Interview mit Vladimir Chuchelov, Caruanas Trainer

von Alisa Melekhina
08.09.2014 – Warum hat Fabiano Caruana beim Sinquefield Cup so gut gespielt? Und warum ist er immer so gut vorbereitet? Vielleicht liegt das an der Zusammenarbeit mit Vladimir Chuchelov. Im Interview mit Alisa Melekhina verrät der erfolgreiche Coach wie er Trainer wurde, nach welchen Methoden er trainiert und wie die Zusammenarbeit mit Caruana aussieht. Mehr...

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Vladimir Chuchelov: Karriere eines Trainers

Interview mit Alisa Melekhina

Großmeister Vladimir Chuchelov wurde 1969 in Moskau geboren. Sein erster Trainer war ebenfalls ein Moskauer, der berühmte Victor Cherniy, der seinen 70. Geburtstag mit einem Fallabschirmabsprung feierte. Als Chuchelov anfing, sich ernsthaft mit Schach zu beschäftigen, wurde er Abram Khasin sein fester Trainer.

Abram Khashin (2004 in Dortmund 2004), einer der besten russischen Trainer und eine bemerkenswert Persönlichkeit.
Auch nach seinem 90. Geburtstag ist er noch aktiver Schachspieler!

Chuchelovs Trainerlaufbahn begann 2002 mit einer Einladung von Jeroen Piket, damals einer der besten Spieler der Niederlande, ihn vor dem Turnier in Wijk aan Zee zu trainieren. Der Beginn einer langen Tradition. Seit nunmehr 13 Jahren in Folge hat Chuchelov zahlreiche Spieler auf das holländische Traditionsturnier vorbereitet.

Jeroen Piket zog sich ein Jahr später jedoch vom Turnierschach zurück,
um für den Schachmäzen Joop van Oosterom zu arbeiten.

2003 wurde Chuchelov von Loek Van Wely, einem anderen holländischen Spitzenspieler eingeladen, ihm bei der Vorbereitung auf das Turnier in Wijk zu helfen. Van Wely hatte schon öfter in Wijk gespielt, aber immer Probleme gehabt. Doch die fünf Wochen gemeinsamer Vorbereitung mit Chuchelov zahlten sich aus.

2003 führte Van Wely in Wijk aan Zee das gesamte Turnier hindurch und trotz unglücklicher Niederlagen gegen Karpov und Kramnik
in den Schlussrunden hatte er am Ende ein Plus-Score (zwischenzeitlich lag er bei +3).

Damals spielte Chuchelov noch selbst aktiv. "Ich gehörte zwar sicher nicht zur absoluten Spitze, aber war ein guter Großmeister und in den Top 100." Irgendwann stellte er fest, dass "die analytische Arbeit aufregender war als selber zu spielen".

Der Holländische Schachverband sah die Erfolge seines Trainings und fragte ihn, ob er nicht mit jungen Talenten arbeiten wollte. Es gab immer mehr Anfragen und 2008 wurde er zum Cheftrainer des Holländischen Verbands. Bald erkannte Chuchelov, dass einfach nur Großmeister zu sein, nicht genug war, um erfolgreiche Trainingsarbeit zu leisten. "Ich musste meine Trainingsmaterial kontinuierlich erweitern und aktualisieren." Schließlich beschloss er, sich ganz auf seine Karriere als Schachtrainer zu konzentrieren. "Mein Ansatz bestand darin, Spitzenschach anzustreben und die Grundlagen meiner Schüler zu festigen. Auf beiden Ebenen gleichzeitig zu arbeiten, erwies sich als fruchtbar."

Alisa Melekhina: Haben Sie einmal überlegt, Ihre Trainingsmethoden einzusetzen, um ihre eigene Spielstärke zu steigern?

Vladimir Chuchelov: Dafür war es leider schon zu spät. Ich habe erkannt, dass ich nie wirklicher Profi war. "Profi" zu sein erfordert eine ganz andere Einstellung und Herangehensweise an das Training. Davon hatte ich nur eine sehr vage Idee.

AM: Wie steigern Sie die Spielstärke Ihrer Schüler?

VC: Ich fange immer mit einem 60-stündigen Kurs an, den ich "Strategische Balance" nenne. Alle meine Schüler kennen diesen Kurs. Danach folgen Trainingsroutinen wie die Analyse von Partien, die Arbeit am Eröffnungsrepertoire und Training im Variantenrechnen. Man muss konzentriert und motiviert sein und bereit, hart zu arbeiten. Das Wichtigste ist zu lernen, wie man effizient arbeitet. Es gibt nicht die eine Erfolgsformel - das Vorgehen hängt stets vom jeweiligen Schüler ab. Jeder hat andere Schwächen, um die man sich kümmern muss.

