Ein Interview mit Nigel Short
Warum will Nigel Short FIDE-Präsident werden? Wie will er das amtierende Team von Georgios Makropoulos herausfordern, nicht zuletzt, nachdem sein Landsmann Malcolm Pein jetzt auf der Wahlliste von "Makro"steht? Kann die FIDE reformiert werden und welche Änderungen haben für Short Priorität?
Dies sind ein paar der Fragen, auf die ich in einem einstündigen Interview mit dem ehemaligen WM-Herausforderer und weltweit aktivem Schachbotschafter auf Antworten hoffte. In einer Zusammenarbeit mit Ben Johnsons Perpetual Chess Podcast traf ich mich mit Nigel in seinem Hotelzimmer in Leuven, Belgien, am Morgen des fünften und letzten Tags des "Your Next Move Rapid and Blitz" Turniers, bei dem Nigel für Zuschauer und Fans in der Stadthalle von Leuven live kommentierte.
Short kommentiert live aus Leuven | Foto: Lennart Ootes / Grand Chess Tour
Während des Turniers wurde bekannt, dass der Russische Schachverband jetzt Arkady Dvorkovich, ein ehemaliges Mitglied seines Vorstands, bei dessen Kandidatur für das Amt des FIDE-Präsidenten unterstützt. Dvorkovich, Sohn des Internationalen Schiedsrichters Vladimir Dvorkovich, ist Vorsitzender des FIFA-Organisationskomitees für die Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland. Zuvor arbeitete er von 2012 bis 2018 als Stellvertretender Premierminister im Kabinett von Dmitry Medvedev. Und in dieser Zeit war er auch Vorsitzender des Organisationskomitees des in Sotschi ausgetragenen Schachweltmeisterschaftskampfs 2014.
Im ursprünglichen Pressebericht wird Dvorkovich mit den Worten zitiert, dass er bei der Wahl zum FIDE-Präsidenten ins Rennen geht, "nachdem ich mich mit der Führung des Landes beraten habe...", womit er deutlich machte, dass er die Unterstützung der Russischen Regierung und ihres diplomatischen Korps genießt, was von vielen Seiten als entscheidender Faktor bei den vorherigen Wahlerfolgen Ilyumzhinovs gesehen wird.
Die folgenden Passagen sind ein Ausschnitt mit wichtigen Passagen aus unserem Gespräch. Ein Mitschnitt des gesamten Gesprächs finden Sie am Ende des Artikels. Sie können den Podcast auch abonnieren.
Ausgewählte Passagen
Nigel Short bezeichnet seinen Gegner Georgios Makropoulos als "Weiter-so-Kandidaten", und verweist darauf, dass man, wenn man die FIDE wirklich reformieren wollte, indem man die Amtsdauer des Präsidenten beschränkt, das mittlerweile schon getan hätte.
"Alle Leute im Team, mit Ausnahme von Malcolm Pein, verdanken ihre Posten ihrer Gefolgstreue für Kirsan Ilymzhinov. Dies sind die Leute — vor allem Makropoulos — die bei Kirsan gesessen haben als er die Generalversammlung mit seinen falschen Versprechen belogen hat.. Nachdem Kirsan 15 Jahre an der Macht war, hat das Präsidium — unter Leitung von Makropoulos — gegen einen Antrag des Ukrainischen Schachverbands, [die Amtsdauer des Präsidenten zu begrenzen] ein Veto eingelegt. Der Antrag lag der Generalversammlung vor und das Präsidium empfahl der Generalversammlung, sie sollten den Antrag ignorieren. Nur weil es Makropoulus es für politisch opportun hält, mit etwas Neuem aufzuwarten, heißt das nicht, dass er sich wirklich geändert hat."
Short glaubt, dass ehrgeizige Mitglieder aus Makropoulos' Team sich für eine begrenzte Amtszeit des Präsidenten eingesetzt haben, um bei den nächsten Wahlen selbst für das Präsidentenamt kandidieren zu können, ohne dass der Amtsinhaber im Weg ist.
