Vlastimil Hort: Ludek Pachman (II)

von Vlastimil Hort
19.06.2018 – Ludek Pachman war ein bedeutender Theoretiker und fleißiger Autor. Und er war eine umstrittene Persönlichkeit. In seiner Zeit in der Tschechoslowakei war er ein strammer Kommunist. Nach dem "Prager Frühling" wandelte er sich vom Saulus zum Paulus, oder vom Saulus zum Saulus, wie manche meinen. Vlastimil Hort erinnert sich an viele gemeinsame Erlebnisse. | Fotos: Archiv Michalek

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Ein neuer Pachman

Die Schacholympiade in Lugano fand 1968 kurz nach der Okkupation der CSSR durch die Warschauer- Pakt-Staaten statt. Obwohl Pachman kein Mitglied der CSSR- Olympia-Mannschaft war, protestierte er gegen den Einmarsch der Sowjetischen Truppen in Prag, wo immer sich ihm die Gelegenheit bot. Er nahm auch an unseren Mannschafts-Beratungen zu diesem Thema teil und war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Wir hatten nach langen Diskussionen entschieden, gegen die UdSSR zwar zu spielen, aber nur unter Protest und mit Trauerflor an den Jacketts. Das war Pachman zu wenig. Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir gar nicht gegen die "Okkupanten-Mannschaft" antreten sollen. Doch wir als Mannschaft hatten uns für die mildere Form des Protests entschieden, schließlich waren einige der sowjetischen Spieler voll auf unserer Seite und bedauerten, was die Politik angerichtet hatte. 

Es sollte an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass IGM Filip damals schon ein gut bezahlter sowjetischer Sympathisant war, der kategorisch jede Form von Protest abgelehnt hatte. Im Gegensatz zu Pachman blieb er seiner pro-sowjetischen Linie auch nach der Olympiade treu. In den späteren Zeiten unter Gustáv Husák und dessen prosowjetischer Haltung bekam ich durch Filip große persönliche Probleme.

Zurück zu Ludek Pachman. Gott sei Dank konnte er im Jahre 1972, inzwischen bekennender Christ, in die damalige BRD ausreisen. Deutschland wurde seine zweite Heimat. Wegen seiner noch guten Spielstärke wurde er 1976 in die Olympia-Mannschaft der BRD aufgenommen und spielte in Haifa am zweiten Brett. Zwei Jahre später wurde er in Bad Neuenahr sogar Deutscher Einzelmeister.

Bravo!

Pachmann, Moskau 1947

Ein Friseur verzeiht nie…

Hatte Ludek Pachman mein Engagement bei Onkel Wilfried in Porz eingefädelt? Nein, keineswegs. Wie alle anderen tschechoslowakischen Sportler wurde ich vom "Prago-Sport" einfach in den Westen verkauft und geliefert. Ein Handel – östliche Ware gegen westliche Devisen. Trainer und Spieler im Sportzentrum Wahn war ab dem 9. Februar 1979 meine neue Aufgabe und Herausforderung.

Es schneite auf der Fahrt von Prag nach Köln, so dass sich mir ein ganz besonders romantisches Bild bei meiner Ankunft am Hauptbahnhof bot. Der Kölner Dom ganz in Weiß - mein erster Blick in die neue "Heimat". Ich wurde von Dr. Paul Tröger, meinem künftigen Mannschaftskollegen, erwartet. "Herzlich Willkommen in Köln, mein Name ist Paul, darf ich Sie Vlastimil nennen?" 

Angenommen!

Der deutsche Meister von 1978, Ludek Pachman, meldete sich kurze Zeit später mit ein paar Fragen telefonisch bei mir. Einerseits sehr neugierig, versuchte er andererseits mich zu überzeugen, zu emigrieren. Wohlweislich verschwieg ich ihm, dass ich zu diesem Zeitpunkt daran überhaupt keinen Gedanken verschwendete, denn mein einziger Sohn Daniel war in Prag geblieben. Ich wollte seine Volljährigkeit abwarten, um entscheiden zu können. In meiner Naivität glaubte ich, dass wir beide dann, nur mit einem kleinen Köfferchen, den Kommunismus für immer verlassen könnten. Nichts lag mir daher ferner, als in einem von Pachmans Artikeln als neue Überläufer-Sensation gehandelt zu werden.

Meine Eingewöhnungszeit in Porz verlief problemlos – alle halfen mir freundlich in den Alltagsdingen. Die Schachfreie Zeit nutzte ich, um meine neue Umgebung zu erforschen, besonders die Wälder. Überall gesunder Baumbestand – ich war begeistert!

