Mit 80 hat man noch Träume

von Michael Dombrowsky
29.01.2019 – Der Jubilar, der noch immer Pläne schmiedet heißt Hans-Joachim Hecht, ist Großmeister und feiert heute seinen 80. Geburtstag. Ein freundlicher Mensch, gradlinig und offen. Seine fröhliche und ausgeglichene Art vermittelt das Gefühl, den sympathischen Typ zu kennen und alles über ihn zu wissen. Doch dieser Eindruck täuscht... | Foto: Frank Hoppe, Deutscher Schachbund

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Gradlinig umschreibt das Leben von Hajo Hecht nicht richtig, weil es manches Schlingern und etliche Umwege gab. In seiner Autobiographie "Rochaden" (Verlag Edition Marco, Berlin) schreibt er über Brüche und Schwierigkeiten und räumt mit einigen Dingen auf, die man über ihn zu wissen glaubt. "Hajo? Dit is’n Berliner" ist die wohl die am häufigsten gehörte Falschaussage. Denn geboren wurde Hajo Hecht in Luckenwalde. Die Kreisstadt mit gut 20.000 Einwohnern liegt nur 50 Kilometer südlich von Berlin. Bei Wikipedia findet man den Großmeister unter der Rubrik "Töchter und Söhne der Stadt" – womit man natürlich prominente Kinder meint –          allerdings nicht nur in guter Gesellschaft. Nur zwei Zeilen entfernt findet man Ludwig-Holger Pfahls. Der war in den 80iger Jahren Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, dann Staatsekretär im Verteidigungsministerium und nach langer Flucht wegen Korruption im Gefängnis .

Flucht, das lernte Hajo schon in seiner Jugend kennen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog die Familie 1946 nach Berlin. Fast. Sie landeten in Rangsdorf. Das war nicht Westberlin, nicht Ostberlin, sondern Gebiet der "Sowjetischen Besatzungszone" (SBZ). Hajo Hecht ist sich sicher: "Nur 15 Kilometer weiter nach Norden und unser Leben wäre ganz anders verlaufen."

Als seine Mutter entschied, dass Englisch wichtiger als Russisch für ihn sei, ging er in Westberlin in die Schule. Es waren nur vier Stationen mit der S-Bahn, aber die Volkspolizisten (Vopos) machten einen Parcours voller Hindernisse daraus. Die Schikane umging er, indem er sich eine Unterkunft für die Woche in Westberlin suchte und nur am Wochenende nach Hause fuhr.

In der Zeit nach der Schule ging er häufig in ein Jugendheim und besuchte die Schachgruppe. Heinrich Früh, der später als "Schachpastor" stadtbekannt war, leitete die Gruppe. Er erkannte schnell Hajos Talent und nahm ihn mit in den Schachklub Tempelhof. Dreimal, 1956, 1957 und 1958 wurde Hajo für Tempelhof Berliner Jugendmeister und so galt "der Hecht" von Anfang an als Westberliner, der 1958 auch Westdeutscher Jugendmeister wurde. Nach diesem Titelgewinn berichtete selbst die DDR-Zeitschrift "Schach" in Wort und Bild über ihn. Offenbar gab es bei der Stasi keine Schachspieler.

Der 13. August 1961 veränderte Hajos Leben erneut total. Der Bau der Mauer. Von einem Tag auf den anderen war er von seinen Eltern getrennt. Doch die Familie Hecht war erfindungsreich. Hajos Mutter buchte 1962 eine Reise an die bulgarische Goldküste, doch tatsächlich wollte sie ihren Sohn treffen, der zum ersten Mal bei einer Schach-Olympiade in Warna für die Bundesrepublik startete.

Tal-Hecht, Warna 1962 Foto: Edition Marco/ Hans-Joachim Hecht

 

Für Hajo sollten bis 1986 noch neun weitere Olympiaden folgen. Pech für ihn: 1964 in Tel Aviv konnte er nicht mitreisen, weil ihm sein Arbeitgeber, die Bundesversicherungsanstalt für Arbeit (BfA), keinen Sonderurlaub gewährte. Damals gewann das Team die Bronzemedaille.

 

 

 

1970 gab’s die nächste Wende: Hajo Hecht wurde Schachprofi. Nachdem ihm nach der dritten Norm die FIDE den Titel Internationaler Meister verliehen hatte, wollte er für drei Jahre Schach als Beruf ausüben und versuchen Großmeister zu werden. Sein Motto: "Wenn es dann nicht klappt, quält mich nicht mein Leben lang der Gedanke, dass ich es hätte werden können, aber es nicht versucht habe." 

