Schach im Film (1): Knight Moves ( USA 1992 )

von Timo Sträter
04.07.2023 – Das Schachspiel und die Filmkunst sind keine Verwandten, mein Timo Sträter. Aber es gab Versuche, das Schach in spannende Plots einzubauen. Zum Beispiel den Film Knight Moves von 1972. Hier ist Timo Sträters Webstück zum Film. Für alle, die es damals verpasst haben. | Fotos: Republic Pictures

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Schach im Film (1): Knight Moves (USA 1992)

Darsteller: Christopher Lambert, Diane Lane, Tom Skerrit, Arthur Brauss (!) u. a.

Regie: Carl Schenkel

Zunächst möchte ich eine bittere Wahrheit aussprechen: Das Schachspiel und die Filmkunst sind keine Verwandten, sie sind noch nicht einmal Vereinskollegen. Wir wissen auch, woran es liegt: Die sakrale Kernhandlung des Schachspiels, eben die Schachpartie, hat dem erlebnishungrigen Auge wenig bis nichts zu bieten. Die Gladiatoren des Geistes, der schwarze Panther von der Newa, der Psycho-Killer aus Brooklyn, der Wissenschaftler aus Posemuckel; es gibt sie, und wir wissen es.

Was der Zuschauer wahrnimmt, sind Menschen, die, über ein Brett gebeugt, gelegentlich die Hand heben.

Dennoch gibt es etliche Filme, die das Schachspiel zum Thema machen. Eines dieser Werke möchte ich heute besprechen. Es handelt sich um den Film „Knight Moves“, einen Thriller aus 1992, der in der uns wohlbekannten Schachszene spielt.

Der Auftakt macht Laune: Man sieht ein von Zuschauern dicht umringtes Brett bei einem Jugendturnier. Zwei Jünglinge (ich würde sie der B-Jugend zurechnen), einer von ihnen ein mopsiger Fratz, tragen offenbar eine Entscheidungspartie aus. Der Fratz verliert. Als ihm sein Gegner arglos die Hand reichen möchte, wird diese mit einem Kugelschreiber durchbohrt; ein Wutanfall mit wildem Geschrei und umfallenden Figuren schließt sich an.

Schnitt. Der Fratz in medizinischer Behandlung. Der Arzt rät zur Ruhe. „Und kein Schach!“ ruft er dem enervierten Vater zu. Ein weiterer Schnitt. In einer sturmdurchtosten Nacht verlässt der Vater unter Verwünschungen das Elternhaus: „Ihr habt sie doch nicht alle!“ Um fair zu sein, es gibt gute Gründe für diese Meinung. Droben im Ehebett unternimmt die Mutter einen Suizidversuch. Sie fleht den Fratz um Hilfe an, aber dieser marschiert ungesäumt in die Küche, um das Schachbrett aufzubauen. Sein Eröffnungszug: 1. Sf3. Man hätte es sich denken können.

Sprung in die Gegenwart. Ein großes Event steht an, das wohl eine Art Kandidatenturnier sein soll. Favorit ist Großmeister Peter Sanderson (Lambert), sein ärgster Konkurrent ist der Russe Viktor Yurilievich (Arthur Brauss!!) Wer auch immer die Idee hatte, den norddeutschen Charakterkopf Brauss als Kurgan zu casten, er lebe hoch! Man ahnt es, das wird groß. Der Turnierleiter verkündet, daß die Teilnehmer, jeder gegen jeden, drei Partien auszutragen haben. Großmeister Sanderson lernt eine attraktive Turnierhelferin kennen, die ihn sogleich zu einem Schäferstündchen einlädt. Gesagt, getan. Nach gehabtem Vergnügen verlässt Sanderson unverzüglich die Wohnung – die 80er lassen grüßen. Vorbereitung: Sanderson hat einen blinden Trainer (Ferdy Mayne), der ihm rät, etwas „ganz Neues“ zu erproben. Das zugehörige Gespräch sorgt für heftiges Hirnsausen.

Am nächsten Morgen ist die Turnierhelferin bestialisch ermordet, der GM dringend tatverdächtig. Die Polizisten Sedman (Skerrit) und Wagner (D. Baldwin) , letzerer ein übellauniger Soziopath, treten auf den Plan. Wo man denn letzte Nacht gewesen sei? Wie? Sanderson begibt sich ins Dampfbad, eine Schöne kommt wie zufällig dazu. Was der Zuschauer, nicht aber der Großmeister weiß: Es handelt sich um eine Psychologin, die Sanderson im Auftrage der Polizei auf den Zahn fühlen soll. Man kommt ins Gespräch; nach einigem hin und her muß Sanderson bekennen, Schachspieler zu sein. Es entspinnt sich folgender Dialog:

Psychologin: Ich wollte schon immer Schach lernen. Ist es schwer?

Sanderson (wegwerfend): Ach was. Du hast ein Ziel vor Augen, das willst du erreichen. Und alles, was dir im Weg steht, das mußt du vernichten.

P: Das klingt grausam.

S: Das Leben ist grausam; der Starke vernichtet den Schwachen.

Der sensible Silberblick ein brutaler Sozialdarwinist? Das mag mancher Zuschauerin die Kehle zugeschnürt haben. Man spürt : Dieser Mann ist verletzt worden. Sicherlich unbeabsichtigt offenbart die Szene aber auch, dass Lambert kein besonders guter Schauspieler war und ist. Als schwertschwingender Hochländer mit eingeöltem Oberkörper war er akzeptabel, aber in emotionalen Szenen wirkte er immer wie Pooh der Bär auf  Baldrian. Dass Steven Seagal das gleiche Problem hatte, macht es nicht besser. Aber man ist immerhin erleichtert, dass der Mann nicht Minigolf spielt.

