Gerhard Hund (1932-2024)
In meiner Jugend zählte Gerhard Hund zu den starken Spielern der Region „Schachverband Mittelrhein“. Ich habe fünf Partien gegen ihn gespielt. Er pflegte sich gesund und solide aufzubauen; im unübersichtlichen Handgemenge verlor er aber bisweilen die Übersicht. Das folgende Spiel zeigt seine starke Seiten beim Schachspielen.
G. Hund – R. Hübner, Mannschaftskampf Oberliga Nord: Schachverein Opladen 1922 I – SG Porz I, 2. Februar 1969; Benoni
1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 g6 4.Sc3 Lg7 5.e4 d6 6.Ld3 e6 7.Sge2 0-0 8.0-0 ed5: 9.ed5: Sa6
Die Schwarzen haben in dieser Stellung viele verschiedene Züge versucht. Am beliebtesten ist 9…Sg4, zum Beispiel A. Dreev- V. Ivanchuk, Stepanakert 2005: 10.Lc2 Te8 11.h3 Se5 12.b3 b5 13.cb5: a6 14.b6 a5 (½:½, 21 Züge). Es wurde unter anderem auch 9…Te8 und 9…Sbd7 gespielt – natürliche Fortsetzungen.
Der von Schwarz gewählte Zug gefällt mir nicht. Von starken Spielern wurde er nie angewandt. Der Springer kann in der Folge nicht gut ins Spiel gebracht werden; auf c7 verkümmert er.
10.Lg5 h6 11.Lh4 Sc7 12.a4
Dies ist eine solide Fortsetzung. Weiß unterbindet prophylaktisch jede Möglichkeit eines Gegenspiels durch b7-b5.
12…Dd7?
Schwarz beginnt, sich schrecklich zu verkrampfen. Mit der Fortsetzung 12…g5 13.Lg3 Sh5 14.Dd2 f5 15.f4 g4 konnte er den Schaden begrenzen.
13.Dd2 Sg4
Zu spät kommt Schwarz auf diese Idee; aber andere Züge sind kaum besser.
14.f4 f5 15.h3 Sf6
16.Tf3?
Mit gesunden, natürlichen Zügen hat Weiß eine vielversprechende Stellung erreicht, aber der Zweck des Partiezuges ist nicht ersichtlich. Mit 16.g4 konnte Weiß sofort einen gefährlichen Angriff einleiten:
I 16…fg4: 17.Lg6: gh3: 18.f5 mit der Drohung Se2-f4-e6; Schwarz steht vor dem Zusammenbruch.
II 16…Df7 17.Sg3 fg4: 18.Dc2 Kh7 19.Sce4 Se4: (Auf 19…Sce8 folgt 20.Sg5+) 20.Le4: mit gefährlichen Drohungen (zum Beispiel 21.Tae1 nebst 22.Le7).
Auch 16.Tae1 war eine starke Fortsetzung.
16…Te8?
Schwarz begreift nicht die Bedeutung der Gefährdung der Bauernstruktur f5/g6. Mit 16…Df7 17.Kh1 Ld7 18.Tg1 Tae8 konnte er eine haltbare Stellung aufbauen.
17.g4 Df7
Nach 17…fg4: 18.Tg3 Df7 19.Lf6: Lf6: 20.hg4: mit der Drohung 21.Se4 oder 19…Df6: 20.hg4: mit der Drohung 21.g5 geht es Schwarz noch schlechter.
18.gf5:
Es kann 18.Dc2 mit 18…Sa6 beantwortet werden, aber 18.Tg3 mit Aufrechterhaltung der Spannung ist ebenfalls gut. Der gewählte Zug ist einfach und stark.
18…Lf5: 19.Lf5:(?)
Hier ist es stärker, vom geradlinigen Weg abzuweichen. Nach 19.Sg3 ist die Lage des Schwarzen prekär:
I 19…Ld3: 20.Dd3: mit höchst unbequemer Stellung für Schwarz.
