Schach in Jerusalem (1)

von Yochanan Afek
04.02.2015 – Nächten Monat finden in Jerusalem die Europameisterschaften statt, das wohl bedeutendste Turnier in der 3.000 Jahre alten Geschichte der Stadt. Das Schachleben der israelischen Hauptstadt verlief wechselhaft, doch viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben das Spiel in Jerusalem gefördert. Yochanan Afek erzählt die Geschichte. Mehr...

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Schach in Jerusalem – eine Zeitreise

"Schachspiel" – Bild des zeitgenössischen israelischen Künstlers  Boris Dubrov

Seit fast einem Jahrhundert gibt es ein Schachleben in der Hauptstadt Israels. Tatsächlich war Jerusalem zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Wiege des Schach in Israel (oder Palästina-Eretz Israel vor 1948). Der erste Schachklub des Landes war der International Chess Club, der 1918 in Jerusalem von Sir Ronald Storrs gegründet wurde. Storrs war der erste Militärgouverneur von Jerusalem und Judäa nach der Eroberung Pälastinas durch die britische Armee unter dem Kommando von General Allenby.

"International Chess Club" war ein Ausdruck der Hoffnung, dass der Schachklub unterschiedliche Nationen vereinen würde – die einheimischen Araber und Juden sowie europäische Christen verschiedener Nationalität, die damals in der Stadt stationiert waren - und so zu Frieden und Völkerverständigung beitragen würde. Leider wurde der Klub schon ein Jahr nach seiner Gründung wegen der zunehmenden Spannung zwischen Arabern und Juden geschlossen.

Ronald Storrs spielt gegen Rabbi Citron (Foto: Rafi Kfirs hebräische Webseite)

Storrs war ein echter Schachenthusiast und unterstützte 1919 die Organisation der ersten Stadtmeisterschaft Jerusalems. Sieger wurde Shaul Gordon, Gründer und Direktor der Mercantile Bank, in jenen Tagen eine zentrale Figur im kulturellen und öffentlichen Leben der Stadt.

Der International Chess Club war wegen der zunehmenden Spannungen in der Stadt kein langes Leben beschieden. Aber die Lücke wurde bald durch Dr. Aryeh Leob Mohilever (1903-1996) gefüllt, damals einer der stärksten Sieler des Landes. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des 1922 gegründeten ersten jüdischen Schachklubs in Palästina: der Emanuel Lasker Club in Beit Haam (später erinnerten auch große Vereine in Tel-Aviv und Haifa an den zweiten Weltmeister).

Ein sehr seltenes Bild von Aryeh Leob Mohilever, der äußerst bescheiden war,
so dass dies das einzige Bild ist, das nach seinem Tod veröffentlicht wurde.

In den nächsten fünfzig Jahren war Mohilever fast immer beteiligt, wenn es um das Schachleben vor Ort ging. In seinem Verein war er beinahe sieben Jahrzehnte aktiv! In fast allen Bereichen des Schachlebens im späteren Israel im Allgemeinen und in seiner Heimatstadt Jerusalem im Besonderen war er ein wirklicher Pionier. Er war von 1922 bis 1924 der erste Meister des Lasker-Klubs, veröffentlichte bereits 1921 er als Erster Schachprobleme (in der  Egyptian Post später in der Palestine Post), er war der erste Schachkolumnist einer Tageszeitung (Doar Hayom) und der erste Herausgeber einer experimentellen Schachzeitschrift (Hashachmat - zwischen 1923-24 erschienen vier Ausgaben).

Anfang der 20er wurden die ersten regelmäßigen Vereins- und Mannschaftsturniere für Vereine ausgetragen (wobei die Bedenkzeit meist mit Armbanduhren und nicht mit regulären Schachuhren gemessen wurde). Zu den Höhepunkten der ersten beiden Dekaden gehörten die Besuche, die drei jüdische Spitzenspieler, die in den 30ern Weltklassespieler waren, Jerusalem abstatteten: Akiba Rubinstein (1931), Salo Flohr (1934) und Jacques Mieses (1936).

