ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
Ein französisch-amerikanisch-griechisch-russischer Großmeister. Hatte er wirklich vier Pässe zur Verfügung? Sein Vater Spiridon Rossolimo war ein Grieche, die Mutter Xenia Nikolajewna eine Russin. Am 28. Februar 1910 in Kiew (Ukraine) geboren, am 24. Juli 1975 nach einem tragischen Unfall in New York gestorben.
Ein Weltbürger und Weltenbummler. Ich kann ihn mir in einer Filmrolle als Schach-Clochard neben Jean Gabin gut vorstellen. "Up and down" ging es in seinem abenteuerlichen Leben zu. Rossolimos Stammbuch ist klar orthodox, in seinem Schachrepertoire findet man allerdings kein orthodoxes Damengambit. 1.e2-e4 war sein Lieblingszug und in der klassischen italienischen Variante ging es sofort zur Sache. Die sehr bedeutende Variante in der sizilianischen Verteidigung 1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 trägt seinen Namen. Seinen Stil kann man als spätromantisch bezeichnen. Er sammelte viele "Brilliancy Prices" und falls die FIDE ein Welt-Buch von gelungenen Miniaturen herausgeben würde, dürfte sein Name im Verzeichnis nicht fehlen.
Seine Kombination wirkt in der folgenden kurzen Partie sehr ästhetisch.
Es ist möglich, dass er bei meinem "Studiobesuch" gerade seine Schacherinnerungen für ein Buch vorbereitete. Leider blieb seine Absicht nur als unvollendetes Projekt liegen. Er kopierte aus allen Schachzeitschriften die Berichte über seine Partien, fügte eigene karge Notizen hinzu, doch das Buchprojekt vermoderte in einer Schachtel und ging später verloren.
Noch schlimmer endete das Vorhaben der gemeinsamen Biografie, die seine Frau Vera Budakovich verfasst hatte. Das Manuskript war in russischer Sprache geschrieben, perfekt und druckreif. Ein Besucher seines "Chess Studios" bot sich an, das Skript in perfektes Englisch zu übersetzen und nahm das russische Original mit. Der unbekannte "Übersetzer" ließ sich jedoch nie mehr blicken. Leider hat Rossolimos Frau Vera keinen zweiten Versuch unternommen. Schade! Die Hoffnung, dass die Handschrift eines Tages bei einer Schachauktion auftauchen könnte, ist minimal. Schade, ich hätte sehr gerne über die Höhen und Tiefen einer Schachbeziehung mehr erfahren. Wer war wohl dieser geheimnisvolle X.Y.?
Zurück zur effektvollen Partie Rossolimo-Romanenko von Bad Gastein 1948.
Mein Schachfreund André Schulz entdeckte, dass die oben genannte Partie keine Turnierpartie, sondern nur eine frei gespielte Partie war. Nun stellt sich die Frage: Wer war Romanenko? Beim Turnier in Bad Gastein war er sicher nicht unter den Teilnehmern. Existierte er überhaupt? Vielleicht eine ähnliche Erscheinung wie Nicolas Rossolimo? War die Partie (Miniatur) künstlich konstruiert? Auch in der Malerei gibt es jede Menge gefälschter Gemälde!
Der Lebenskünstler Rossolimo gewann sieben Mal die Meisterschaft von Paris. Bei dem internationalen Turnier in Paris von 1938 belegte er hinter Capablanca einen bemerkenswerten zweiten Platz. Sind wir beide uns je am Brett begegnet? Ja, zweimal: In Beverwijk 1969 und in Monte Carlo 1969. Wir hatten einen großen Respekt voreinander - zweimal unentschieden.
Wie bei vielen anderen Schachkollegen dieser Zeit stoppte der Zweite Weltkrieg seine viel versprechende Schachkarriere. 1939 wurde sein einziger Sohn Alexander geboren. Nun musste er sich um seine Familie kümmern. Für einen Schachprofi zu dieser Zeit keine leichte Aufgabe. Er blieb zunächst in Frankreich, wo er 1947 die französische Staatsbürgerschaft erhielt.
Chantal Chaudé de Silans und Nicholas Rosslimo (Quelle: Pinterest)
1948/49 in Hastings und 1953 Beverwijk feierte er seine größten Triumphe. Das Resultat in Beverwijk bezeugt klar seine Spielklasse. Sein Vorsprung von 1,5 Punkten ist beeindruckend.
Er spielte zwei Schacholympiaden für Frankreich, die erste 1950 in Dubrovnik, die letzte 1972 in Skopje und dreimal für die USA als Reserve, 1958, 1960, 1966. Die Schachprofis waren damals wie bekannt nicht auf Rosen gebettet. Um über die Runden zu kommen, verdingte der Bohemien Rossolimo sich als Taxifahrer. Ganze Nächte hindurch fuhr er die Kundschaft durch die Stadt. Später arbeitete er als Page im New Yorker Wald-Astoria Hotel, übernahm die Nachtschicht in einer Wäscherei und eröffnete 1959 sein berühmtes Schachstudio in Greenwich Village - eine Institution! Das war die Sternstunde in seinem Leben.
„Ich half meinem Vater in Spanien die Figuren aufzustellen und bewunderte, wie er um die Gegner rotierte und alle die Partien im Gedächtnis behielt“, erinnerte sich sein Sohn Alexander. Rossolimos Chess Studio in Madrid entwickelte sich allerdings zu einem finanziellen Desaster. Doch ein Schachprofi bleibt hart. "Up and Down". 1955 gewann Rossolimo die Meisterschaft der USA. Der erste Preis war ein nagelneues Automobil der Marke Buick. Das Auto wurde sofort verkauft, denn "Cash" wurde dringend gebraucht und verbraucht.