"Malcolm Pein hat bereits davon gesprochen, dass er 2022 kandidieren will — vorausgesetzt, dass das Team von Makropoulos gewinnt, was wirklich noch nicht sicher ist — aber die Vorstellung, dass diese Leute Malcolm einfach zu ihrem neuen Anführer, zum Präsidenten, küren, ist absurd. In dieser Gruppe gibt es sehr ehrgeizige Leute und es wird bittere Kämpfe geben. Deshalb glaube ich, dass mein geschätzter Landsmann es zuläßt, dass er benutzt wird, und ehrlich gesagt, glaube ich, er ist sehr naiv. Er hat sein ganzes Leben in der Schachwelt verbracht, als Journalist und in vielen, vielen anderen Eigenschaften. Natürlich organisiert er auch die London Chess Classic und alles mögliche andere, aber was FIDE-Politik angeht, so ist er noch relativ neu... Er ist das einzige neue Gesicht in Makropoulos' Team, und für dieses Team ist es wichtig, sich von der Dauerherrschaft Kirsans zu unterscheiden. Deshalb geben sie Malcolm Raum und Unterstützung."
Nigel Short und Malcolm Pein in Leuven | Foto: Lennart Ootes / Grand Chess Tour
Short skizziert Änderungen und Reformen der FIDE, die er gerne umsetzen würde. Den Anfang macht das Finanzierungsmodell der Organisation:
"Das Wichtigste, was ich machen möchte, ist die Art und Weise zu ändern, wie die FIDE geführt wird. Das aktuelle Modell ist praktisch das genaue Gegenteil von dem, wie erfolgreiche Sportorganisationen geführt werden. Ihr Zentrum zieht kommerzielle Sponsoren an - so ist die FIFA zum Beispiel eine sehr reiche Organisation, und die FIFA verteilt Gelder nach außen. Beim FIDE-Modell unterstützen die Verbände das Zentrum und es wird nach Einnahmequellen gesucht. Es ist ein Miet-Modell. Sie besetzen den Platz und verlangen dann einfach von allen Geld. Wenn man ein Turnier durchführen möchte, das elo-gewertet wird, dann zahlt man dafür. Man zahlt einen Euro pro Spieler, um dieses Turnier werten zu lassen. Wenn man Schiedsrichter werden möchte, dann zahlt man dafür. Wenn man Trainer werden möchte, dann zahlt man dafür. Es ist ein Miet-Modell. Sie leisten keinen Beitrag, sondern behindern und erschweren schachliche Aktivitäten sogar. Darum geht es — kommerzielle Sponsoren gewinnen — und man kann keine kommerziellen Sponsoren gewinnen, wenn man nicht die Reputation der Organisation verbessert."
"Wir haben nur ein Bruchteils des Budgets, das die Radfahrer haben, obwohl wir 189 Mitgliedsverbände haben und Millionen von Menschen wissen, wie man Schach spielt, und 650.000 Leute auf der Elo-Liste stehen. Und wo wir von der Elo-Liste reden: für die Elo-Liste Sponsoren zu bekommen, ist eine ganz normale Sache. Man lässt Leute nicht dafür zahlen, dass Turniere gewertet werden. Unternehmen freuen sich, wenn man eine Datenbank mit 650.000, oft ziemlich intelligenten Leuten hat, die einer bestimmten Interessengruppe zugehörig sind."
Short hat etwa 120 Länder der Welt bereist und sagt, er hätte gesehen, wie die Gebühren für die Auswertung von Turnieren Organisatoren davon abgehalten hat, ihre Turniere auswerten zu lassen, was den Spielern schadet. Er erzählt, wie kürzlich in einem Turniersaal in Nigeria spontaner Applaus ausgebrochen ist, als überraschend angekündigt wurde, dass ein Blitzturnier gewertet wird.
Makropoulos wurden die Befugnisse des FIDE-Präsidenten Ende 2015 übertragen, und Short fragt sich, warum es so lange gedauert hat, bis man erkannt hat, welche Gefahren den Finanzen der FIDE drohen, wenn Ilyumzhinov weiter nominell Präsident bleibt. Man hätte und konnte ihn schon viel früher des Amtes entheben sollen, um die Probleme mit ihren Konten, die die FIDE dieses Jahr klären musste, zu vermeiden, behauptet Short.