II 19…Lh3: 20.Sge4 Se4: 21.Se4: Te4: 22.Le4:. Schwarz hat keine ausreichende Kompensation für das verlorene Material.
Nach dem Textzug kommt Schwarz etwas zu Atem.
19…gf5: 20.Lf6:
Weiß hält an seiner vereinfachenden Spielweise fest. Mit 20.Sg3 Sh5 21.Sce2 konnte er etwas mehr Initiative festhalten.
20…Df6:(?)
Richtig ist 20…Lf6: 21.Kh2 Lh4 22.Tg1+ Kh7 mit gleichem Spiel. Jetzt kommt Weiß wieder zu starkem Druck.
21.Kh2 Kh7 22.Sg3
22…Tg8?
Besser ist 22…Te7 23.Tg1 Df7 24.Dd3 Tf8 25.Sd1 Ld4 mit Überlebensaussichten. Weiß hat nun eine Gewinnstellung.
23.Dc2
Am stärksten scheint 23.Sd1 b6 24.Tb1 nebst 25.Se3 zu sein, aber auch der gespielte Zug ist gut genug.
23…Taf8 24.Te1
Auch hier ist 24.Sd1 stark. Nach 24…Sa6 25.Se3 Sb4 26.Df5:+ Df5: 27.Sef5: Sc2 28.Taf1 Sd4 29.Sd4: Ld4: 30.Te1 hat Schwarz keine Rettungsaussichten. Der Partiezug ist ebenfalls gut.
24…Tf7(?)
Der beste Versuch bestand in 24…h5 25.Sh5: Dh4 26.Sg3 Lh6 27.Sce2 Se8. doch ist die Lage nach 28.Tb1 Df6 29.b4 für Schwarz finster genug. Jetzt wird seine Stellung hoffnungslos.
25.Sd1 b6 26.b3 Tgf8 27.Se3 Dc3 28.Dd1
Einfacher ist 28.Dc3: Lc3: 29.Te2 Te8 30.Tg2. Schwarz verliert den Bauern auf f5, und dann ist sofort der Bauer auf d6 angegriffen und nur schwer zu decken.
28…Te8 29.Sg2
Weiß spielt weiterhin auf möglichst einfache Weise. Stark ist auch 29.Db1 Kh8 30.Tc1 Dd2+ 31.Sg2. Schwarz kann den Bauern auf f5 auf die Dauer nicht verteidigen.
29…Te1: 30.Se1: Db2+
Zäher ist 30…Da1
I 31.Da1: La1: 32.Te3 (Auf 32.Sg2 folgt 32…Se8 nebst Se8-g7) 32…Kg6 33.Sg2 Lf6 usw.
II 31.De2 Ld4 32.Tf1 Db2 33.Sc2 a6 (33…Db3. 34.Sf5: ist hoffnungslos für Schwarz) usw.
31.Sg2
31… a6
Andere Fortsetzungen sind ebenfalls hoffnungslos, zum Beispiel:
I 31…Ld4 32.Sf5: Tf5: 33.Dd3 Kg6 34.Kg3, und Weiß gewinnt.
II 31…Kg8 32.Te3 Ld4 33.Te2 Dc3 34.Sh4, und Weiß gewinnt.
32.Dd3(?)
Unmittelbar zu entscheidendem Vorteil führt 32.Sf5:.
32…Df6 33.Se3 Db2+34.Kh1 Da1+ 35.Tf1 Dc3 36.Dc3: Lc3: 37.Sef5:
Weiß hat das umkämpfte Objekt schließlich erobert und steht auf Gewinn.
37…Se8 38.Tf2 (Einfacher ist 38.Kg2) 38…Le1 39.Te2 Lg3: 40.Sg3: Sg7 41.Te4 Kg6 42.Kg2 b5 43.ab5: ab5:
44.Kf3(?)
Zum Sieg führt 44.cb5:. Auf 44…Tb7 folgt 45.f5+ Kf6 (45…Sf5: scheitert an 46.Tg4+ Kf6 47.Tf4) 46.Te1, und nach 46…Tb5: 47.Se4+ verliert Schwarz seinen Turm.