Mit "Konzentration" meinen Sie, dass man sich voll und ganz dem Schachstudium widmet?

Nicht unbedingt, aber wenn man Schach studiert, dann muss man sich einzig und allein auf Schach konzentrieren. Halb-halb geht nicht. Nur dann kann man effizient arbeiten.

Wie begann Ihre Zusammenarbeit mit Fabiano Caruana?

Ich habe Fabianos Vater (Lou Caruana) bei der Europameisterschaft 2010 kennengelernt. Ich begleitete damals einen anderen meiner Star-Schüler, Anish Giri. Es gab nur wenige Zuschauer und während wir die Partien verfolgten, plauderte ich gelegentlich mit Fabianos Vater. Ein paar Wochen später erhielt ich eine Einladung, nach Lugano, in die Schweiz zu kommen, um mit Fabiano zu trainieren. Es schien, als ob Fabiano die Trainingssessions Spaß gemacht hatten. Aber Fabiano war bei neuen Trainern immer skeptisch und so musste ich meine Autorität erst beweisen. Doch das klappte schließlich. Anfangs habe ich ihn nur bei großen Turnieren unterstützt, aber in den letzten zwei Jahren war ich bei fast allen Turnieren dabei.

Seit 2010 ein starkes Team: Chuchelov und Caruana (Foto: Alisa Melekhina)

Wie sah die Vorbereitung auf den Sinquefield Cup aus?

Wir hatten nicht viel Zeit zur Vorbereitung, weil Fabiano erst Dortmund und dann die Olympiade gespielt hat. Wir hatten ein paar Trainingssessions über Skype, aber dann fing sich Fabiano eine Erkältung ein. Aber da wir das ganze Jahr über zusammenarbeiten, war das nicht so wichtig.

Wie hat es sich ausgewirkt, dass Fabiano vor dem Sinquefield Cup an zwei großen Turnieren teilgenommen hat?

Das hat weder besonders geholfen noch geschadet. Die starken Neuerungen und Perlen, die wir in den Jahren zuvor entdeckt hatten, Fabianos phantastische Form, die Ice Bucket Challenge! In diesem Turnier kam alles zusammen. Tatsächlich wurden drei Partien im Prinzip schon in der Eröffnung entschieden:

  1. die Partie gegen Vachier-Lagrave in Runde zwei - g4 im Caro-Kann;
  2. die Partie gegen Aronian in Runde vier mit der Sa2-Idee;
  3. und die Partie gegen Topalov in Runde sechs, in der Fabiano das sehr starke 13.Te2 gespielt hat - ein Zug, den, wie Topalov meinte, sein Team bei der Vorbereitung übersehen hat.

Topalov fiel der guten Vorbereitung Caruanas zum Opfer. (Foto: Lennart Ootes)

Wenn so etwas passiert, dann haben andere Gegner auf einmal Angst, ebenfalls in eine Vorbereitung zu laufen und fangen an, abzuweichen. Aber wenn sie abweichen, fühlen sie sich ebenfalls nicht besonders wohl. Und der Kreis schließt sich. Man muss allerdings sagen, dass der "neue" Fabiano bereits in Dortmund zu sehen war: bereits da unterliefen ihm kaum Fehler und er zeigte kraftvolles Schach. Für gewöhnlich bin ich sehr kritisch und versuche so dafür zu sorgen, dass er aufmerksam und wach bleibt. Aber in letzter Zeit hat er mir nur wenig Gründe geliefert, unzufrieden zu sein.

Maxime Vachier-Lagrave gegen Caruana, Runde sieben des Sinquefield Cups (Foto: Lennart Ootes)

Wie haben sie entschieden, auf welche Eröffnungen sie sich konzentrieren? Die Spieler in diesem Feld sind so stark, dass sie alles spielen können?

Wenn man die Partie einzelner Spieler jahrelang verfolgt hat, dann bekommt man ein Gespür dafür, was sie tun könnten und was nicht. Außerdem erkennt man Trends. Natürlich verfolge ich die Partien möglicher Gegner von Fabiano und ich gehe davon aus, dass sie die Partien ihrer möglichen Gegner verfolgen.

Wie bereiten Fabiano und Sie sich vor.