Dann endlich Schach: Sanderson gegen Großmeister Lutz (!). Sanderson droht mittels Sg5 ein Matt auf h7 an, Lutz gibt auf (zu versuchen war indes ...h7-h6; leider wird die Lage am Damenflügel nicht gezeigt). Gespräch mit dem Trainer (Hirnsausen), Schulterklopfen. Im Hotelzimmer ein Demobrett. Es gibt eine Tochter, die sofort für hochgezogene Augenbrauen sorgt, denn Kinder haben das Potenzial, jeden Film zu verhunzen. Ein Anruf: Der Mörder meldet sich, weil er ein Spiel spielen will. Wenn es der Wahrheitsfindung dient, ist Sanderson dabei.



Der Mörder mordet, die Ermittler ermitteln. Sanderson schlägt Yurilievich. Vorbildlich: Yurilievich tritt zu den Partien stets im Smoking an, Sanderson hingegen trägt einen leichten Bieranzug. Da ist ein Computer – Nerd, der für den Großmeister Informationen aus der „Zentralen Datenbank“ beschafft. Wo man denn letzte Nacht gewesen sei? Wie? Weitere Schachszenen: Die Teilnehmer warten wie Schulbuben vor dem Turniersaal, bis der Turnierleiter mit dem Schlüssel zu erscheinen geruht: Immer mit der Ruhe, Gentleman. Ich warte auf die Kopfnüsse, die mein alter Kunstlehrer zu verteilen pflegte, aber nichts passiert. Ein Großmeister trägt einen Aluhut gegen die „negativen Vibes“. Sanderson nimmt es hin, Arthur Brauss grinst sardonisch.

Das Morden geht weiter, Skeritt/Baldwin werden elektrisch. Wo genau war man letzte Nacht, he?

In der zweiten Partie gegen Yurilievich fehlt es Sanderson etwas an Konzentration, man kann es verstehen. Unstet der Blick, fahrig die Bewegungen, nimmt er einen Bauern am Damenflügel. Das hätte er besser nicht getan, denn es folgt ein einzügiges Matt auf h2, ausgeteilt von einem wiederum  sardonisch grinsenden Arthur Brauss. Aljechin hätte nun das Hotel in Brand gesteckt, Sanderson aber sitzt quietschvergnügt mit seinem Töchterchen am TV. Der Trainer spricht mahnende Worte: Springer e6 hätte leicht gewonnen. Sanderson weist ihn ab. Leider war dies die letzte Schachszene von Bedeutung.

Weitere Anrufe des Mörders. Sanderson analysiert die Lage: Der Killer spielt die Tartakus-Eröffnung. Er wirft mit einigen Strichen ein Schachbrett an die Wand: Dort wird der Mörder zuschlagen. Mich würde interessieren, wie das gehen soll: Läufer mal f5 heißt Goethestraße 17? Hätte sein Schachbrett 8x8 Felder gehebt, wäre die Rechnung vielleicht sogar aufgegangen. So bekam eine gehbehinderte Frührentnerin in den frühen Morgenstunden Besuch vom SEK, während der Mörder ein weiteres Opfer meuchelte. Aber nichts für ungut.

Die Polizei hat nun genug, Sanderson wird vom Schachbrett weg verhaftet. Die Figuren fallen um, was Brauss – Yurilievich in unbefriedigender Stellung nur recht sein kann. Im Gefängnis findet Sanderson heraus, was der Mörder wirklich will: das Töchterlein. Und das, obwohl sie nicht über Gebühr genervt hat. Die drei essentiellen Grundsätze des Schachs heißen: Sorgfalt, Sorgfalt, Sorgfalt.

Das Finale naht. Wer ist eigentlich der Mörder? Arthur Brauss, der Aluhut, die Kaltmamsell vom Frühstücksbüffet? Ich gebe zu, dass mir die Auflösung überraschend kam. Es kommt zu einer Liebesnacht mit der Psychologin. Schockierende Enthüllung: Sanderson Frau hat sich umgebracht. Ob sie mentale Probleme hatte oder seinen brutalen Sozialdarwinismus nicht länger ertragen konnte, lässt der Film offen. Der Trainer hat seine Rolle ausgespielt und wird vom Killer, nun ja, gekillt.

Wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu viel Bier/Prosecco intus hat, wird sich der Anfangsszene erinnern. Der mopsige Fratz (1. Sf3?!) muss es ein, soviel ist klar. Allein, es mangelt an Tatverdächtigen. Aber jede Partie muss einmal ein Ende haben. Im finalen Kampf stirbt Skerrit, obwohl bewaffnet, an Dummheit. Lambert muss dem Mörder allein gegenübertreten. Der ist aber nicht von Pappe und bringt den GM an den Rand der Niederlage. Die Psychologin tritt hinzu, findet die Waffe und erschießt den Killer, der sonst möglicherweise gewonnen hätte. Einer glücklichen Zukunft steht somit nichts mehr im Wege, und das soll uns für heute genug sein. Das Turnier ist nicht mehr so wichtig.

Wer war nun nochmal der Killer? Ich werde es Ihnen nicht verraten. Was ich Ihnen allerdings sagen kann: Schuld an der ganzen Misere trägt die so genannte Mülheimer Schule, die unter der Leitung des Großmeisters Daniel Hausrath seit Jahr und Tag den Zug 1. Sf3 propagiert. Eines Mannes Rede sei „jaja“ und „neinein“, von 1. Sf3 ist im deutschen Spruchbeutel nirgendwo die Rede.

Genug für heute, machen Sie es gut!


Timo Sträter ist FIDE-Meister und spielt für SV Wattenscheid, viele Jahre in der Bundesliga, bis sich der Verein dort zurückzog.