Interview mit Mathias Feist
Reproduktion des Interviews von Jorge. I. Aguadero Casado mit freundlicher Genehmigung der spanischen Schachzeitschrift "Peón de Rey". Der Originalartikel wurde in der Ausgabe März/April 2018 von Peón de Rey in spanischer Sprache veröffentlicht.
Jorge I. Aguadero Casado (Peón de Rey): Warst Du als Kind und Jugendlicher ein guter Schüler? Wie sahen Deine ersten Schritte als Informatiker aus? Warum hast Du ausgerechnet Schach als dein programmiertechnisches Wirkungsfeld gewählt?
Mathias Feist: Meine Schulnoten waren immer ausgezeichnet. Was das betrifft, war ich immer ein Musterschüler.
Mathias Feist am Brett | Foto: Nadja Wittmann (ChessBase)
Während der Schulzeit, Ende der siebziger Jahre, bot einer unserer Lehrer eine freiwillige Computer Arbeitsgemeinschaft an. Ich war sofort fasziniert und in kürzester Zeit war ich der einzige Schüler an meiner Schule, der einen eigenen Schlüssel für den Computerraum besaß und den durfte ich auch bis zum Abitur behalten.
Ich spielte Schach und interessierte mich für das Programmieren, besonders Spielprogramme hatten es mir angetan, darunter auch Schach. Ich begann mit einem Programm zum Lösen von Mattaufgaben und nachdem ich Matthias Wüllenweber getroffen hatte auch damit, wie man Schachpartien speichern kann. Während meiner Zeit an der Universität arbeitete ich außerdem an einem frühen und mit den heutigen Standards verglichen einfachem Interpreter für formale Sprachen. Es passte irgendwie alles zusammen. Das war nicht geplant und ist einfach so passiert.
Anfang der achtziger Jahre erregten du und dein niederländischer Freund Franz Morsch die Aufmerksamkeit der Firma ChessBase mit eurem Schachprogramm "Knightstalker". Inwieweit war das innovativ? Bildete es die Basis für das spätere Projekt "Fritz" oder war es eine andere Art von Software. Die Ziele, die du dir selbst für das Fritz Projekt gesetzt hattest, waren das dieselben, die Du heutzutage verfolgst?
Ich lernte Frans 1991 kennen. Wir hatten schon das Datenbankprogramm ChessBase und wollten ein richtiges "Schachprogramm" programmieren. Dafür haben wir dann als Firma Kontakt zu Frans aufgenommen und mit ihm zusammen Fritz entwickelt. "Knightstalker" war zeitweise ein anderer Name für Fritz auf dem amerikanischen Markt.
Mathias Feist startet die Uhr | Nadja Wittmann (ChessBase)
Fritz war das erste Schachprogramm, dass die "Nullmove" Heuristik in seiner Suche verwendet hat. Als wir damit begannen, das Programm zu kreieren, war es unser Plan den Schachweltmeister spätestens in 15 Jahren damit besiegen zu können. Das hat perfekt funktioniert: Im Jahr 2006 haben wir gegen Kramnik in Bonn gewonnen! Natürlich haben wir jetzt andere Zielsetzungen, die Spielstärke ist ja inzwischen bereits vorhanden.
Wie viele Leute arbeiten jeweils an einer neuen Fritz-Version mit? In welche Arbeitsgebiete wird die Arbeit aufgeteilt?
Das ist schwierig zu beantworten. Es hängt davon ab, wie du diese Arbeitsgebiete genau definieren möchtest. Die Benutzeroberfläche wird im Grunde von vier Programmierern gemacht. Aber dann gibt es natürlich noch die Engine, das Design, die Übersetzungen von Menüs und Handbüchern in verschiedene Sprachen, die Server, die Webseiten, und so weiter.
Ich persönlich arbeite vorwiegend an der Benutzeroberfläche, den Servern und den Installern. Aber seit einiger Zeit arbeite ich auch an den Webanwendungen mit.
Im Jahr 1994 war Fritz das erste Schachprogramm, das den offiziellen FIDE Titel Internationaler Meister zu erkannt bekam. Was hat dir das bedeutet?
Das war einer der Zwischenschritte in unserem 15-Jahresplan. Wir waren auf Kurs!
Fritz im Jahre 1999 zu Besuch auf der Raumstation MIR! Nachdem die MIR dreizehn Jahre im All gewesen war, wurde sie 2001 kontrolliert zerstört. Im Jahre 1997 hatte die Raumstation sogar einen Brand überstanden | Photo: del archivo de ChessBase| Foto: ChessBase Archiv
Die große Herausforderung, vor der die Menschheit während des letzten Jahrhunderts stand und immer noch steht war es, die künstliche Intelligenz zu weiterzuentwickeln. Inwieweit beeinflusst ihr durch die Entwicklung eurer Software diesen Prozess? Ist dieser als bahnbrechendem zu bezeichnen?
