Robert James Fischer: Robert 9. März 1943 – 17. Januar 2008
Über Fischers Partien und sein Lebensschicksal wurde viel geschrieben, ist fast alles bekannt. Der berühmte, amerikanische Psychiater und ehemalige Weltklassespieler Reuben Fine attestierte seinem genialen Landsmann "schwerwiegende, aus familiären Konflikten resultierende psychische Probleme, die zu Verhaltensauffälligkeiten führten." Laut Fine bot das Schachspiel Fischer die Möglichkeit, sich mittels seiner Erfolge für erlittene Kränkungen zu rächen und Machtfantasien auszuleben. "I want to break his ego", war Fischers Ziel number one! Kann man auf Grund der Psychoanalyse von Reuben Fine das Benehmen von Robert Fischer besser verstehen, oder ihm sogar vieles verzeihen? Beide, Fine und Fischer, waren sich in einer Sache aber total einig. Um die Schachkrone festzuhalten, waren die Russen (später Sowjets) ihrer Meinung nach zu allem fähig. Die amerikanischen Proteste führten schließlich zur Abschaffung der Kandidatenturniere und wurden durch "Eins gegen Eins"- Wettkämpfe ersetzt.
Schon Josef Wissarionowitsch Stalin (Dschughaschwili) entdeckte das Schachspiel als eine gelungene, vor allem aber billige Werbung für die neue sozialistische Gesellschaft. Während Russland in den dreißiger Jahren gewaltig hungerte, fanden in Moskau hochdotierte, internationale Schachturniere statt. Westliche Großmeister wurden hofiert und königlich bezahlt, denn die sozialistische Doktrin war: "Der Westen kann sich mit uns im Schach sowieso nicht messen!" In der Tat erntete der russische Staats-Schachismus nach dem Zweiten Weltkrieg auch viele Lorbeeren.
Das Match des Jahrhunderts – Fischer-Spassky, Reykjavik 1972, hatte in sich alle politische Brisanz. Die westliche und östliche Ideologie prallten wie zwei Kampfhähne aufeinander. Der Kapitalismus macht wie bekannt soziale Fehler, der Sozialismus kapitale Fehler!
Der Autodidakt, ein einfacher Amerikaner, war so vermessen, die ganze russische Schachmacht herauszufordern. Ich hatte das Glück, drei geniale Schachpersönlichkeiten kennenzulernen, Robert Fischer, Garry Kasparov und Michail Tal. Für mich ist Bobby definitiv der stärkste Weltmeister aller Zeiten.
Wo haben wir uns eigentlich zum ersten Mal gesehen? USA-CSSR, Schacholympiade in Leipzig 1960. Fischer nahm ein "Time-out", aber offensichtlich interessierte ihn das vierte Brett Hort-Weinstein sehr. In der beiderseitigen Zeitnot übersah ich eine Springergabel auf die Dame und beide Türme. Quel malheur! Mein Gegner aber machte danach zum Glück einen Fehler nach dem anderen, so dass sich unser berühmter Kiebitz verzweifelt an den Kopf fasste. Sein Gesichtsausdruck war leicht zu interpretieren "Hätte ich doch bloß mit Schwarz spielen können…"
Die Partie Fischer-Tal, Leipzig 1960, lernte ich selbstverständlich auswendig.
Fischer-Tal, Fotoquelle: Bundesarchiv
Schacholympiade in Varna 1962. Von weitem verfolgte ich mit Begeisterung Bobbys Erfolge und in meinem Gedächtnis ist die Partie Botwinnik-Fischer noch heute als Meisterstück zum Thema "Wie spielt man Grünfeld-Indisch?" gespeichert.
Der Autobus zum Flughafen war voll. Die Teilnehmer der Schacholympiade wollten nach Hause. Robert Fischer kam als letzter an. Mit sich schleppte er einen wunderschönen blauen, aber riesigen Matrosenkoffer. Hein Donner wütete: "Bleib stehen, oder setz Dich auf die Motorhaube, damit wir endlich losfahren können."
Fischers Sizilianisch war sehr schwer zu kopieren, viel leichter fiel es mir, einen identischen Matrosenkoffer in Prag zu kaufen. Fortan schleppte ich das Ungetüm als meinen persönlichen Glücksbringer zu all meinen Turnieren mit. Damals gab es auch einen Ansteck- Button für alle Fischer-Fans zu kaufen. "1.e2-e4 is the best", war aufgedruckt. Daraufhin änderte ich mein Eröffnungs-Repertoire zu Gunsten der offenen Spiele. Mit Erfolg!