"Man hätte eine Abstimmung erzwingen und Kirsan des Amtes entheben sollen. Aber sie haben gezögert und bis zum 30. April 2018 versucht, zu verhindern, dass die Konten eingefroren werden. In letzter Minute haben sie dann Maßnahmen ergriffen — die allerdings nicht sehr befriedigend ausfielen. Das zeigt fehlende Planung, fehlende Vorausschau. Sie haben Kirsan erlaubt, nach Strich und Faden zu lügen. Er ist von seinem Posten zurückgetreten, um sich in den USA zu rehabilitieren, und hat Schlagzeilen gemacht, als angekündigt hat, er würde die US-Regierung auf 50 Milliarden Dollar Schadensersatz verklagen. Eine solche Klage gibt es nicht. Eine solche Klage gab es nie. Die FIDE — damit meine ich Makropoulos und seine Truppe — haben ihn unterstützt und sind Kirsan nicht entgegen getreten."
2014 versprach Ilyumzhinov der Generalversammlung der FIDE während der Schacholympiade in Tromso, dass er die FIDE im Falle seiner Wiederwahl mit 20 Millionen Dollar unterstützen würde.
"Makropoulos sitzt daneben und applaudiert, genau wie der Rest der Versammlung. Später gab er zu, dass dies Unsinn sei. Sie sind unehrlich. Und Makropoulos profitiert von diesen Lügen und fördert sie."
Makropoulos' kommentierte die Erklärung Ilyumzhinovs mit den Worten: "Was Kirsan damit sagen wollte, war: 'Garry, wenn Du Unsinn erzählst, dann kann ich besseren Unsinn erzählen'." Das bezog sich auf ein ähnliches Versprechen von Rex Sinquefield, der Kasparov unterstützt hat. Allerdings hat Sinquefield das Schach damals bereits mit viel Geld unterstützt und seitdem ist sein Engagement nicht geringer geworden. Da Sinquefield ein Mehrfaches dieser Summe aufwendet, um Einfluß auf die Politik in Missouri, seinem Heimatstaat, zu nehmen, gab es allerdings kein Grund Kasparovs Ankündigung 2014 lächerlich zu machen.
Regeln und Reformen
Short erklärte auch, dass er keine Pläne hat, die Pattregeln zu ändern - obwohl er diese Regeln öffentlich schon mehrfach kritisiert hat.
Ändern möchte er jedoch die derzeit gültigen Regeln im Blitzschach und er plädiert für eine bessere Ausbildung von FIDE-Schiedsrichtern, von denen er viele für ungeeignet hält.
"Schiedsrichter zu werden, wurde als Belohnung betrachtet. Viele Schiedsrichter haben das Amt nur aus politischen Gründen und kennen die Regeln kaum. Genau wie man im Fußball nicht einen 120 Kilo schweren 65-jährigen zum Schiedsrichter machen würde, so sollten auch im Schach Leute Schiedsrichter werden, die den Partien folgen können - auch wenn sehr schnell gespielt wird."
Und Short fordert höhere Strafen für Spieler, die des Betrugs überführt wurden. "Wenn man zwei Mal beim Cheaten erwischt wurde, dann sollte man für immer gesperrt werden."
Short in seinem Element | Foto: Lennart Ootes / Grand Chess Tour
Shorts vollständige Wahlliste ist noch nicht bekannt, aber er betont, dass er integre Leute sucht.
"Im Schach betrachten sich die Funktionäre oft als wichtiger als die Spieler. In anderen Sportarten ist das anders - oder zumindest verstecken sie das besser. Die Spieler sind die Stars und die Spieler sollten die Stars sein."
Zur Bewerbung von Arkady Dvorkovich
Short rechnet damit, dass Ilyumzhinov seine Kandidatur jetzt zurückzieht.
"Es würde mich sehr überraschen, wenn Kirsan sich nach dieser Ankündigung weiter bewirbt. Das ist zwar möglich, aber Kirsan wäre sehr dumm, wenn er gegen den Kreml antreten will."
Dvorkovich (Zweiter von rechts) mit Andrey Filatov und Ilymzhinov 2015 | Foto: Eteri Kublashvili, Vladimir Barsky.
"Die Verbände müssen sich jetzt entscheiden, ob sie für jemanden stimmen wollen, der im Prinzip die Interessen der russischen Regierung vertritt."
Übersetzung aus dem Englischen: Johannes Fischer
Das gesamte Interview
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