Interview mit Elisabeth Pähtz

von Magdalina Genova
20.02.2020 – Kurz nach ihrem Turnier in Gibraltar war Elisabeth Pähtz zwecks Aufnahmen zu einer Eröffnung in Hamburg. Magdalina Genova nutzte die Gelegenheit zu einem Interview. | Foto: Pascal Simon

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Magdalina Genova: Guten Tag, Frau Pähtz! Ich bin Magdalina Genova und ich spiele für den Hamburger Schachklub von 1830. Im Moment mache ich bei ChessBase ein dreiwöchiges Schülerpraktikum. Ich würde gerne ein Interview mit Ihnen machen!

Elisabeth Pähtz: Ja, kein Problem!

G: Wann haben Sie angefangen Schach zu spielen und wer hat Sie trainiert?

P: Ich habe im Alter von fünf Jahren begonnen. Mein Vater ist Schach-Großmeister und er hat mir die Regeln beigebracht. Ich habe noch einen zwei Jahre älteren Bruder. Er war damals sechs Jahre alt. Meine Mutter war berufstätig und hatte nicht so viel Zeit für uns. Wir waren normalerweise in der Schule oder im Kindergarten. Deswegen ist mein Vater mit meinem Bruder und mir zusammen auf Schach-Turniere gefahren. Dort hat mein Bruder mitgespielt. Ich habe immer zugeschaut und dadurch die Regeln gelernt.

G: Interessant. Mein Vater ist nämlich auch Großmeister und ich habe auch früh mit Schach angefangen. Wie war es denn, mit dem eigenen Vater zu trainieren? Gab es Druck bei verlorenen Partien?

P: Es ist nie einfach, von dem eigenen Vater oder der eigenen Mutter trainiert zu werden, weil dann immer sehr viele emotionale Spannungen eine Rolle spielen. Das Problem ist auch: Wenn das Kind verliert, dann sind die Eltern auch sehr traurig, und es ist schwierig diese Emotion vor dem eigenen Kind zu verstecken. Deswegen glaube ich, es ist zwar gut, wenn dein Vater oder deine Mutter ein sehr guter Schachspieler ist, aber es ist auch schlecht, weil eben die private Komponente oder das Persönliche und die Emotion stark auf das Kind wirken. Dadurch entsteht ein Druck, den die Eltern nicht geben möchten, aber der automatisch dadurch entsteht, dass es eben eine Eltern-Kind-Beziehung ist.

G: Sie haben Schach früh gelernt. Welche Auswirkung hatte das auf Ihre schulische Leistung?

P: Ich erinnere mich noch dunkel an meine schulische Leistung. Ich war nie besonders gut in der Schule, aber ich war sehr gut darin, auswendig zu lernen. Ich hatte ein unglaublich gutes Gedächtnis. Ich war in allen möglichen Tests, z.B. im Topografie-Test, wo du eine leere Karte bekommst und Flüsse und Städte einzeichnen musst, unglaublich gut. Im Kopfrechnen war ich die schnellste in der Klasse. Oder auch wenn es um Vokabeltests ging, da habe ich nie Fehler gemacht. Ich glaube, dass das am Schach liegt, weil du eben mit Schach deine Gedächtnisleistung sowohl visuell als auch in allen anderen Bereichen trainierst.

G: Also in Mathe, Geografie und Fremdsprachen hat Schach Ihnen besonders geholfen ... Wie war es denn mit der Zeit? War es nicht zu wenig Zeit für die Schule, wenn man so viel Schach trainiert?

P: Ich war nicht so oft in der Schule, das gebe ich zu. Deswegen bin ich auf eine spezielle Schule gegangen. Das war ein Sport-Gymnasium in Dresden. Dort habe ich mein Abitur gemacht. Da war es so, dass ich das Abitur in der Oberstufe nicht in zwei Jahren, sondern in drei Jahren machen konnte, und dadurch hatte ich mehr Zeit. Das war entspannter und ich konnte mehr Turniere spielen.

G: Welche Fähigkeiten, die beim Schachspielen trainiert werden, helfen im Leben allgemein?