Vinkovci 1968 – ein Turnier mit genügend freien Tagen, heute fast ungewöhnlich. An solch einem freien Tag trafen sich alle Teilnehmer mit Organisatoren auf einem anderen Spielfeld, dem Fußballplatz. Fischer kannte nur den amerikanischen Football. Soccer war ihm vollkommen unbekannt. Er sah den runden Lederball zum ersten Mal. Seine physische Kondition aber war bemerkenswert. Die Regeln musste man ihm nicht lange erklären. Mit der Eleganz und Schnelligkeit eines Panthers lief er dem Ball auf dem Spielfeld hinterher. Wir hatten alle viel Spaß auf dem Fußballplatz und Bobby bereitete das Dribbeln mit dem Ball offenbar viel Vergnügen.
Zeichnung: Otakar Masek
"Vlasty, they are pushing the small ball into the hole and they take all the money", war sein ständiger und ärgerlicher Kommentar zu den hohen Honoraren im Golfsport.
Noch in Vinkovci am Swimmingpool der Villa, die Bobby bewohnte, wurde ich Zeuge seiner wohl regelmäßig durchgeführten letzten Übung des Tages. Mitternacht war in Sicht, als er sich plötzlich die Stoppuhr schnappte. Jetzt folgt ein Freistil im Wasser, so dachte ich. Doch nein, stattdessen fischte er ein Blatt Papier mit Schachaufgaben aus der Hosentasche - "Matt in zwei Zügen". Er drückte die Uhr und versuchte die zehn kleinen Schach-Nüsschen unter einer Minute zu knacken. Damit endete für ihn der Tag. Wie die Leser vielleicht vermuten, hab ich danach nicht nur die offenen Spiele von ihm kopiert!
Veni, vidi, vici
Interzonenturnier in Sousse 1967 – wir wohnten im Hilton, nahe am Strand. Von früh morgens bis spät abends war der einladende, große Swimmingpool des Hotels täglicher Treffpunkt der Großmeister, Sekundanten und Begleitpersonen. "Gens una summus".
Zeichnung: Otakar Masek
Wo nur blieb der Turnier-Favorit Bobby Fischer? Der Amerikaner verließ das Turnier, kam zurück, verschwand wieder. FIDE versus Fischer! Ob er noch mal zurückkommt und bis zu Ende spielt, war das große Rätsel. Samuel Reshevsky war sein nächster Gegner. Damals gab es noch keine Toleranzregel. Eine Stunde Wartezeit war fast um. Lässt Bobby das Fähnchen fallen? Vollkommen gelassen, als wäre es das Normalste von der Welt, erschien zwei Minuten vor Torschluss ein perfekt gekleideter junger Mann im Turniersaal. Es folgt seine spanische Partie, die unvergessen bleibt. Veni, vidi, vici!
Vor dem nächsten freien Tag war der Star wieder verschwunden. Die verunsicherten Schiedsrichter telefonierten aufgeregt und unentwegt mit dem FIDE-Büro. In den Zeiten von Fischers Abwesenheit wurden seine bisherigen Resultate annulliert. Auf der Turniertabelle, die mitten im Foyer des Hotels stand, überklebten die Schiedsrichter alle seine Ergebnisse. Reshevsky gefiel seine überklebte "0" sehr, es ging schließlich um 6 Kandidatenplätze.
Zeichnung: Otakar Masek
"Wenn der Kerl noch einmal zurückkommt, dann reise ich ab", war sein wütender Kommentar. Sollten wir sein Ultimatum wirklich ernst nehmen?
Fischer blieb verschwunden. Wie auf der Tabelle zu sehen ist, profitierten drei Spieler von dem Streit zwischen Fischer und der FIDE: Reshevsky, Hort und Stein.
Zeichnung: Otakar Masek
Schachkameraden
Im damaligen Jugoslawien wurde Robert Fischer wie ein Hollywoodstar verehrt. In dem kleinen slawonischen Städtchen Vinkovci sorgte vor allem der begeisterte Organisator Bilusic 1967 dafür, dass sich der Amerikaner wie zu Hause fühlen konnte. Bobby hatte mehrere Zimmer zu seiner Verfügung und durfte als einziger den Swimmingpool in Bilusic's Luxusvilla nutzen. Dort spielte sich eines Morgens eine recht komische Szene ab. Fischer am Schachbrett gegenüber saß ein 10- bis 11-jähriger Junge. Es war der Sohn des Gastgebers.
Eigentlich war ich mit Fischer verabredet und wunderte mich daher, die beiden am Brett zu sehen. Dazu noch ohne Schachuhr. Mein kleiner Renault 8 war gewaschen und rausgeputzt für den berühmten Mitfahrer. Ich war der Chauffeur seines Vertrauens, durfte aber außerhalb der Stadt 50 Miles pro Stunde nicht überschreiten. Auch alle anderen Verkehrsschilder hatte ich in seinem Beisein exakt zu beachten.
