London 1927: Triumph der "Hypermodernen"

von Michael Dombrowsky
07.03.2018 – Mitte der 1920er Jahr wurden neue Ideen für die Eröffnungsstrategie veröffentlicht. Die Protagonisten der neuen Schule wurden nach einem Buchtitel die "Hypermodernen" genannt. Beim Turnier von London 1927 bewiesen sie, dass ihre Ideen etwas taugten. Ein Rückblick von Michael Dombrowski. (Fotoquelle: Britbase/John Saunders)

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Vor 90 Jahren: „Revolution“ im Schatten des Königspalastes

Stell Dir vor, es gibt eine Revolution und keiner bemerkt es. In der Schachwelt hat es so etwas schon gegeben. Beim Turnier in London 1927. Denn dort gewannen die „Revoluzzer“ Aron Nimzowitsch und Dr. Savielly Tartakower. Was bedeutete das?

Mit diesem Doppelerfolg unterstrichen die „jungen Wilden“ vor gut 90 Jahren, dass sich ihre neue Auffassung vom Schachspiel nachdrücklich als beachtenswerter Beitrag zur Theorie etabliert hatte. Allerdings war der Spielort in den Räumen des noblen British Empire Clubs nicht als revolutionäres Schlachtfeld geplant gewesen. Es passierte einfach im neoklassistischen Gebäude Piccadilly Nummer 101, das nur rund zehn Minuten Fußweg von Buckingham Palast entfernt ist. Übrigens: Der imposante Bau steht noch heute, ist aber längst kein Klub mehr, sondern Teil der japanischen Botschaft in Londons City of Westminster.

Zur Erinnerung: Dr. Savielly Tartakower hatte 1924 mit der Veröffentlichung seines Buches „Die hypermoderne Schachpartie“ im Verlag der Wiener Schachzeitung für ebenso großes Aufsehen gesorgt wie Aaron Nimzowitsch, der 1925/26 in fünf Lieferungen beim Berliner Verleger Bernhard Kagan „Mein System“ auf den Markt brachte. Den Anfang zur Veröffentlichung neuer Ansätze im Schachdenken hatte bereits 1922 Richard Reti mit dem Büchlein „Die neuen Ideen im Schachspiel“ im Wiener Rikola Verlag gemacht.

Und dieses „Dreigestirn“ mit ihrer damals revolutionären Schachauffassung spielte im Oktober 1927 in London groß auf. Nimzowitsch und Tartakower lieferten sich einen großartigen Kampf um den Turniersieg. Bis zur vorletzten Runde konnten nur noch Frank Marshall und Dr. Milan Vidmar im Kampf um den Sieg Schritt halten. Efim Bogoljubow  und Reti fielen nach Niederlagen zurück und belegten Rang fünf und sechs.

Vor der letzten Runde am 24. Oktober sah die Tabellenspitze so aus: Nimzowitsch, Tartakower und Vidmar hatten sieben, Marshall sechseinhalb Punkte. Die entscheidenden Paarungen lauteten: Marshall – Victor Buerger; William Winter – Vidmar; Tartakower – Reti; Nimzowitsch – Edgard Colle.

Marshall gewann kurz vor der Zeitkontrolle glücklich durch einen groben Fehler seines Gegners im 29. Zug (In London betrug die Bedenkzeit für die ersten 30 Züge zwei Stunden; für jede weiteren 15 Züge eine Stunde). Als Tartakower seine Partie gegen Reti nach 31 Zügen gewonnen hatte, und es Dr. Vidmar in schlechterer Stellung mit einem Figurenopfer nicht gelang Winter zu überspielen (Aufgabe nach 44 Zügen), schien der Turniersieg Tartakowers sicher zu sein. Denn Nimzowitsch stemmte sich im Spiel mit dem Belgier Colle gegen die Niederlage. Stunde um Stunde mühte er sich und erreichte eine ausgeglichene Stellung. Nun wollte plötzlich Colle gewinnen – und verlor. Damit machte er Nimzowitsch zum unerwarteten Co-Sieger.

Das Ende der Partie sorgte – außer bei Tartakower – für Zufriedenheit und Erleichterung. Der Grund: Da sich die Partie über 78 Züge fast zehn Stunden hingezogen hatte, warteten die Veranstalter und Ehrengäste bereits zunehmend ungeduldig auf die Eröffnung des Festbanketts, das dann endlich gegen 20 Uhr begann.

Lady Margaret Hamilton-Russell hatte bereits drei Monate zuvor im Namen ihres Mannes bei der Schach-Olympiade den gestifteten Hamilton-Russell Wanderpokal an die siegreichen Ungarn übergeben. Auch hier im traditionsbewußten „Gentleman-club“ überreichte die Lady die Siegpreise.

Die Co-Sieger Nimzowitsch und Tartakower teilten sich 50 und 40 Pfund (1000 und 800 Mark), Marshall erhielt 30 Pfund (600 Mark), Vidmar 20 Pfund (400 Mark) und Bogoljubow 15 Pfund (300 Mark). Den sechsten und letzten Preis von 10 Pfund (200 Mark) teilten sich Reti und Winter, was für den britischen Champion tragisch war. Winter erhielt jetzt fünf Pfund. Hätte er gegen Vidmar in der Schlussrunde nicht gewonnen, hätte er den Preis als bester Nichtpreisträger erhalten – und der betrug zehn Pfund!

Nur drei Preise überreichte die Lady nicht: die drei Schönheitspreise. Nach vier Wochen hatte sich der Preisrichter Dr. Max Euwe entschieden. Der Holländer wählte die Partien Sir Thomas – Fredrick Yates (10 Pfund), Richard Reti – William Winter (fünf Pfund) als schönste und als bestgespielte Partie (10 Pfund) Aron Nimzowitsch – Yates aus. Für Großmeister Jacques Mieses war die Partie zwischen Dr. Savielly Tartakower und Efim Bogoljubow eine der aufregendsten Kämpfe der Schachgeschichte überhaupt. Doch gab es dafür keinen Preis. Das wäre wohl zu revolutionär gewesen…

Endstand

Partien von Runde 1 bis 11

 

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Michael Dombrowsky war fast 40 Jahre als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätig. Als Rentner begann er Bücher zu schreiben. Das erste Schachbuch auf dem Markt sind die „Berliner Schachlegenden“.

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