P: Wir lernen ja im Schach Entscheidungen zu treffen. Das fällt mir zwar im Leben immer noch schwer, aber manchmal, wenn ich keine Zeit mehr habe und mich entscheiden muss, dann schaffe ich das auch. Und ich glaube, es ist auch gut, dass wir Schachspieler dazu neigen, jede mögliche Art von Entscheidung oder Angebote genauestens zu analysieren. D.h. wir sagen nicht sofort ja oder nein, sondern wir versuchen das wirklich zu analysieren, was die Vorteile und Nachteile sind. Das liegt daran, dass wir im Schach auf ähnliche Weise entscheiden müssen, wenn wir zwei Züge zur Auswahl haben. Wir müssen die Vor- und Nachteile irgendwie abwägen. Ich glaube, im Leben ist das dann bei Entscheidungen oder Angeboten oder bestimmten Situationen ähnlich.

G: Guter Punkt. Was waren denn Ihre Ziele als Jugendlicher?

P: Als ich 14-15 Jahre alt war, wollte ich eigentlich Opernsängerin werden. Das war für mich damals viel interessanter als Schach. Aber mein Vater fand das nicht so toll. Meine Mutter hatte als Jugendliche auch großes Interesse an Oper und Musical. Aber man hatte ihr damals gesagt, dass ihre Lungenkapazität nicht ausreichen wurde. Deswegen meinte sie zu mir, dass ich die genetischen Voraussetzungen dafür nicht hätte. Letztendlich stimmte das nicht und ich hatte wirklich sehr gute Voraussetzungen für eine Gesangsausbildung. Aber dadurch, dass ich mich eben fürs Schach entschieden habe oder meine Eltern das besser fanden, bin ich halt beim Schach geblieben und habe nie was an meiner musikalischen Ausbildung gemacht.

G: Was würde jungen Schachspielern wie mir helfen, ihr Spiel weiterzuentwickeln und besser zu werden?

P: Ich wurde damals zum Teil auch nicht richtig ausgebildet. Zumindest meinte mein Vater, dass er damals nicht den Kenntnisstand als Trainer hatte, den er heute hat. Dadurch, dass mein Vater schon über 20 Jahre oder 30 Jahre Schach-Trainer ist und ich seine Arbeit oft begleitet habe, habe ich auch gelernt, mit Kindern, Jugendlichen, Hobbyspielern oder Vereinsspielern zu trainieren. Als Trainer würde ich immer systematisch alle positionellen Themen im Schach zu behandeln, z.B. offene Linien, Umgruppierung, das positionelle Qualitätsopfer, Bauernstrukturen. Ich würde jede Thematik ganz intensiv behandeln mit 10, 12, 15 Beispielen. Ich denke nach dieser Erfahrung hat man automatisch schon sein Schachverständnis verbessert. Das ist aber nur ein Bereich von vielen, die im Schachtraining eine Rolle spielen. Der psychologische Bereich ist leider auch sehr, sehr wichtig. Eine meiner größten persönlichen Schwächen ist, dass ich mental nicht so stark bin. Es ist schwierig, einem ängstlichen Menschen zu vermitteln, dass er jetzt mutig sein soll und Risiken eingehen muss. Wenn er das schon im Leben nicht kann, ist es auch im Schach schwierig für ihn. Für diese Komponente bräuchte man Psychologen. Die rein schachlichen Aspekte kann man wirklich systematisch erlernen. Jussupow und Dworezki haben genau diese Themen in ihren Büchern behandelt. Das sind gute Wegweiser.

Elisabeth Pähtz beim Gibraltar Chess Festival 2020 | Foto: John Saunders (Gibraltar Chess Festival)

G: Ok, würden Sie denn sagen, dass Jugendliche heutzutage zu viel Eröffnungen trainieren und sich nur mit Computern vorbereiten? Und z.B. gar nicht auf Endspiele achten?

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P: Ich glaube, wenn ich es so vergleiche, das Schach von heute ist definitiv anders als das Schach von damals, das stimmt. Wenn man sich die Jugendspieler oder die Topstars wie Firouzja oder Goryachkina und so weiter anguckt, merkt man natürlich, dass sie durch die neue Zeit geprägt sind und dass die Eröffnungen eine viel größere Rolle spielen. Allerdings gibt es auch von diesem Superkindern einige, die unglaublich starke Endspielexperten sind. Ich bin mir nicht sicher, welche Ausbildung sie genau genossen haben. Alles, was ich weiß ist, dass z.B. viele Jugendliche Königsindisch nicht spielen, weil der Computer += zeigt und sie deshalb denken, dass Königsindisch eine schlechte Eröffnung ist. Aber andererseits haben sie relativ schlechte Ergebnisse, wenn sie gegen Königsindisch spielen. Und das wiederum zeigt mir, dass sie vielleicht durch die Computer zu früh beeinflusst worden sind, was bestimmte Varianten im Schach angeht. Aber andererseits glaube ich nicht, dass es da große Unterschiede gibt zwischen heute und damals.