Langsam wurde es Zeit, die Haare schneiden zu lassen. Ich erkundigte mich bei allen nach ihren Präferenzen. "Wenn Du einen guten Frisör suchst, dann kann ich Dir sogar eine besondere Freude machen", sagte mein neuer Boss Wilfried zu mir. Er empfahl mir mit verschmitztem Lächeln einen Salon mit tschechischem Inhaber. Heimatliche Gefühle machten sich breit, wie lange hatte ich meine Sprache nicht mehr gehört und gesprochen.

Figaro Kopecky aber empfing mich gleich mit einem Statement: "Hören Sie mal, junger Mann, wenn Sie ein Freund von Pachman sind, haben Sie in meinem Betrieb gleich Hausverbot!" Warum nur diese feindliche Begrüßung?

Er weigerte sich zunächst auch vehement, meine Haare zu waschen geschweige denn zu schneiden. Erst als ich ihm versicherte, dass Pachman und ich lediglich Schachkollegen seien, war er bereit, sein Hausverbot zu vergessen.

Seine Geschichte dazu. Schon 1953 hatte er mit seiner Frau die CSSR Richtung Westen verlassen wollen. Pachman, damals noch ein wichtiges Mitglied in der Kaderkommission, stufte den ihm unbekannten Mann jedoch als Klassenfeind ein. Resultat: keine Unterschrift, keine Ausreise.

"Der kommunistische, damals noch systemtreue Pachman hat uns die besten fünfzehn Jahre unseres Lebens gestohlen!" Bei dieser Bemerkung schaute er zu seiner Frau, die bejahend nickte. So konnten Kopecky und seine Frau erst im Jahre 1968 während des Prager Frühlings ihre gemeinsamen Träume verwirklichen.

Obwohl kein Schachspieler, wusste Kopecky über die Machenschaften der beiden Pachman-Brüder sehr viel.

"Der ältere Bruder, Vladimir, ist noch immer ein Marxist", meldete er. "Er verfasst ein politisches Skriptum nach dem anderen, wie auf dem Fließband."

Das wusste ich.

"Ja", mischte seine Frau sich ein, "ja, schließlich muss Vladimir viele Alimente zahlen."

Das wusste ich nicht.

Herr Kopecky blieb mein Favorit in Frisörfragen. Die Diskussionen über Pachmans rote Vergangenheit und schwarze Gegenwart waren eine kurzweilige Zugabe zu seinem hervorragenden Haarschnitt. Gott sei Dank ist ihm bei all seinen emotionalen Ausbrüchen nie das Messer ausgerutscht!

Ludek Pachmann, rechts

Schreiben, sein Ein und Alles…

1980 spielten wir beide in Hamburg ein kleines, feines Turnierchen im Heinicke-Ruder-Klub. Kaum war Pause, war Pachman auch schon verschwunden. Ich musste nicht lange rätseln, was er trieb – er schrieb, schrieb und schrieb.

Die einzige Partie, in der ich fast auf Verlust stand, war ausgerechnet gegen ihn.

 

 

Den ganzen Tag über klapperte seine Schreibmaschine in der kleinen Hamburger Pension. Ich musste mir "seine Musik" bis in die frühen Morgenstunden anhören. 

"Ein längerer Spaziergang am Alsterufer würde Dir viel besser bekommen", schlug ich ihm beim Frühstück vor.

"Ich kann nicht anders, ich bin schreibsüchtig", gab er mir zur Antwort. "Im Gegensatz zu Dir, will ich die Welt noch ändern!"

"O.K., Ludek", begann ich meine Antwort. "Kennst Du den Song von Frankie "I did it my way"?"

Er schwieg. Wahrscheinlich hätten wir uns sonst in die Haare bekommen. Unser gemeinsames Frühstück war jedenfalls schneller beendet, als es angefangen hatte. Auf mich wartete die Uferpromenade, auf ihn ein Rendezvous mit der Schreibmaschine.

Vom Saulus zum Paulus

Berlin 1982 – American Chess Summer Tournament. Bei dem berühmten Open machte ich eine ganz gute Figur. Meine gesamte Ausbeute vor der letzten Runde waren 7,5 aus 8. So fehlte mir zum alleinigen ersten Platz nur ein Unentschieden. Wie es der Zufall wollte, wurde für die letzte Runde die Paarung Pachman-Hort verkündet.

"Wir können ein schnelles Remis machen, dann kann ich mich weiter meinen politischen Aufgaben widmen", meinte Ludek.

"Nein, Ludek, tut mir leid, es ist mir egal, ob Du in Eile bist. Ich will die Partie ganz normal und fair zu Ende spielen!"

Er war sichtlich schockiert darüber, dass ich seine "Schachtätigkeit" wesentlich höher einschätzte als sein Engagement für die "Konservative Aktion".

 

Wo war mein Gegner bloß mit seinen Gedanken? Er schien ziemlich nervös, trotzdem, schonen konnte ich ihn nicht. Sein Koffer stand während der ganzen Partie startbereit neben seinem Stuhl. Nach dem Verlust packte er denselben und verließ wortlos den Turniersaal. Er eilte zu seinem Auto, um damit auf schnellstem Wege Richtung Bayern, wo die Union bereits tagte, zu fahren.