Ich glaube, die Art und Weise wie Schach trainiert und gespielt wurde hat sich sehr verändert, seitdem ich erfunden habe, dass eine Engine fortwährend die aktuelle Position einer Partie analysiert. Das war eine riesige Veränderung. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt war es, dass der Zugang zu Schachpartien sehr vereinfacht wurde.
Heutzutage wird das Programm ChessBase immer mächtiger. Mit besserer Hardware und schnellen Internetverbindungen bieten sich neue Möglichkeiten, auf Schachinformationen zugreifen zu können.
Gibt es vielleicht irgendeine Anekdote über die Arbeit mit Fritz, die den Lesern vielleicht noch unbekannt ist?
Du greifst mit deiner Frage vor auf 1995 und die Computerweltmeisterschaft in Hong Kong.
Was hat Fritz dort stärker gemacht als alle anderen Programme? Fritz 6.0, mit einer Elo-Bewertung von 2607, war das erste Programme, das die 2600 Punkte Barriere überschritt. Wie habt ihr das damals gefeiert? Wie habt Ihr das damals gefeiert?
Wir spielten in Hong Kong auf dem langsamsten Rechner des ganzen Turniers. Wir benutzten einfach einen Computer, der uns von der Universität zur Verfügung gestellt wurde. Aber Fritz spielte sogar darauf taktisch sehr stark und positionell solide. Ich glaube eher nicht, dass wir die großen Programme wie Star Socrates oder Deep Thought (Blue) „ausrechnen“ konnten. Aber in einigen Situationen schienen unsere Berechnungen einfach besser gewesen zu sein. Außerdem war die Suche von Fritz in einigen Stellungen wirklich sehr tief.
Das war wieder ein Schritt mehr auf dem Weg unseres 15 Jahre Planes. Wir waren noch immer auf dem richtigen Weg.
Das Unentschieden gegen Kramnik im Jahr 2002 war eure Konsolidierung gegen einen FIDE Weltmeister. Die Engine hatte in nur zwei Jahrzehnten gelernt genauso gut zu spielen wie die besten menschlichen Schachspieler. Erfüllte diese Lernkurve euren Erwartungen?
Ja, und es dauerte nur ein Jahrzehnt!
Welche Schlussfolgerungen habt ihr aus dem Unentschieden gegen Kasparov im Jahre 2003 gezogen?
Den Topspielern die Stirn bieten zu können war ein Ding. Aber sie auch zu schlagen war noch eine andere Sache. Es fehlte noch etwas bevor wir in der Lage wären, die Fähigkeit der Topspieler zu überwinden, nicht zu verlieren.
Die Technologie von Fritz wird stets weiterentwickelt. Die Fähigkeiten der aktuellen Software sind jetzt schon grandios. Habt ihr auch schon darüber nachgedacht für eine zukünftige Version eine Art "virtuelle Realität" für zu Hause zu entwickeln, eine bei der man mit so einer Spezialbrille und dem entsprechenden Zubehör spielt?
Wir haben schon einige Experimente in dieser Richtung gemacht.
Matthias Wüllenweber, Mathias Feist, Frederic Friedel und weitere ChessBase Kollegen | Foto: Nadja Wittmann (ChessBase)
In Bilbao (2005) wurden drei Ex-Weltmeister von den Maschinen besiegt. Glaubst du, dass diese Art von Wettkämpfen auch heutzutage noch sinnvoll wären oder sind die Top-Engines einfach viel zu stark und darum außerhalb der Reichweite für menschliche Spieler?
Nein, das hat keinen Sinn mehr. Heute sind Computer keine Gegner der Menschen mehr, sondern sie sind ihre Partner und Analysewerkzeuge für Schachpartien.
War der Sieg über Vladimir Kramnik 2006 etwas, das zu erwarten war? Oder hatten menschliche Spieler damals sehr wohl noch eine Chance gegen die stärkste Maschine? Fühltest du dich unwohl bei dem Gedanken, dass das Ende der letzten romantischen "Überlegenheit des menschlichen Denkens über die Maschinen" gekommen war, oder im Gegenteil? Und siehst du dich selbst als einen "Pionier", der dabei geholfen hat, dem menschlichen Einfallsreichtum ganz neue Wege zu öffnen?
Wir hatten unser Ziel erreicht! Wir waren froh und traurig zugleich, weil wir wussten, dass die Ära der Wettkämpfe gegen menschliche Topspieler endgültig vorbei war. Wir spielten auf Standardhardware, jeder hätte so einen Computer haben können. Weltklassespielstärke hatte somit also das Massenpublikum erreicht.