Der kleine Junge war den Tränen nahe. Er war ein blutiger Anfänger und verlor eine Partie nach der anderen. Fischer spielte immer die stärksten Züge und gab ihm bei erster Gelegenheit unbarmherzig Matt. Nach meiner Schätzung hätte der Meister dem Lehrling auch die Dame vorgeben können. Obwohl ganz verschwitzt, stellte Fischer, mit fragendem Blick auf den Jungen, nach jeder Partie die Figuren wieder in die Ausgangsstellung. "What do you think, Vlasty", shall I give him a draw?"
Fühlte er sich dem Gastgeber verpflichtet, oder wollte er dem Jungen für das ganze Leben eine unvergessliche Freude schenken? Ich jedenfalls wollte mich in seine Entscheidungsfindung nicht einmischen.
Offensichtlich hatte ich meinem Renault die rundum Wäsche umsonst verpasst. In meiner Position als Kiebitz blieb ich neutral und schwieg. Beobachtete aber die verzweifelten Versuche des jungen Adepten, die Partien möglichst zu verlängern. Fischer blieb hart, der König des Jungen in der Agonie. Irgendwann verließ ich taktvoll und unauffällig die imposante Villa. Deshalb weiß ich bis heute nicht, wie lange sich die beiden "neuen Schachkameraden" noch gegenüber saßen…
Fliegenpilze
Die tiefen Wälder in Slawonien sind ein Paradies für Pilzsammler. Ich habe das Pilze sammeln schon als siebenjähriger Junge von meinem Vater erlernt. Nach dem Krieg waren in meiner Heimat Pilze ein wichtiges Nahrungsmittel um überleben zu können. Aus der frühen Not war in späteren Zeiten eine große Leidenschaft geworden. Der Wald ist mein zu Hause. Der Koch des Hotels Kunjevci freute sich über meine Ausbeute und so ergänzten köstlich zubereitete dicke Steinpilze mein tägliches Menü. Die Pilzsaison war wie das Turnier Vinkovci 1968 in vollem Gange. Mittags war meine Zeit, um in die Pilze zu gehen. Bei einer dieser Gelegenheiten traf ich an der Ausgangstür auf Bobby Fischer. "Yes, I collect the mushrooms. Will you join me?" Er drehte sich auf dem Absatz um und war in ein paar Minuten wieder da. Ich kontrollierte seine Ausrüstung – gutes Schuhwerk, ein Klappmesser und ein geräumiger Korb. Alles in Ordnung.
Ob er wohl überhaupt jemals in einem Wald gewesen war, fragte ich mich. Er stürzte sich nämlich auf alles, was ein Bein hatte und farbig war. Ich war froh, dass er von meinem Abenteuer am Tag zuvor nichts wusste. Die Begegnung mit einer rasenden Wildsau und ihren fünf Frischlingen war selbst für mich beängstigend gewesen. Unsere Körbe waren schnell voll und ohne Probleme fanden wir den Weg zurück zum Hotel. Robert Fischer war total begeistert, vom Ausflug und seiner Ausbeute. Ich kontrollierte seinen Korb. "Ohje, nur ein paar Gramm davon und Du würdest das Turnier nie gewinnen, lieber Robert." Er wollte mir nicht glauben und regte sich sehr auf, als ich all seine Pilze in die nächste Mülltonne kippte. Sein Gesicht erinnerte an die Hüte von Fliegenpilzen nur die weißen Pünktchen fehlten. "Wenn man Glück hat, dann funktioniert noch eine sofortige Magenspülung", beendete ich meinen mykologischen Vortrag.
"Ich habe in den letzten Tagen zu viele Pilze gegessen", sagte ich dem Koch anschließend. "Heute nehme ich nur den Palatschinken, die Pilze bekommt Robert Fischer. Aber bitte, bereiten Sie sie so zu, dass er das Turnier gewinnt", spaßte ich. Während des Gesprächs wich Bobby nicht von meiner Seite. Plötzlich verstand er die serbokroatische Sprache. Für ihn war das Maß voll. "No, no Vlasty, you will eat them first and I will wait for one hour."
Automatisch dachte ich an die römische Kaiserin Agrippina, Mutter Neros, die viele unbequeme Personen in ihrem Umfeld mit Pilzgerichten vergiftet hatte. Ich fühlte mich geschmeichelt, war ich doch zum Vorkoster von James Robert Fischer ernannt!