Die Preisverteilung fand logischerweise ohne ihn statt. Als die Schiedsrichter mehrmals seinen Namen riefen, meldete jemand aus dem Publikum " Der Politiker ist gerade abgereist." Ein begeisterter Applaus aus dem Saal war zu hören, schließlich waren die Teilnehmer zum Schachspielen gekommen und nicht zum Politisieren.

Wie schon erwähnt, teilte ich während der Schach-Olympiade in Tel Aviv 1964 ein Zimmer mit Pachman. Ich erinnere mich noch gut daran. Meine Abwehr gegen seine rote politische Beschallung waren dicke Ohrstöpsel und jede Menge Aspirin. Es ist wahr, in seiner zweiten Lebenshälfte war Pachman mehr Politiker als Schachspieler - hatte von der roten zur schwarzen Überzeugung gewechselt. Vom Saulus zum Paulus? Späte Erkenntnis? Warum nicht?

"Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen."

 Johann Wolfgang von Goethe, Faust, 2. Teil

Epilog

Die "Konservative Aktion" scheiterte in Deutschland. In der politischen Szene Tschechiens konnte Pachman nach dem Mauerfall auch nicht mehr Fuß fassen. Er wurde praktisch zur "Persona non grata". In seiner tschechischen Heimat hatte er seinen Namen nur mit einem N (Pachman) geschrieben, später in Passau fügte er ein weiteres hinzu (Pachmann). Soviel ich weiß, ist eine Biographie über den bedeutendsten Schachtheoretiker der tschechoslowakischen Schachgeschichte in Arbeit. Ich bin allerdings sicher, dass der Autor Jan Michalek noch viele schlaflose Nächte deswegen verbringen wird. 

Wann trafen wir uns am Schachbrett zum letzten Mal?

Es war beim Donner Memorial in Amsterdam 1994. Ludek kämpfte in unserer Partie wie ein Löwe. Zu meinem Missfallen bot er mir während der Partie dreimal hintereinander ein Remis an. Nein, von mir war er an diesem Tag nicht zu besiegen. Die Turniertabelle ist allerdings ganz lustig.

 

 

IM Jan Michalek aus Pilsen ist ein sehr engagierter Sammler von Schachliteratur. Nach dem Milleniumswechsel spielte er gemeinsam mit Ludek in einer Passauer Schachmannschaft, allerdings nur kurze Zeit. Am 6. März 2003 verstarb der große Schachtheoretiker. Jan Michalek begleitete ihn auf seinem letzten Weg und konnte dank seines guten Kontaktes zu der Witwe Eugenie dessen gesamte Bibliothek mit vielen persönlichen Notizen übernehmen.

Ludek Pachmann mit seiner Fraue Eugenie, 1981

"Vlastimil, Pachmans Persönlichkeit hatte unglaublich viele Facetten und in seiner Bibliothek waren dementsprechend die unterschiedlichsten Bücher versammelt", meldete mir mein Schachfreund Jan Michalek.

Allein achtzig Werke sollen aus Pachmans eigener Feder stammen. Die Themen, Schach und Politik!

Eine vorsichtige Frage möchte ich in den Raum werfen: "Steht Quantität auch für Qualität?"

In seiner Theorie-Kiste schätze ich am höchsten das Damengambit und die Spanische Partie. Meiner Meinung nach sind seine Werke über die Strategie besser als über die Taktik.

Turnierbuch mit Autogramm

"Pachman war ein äußerst einsamer Mensch", erzählte Michalek weiter. "Wie der Ritter Don Quichotte kämpfte er gegen die ganze Welt."

Ich zuckte nur mit den Schultern. Keines seiner politischen Manifeste hatte ich je gelesen oder in die Hand genommen. Gute Freunde und Alliierte fehlten ihm in seinem Leben. Meines Wissens, ist er sogar mit seinem Bruder politisch und menschlich aneinandergeraten.

"Lieber Ludek, nur die Schachfiguren sind treue und dankbare Zuhörer. Nur sie bewegen sich, wie Du es willst und vorgibst. Vielleicht wäre der eiserne Vorhang durch Dein politisches Engagement ein paar Sekunden früher eingestürzt – wer weiß? Der Planet Erde aber war, ist und wird nie schwarz-weiß sein!" Dein Kollege Vlastimil Hort

"Ein äußerst einsamer Mensch mit so vielen unterschiedlichen Facetten."

Ich bedanke mich bei Jan Michalek für das Gespräch und die Fotos, die er mir für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat.
 
  


Ehemaliger Weltklasse-Spieler, WM-Kandidat, vielfacher Autor und bekannter TV Schachmoderator.

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