Nach dem Partiezug kann Schwarz den Widerstand verlängern.
44…bc4: 45.bc4: Ta7 46.f5+ Kf6
46…Kf7 47.Te3 Se8 (Auf 47…Ta4 folgt 48.f6 Se8 49.Te7+ Kf8 50.Sf5 Sf6: 51.Te6) 48.f6 Sf6: 49.Sf5 Ta6 50.Te6 Se8 51.Sh6:+ verhilft dem Schwarzen auch nicht zur Rettung.
47.Kf4?
Den Gewinn sichert 47.Kg4, zum Beispiel:
I 47…Ta4 48.Sh5+ Sh5: 49.Te6+ Kf7 50.Kh5: Tc4: 51.Th6: Td4 52.Td6: c4 (52…Ke7 53.Te6+ Kf7 54.d6 oder 53…Kd7 54.Kg6 ist nicht besser) 53.Kg5. Der König des Schwarzen wird auf die 8. Reihe abgedrängt; daher kann Schwarz keine Remisstellung im Turmendspiel mit f-Bauern und h-Bauern erreichen.
II 47…Ta3 48.h4 Tc3 49.Sh5+ Kf7 50.Sg7: Kg7: 51.Te7+ Kf8 52.Tc7 Tc4:+ 53.Kh5 nebst 54.Kg6, und Weiß gewinnt.
Nach dem Partiezug erhält Schwarz Rettungsaussichten.
47…Ta2?
Richtig ist 47…Ta4 48.Kg4 Kf7 49.Sh5 Se8 50.Kf4 Tb4, und es ist nicht ersichtlich, wie Weiß Fortschritte machen kann. Jetzt steht Schwarz wieder auf Verlust.
48.Te1 Tf2+
Keine Rettung bringt 48…Kf7 49.Se4 Se8 50.Tb1 Tc2 51.Tb7+ Kf8 52.f6 Tc4: 53.Kf5 Te4: 54.Ke4: Sf6:+ 55.Kf5 Sd5: 56.Td7 Se3+ 57.Kg6 d5 58.Kf6 Kg8 59.Tg7+ Kf8 60.Tc7.
49.Kg4 h5+
Dies erzwingt nicht 50.Kh4 Tf4 matt, wie ein Zuschauer glaubte.
50.Sh5:+ Sh5: 51.Te6+ Kf7 52.Kh5: Tf5:+ 53.Kg4 Tf1
54.Te4
54.Td6: Tc1 55.Kf5 Tc4: (55…Tf1+ 56.Ke4 Tc1 57.Kd3 nebst Td6-c6 rettet den Schwarzen nicht) 56.Td7+ Ke8 57.Th7 Tc3 58.Ke6 Te3+ 59.Kd6 führt zum Sieg, denn der König des Schwarzen steht auf der falschen Seite, so daß ihm keine Seitenschachs mit dem Turm zur Verfügung stehen.
Aber der Textzug verdirbt nichts.
54…Kg6 55.Tf4?
Richtig ist 55.Te6+ Kf7 56.Td6:, wie oben angegeben. Jetzt kann Schwarz sich retten.
55…Tg1+ 56.Kf3 Tc1 57.h4 Kh5
Das ist ein Schritt vom rechten Wege, der jedoch noch keinen Schaden bringt. Der König des Schwarzen muß dem Turm des Weißen den Zugang zum Feld f6 nehmen, während sein Turm sich um den h-Bauern kümmert. Dann kann Schwarz sich halten; dies erhellt aus der folgenden Anmerkung und der Partiefolge ab Zug 60. Einfacher ist 57…Th1 oder 57…Te1.
58.Ke3 Tc3+?
Nach 58…Kg6 59.Kd2 Th1 60.Kc2 Th3 kann Weiß keine entscheidenden Fortschritte machen. Jetzt ist der Sieg wieder zum Greifen nahe.
59.Kd2 Ta3 60.Kc2?
