Moderne Romantik

von Henrik Meyer
13.09.2016 – In der Schachromantik spielte man so: Überfallartig angreifen, unter Opfern Entwicklungsvorsprung erzielen und den gegner Matt setzen, am besten schon in der Eröffnung. So entstanden zahlreiche Gambiteröffnungen, besonders nach 1.e4 e5. Kann man heute noch so spielen? Erwin l'Ami hat sich alle Gambits nach 1.e4 e5 mit moderner Technik angeschaut und in zwei DVDs den Status quo festgestellt. Henrik Meyer hat sich den 1. Band dieser Bestandsaufnahme genauer angeschaut. Mehr...

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Moderne Romantik

GM Erwin L’Ami (ELO 2611,SG Solingen) veröffentlicht zwei DVDs zum Thema „Gambits nach 1.e4 e5“. Warum? Sind Gambits noch spielbar? Gibt es noch dieses „romantische Schach á la 19. Jahrhundert“- Scharfe Gambits, spektakuläre Figurenopfer, unglaubliche Kombinationen und der unbedingte Wille den gegnerischen König zu stürzen?

Erwin L'Ami bei der Schacholympiade in Baku

In der Weltspitze werden Gambits kaum noch gespielt. Aber warum?

GM Anton Demchenko (Sieger des ZMDI-Open 2016): „Das Schach hat sich verändert. Im 19. Jahrhundert wussten die Spieler noch nicht, wie sie in diesen scharfen Eröffnungen ausgleichen können, heutzutage hingegen haben wir ein großes Wissen über die Verteidigungsressourcen, die sich in solchen Stellungen befinden. Und selbstverständlich haben wir unseren elektronischen Freund, der uns alles erklären kann. Das Problem ist, dass all die forcierten Varianten in den Gambits zu einfach für ihn zu kalkulieren sind. In den meisten Fällen wird eine ausanalysierte bzw. vereinfachte Stellung dann nur noch uninteressant und zu langweilig.“
„Heutzutage folgen die Spitzenspieler einem anderen Pfad: Solide, positionelle Eröffnungen mit einem Minimum an forcierten Varianten.“

Wie steht es mit Vereinsspielern? Worin besteht der Reiz trotz des Computerzeitalters Gambits zu spielen?

Vereinsspieler Ingo Hessenius vom SK Turm Euskirchen (DWZ 2078 hat die Beschäftigung mit Gambits vor ca. 25 Jahren angefangen. In einem Thematurnier hat er sehr viel über diese das Königsgambit gelernt und wendet dieses heute in Blitz- bzw. Bulletpartien noch an. Denn dort ist der Überraschungseffekt natürlich am größten.

In Langzeit bzw. Turnierpartien ist dieser Überraschungseffekt zwar noch da, aber der Gegner hat viel mehr Zeit sich in die Stellung zu vertiefen und die richtige Fortsetzung zu finden.

Laut Hessenius sei der Reiz ein solches Gambit zu spielen, dass man als (vermeintlich) Stärkerer denke, man sei dem Gegner taktisch überlegen, und so einen schnellen Sieg einfahren könne. Aber auch für (vermeintlich) Schwächere Spieler gäbe es einen Grund, Gambits zu spielen. Denn man habe eine bessere Variantenkenntnis als der Gegner und wenn es gelänge den Gegner in eine unbekannte Stellung zu drängen, gäbe es eine größere Chance, dass der Gegner fehlgreife. Ein weiterer Aspekt für beide Spielergruppen sei die Sicherheit; denn wenn man Gambits spiele, müsse man sich gründlich darauf vorbereiten. Und wenn man gut auf eine Partie vorbereitet sei, fühle man sich sicher und dem Gegner schon vor der Partie gewachsen bzw. überlegen.

Und was denken Trainer über Gambits? Sind sie wichtig fürs Training? Sollte man sie gar spielen?

Anton Demchenko, Spitzenspieler (ELO 2614) und Trainer aus Russland sagt dazu, dass man, besonders als Anfänger, Gambits sorgfältig studieren und auch spielen solle, denn dadurch bekäme man ein Gefühl für taktische Stellungen. Doch das Spielen von (inkorrekten) Gambits sei keine langfristige Option. Jedoch betont er, dass zum Beispiel ein Spieler mit ELO 1800+ anfangen könne, sich mit Gambits zu beschäftigen, deren Idee es sei, Material für positionelle Vorteile zu geben. Denn seiner Meinung nach gebe es heutzutage einen anderen Gambitstil als damals; zum Beispiel im Damengambit oder in der katalanischen Eröffnung opfere man den c4-Bauern manchmal langfristig, jedoch meistens nicht für Opferkombinationen und Königsjagd, sondern für positionelle Vorteile.