G: Sie waren dreimal Deutsche Meisterin. Wenn man den Titel so oft gewonnen hat, was ist der Titel dann noch Wert?

P: Ich bin gar nicht sicher, dass ich dreimal Deutsche Meisterin war, muss ich sagen. Im Schnellschach war ich ein Paar Mal Deutsche Meisterin, das stimmt. Ich habe aufgehört Deutsche Meisterschaften zu spielen mit 14. Damals als 14-Jährige habe ich die Deutsche Frauen-Meisterschaft gewonnen. Und danach habe ich nie wieder im Jugendbereich gespielt, außer einmal U18 bei den Jungs. Sonst halt nur Schnellschach und Blitzschach zum Spaß. Das hat mich nie wirklich gereizt, weil in Deutschland die Konkurrenz auch nicht so gut war, und man keine sehr starken Gegnerinnen hatte. Das klingt jetzt sehr arrogant, aber was damit gemeint ist, der schachliche Reiz war bei diesen Meisterschaften nicht da, weil eben die Konkurrenz nicht so stark war, und da macht es mehr Sinn, wirklich starke Turniere zu spielen als Deutsche Meisterschaften.

G: Was war denn ihr größter Erfolg im Schach?

P: Ich glaube, für mich persönlich, der Gewinn der Europa-Meisterschaft der Frauen im Schnellschach 2018. Dann noch die Bronzemedaille im Schnellschach 2017 bei der Weltmeisterschaft. Und letztendlich glaube ich sowieso, dass ich im Schnellschach und Blitzschach wesentlich stärker bin als im normalen Schach, weil: a) dieser mentale Druck nicht dabei ist, beziehungsweise ich nicht die Zeit habe, mir darüber Gedanken zu machen, ob ich jetzt Angst habe oder nicht und demzufolge Risiken eingehe oder nicht, weil im Schnellschach gehst du viel eher Risiken ein, dadurch dass die Bedenkzeit sehr kurz ist. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich im Schnellschach und Blitzschach wesentlich bessere Ergebnisse zeige.

G: Eine sehr interessante Frage für uns junge Schachspieler: Wie bereiten Sie sich vor einem Turnier oder einer Partie vor? Machen Sie das alleine mit ChessBase oder trainieren Sie mit jemand? Und was würden Sie genau 30 Minuten vor der Partie tun?

P: Es kommt immer drauf an … Für den Grand Prix habe ich einen Trainer über Skype gehabt und der hat mir was beigebracht, was ich vorher nicht so kannte. Ich bin nicht auf bestimmte Eröffnungen spezialisiert. Ich spiele alles, weil ich eher etwas faul bin, d.h. ich kenne meine Eröffnungen nicht sehr tief, aber gut genug, um die Strukturen zu verstehen und um zu wissen, was ich machen muss. Allerdings, wenn du immer das Gleiche spielst, gibt es halt die Gefahr, dass dein Gegner sich vorbereitet. Und wenn er das tiefer kennt als du, was höchstwahrscheinlich ist, dann ist es besser, wenn man variiert. Und dadurch, dass ich so variabel bin und prinzipiell alles spiele, und vor nichts Angst habe, selbst vor einer neuen Eröffnung, schrecke ich nicht zurück. Mein französischer Trainer Yannick Gozzoli hat mir geraten, nicht zu gucken, was ich selber am besten kann, sondern zu gucken, welche Struktur oder welche Eröffnung meine Gegnerin oder mein Gegner schlecht beherrschen. Ich habe deshalb die Partien meines Gegners angeguckt und habe erstmal versucht zu verstehen, mag er statische oder dynamischen Stellungen, mag er statische Bauernstrukturen oder flexible Bauernstrukturen, mag er dynamische Abspiele, mag er Endspiele, tauscht er gerne die Dame oder nicht. Nehmen wir z.B. Goryachkina. Sie ist ja mittlerweile eine der stärksten Frauen der Welt und sie liebt statische Stellungen, sie liebt einfache Stellungen. Sie hasst es, wenn es kompliziert und taktisch wird. Gegen sie müsste man also eine Eröffnung spielen, wo man die Möglichkeit hat, dynamischen Druck aufzubauen. D.h. man sollte dann logischerweise nicht die Karlsbad-Struktur gegen sie wählen, denn in dieser Struktur hat sie unglaublich gute Ergebnisse - eine Performance von 2700 -, sondern eher so etwas wie Benoni oder Königs-Indisch, was eben viel mehr taktische Möglichkeiten bietet. Und aufgrund dieses neuen Wissens, das mein Trainer mir beigebracht hat, ist meine Vorbereitung jetzt immer so, dass ich mir angucke, wo meine Gegnerin ihre klaren Stärken und Schwächen hat. Wenn sie eine sehr flexible Spielerin ist wie Anna Muzychuk, z.B., die ist gerade hier im ChessBase Studio, dann gucke ich eher, wo ich am wenigsten Schwierigkeiten habe, weil bei Anna sehe ich jetzt keine große Präferenz für Dynamik, Taktik oder statische Abspiele, sondern sie ist sehr, sehr flexibel, genauso wie ich. Dann würde ich eher darauf achten, dass ich mich in der Eröffnung, die ich gegen sie wähle, wohlfühle.

