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Nach 1.e4 e5 2.Sf3 stürmen die Elefanten mit 2...d5 im Zentrum los. In der Vergangenheit wurde dieser Zug als etwa gleich stark (oder besser gesagt gleich schwach) eingeschätzt wie 2...f5 oder 2...f6.
Dass dem nicht so ist, bemerkte ich erstmals 2006: Neben meiner Tätigkeit als Nationaltrainer von Trinidad und Tobago nahm ich an einem IM-Turnier auf der Nachbarinsel Barbados teil. Dort traf ich mit Weiß auf FM Philip Corbin, der dafür bekannt war, den Zug 1.e4 immer mit dem Elefantengambit zu attackieren. Zwei Jahre davor hatte er damit bei der Olympiade in Calvia gegen den slowenischen IM (heute GM) Sakelsek seine persönliche unsterbliche Partie gespielt, in der Eröffnung einen Turm geopfert, den weißen König übers Brett getrieben und im 24. Zug mattiert.
Bei meiner Vorbereitung fand ich keinen klaren Weg zu weißem Vorteil: In einigen Varianten spielt Schwarz spielt zwar mit einem Minusbauern, hat aber aktive Figuren und aufgrund des Bauern auf e4 mehr Raum - und für eine Schlacht mit offenem Visier war der Taktiker Corbin offensichtlich gerüstet. Andere Varianten, die in Richtung Endspiel gehen, haben wieder eine relativ große Remisbreite - also lastete auf mir zusätzlich noch der psychologische Druck, das Elefantengambit "mit Ansage" aufs Brett zu bekommen und vielleicht nicht schlagen zu können. Nach längerer Vorbereitung traf ich also die Entscheidung: Obwohl ich damals beinahe ausschließlich 1.e4 spielte, zog ich gegen Corbin 1.d4.
Auch andere Autoren haben inzwischen entdeckt, dass das Elefantengambit nicht zu unterschätzen ist: John Shaw verleiht in seinem Buch über 1.e4 dem Zug 2...d5 sogar ein !? und findet trotz sicherlich intensiver Computeranalysen nur ein zartes += für Weiß.
Somit spricht meiner Meinung nach nichts dagegen, das Elefantengambit gelegentlich als Überraschungswaffe einzusetzen: Schwarz nimmt von Beginn an das Heft in die Hand, entwickelt sich gesund zentral und hat bei der geringsten Unachtsamkeit von Weiß die Chance auf einen taktischen Schlag. Außerdem besteht die Chance, dass Weiß nach dem 2. Zug bereits out of book ist, anstatt seine 10, 15 Züge Spanisch oder Italienisch automatisch runterspulen zu können.
Wer sich einen Überblick über die Theorie des Elefantengambits verschaffen will, ist bei Andrew Martin an der richtigen Stelle: In zwölf Clips erläutert er die grundsätzlichen Ideen und wichtigsten Varianten aus schwarzer Sicht. Allerdings behandelt er nach 3.exd5 nur 3...Ld6 und geht nicht auf den derzeit beliebteren Zug 3...e4 ein. Und obwohl Corbin mit zwei Partien vertreten ist, fehlt die "Perle von Calvia".
Der Autor meint, dass sich das Elefantengambit besonders für junge Spieler eigne, die ihre taktischen Fertigkeiten weiterentwickeln wollen. Von der Spielstärke her ist das Gambit bis in den Bereich von 2200, 2300 tauglich: Wenn es ausreicht, um einen starken IM zu besiegen, gelten keine Ausreden, es nicht auch auf dem Niveau darunter zu versuchen.
Ich selbst habe das Elefantengambit nach Andrew Martins Instruktion in Internet-Blitzpartien versucht - in den bisher etwa 50 Partien scorte ich damit deutlich besser als mit meiner Standard-Verteidigung gegen 1.e4, der Berliner Mauer. Gerade beim Blitzen macht es mehr Spaß, trotz eines Minusbauern anzugreifen, anstatt in gedrückter Stellung darauf zu hoffen, dass die Macht des Läuferpaars irgendwann zur Geltung kommt. Wer also Lust auf kreatives Angriffsschach hat, liegt beim Elephant's Gambit aus der 60 Minutes-Serie genau richtig.