Zum Weihnachtsfest waren wir zu unseren in Sydney lebenden Kindern und Enkelkindern gereist. Und ganz im Gegensatz zu einem selbstgefälligen Tennisspieler hatten wir überhaupt keinen Ärger bei der Einreise. Gut, es hatte meine Tochter und mich auch zwei Wochen Arbeit gekostet, bis wir alle Visa, Travel Exemptions, VEVO-Bescheinigungen und Travel Declarations beisammen hatten. Mehrmals mussten wir alle möglichen Angaben in unterschiedlichen Online-Portalen und dann auch noch in Papierform hinterlegen – wer selbst schon einmal in Australien war, weiß, dass die dortigen Behörden Deutschland schon längst als "Bürokratie- Weltmeister" abgelöst haben und dass man ohne die Einreichung der geforderten Dokumente eben Probleme bekommt.
Nach den Feiertagen sollte aber auch Schach nicht zu kurz kommen. Viele verbinden Australien ja eher mit Surf- als mit Schachbrettern, und die lokale Schachszene ist auch recht klein. In der Fünf-Millionen-Stadt Sydney gibt es gerade mal 16 Schachclubs (Cabra-Vale, Campbelltown, Canterbury, Circular Quay, Freshwater, Lidcombe, Marrickville, Norths (Chastwood), Macquarie Park, Penrith, Rooty Hill, Ryde Eastwood, Sydney Chess Club (Burwood), University of NSW (Kensington), University of Sydney (Darlington), University of Technology (Broadway)). Einige davon fokussieren sich auf Kinder und Jugendliche.
Am Mittwoch nach Neujahr bin ich erst einmal nach Penrith in den RSL Club gefahren, wo der lokale Schachclub residiert. Es ist ein sogenannter "Social Club", bei dem es um die Freude am Spielen und um ein paar gute Gespräche mit den Schachfreunden geht. Nach ein paar Partien und etwas Small Talk fuhr ich wieder zurück und meldete mich für das zwei Tage später stattfindende "Inner West Quick Tournament January 2022" an, das von der "Sydney Academy of Chess" in Burwood veranstaltet wurde. Es war schon ein stolzes Startgeld, was dort zu entrichten war: zusammen mit der Registrierung bei der NSWCA (New South Wales Chess Association, 20$) waren das 70 Australische Dollar, umgerechnet 44€. Das ist nicht wenig für ein achtrundiges Schnellschachturnier (20 Minuten + 5 Sekunden Bonus) ohne Preise, bei dem nur die Top 3 und die Sieger der drei Ratingkategorien einen kleinen Pokal bekommen…
So ging es denn am Freitagmorgen mit der Bahn nach Burwood. Dort residiert die Sydney Academy of Chess in einer Seitenstraße der Einkaufsstraße Burwood Road in der Nähe des Bahnhofs. Insgesamt hatten sich 24 Spieler und Spielerinnen für das Turnier registriert. Viele von Ihnen waren Kinder und Jugendliche, die zwar noch keine Ratingzahl hatten, aber nicht zu unterschätzen waren.
Es herrschte Maskenpflicht – auch während der Partie – und es gab niemanden, der sich darüber beschwerte. Nach der Registrierung wurde mit dem Programm "Swiss Perfect" die erste Runde ausgelost, vom Programm wird noch die Rede sein. In der ersten Runde führte ein ausgeglichenes Endspiel zum Remis durch Stellungswiederholung.
Der Spielsaal
In Runde 2 misshandelte mein Gegner die Eröffnung und ich kam zu einem ungefährdeten Sieg. In der dritten Runde spielte ich gegen den an 2 gesetzten Steven Hemsley, den einzigen Spieler im Turnier, der älter war als ich. Es entwickelte sich eine hochinteressante Partie, bei der ich trotz eines Minusbauern in einem Endspiel Springer gegen Läufer die Oberhand behielt, weil ich einen meiner Bauern schneller in eine Dame umwandeln konnte. Die Folgerunde konnte ich ebenfalls gewinnen. Mein Gegner überzog eine Remis-Stellung, was ich in einen vollen Punkt umwandeln konnte.
Mit 3,5 aus 4 war ich zu diesem Zeitpunkt mehr als erfolgreich. Die "Belohnung" dafür war das Spitzenbrett. Gegner war der 16-jährige Marcus SH Li, der bis dahin 100% geholt hatte. In einer Benoni-Struktur hatte ich letztendlich den falschen Plan, verlor einen Bauern und die Partie.
Es folgte ein schnelles Remis gegen Patrick Keuning, durch das ich die Gelegenheit bekam, einen Spaziergang zum Westfield Burwood Shopping Centre zu unternehmen. Dieser Spaziergang tat mir gut und ich war rechtzeitig zur Runde 7 zurück.
Die Burwood Road in Sydney
Als ich eintraf, sah ich, wie die beiden Organisatoren angestrengt die Auslosung kontrollierten. Swiss Perfect hatte sich scheinbar nicht so perfekt verhalten und eine Paarung ein zweites Mal angesetzt. Nach der Korrektur wurde die siebte Runde neu ausgelost und es ging wieder an die Bretter. Aber auch die Neuauslosung half nicht: Ich verlor trotzdem die beiden letzten Partien. In Runde 7 abermals an Brett 1 gegen den an 1 gesetzten späteren Turniersieger Jordan Brown und in der Schlußrunde griff ich gleich in der Eröffnung fehl, so dass es am Ende für mich bei einer Erfolgsquote von 50% blieb.
Abschlusstabelle
Es hat Spaß gemacht, nach dreieinhalb Jahren wieder ein Turnier in Down Under zu spielen. Ich hoffe, dass es bis zum nächsten Turnier in Sydney nicht wieder so lange dauert!
Sydney, im Januar 2022
Bernhard Riess
Link zur Turnierseite