Elisabeth Pähtz und Anna Muzychuk | Foto: André Schulz

G: Was haben Sie damals als Kind gerne gespielt und was spielen Sie jetzt? Ist Ihr Repertoire größer geworden und hat sich etwas verändert?

P: Also, als Kind habe ich mit Schwarz z.B. mit Najdorf angefangen. Dann habe ich paar Jahre lang Najdorf nicht gespielt, habe dann 1.e4 e5 gelernt. Dann war ich auf dem Französisch-Trip, denn mein Vater hat jahrelang Französisch gespielt. Im Alter von fünf bis zehn Jahren, denke ich, war es nur Najdorf, danach war es 1... e5 und Französisch und jetzt bin ich zurück zu Najdorf. Irgendwie gefällt mir das immer am besten. Ich spiele aber auch noch 1... e5 und Französisch. Und mit Weiß habe ich mit e4 begonnen und dann habe ich irgendwann festgestellt, dass d4 doch für mich besser ist, weil es weniger forcierte Varianten gibt und man weniger lernen muss. Dann irgendwann habe ich mich in das Londoner System verliebt, habe dazu eine DVD bei ChessBase gemacht. Und ja, mit Londoner habe ich sehr gute Erfolge erzielt. Jetzt spiele ich eigentlich von allen diesen Sachen alles. Wenn ich faul bin, spiele ich 1. d4, und wenn ich Lust habe mich länger vorzubereiten, spiele ich 1.e4. 

G: Sie sind ja Profi-Spielerin – stärkste Frau in Deutschland. Kommen Sie denn als Profi-Spielerin gut zurecht und können Sie davon gut leben? Können Sie so eine Profi-Karriere empfehlen?

P: Ja und nein, also Deutschland ist jetzt nicht das Schachland, leider. Wenn es jetzt in Deutschland wie in Indien wäre, wo es staatliche Unternehmen gibt, Ölfirmen oder Flugzeug-Airlines, die dann die Spieler unterstützen, wäre es natürlich einfacher. Aber insgesamt kann ich mich nicht beschweren. Ab und zu gewinne ich auch mal eine Medaille und das hilft. Aber ich glaube, wenn ich jetzt noch Familie hätte und mein Mann nicht arbeiten würde, dann wäre es schwierig, sagen wir es mal so. 

G: Haben Sie noch Pläne in einem anderen Bereich, der nach der Karriere als Schachspielerin kommen könnte?

P: Ja, ich würde gerne Jodeln lernen. Und ich würde gerne noch Boogie-Woogie-Tanzen lernen, das ist so eine Art Rock ’n’ Roll. Ach ja, und ich werde im Juli wieder nach Berlin zurückziehen und möchte dann auch in den Schachbox-Klub eintreten. Ich war dort das letzte Mal vor 5-6 Jahren, als ich in Berlin gewohnt habe. Ich möchte wieder zum Schachboxen zurückkehren, weil es Weltmeisterschaften gibt und wenn es mit dem normalen WM-Titel nicht klappt, dann klappt es vielleicht mit der Schachbox-Weltmeisterschaft.

G: Vielen Dank für das Interview, Frau Pähtz! Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg im Schach und noch viele schöne Erlebnisse!

P: Dankeschön!

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Magdalina Genova (Jg. 2004), ist Schülerin am Heinrich-Heine Gymnasium und hat bei ChessBase ein Schülerpraktikum absolviert. Sie spielt Schach beim Hamburger SK. Ihr Vater ist GM Petar Genov, ihre Mutter ist WIM Lyubka Genova.

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