Viele Leute haben falsche Vorstellungen was Vorbereitung auf Spitzenniveau betrifft. Sie muss nicht lang sein, sondern effektiv, auf den Punkt. Natürlich klappt das nicht immer, aber in diese Richtung sollte das gehen. Weniger ist immer besser. Diese Erkenntnis hatte ich bereits zu Beginn meiner Trainerlaufbahn bei der Arbeit mit Loek Van Wely. Ein gewisser Ausgleich ist notwendig. Der Spieler braucht Kraft, um die Partie zu spielen. Sich auf eine Partie so vorzubereiten, als ob man drei Partien spielt, ist keine gute Idee.

Halten Fabiano und Sie während des Turniers eine bestimmte Routine ein?

Am Abend nach der Runde versuchen wir uns zu entspannen und machen vielleicht einen Spaziergang, besprechen die Partie, überlegen, was als Nächstes ansteht, welche Möglichkeiten wir in der nächsten Partie haben. Morgens arbeiten wir zwei bis fünf Stunden, dann gibt es Mittagessen und die Runde beginnt. Bei solchen Turnieren vergeht die Zeit schnell.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Partie während der Runde verfolgen?

Ich versuche, die Distanz zu wahren und nicht allzu sehr involviert zu werden, aber das ist nicht ganz leicht.

Chuchelov beim Versuch, während der Runde ruhig zu bleiben (Foto: Alisa Melekhina)

Welche Partie von Fabiano hat Ihnen die größten Sorgen bereitet?

Nachdem Fabiano seine fünfte Partie hintereinander gewonnen hatte, machte ich mir Sorgen, dass ihn vor Glück der Schlag treffen könnte. Ein solches Ergebnis wirkt ein wenig unrealistisch. Aber nachdem es in der zweiten Hälfte des Turniers genauso weiter ging, habe ich mir gedacht, wahrscheinlich hat er sich daran gewöhnt.

Fabiano Caruana freut sich über sein Hundert-Prozent-Ergebnis in der ersten Hälfte des Turniers. (Foto: Lennart Ootes)

Warum hat Fabiano das Feld überrannt? Haben seine Gegner gegen ihn anders gespielt als sonst?

Das glaube ich nicht. Es scheint alles zusammen gekommen zu sein. 

Aber reicht das aus, um 7 aus 7 zu erzielen?

Ja, eine wirklich eindrucksvolle Bilanz. Beinahe unwirklich, würde ich sagen. Entscheidend ist das Momentum.

Aber werfen wir noch einen kurzen Blick auf die anderen Spieler:

Topalov hat bei der Olympiade gute Form gezeigt, aber hier begann er das Turnier mit zwei Niederlagen und hatte eindeutig Probleme. Auch Vachier-Lagrave hat in der letzten Zeit souverän und selbstbewusst gespielt, aber wirkte hier von Beginn an verunsichert. Hikaru spielt sehr unregelmäßig, und zwar definitiv nicht nur in diesem Turnier. Magnus hatte am Ende ein Plus-Score, aber hat zwischendurch viele Chancen ausgelassen.

Im Gegensatz dazu hat Fabiano fast fehlerlos gespielt. Also kam vielleicht doch nicht alles zufällig zusammen.

Hat sich der Druck, den Tabellenführer schlagen zu müssen, auf Fabianos Gegner ausgewirkt?

50/50. Einerseits stehen sie unter Druck. Andererseits sehen sie, dass Fabianos Erfolgsserie unwirklich gut ist und irgendwann einmal zu Ende gehen muss. Vielleicht in ihrer Partie gegen Fabiano.

Fabiano ist immer so ruhig, wenn er vor der Kamera steht. Bringt ihn seine Performance aus der Ruhe?

Wenn die Kameras ausgeschaltet sind, ändert sich die Stimmung. Sagen wir, wir amüsieren uns.

Nach Ende des Turniers wirkt Fabiano definitiv entspannter. (Foto: Sam Thompson)

Was steht als nächstes für Fabiano auf dem Programm?

Nach diesem Turnier spielt er in Bilbao. Danach kommt außerdem die Grand Prix Serie in Baku, Taschkent und London.

Viele Leute halten Fabiano für den nächsten WM-Herausforderer, vor allem nach seinem noch nie dagewesenen Abschneiden hier. Was denken Sie darüber?

Wir werden sehen. Warten wir den nächsten Weltmeisterschaftszyklus ab.

Vorschau auf ein zukünftigen WM-Match? (Foto: Lennart Ootes)


Alisa ist eine der besten amerikanischen Spielerinnen und hat zahlreiche Frauen-US-Meisterschaften und Jugendweltmeisterschaften mitgespielt. Sie hat klassisches Ballett studiert und ist Absolventin der University of Pennsylvania Law School.

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