Was hast Du gelernt, nachdem ihr 2007 das Match gegen Deep Junior verloren hattet? Eure Strategie war seit Anfang des neuen Jahrtausends, die besten Schachspieler der Welt herauszufordern und diese mit dem Computer zu besiegen. Heute, wo die Computer so haushoch überlegen sind, was ist da noch die Herausforderung?
Es gab Bereiche im Programm, die noch verbessert werden mussten, besonders was die unausgeglichenen Stellungen betraf. Heutzutage arbeiten wir daran, Schachwissen aus den Datenbanken zu extrahieren. Für diese Aufgabe sind starke Schach-Engines auch sehr nützlich, aber das ist nur einer der Aspekte.
Was kann an den aktuellen Schachprogrammen noch verbessert werden? Haben diese inzwischen ein Spielniveau erreicht, bei dem es nicht mehr nötig scheint, die Spielstärke zu verbessern? Gibt es vielleicht inzwischen ganz andere Herausforderungen? Ist es zu erwarten, dass die demnächst auf den Markt kommenden Quantum Computer die Entwicklung der Schachprogramme signifikant beeinflussen werden?
Ich glaube, es wird immer Raum für Verbesserungen geben. Schachprogramme sind noch weit davon entfernt, perfekt zu sein. Es ist beispielsweise sehr schwierig, dynamische Langzeitfaktoren zu bewerten. Und so lange es noch Raum nach oben gibt, wird auch weiter probiert.
Magnus Carlsen, mit seiner Fritz16 DVD in der Hand | Foto: Nadja Wittmann (ChessBase)
Welche neuen Features bietet die neue Version von Fritz, Fritz 16 aus konzeptueller Sicht? Welche Ansprüche hat ChessBase jeweils an die neue Version eines Fritz-Programms?
Seit mehreren Fritz-Versionen haben wir den Anspruch uns auf Fritz als Trainingswerkzeug für den Durchschnittsspieler zuzubewegen, aber natürlich wollen wir gleichzeitig auch Trainings-Tools für die Top-Spieler bieten. Wir versuchen, uns bestmöglich in den Otto-Normal-Spieler und seine Ansprüche hineinzuversetzen. Die Spielanalyse ist stark verbessert worden und interessante Spiel- und Trainingslevels sind ebenfalls weiter perfektioniert worden. Dies ist ein viel schwieriger zu beschreibendes Arbeitsgebiet als die pure Verbesserung der Spielstärke.
Kannst du uns in allgemeinverständlichen Worten erklären, wie Fritz über seine Züge "vernünftig nachdenkt"? Funktioniert das noch auf dieselbe Weise wie bei den Vorgängerversionen oder hat sich die Positionsanalyse verändert, seit ihr die erste Fritz-Version auf den Markt gebracht habt?
Fritz 16 ist keine Revolution, aber es gibt eine große Evolution. Die Grundideen sind immer noch dieselben. Aber sie sind stark verbessert worden seit die erste Version damals auf den Markt kam und es sind unzählige neue Ideen eingebaut worden. Nach welchen Kriterien ein Zug ausgewählt wird? Das ist nicht so leicht zu erklären ohne dabei sehr technisch zu werden. Grob gesagt, werden zwingenden Varianten ausgespielt und die Stellung, die sich daraus ergibt wird statistisch (das einfachste Kriterium hierbei ist das Material) und dynamisch (zum Beispiel hinsichtlich der Figurenaktivität) ausgewertet. Es wird dann der beste Zug genommen.
Wie kann man einer Engine positionelles Schach "beibringen"? Wie wichtig ist positionelles Schachwissen hierbei für die pure Rechenkraft der Engine?
Wir versuchen, positionelle Schwächen der Engine zu finden und präsentieren dann eine Lösung. Danach wird diese getestet. Oftmals funktionieren intuitive Lösungen nicht, weil die Engine einen Weg findet, diese zu umgehen.
Der Schachweltmeister Magnus Carlsen war kürzlich bei Euch im ChessBase Büro zu Besuch. Wie war das für dich?
Ich hatte mich sehr darauf gefreut, ihn zu treffen. Er ist eine interessante Person, auch unabhängig vom Schach gesehen.
Und zuletzt: Was denkst Du über die "AlphaGo" Entwicklungen von Google? Bringt es der Weiterentwicklung von Schachsoftware irgendeinen Nutzen?
Nicht direkt, weil momentan niemand das Experiment wiederholen oder analysieren kann. Aber die veröffentlichten Partien waren dennoch interessant. Offenbar ist es möglich, ein Programm mit viel besserem Verständnis für dynamische Features zu haben.
Vielen Dank, Mathias!
Interview: Jorge I. Aguadero Casado (Peón de Rey)
Übersetzung ins Deutsche: Nadja Wittmann (ChessBase)
Die März/April Ausgabe der spanischen Schachzeitschrift "Peón de Rey" (Nr. 133)
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