Mit 60.Tf6 konnte Weiß siegen:
I 60…Kh4: 61.Td6: Kg5 62.Tc6 Ta5 63.Kc2 Kf5 64.Tc8 Ke5 65.Te8+
A) 65…Kd6 66.Te6+ Kd7 67.Tc6, und der König des Weißen läuft nach e5.
B) 65…Kd4 66.d6 Ta7 67.Te7 Ta8 (67…Ta6 68.d7 Td6 69.Te1 Kc4: 70.Td1) 68.d7 Td8 69.Kb3 Kd3 70.Te5 Td7: 71.Tc5:, und Weiß gewinnt.
C) 65…Kf5 66.Kb3 Ta6 67.Tc8 Ta5 68.Tf8+ Ke5 69.Te8+ Kf5 70.d6 Ta7 71.Te7 Ta8 72.d7 Td8 73.Ka4 usw.
D) 65…Kf6 66.d6 Ta7 67.Kb3 Td7 68.Ka4 Td6: 69.Kb5, und Weiß gewinnt.
II 60…Ta6 61.Ke3
A) 61…Ta3+ 62.Ke4 Tc3 63.Td6: Tc4:+ 64.Ke5 Tc1 65.Tc6, und Weiß siegt mühelos.
B) 61…Kh4: 62.Kf4 Kh5 63.Kf5 Tb6 64.Ke6 Kg5 65.Tf8, und Weiß gewinnt.
Der Schwarze läßt sich die Rettungsmöglichkeit nicht noch einmal entgehen.
60…Kg6 61.Tf8 Th3 62.Td8 Th4: 63.Td6:+ Kf5 64.Kb3 Ke5 65.Tg6 Kd4 66.Tg3 Tf4 67.Tc3 Tf6 68.Tc1 Tb6+ 69.Ka4 Tb4+ 70.Ka5 Ke5 71.Te1+ Kd6 72.Te6+ Kd7 73.Te4 Kd6 74.Th4 Kd7 remis gegeben.
Die Partie zum Nachspielen:
Das erste Mal traf ich auf Gerhard Hund beim Qualifikationsturnier zur Deutschen Meisterschaft (genannt „Kandidatenturnier“) in Ingolstadt 1964. Er belegte einen Mittelplatz. Im Jahre 1974 nahm er an der Deutschen Meisterschaft in Menden teil, erreichte aber nur den 35.-36. Platz (36 Teilnehmer). Es gibt einen sehr ausführlichen Eintrag in der „Wikipedia“ über ihn und seine Schachlaufbahn, so daß das Aufzählen weiterer Einzelheiten überflüssig ist.
Gerhard Hund | Foto: Deutscher Schachbund
Gerhard Hund war ein zurückhaltender, bescheidener Mann, der wenig sprach; aber oft erhellte ein freundliches Lächeln sein Gesicht. Leider habe ich ihn nicht näher kennengelernt; aber einmal lud er mich zu sich nach Hause ein. Er erklärte mir die Wirkungsweise des Internets und des World Wide Web, die damals aufkamen; er plante, eine regelmäßige Schachecke darin einzurichten. Leuchtenden Auges sprach er: „Diese Errungenschaft wird allgemeine Kenntnis verbreiten und die Bildung der Menschen sehr fördern.“ Mir aber schlug der Schreck auf das Herz; undeutlich ahnte ich wachsende Überwachung des Einzelnen, Mehrung rein wirtschaftlicher Interessen mit zahlreichen Betrugsmöglichkeiten, ungesunde Einflußnahme von Gruppen und Verwilderung des Sprachgebrauchs voraus. So verschieden kann dieselbe Erscheinung von verschiedenen Leuten beurteilt werden.
Jener Versuch, eine Schachecke im Internet einzurichten, verlief im Sande.
Gerhard Hund war der Sohn des berühmten Physikers Friedrich Hund, des Kollegen von Heisenberg. Er gab sein Interesse am Schachspiel an seine vier Töchter Susanne, Barbara, Isabel und Dorothee weiter.
Er verstarb am 21. Juni in Freiburg im Breisgau.