Akiba Rubinstein spielt 1931 in Palästina simultan.
Der Spieler ihm gegenüber, der seinen Kopf aufstützt, ist Israels Nationaldichter Chaim Nachman Bialik

 1934 ließ sich der starke Meisterspieler Moshe Czerniak aus Polen in Jerusalem nieder. Später benannte sich der Jerusalemer Verein auch um und nannte sich nicht mehr länger zu Ehren Emanuel Laskers, sondern ehrte mit seinem Namen Akiba Rubinstein. Diesen Namen behielt der Klub auch bis in die Neunziger bei, doch durch die Fusion mit einem anderen großen Klub und dem Tod Mohilevers Mitte der 90er änderte sich auch der Vereinsname. Lange Jahre hatte der Klub eine Mannschaft in der starken ersten israelischen Liga und hatte sogar direkt nach der Olympiade in Tel-Aviv 1964 ein starkes Turnier organisiert. Der führende Spieler des Vereins war lange Jahre NM Joseph Richter, ein berühmter Anwalt in Jerusalem.

In den nächsten Dekaden wurden drei andere starke Klubs in Jerusalem gegründet, die alle großen nationalen Sportverbänden nahe standen: Hapoel, ASA und Elitzur. Prominente Organisatoren zahlreicher Turniere und Förderer des Nachwuchs waren Arieh Rosenberg, Hertzel Sigalov, Icho Gur und Yanai Simchon. Yoel Temanlis, der damals talentierteste Jugendspieler der Stadt, wurde 1969 israelischer Jugendmeister. Generationen starker Spieler haben an der Hebräischen Universität Jerusalem studiert und genau wie eine Reihe von Mitgliedern des Lehrkörpers eine wichtige Rolle im Schachleben der Hauptstadt gespielt.

Das Mythen umrankte Café Ta'amon (Foto von Hans Albrecht Lusznat), und später das Café Sport im Zentrum der Stadt, lud Schachfans aller Couleur ein. In den siebziger Jahren kam eine neue Welle von Immigranten aus der Sowjetunion: Itzchak Veinger und seine Frau Luba Kristol, Victor Manjevich, Shaul Dudakov genau wie Alexander Ginsberger aus Rumänien, um nur ein paar starke Meister zu nennen, ließen sich in Jerusalem nieder und verstärkten die Vereine der Stadt.

1967 richtete Jerusalem die Jugendweltmeisterschaft aus, die von dem wenig bekannten Julio Kaplan aus Puerto Rico gewonnen wurde. Er landete vor den bekannten GMs Keene, Timman und Hübner! Doch das bislang stärkste Turnier in Jerusalem fand 1986 statt, als Protest gegen den Ausschluss der israelischen Mannschaft von der Olympiade 1986 in Dubai. Führende westliche Großmeister, darunter Viktor Kortschnoi und Genna Sosonko, die die olympischen Spiele aus Solidarität boykottierten, nahmen an dem Turnier in Jerusalem teil.

Im neuen Jahrtausend ließ das Schachleben in Jerusalem jedoch beträchtlich nach, vor allem aufgrund von ernsthaften Konflikten zwischen den Vereinen, dem Rückzug einer ganzen Reihe von Spielern und Organisatoren und fehlenden neuen Kräften, die die Arbeit fortführen wollten. Dennoch, eine überraschende Wendung deutet daraufhin, dass eine neue Ära begonnen hat und das Beste noch vor uns liegt…

Der Autor wurde durch Dr. Avital Pilpels Weblog (siehe Link unten) unterstützt, seine Erinnerungen und ein Gespräch mit
Yoel Temanlis.
Die ganze Geschichte erfährt man in Teil zwei, der demnächst veröffentlicht wird: Jeruchess – das große Revival!

Links

Jewish Chess History – Chess History in Palestine and Israel


... wurde 1952 in Tel-Aviv geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Jetzt lebt er in Amsterdam. Afek hat sich in den vergangenen 50 Jahren fast jedem Bereich des Schachs gewidmet, professionell oder als Amateur. Er spielt immer noch aktiv und ist Komponist, Autor, Organisator, Trainer und Kommentator; er ist Internationaler Meister und Internationaler Schiedsrichter für Turnierschach und für Schachkomposition.

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