren, die das Turnier in Bunratty nun schon gespielt wird, keine wirklichen Skandalgeschichten. Schachspieler sind nun einmal ziemlich vernünftige Leute.
Spaß ist Spaß und Arbeit Arbeit
Allerdings sind die Übergänge manchmal fließend, vor allem bei diesem Turnier in Irland. Mutige Züge, verblüffende Manöver, aber auch schreckliche Fehler und unerwartete Wendungen gehören zum Turnier einfach dazu.
Nahkampf: McShane vs Belenkaya
Genau wie Nigel Short, die Nummer eins der Setzliste, hatte auch Luke McShane, die Nummer drei der Setzliste, einen holgerigen Start. Short hat es noch in die Preisränge geschafft, aber McShane hat es nicht geschafft, die Niederlage in Runde zwei aufzuholen.
Attacking the King for Experts
Rustam Kasimdzhanov zeigt auf dieser anspruchsvollen DVD, wie man Königsangriffe mustergültig durchführt.
GM Sergey Tiviakov holte 5,0/6 wurde mit Gawain Jones geteilter Erster
Jones verlor den Blitz-Stichkampf — manchmal inspiriert ein Pint Bier, manchmal nicht
Und wer hätte daran keine Freude? Schach, kaltes Bier und gute Stimmung. Ob etwas wirklich Wichtiges passiert oder nicht - zumindest fühlt es sich so an! Die disziplinierten Profis wirken lockerer, die Party-Amateure asketischer.
Beinah übernatürliche Konzentration...
Bunratty steht zwar in dem Ruf, eine Art schachliches Hippiefestival zu sein, aber tatsächlich das das Turnier sehr familienfreundlich und feiert das Schach in geselliger Runde. Gute Gespräche, so sagen die Iren gern, beginnen öfter mit Bier als mit Brokkoli.
Aber was ist, wenn man aus welchen Gründen auch immer, keinen Alkohol trinken möchte? Fühlt man sich da in dieser Runde glückseliger Trunkenheit nicht seltsam?
Spaß ohne Promille!
Bei der Antwort auf diese Frage, wollte ich mich nicht alleine auf die Berichte der Spieler verlassen, die sich für Nüchternheit entschieden haben. Und so habe ich mich einem strengen Experiment unterzogen (das allerdings auf der Rückreise beim Aufenthalt im Flughafen von Dublin unterbrochen werden musste): keine Pints oder keinen irischen Whiskey, welcher Art auch immer. Und das war den Versuch wert.
Mir hat dieser Test der ernsthaften Seite des Turniers in Bunratty viel Spaß gemacht und ich weiß genau, was wir letztes Wochenende getan haben. Manch einer hat verloren, manch einer hat gewonnen, aber wir alle haben unser Leben genossen, ob Liebhaber von Hopfen und Malz oder nicht.
Die folgenden drei Schachaufgaben geben einen Geschmack davon:
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Man sagt, wenn man vor einem Spiegel (oder einer Kamera?) lächeln übt, dann fühlt man sich gleich besser
Aber wenn die Gesichtsmuskeln bei diesem Experiment einfach nicht mitspielen wollen, dann kommen Sie nach Irland. So oder so, das Turnier macht gute Laune.
Wie lautet also mein Bunratty-Fazit? Das ist die falsche Frage; man zieht kein Fazit. Man öffnet die Augen, man lässt die Dinge geschehen, man atmet sie ein.
Und, ehrlich gesagt, es sind andere Nachrichten, die Albträume auslösen: zum Beispiel, wenn nächsten Turnier in Bunratty keine Plätze mehr frei wären! Dieses Jahr war das Hotel vollkommen ausgelastet, also sollten Sie bald einen Platz sichern: das nächste und 26. Turnier in Bunratty wird vom 22. bis 24. Februar 2019 stattfinden.
Übertragung aus dem Englischen: Johannes Fischer