 

1973 ging der Traum in Erfüllung: Großmeister Hecht. Dieses Ereignis brachte die zweithäufigste falsche Behauptung mit sich: "In Dortmund ist er Großmeister geworden." Die Internationale Deutsche Meisterschaft in der Dortmunder Westfalenhalle brachte ihm seinen größten Sieg. Punktgleich mit Ulf Andersson (Schweden) und Exweltmeister Boris Spasski gewann er nach Wertung. Er holte jedoch nicht seine dritte GM-Norm. Die erzielte er etwas später in der spanischen Weinstadt Montilla-Moriles. Eigentlich ist er ein "spanischer" Großmeister, da er die beiden ersten Normen 1972 in Malaga und ebenfalls in Montilla-Moriles erzielt hatte.

Nun war 1974 wieder Zeit für Veränderungen. Da er schon seit der Saison 1970/71 für die SG Solingen 1868 spielte, wollte er sich dort niederlassen und als Programmierer im Amt für Datenverarbeitung der Stadt Solingen arbeiten. Dafür brauchte er viel. Wohnung und Mietvertrag, einen Arbeitsvertrag für sich und einen Arbeitsvertrag für seine Frau – Ja, Hajo hatte geheiratet und damit seine Abkehr vom Profileben untermauert –, die als Lehrerin von Bayern nach NRW wechseln musste. "Bei all dem war Herbert Scheidt eine unschätzbar große Hilfe", erinnert sich Hajo. Der SG-Teammanager kannte Land und Leute und kannte Leute, die Leute kannten. So war alles perfekt geregelt als er am 1. Oktober 1974 in der Behörde vor dem Computerbildschirm platz nahm.

Vier deutsche Meisterschaften und einen Europapokalsieg später wurde es Zeit für die nächste Wendung. Nach 13 Jahren zogen die inzwischen vier Hechte (die Söhne Christoph und Volker waren hinzugekommen) nach München – genau gesagt: nach Fürstenfeldbruck. Sonst blieb vieles beim Alten. Er ging ins Amt für Datenverarbeitung der Stadt München und seine Frau Annemarie in die Schule. Die Schachabteilung von Bayern München hatte alles geregelt. Bei den Münchnern war er bei vier Titelgewinnen dabei, ehe Hajo 1990 seinen Abschied vom Spitzenschach nahm.

Das Jahr 2000 brachte einen weiteren Schlenker ins Leben. Hajo ging in den Ruhestand, richtiger gesagt: Er beendete sein Arbeitsleben. Dafür begann die Zeit für Spaß. "Ich, und später wir, begann Turniere unter Urlaubsgesichtspunkten auszusuchen. Länder und Städte, die wir schon immer besuchen und sehen wollten. Jetzt schaue ich mir nicht mehr die Teilnehmerliste an, sondern die Karte der Umgebung des Spielorts und suche nach Möglichkeiten für Radtouren", sagt er strahlend. Ganz vom Schach lässt er nicht. Erst im November spielte er in Belgrad ein Open und hatte dabei ein besonderes Erlebnis: "Ich traf dort zwei 19jährige Jungs mit denen ich vor sieben Jahren bei einem Turnier auf Réunion gespielt habe. Sie haben sich gut entwickelt. Der eine will IM werden, der andere jagt die letzte GM-Norm. Und mit einem wurde ich sogar erneut zusammengelost. Es macht Freude zu beobachten, wie sich Kinder und Jugendliche entwickeln. Und dabei noch den Rest der Welt sehen, das wäre doch traumhaft".

 

Da kann man nur wünschen, dass diese Träume in Erfüllung gehen…

Hans-Joachim Hecht. Auf dem Kunstdruck hinten sieht man übrigens die kritische Stellung aus der Partie Tal-Hecht, Warna 1962. | Foto: Edition Marco/ Hans-Joachim Hecht

Wer noch mehr über Hans-Joachim Hecht, seine Lebens- und Schachgeschichte erfahren will, findet in seinem Buch "Rochaden" reichlich Lesestoff.

"Rochaden", erschienen bei Edition Marco.


Michael Dombrowsky war fast 40 Jahre als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätig. Als Rentner begann er Bücher zu schreiben. Das erste Schachbuch auf dem Markt sind die „Berliner Schachlegenden“.

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