Schach-Mekka am tosenden Meer

von Michael Dombrowsky
13.01.2017 – Ab Samstag wird das holländische Fischerdörfchen Wijk aan Zee wieder zur Welt-Schachhaupstadt. Hunderte von Schachfreunden pilgern dann zur Nordsee, um Weltmeister Magnus Carlsen und einige andere der weltbesten Schachspieler hautnah zu erleben. Die Tradition des Turniers geht bis auf das Jahr 1938 zurück. Michael Dombrowsky beleuchtet die lange Geschichte und fragt sich: Wird Magnus Carlsen der erfolgreichste Spieler in Wijk aan Zee werden...?

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Das Schach-Mekka am tobenden Meer

Die Nordseestrände gehören in den Wintermonaten nur bedingt zu den begehrten Reisezielen. Im Januar fällt Wijk aan Zee, an der holländischen Nordseeküste gelegen, aus dem Rahmen. Dann pilgern hunderte Schachspieler an den Küstenstrand rund 25 Kilometer nordöstlich von Amsterdam. Spieler aller Klassen reißen für rund zwei Wochen den Ort aus dem Winterschlaf. So wird es ab diesem Wochenende nicht anders sein. Besonderes Interesse im Großmeister-Turnier wird das Aufeinandertreffen des Weltmeisters Magnus Carlsen mit seinem Herausforderer Sergej Karjakin zwei Monate nach dem WM-Kampf finden.

Magnus Carlsen (Foto: Alina l'Ami)

Welchen Stellenwert man dem Turnier beimisst, zeigt die Tatsache, dass von den 16 Weltmeistern seit Max Euwe (wobei die vier „Jahres-Weltmeister“ der FIDE Alexander Khalifman, Ruslan Ponomarjov, Rustam Kasimjanov und Wesselin Topalov mitgezählt sind) nur Bobby Fischer nicht an diesem Traditionsturnier teilgenommen hat.

Turniersaal


Als der Hoogovens Schaak Club von 80 Jahren, also für den 16.-17. Januar 1938, ein Turnier ausschrieb, dachte man nicht im Entferntesten an Großmeister oder gar Weltmeister unter den Teilnehmern. Das erste Viermeister-Turnier hatte noch Lokalkolorit. Neben den Meistern, spielten weitere 36 Teilnehmer in verschiedenen Klassen in Vierergruppen die Sieger aus.

Gespielt wurde im Kasino der Königlichen Hochofen-Gesellschaft, in dem die Schachabteilung ihre Spielabende veranstaltete.

Casino der Königlichen Hochofen-Gesellschaft (Foto: Turnierbuch)

Nach 30 Jahren zog man einen Ort weiter in Richtung Küste. Der Grund war praktischer Natur. Die Teilnehmerzahlen stiegen stetig, das Kasino platzte bei dieser Veranstaltung aus allen Nähten, die Unterbringung der Teilnehmer erwies sich als zunehmend schwieriger. Da lag es nahe, in das touristisch besser erschlossene Wijk aan Zee umzuziehen.

Auch wenn das Turnier im Laufe der Zeit unterschiedliche Namen trug: Es war immer das Turnier der Stahlkocher. Zunächst von der Schachabteilung des Betriebs ins Leben gerufen war es über Jahrzehnte das „Hoogovens-Turnier“. Nachdem die holländische Firma Koninklijke Hoogovens1999 mit British Steel fusioniert war, übernahm man beim Schachturnier den neuen Unternehmensnamen „Corus-Turnier“. Nach dem Kauf von Corus durch den indischen Konzern Tata Steel trägt das Turnier seit 2011 die offizielle Bezeichnung „Tata Steel Chess Tournament“.

1940 erhielt das Turnier gewissermaßen den Ritterschlag. Ex-Weltmeister Max Euwe nahm in Beverwijk teil und gewann das Turnier. Für Euwe war es der erste von vier Erfolgen beim Hoogovens-Turnier. Inzwischen haben sich von den fünfzehn Weltmeistern elf, nämlich Max Euwe, Michail Botwinnik, Michail Tal, Tigran Petrosjan, Boris Spasski, Anatoli Karpov, Gary Kasparov, Wladimir Kramnik, Viswanathan Anand, Wesselin Topalov und Magnus Carlsen in die Siegerliste eingetragen. Anand und Carlsen schafften es bereits fünfmal und sind damit die erfolgreichsten Teilnehmer in Wijk aan Zee. Nur die Weltmeister Wassili Smyslov, Khalifman, Ponomarjov und Kasimjanov konnten nicht die Tabellenspitze erreichen. Deutlich besser waren die Nicht-Weltmeister Lajos Portisch, Viktor Kortschnoi und Lewon Aronjan, die jeweils viermal an der Tabellenspitze gestanden haben.

Für die deutschen Topspieler war weder Beverwijk noch Wijk aan Zee ein gutes Pflaster. Denn einen Deutschen sucht man in der Siegerliste vergebens. Das beste Resultat erzielte 1949 Paul Schmidt aus Heidelberg. Der Deutsche Meister von 1941 war der erste deutsche Teilnehmer bei diesem Turnier. Er belegte hinter Dr. Savielly Tartakower (Frankreich) gemeinsam mit der Holländer Theodor van Scheltinga den zweiten Platz.

Am häufigsten war Robert Hübner am Start. Doch über den dritten Rang kam der Kölner Großmeister bei seinen neun Versuchen zwischen 1971 und 1996 nicht hinaus. Auch die Internationalen Meister Georg „der eiserne Schorsch“ Kieninger (1951/3.-4.) und Ludwig Rellstab aus Hamburg (1952/3.-4. und 1959/5.-6.) kamen ebenso wenig über Rang drei hinweg wie später die Großmeister Wolfgang Uhlmann aus Dresden (1961/3.) und Hans-Joachim Hecht (1974/3.-5.).

Der Internationale Meister und Ehren-Großmeister Dr. Heinz Lehmann aus Berlin schaffte 1965 einen sechsten Platz, der ihm die Teilnahme für das nächste Turnier sicherte. Doch 1966 wurde er Letzter im 16er-Feld. Nicht viel besser erging es den Großmeistern Klaus Darga (Berlin), Wolfgang Unzicker (München) und Eric Lobron (geboren in Germantown Pa., aufgewachsen in Wiesbaden) in Holland. Darga verbuchte 1964 einen neunten und 1967 einen fünften Platz, Unzicker teilte 1981 gegen Ende seiner Karriere den elften und zwölften Rang und Lobron wurde 1985 Sechster bis Neunter und überstand 1993 bei einem Turnier nach K.o.-System nicht das Viertelfinale.

Der Turniermodus in Wijk aan Zee wurde häufig in den vergangenen 80 Jahren verändert. Man spielte mit vier, sechs, acht, zehn, zwölf, vierzehn oder sechszehn Teilnehmern in der Meistergruppe und probierte 1993 und 1995 das K.o.-System aus. Doch eines wird wie seit acht Jahrzehnten auch in diesem Jahr gleich sein: Bei der Abschlussfeier und der Preisverleihung gibt es ein gemeinsames Essen, das es schon immer gab – eine kräftige Erbsensuppe.
 

 


Michael Dombrowsky war fast 40 Jahre als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätig. Als Rentner begann er Bücher zu schreiben. Das erste Schachbuch auf dem Markt sind die „Berliner Schachlegenden“.

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