Robert Fischer (I): Der verlorene Brief
Obwohl sich der Zustand von Fischers Paranoia ständig verschlechterte, gab es hier und da noch hellere Momente. Ich gehörte zweifellos zu dem Teil seiner Bekannten, den er als ungefährlich einstufte. Er war dann sogar so "normal", dass er uns entsprechende Briefe schickte. Voilà: Ich präsentiere hier solch ein Schriftstück. Es handelt sich dabei um eine Art Collage, und der Autor war dabei sehr fleißig, weil er auch die Schere und verschiedene Zeitungsartikel benutzte. In der Mitte schrieb er mit eigener Handschrift, ebenso wie die Adresse.
In seiner Handschrift ist die Wut auf Gligoric klar zu spüren und im letzten Teil des Schriftstückes will er unbedingt triumphieren - er ist nämlich felsenfest davon überzeugt, dass er höchstens 24 Partien gegen jeden beliebigen Gegner brauche, um sechs Partien gewinnen zu können.
Der Brief wurde aus Budapest abgeschickt und ist eigenhändig datiert, mit dem Datum 22. Dezember 1998. Als Rückadresse diente ihm die seines letzten wohl noch verbliebenen Freundes Pal Benkö, der ihm in der Vergangenheit seinen Qualifikationsplatz für das Interzonenturnier in Palma de Mallorca 1970 überlassen hatte.
Bobbys letzter Brief an Vlastimil Hort
Ja, ich werde seinen Brief als eine Art Reliquie behalten. Mein Versuch, einen psychisch sehr kranken Mann vor der freien Presse zu verteidigen, scheiterte. Wie viele Jahre Kittchen er bei seiner geforderten Auslieferung in die USA bekommen hätte, wage ich nicht zu schätzen. Bravo Island! Der Feigling Hort hat stattdessen alle möglichen Kontakte zum Weltmeister abgebrochen.
Warum ich auf die ganze Angelegenheit zurückkomme? Trotz des tragischen Endes waren mehrere Erlebnisse mit Bobby von unvergleichlicher Natur. Durch den wiedergefundenen Brief habe ich auch den untrüglichen Beweis, dass dies nicht alles nur ein Traum war. Es war einmal ein König...
Das über Jahre verlorene Briefstück fand meine beste Brigitte im Januar 2019. Wie? Nach einer Kette von Zufällen. Wo? In einer vergessenen Schublade im Keller. Hat Bobby den Ausspruch des französischen Königs Louis XIV gekannt? "Après moi, le déluge" (Nach mir die Sintflut). Ich habe große Zweifel und würde auf das Gegenteil wetten.
Wer sucht, der findet!
Mein letzter Umzug. Ich freute mich sehr auf das neue Haus, die neue Umgebung - besonders biofrische Luft, die Nähe zur Natur, einen eigenen Garten. Vater Rhein wurde zwar durch einen schmalen Fluss ersetzt, aber die Sieg weckte Erinnerungen an die Schacholympiaden in Siegen 1970.
Obwohl Fischers Ergebnisse dort (besonders die schmerzliche Niederlage gegen Spassky) sehr mäßig waren, hatte ich vor seiner Kunst immer Respekt.
Es sind nicht so viele Bilder von dieser Schacholympiade bekannt geworden. Auch ein richtiges Turnierbuch gab es nicht. Wolfgang Betzen vom Schachclub Wangen hat die Schacholympiade während des Wettkampfes UdSSR-USA besucht und seine Bilder hier freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Schacholympiade Siegen 1970: Viele Zuschauer
Spassky-Fischer, das Brett ist umlagert
Keres und Reshevsky kiebitzen am Brett von Evans und Polugajevsky, hinten rechts Kortschnoj
Larry Evans schaut bei Fischer
Der Wettkampf USA gegen CSSR. Es war für mich eine Ehre gegen ihn zu spielen. Wie immer schenkte er seinem Gegner sieben Minuten, auch mir. So vermied er den Kontakt mit der Presse und den Fotografen. Würde er heute bei der Null-Toleranz-Regel überhaupt antreten dürfen?
Caro-Kann-Eröffnung. Sobald er am Schachbrett saß, war sein Benehmen perfekt und es gab nichts auszusetzen. Ein Gentlemen-Typ - like Keres. Schön und leserlich notierte er die Züge. Soweit ich weiß, hat er auch in gegnerischer Zeitnot sein Schreibtempo nie beschleunigt. Niemals hätte er jemanden über den Tisch gezogen. Das deutsche Sprichwort "Eile mit Weile" würde sehr gut zu seinen Manieren passen. Ich verlor einen Bauern, aber bei seinem Abgabezug stellte ich fest, dass ich eine sehr solide Kompensation hatte.
Schnelles Abendessen und dann bestätigte sich bei der Analyse tatsächlich meine Vermutung. Vorausgesetzt, beide Seiten fänden eine Reihe von besten Zügen, müsste die Partie im Remis-Hafen enden. Ich hatte in Zeitnot mehr Glück als Verstand gehabt!
Spät am Abend wagte ich mich in die Höhle des Löwen und machte dem Kapitän der US-Mannschaft, Ted Edmonton, ein Remisangebot. Fischer und ich konnten sich dadurch den morgendlichen Weg in den Turniersaal ersparen, in Ruhe frühstücken und dann erst am Nachmittag zur nächsten Runde antreten. "I am sorry, Vlastimil. Bobby want's to play", bekam ich jedoch als Antwort.
Eine neue, späte Analyse, bis tief in die Nacht. Ich fand weder für Weiß noch für Schwarz eine Verbesserung. Alle Versuche endeten immer in einer Remis-Sackgasse. Am nächsten Morgen eilte ich in den Turniersaal. Mein Idol schenkte mir wieder sieben Minuten. Was geschah dann? Meine nächtliche Analyse wurde bestätigt. Zug für Zug. " I offer you a draw!" What a nice suggestion!
Mein damaliger Schachfreund Norbert Rauch vom Schachverein Caissa Münster ließ nicht locker und wollte um jeden Preis Bobby Fischer als Simultangeber engagieren. Ich nahm unsere soeben beendete Partie zum Anlass für die Einladung. Und Fischer nahm sie an.
So gab es bei Caissa Münster bald danach einen gelungenen Schachevent.
Und davon lesen Sie bald mehr!