Auch das Wolga-Gambit, was auch manchmal in der Weltklasse anzutreffen ist, ist ein Indiz dafür, dass Gambits noch gespielt werden, jedoch mit einer veränderten Zielsetzung als noch im 19. Jahrhundert.

Vereinstrainer des SK Turm Euskirchen, Wolfgang Scholzen, selbst kein Gambit-Spieler, betont, dass es sehr wichtig sei, Gambits in das Training einzubauen. Denn so lernen die Schüler am schnellsten das Verhältnis zwischen Material und Geschwindigkeit, Raumvorteil oder Entwicklung zu bewerten. Laut Scholzen solle man zunächst die Eröffnungen (in diesem Fall Gambits jeder Art), Pläne und Angriffsziele besprechen und dann die Schüler einfach spielen lassen. Danach solle man in einer Nachbesprechung prüfen ob es Probleme gab bzw. ob die besprochenen Pläne funktioniert haben. Allerdings betont Scholzen auch, dass es manchmal schwer sei, das scharfe Gambitspiel zu erklären, da er selbst kein Gambitspieler sei.

Sebastian Reckers, ebenfalls Euskirchen, spielt regelmäßig das Morra-Gambit. Er erklärte kurz die Ziele dieser Eröffnung: „Das Ziel ist eine starke Initiative dank großem Entwicklungsvorsprung(ca.2-3 Tempi) und positioneller Kompensation(c-Linie für Weiß, keine echten Ansätze für schwarzes Spiel außer Bauern klammern und hoffen nicht taktisch kaputt zu gehen)“. Des Weiteren sagt er, dass er sich der Meinung von Scholzen anschließe, dass Gambits sehr wichtig für das Training seien.

1. e4 c5 2. d4 cxd4 3. c3 dxc3 4. Nxc3 Nc6 5. Nf3 e6 6. Bc4 d6 7. O-O Nf6 8. Qe2 Be7 9. Rd1 e5 10. Be3 O-O 11. Rac1*

Tiefe Analysen

Erwin l´Ami zeigt in seiner DVD „A gambit guide through the open game, vol.1“, dass fast alle Gambits, die früher gespielt wurden „inkorrekt“ sind. Er bietet ein gutes Schwarzrepertoire gegen jede Art von Gambit nach den Zügen 1.e4 e5, nimmt alle Gambits ernst und analysiert diese auf GM-Niveau. Doch trotzdem zeigt er auch die Möglichkeiten für Weiß und vor allem, auf welchem schmalen Grat sich Schwarz befindet, denn wenn er einmal abweicht, dann schlägt auf einmal eine Figur auf f7 rein und Schwarz kann aufgeben. Ein gutes Beispiel dafür ist das Urusov-Gambit. Nach den Zügen 1. e4 e5 2.Lc4 Sf6 3.d4 Sxe4?! 4.dxe5 (es droht bereits Dd5 mit Figurengewinn)4…Dh4 5.g3 Sxg3 6. Lxf7+ (da ist er, der Einschlag auf f7!) Kxf7 und 7.Dd5+ nebst hxg3 steht Weiß schon bedeutend besser.

Selbst er als starker Großmeister kann mit Hilfe von Fritz&Co. niemals alle Varianten analysieren und die endgültige Wahrheit finden. Das heißt, selbst auf Großmeister-Niveau kann man Gambits erfolgreich spielen, z.B. das Göring-Gambit:

Yu Yangyi (2607) - Jumabayev,Rinat (2555) [C44]
 

 

 

Ich denke, dass diese DVD ein sehr gutes Schwarzrepertoire bietet und man als Spieler mit den schwarzen Steinen keine Angst mehr vor Gambits haben muss, wenn man den Empfehlungen der DVD folgt. Allerdings wird man als Gambitspieler ein wenig enttäuscht sein, dass das komplette Repertoire „widerlegt“ wird. Trotzdem zeigt L´Ami, dass Weiß immer noch Chancen hat und diese verschiedenen Gambits als Überraschungswaffen einsetzen kann. Meine eigene Erfahrung (100 Blitzspiele auf playchess + 2 Turnierpartien) sagt mir, dass die meisten Leute sich nicht sehr gut mit den alten Gambitvarianten auskennen und häufiger fehlgreifen.

In dieser ersten Folge der Gambit-DVD´s werden viele Gambits behandelt, die meisten Videos bekommt dabei das Königsgambit. Wenn man diese DVD durchgearbeitet hat, wird man also eine gute Kenntnis vom Gambitspiel besitzen und den Gegner in der einen oder anderen Variante überraschen können!

 

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spielt leidenschaftlich gern Schach, besucht regelmäßig große Turniere und ist als Trainer tätig. Seine größten Erfolge sind der Gewinn der Deutschen Amateurmeisterschaft (C-Gruppe) 2014/15 und der deutsche Vizemeistertitel der U25 A 2016. Er studiert Geschichte und Philosophie auf Lehramt.

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