Rezension zur Königsindisch-DVD von Mihail Marin
Mihail Marin gibt dem Zuschauer ein Repertoire gegen Königsindisch an die Hand und empfiehlt dabei die Hauptvariante. Die Ausgangsstellung seiner Abhandlung entsteht nach den Zügen 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Nc3 Bg7 4.e4 d6 5.Nf3 0-0 6.Be2.
Wahrlich ein großes Projekt für eine DVD – mehr als 100.000 Partien finden sich in den Datenbanken zu dieser Stellung! Ein unglaubliches Dickicht an Varianten und Partien, durch welches man ohne die Anleitung eines Experten kaum hindurchkommt. Und ein solcher ist der Autor zweifellos: Ein Blick in die Megabase 2017 verrät, dass der rumänische Großmeister mit beiden Farben schon häufig auf dieses Abspiel zurückgegriffen hat, interessanterweise mit Weiß (16 Mal) und Schwarz (18 Mal) etwa gleich oft.
Gewinnen gegen Königsindisch mit der Hauptvariante
Vertrauen Sie gegen den Königsinder auf die Kraft Ihrer Figuren. Setzen Sie auf natürliche Entwicklung. Eröffnungsexperte Mihail Marin zeigt Ihnen, wie Sie im Klassischen System mit 9.Sd2 gegen den Mar del Plata Angriff Harmonie und Kontrolle bewahren!
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Gleich zu Beginn weist Marin auf die Problematik von Enginebewertungen in Königsindisch-Strukturen hin, gerade in denen mit geschlossenem Zentrum. Es ist möglich, dass die Engines die weißen Chancen in einer Stellung deutlich höher einschätzen, aber der langsam anrollende schwarze Angriff in Wirklichkeit kaum mehr aufzuhalten ist ... Der Autor bittet daher um Vertrauen: Manchmal hat der von ihm vorgeschlagene Zug nicht die höchste Enginebewertung, führt aber zu wünschenswerten Strukturen, in denen Weiß kein Unheil droht.
Knapp zwei Drittel der insgesamt 30 Videos setzen sich mit dem Zug klassischen Zug 9.Sd2 gegen die Mar-del-Plata-Variante auseinander. 6...e5 7.0-0 Nc6 8.d5 Ne7 9.Nd2.
Die Analysen sind erfreulich ausführlich und komplett. Es gibt nichts Ärgerlicheres, als wenn von einem Autor die kritischen Varianten einfach weggelassen werden - dies ist bei Marin nicht der Fall.
Eine praktische Warnung zum empfohlenen Repertoire: Die allgemeinen Richtungen in diesem Abspiel sind vorgezeichnet: Weiß greift am Damenflügel an (b4, c5 usw.), Schwarz versucht am Königsflügel sein Glück, häufig nach Schließung des Zentrum mit ...f5-f4. Es gibt einige Leben-oder-Tod-Varianten, in denen genaue Theoriekenntnis vonnöten ist. Die Analysen dazu liefert Marin, aber man hat als Turnierspieler selbst die Verantwortung, die kritischen Varianten genau zu studieren und sich einzuprägen.
Zwei instruktive Beispiele dafür sind die Partien Ftacnik-Cvitan und Gelfand-Nakamura.
Beide Weißspieler machten 22 Züge lang alles richtig und griffen dann fehl. Statt klarem Vorteil (Ftacnik verpasste 23.gxh3! Dxh3 24.Tf2, Gelfand 23.hxg3!) hieß es schnelle, spektakuläre Niederlage.
Es ist also nicht unbedingt ein Repertoire, das Risiken von vornherein vermeidet (in diese Richtung geht eher das Fianchetto-System, das von Nicholas Pert auf seiner DVD empfohlen wird), sondern ein sehr ambitioniertes und prinzipielles. Wenn der Anziehende weiß, was er tut, hat er ausgezeichnete Chancen, am längeren Hebel zu sitzen. Hier möchte ich exemplarisch die von Marin gezeigten Partien Komarov-Hebden (mit der thematischen Idee 16.g4!), Kasparov-Smirin (konsequentes Hinarbeiten auf c4-c5 und erneut die Mittelspielidee g2-g4) sowie Chuchelov-Roeder (typischer, in diesem Fall entscheidender Einschlag auf d6) nennen.
Nach dem Hauptteil zu „Mar del Plata“ vervollständigt Marin das Weißrepertoire durch Abhandlung einiger weiterer Systeme:
des Aufbaus mit ...Sbd7 (6...e5 7.0-0 Sbd7 8.Dc2) in 3 Videos,
des bei Clubspielern beliebten Zuges 7...Sa6 (ebenfalls 3 Videos),
der Zentrumsöffnung 7...exd4 8.Sxd4 Te8 (2 Videos)
und jeweils in einem Video: 6...c5 sowie 6...Lg4.
Die Empfehlungen dagegen haben allesamt Hand und Fuß. Die Besprechung der Maroczy-Strukturen nach 6...c5 7.0-0 cxd4 8.Sxd4 Sc6 9.Le3 fällt – gerade für „Neulinge“ in der Variante – etwas zu knapp aus, allerdings muss hier der Autor wohl einfach dem anfangs angeführten Umstand Rechnung tragen: Wir haben es mit einem riesigen Komplex an Varianten zu tun und man kann nicht alles in einer DVD ausführlich analysieren. Von einem Experten die allgemeine Richtung vorgegeben zu bekommen, ist da schon sehr viel wert!
Im Laufe des Vortrags lernt man eine Menge typischer Ideen und Motive kennen, sowohl für den Angriff am Damenflügel (z.B. c4-c5 oder b5-b6 auch als Bauernopfer) als auch für die Verteidigung am Königsflügel (etwa das Manöver Le1-h4 nach ...g5-g4, um den schwarzen Angriff zu stoppen). Zwischendurch baut der Autor immer wieder – durchaus anspruchsvolle – Aufgaben ein, die zum aktiven Mitdenken auffordern.
Die Vortragsweise würde ich als angenehm sachlich bezeichnen. Marin tritt nicht als großer Entertainer auf, sondern eher als Schachlehrer, der ansprechende Inhalte auf angemessene Art vermittelt. Das Englisch – ich habe mich für die englische Version der DVD entschieden – ist gut verständlich. Manchmal könnte das Vortragstempo vielleicht etwas langsamer sein, aber dies schmälert nicht den sehr guten Gesamteindruck.
Fazit:
Ich habe in gut 4 Stunden sehr viel über Königsindisch gelernt! Mihail Marin präsentiert in angenehmer sachlicher Vortragsweise ein ambitioniertes klassisches Repertoire gegen Königsindisch. Die Analysen sind erfreulich ausführlich und komplett. Man muss nicht noch groß nacharbeiten und selbst analysieren, um die Systeme spielen zu können – gerade für den Amateur mit wenig Zeit wichtig. Allerdings sollte man sich einige kitische Leben-oder-Tod-Varianten in den scharfen Mar-del-Plata-Abspielen gut einprägen, um nicht frühzeitig auf taktisches Glatteis zu geraten.
Die DVD ist absolut zu empfehlen für Weißspieler, die ihr Repertoire gegen Königsindisch erweitern möchten, und für Königsindisch-Spieler, die wissen möchten, was möglicherweise bald auf sie zukommt ...