Die Schachkunst zuerst, dann die Resultate, war sein Credo. "Ich werde nie ein Schachmonster und Punktejäger werden." In seinem einzigen Buch "Au coin du feu" (Paris 1947) behandelt er seine Endspiele und früheren Schachstudien. Die Publikation ist eine Rarität und steht auf meiner Wunschliste sehr hoch im Kurs. Würden ein paar Hundert Euro auf einer Auktion reichen?
Im Jahr 1975 las ich über seinen dritten Platz beim New York Open. Gutes Preisgeld. "Grandmaitre kann sich ein wenig ausruhen und kann weniger Taxi fahren“, dachte ich bei mir. Ein paar Wochen später der Bericht über sein tragisches Ende. Ich verstand die Welt nicht mehr...
Die Visitenkarte von "Rossolimo´s Chess Studio" habe ich über viele Jahre aufbewahrt, bis sich schließlich die Gelegenheit bot, ihn 1974 während der US-Open in New York, zu besuchen.
Tatort: Rossolimo´s Chess Studio in Greenwich Village, Manhattan (191, Sullivan Street, später 217 Thomspon Street). An einem lauwarmen Sommerabend hatte ich endlich die Möglichkeit, die Höhle des Löwen zu besuchen. Grandmaitre offerierte mir sogleich ein Gläschen Rotwein und ließ mich wissen, dass sein überaus berühmter Schachunterricht in einer halben Stunde beginnen würde. Ja, ich sei ein willkommener Zaungast, mit diesen Worten lud er mich ein, zu bleiben. "I´ll check them all", wiederholte er mehrmals, was mich vermuten ließ, dass er auch einen Bewunderer brauchte. Im Raum befanden sich ein Demobrett, eine langer Tisch mit Stühlen und sein berühmter, rollender Bürostuhl (zu dieser Zeit noch nicht flächendeckend auf dem Markt). Eine kleine Küche und ein mickriges Badezimmer ergänzten seinen bescheidenen Schach-Wohlstand. Gleich hinter der Eingangstür war der Lehrsaal, sein Schach-Reich.
Auf dem heutigen Lehrplan stand die "Übung Nr. 2", Königszüge und Schach. Großmeister Nicolas Rossolimo würde in seinem Element sein, den totalen Anfängern und Adepten überall, wo er konnte, Schach bieten. Mit seinem fahrenden Bürostuhl würde er von Brett zu Brett sausen, um mit großem Vergnügen und seiner schwarzen Armee die weißen Könige seiner Gegner zu verfolgen.
Greenwich Village. Vom ersten Augenblick an gefiel mir das Multi-Kulti-Ambiente dieses Viertels. Straßenkünstler, Maler, Poeten und Gaukler bevölkerten die Straßen – ein buntes Treiben überall. Vielfältige Gerüche drangen aus allen Ecken in die Nase. Internationale Gerichte lockten mit ihren nationalen Besonderheiten. Wenn Vlasty, einmal noch im Leben in die USA, dann unbedingt nach Greenwich Village!
Die ersten Teilnehmer des Abendkurses trafen ein. Ein nackter, weißer König stand auf jedem Brett bereit. Wenn die Wissbegierigen nach einer Unterrichtsstunde das Studio verlassen würden, sollten sie mit Sicherheit etwas mehr über das "Jeu Royal" wissen.
Das Publikum war auch sehr Multi-Kulti. Eine weiße Amerikanerin mit ihrem Söhnchen, Mexikaner, Afroamerikaner, Latinos und ein paar Rentner unklarer Herkunft hatten an der langen Tischreihe Platz genommen. Ich hörte sogar russische und polnische Töne. Ein aufmerksamer Chinese brachte dem Maestro schließlich etwas Gebäck zum Knabbern. Bevor es aber losging, nahm der Grandmaitre seinen französischen Hut á la Maurice Chevalier zur Hand und kassierte von jedem Teilnehmer einen Dollar Startgeld. Ein sehr moderater Preis für die Schachlektion.
"I´ll check them all!"
Auf jedem Brett setzten sich die schwarzen Armeen langsam in Bewegung. Es folgte ein einfaches Schach hier, ein anderes da, manchmal auch ein Doppelschach oder ein listiges Abzugsschach. Ich wunderte mich, wie unglaublich schnell die Teilnehmer aus ihren Fehlern lernten. Warum? Jeder falsche oder illegale Zug wurde nämlich umgehend bestraft und kostete den Patzer einen "Quarter". Die Schadenfreude der jeweiligen Nachbarn war überall zu spüren. Der Maitre schaute auf die Uhr, der Unterricht neigte sich langsam dem Ende zu. "I'll checkmate you all."
Am späten Abend würde noch eine "Night Rossolimo Show" stattfinden, der "Dollar" musste schließlich rollen.
Der Besuch bei Rossolimo war sehr aufschlussreich – ich habe viel gelernt, nur leider noch nicht umgesetzt. Ist es inzwischen schon zu spät, noch ein "Hort Chess Studio" zu eröffnen?
"Le vin desserre la langue et ouvre les coeurs", der Wein löst die Zunge und öffnet die Herzen, sagt ein französisches Sprichwort. Schachkünstler Rossolimo war mit seiner Tageseinnahme recht zufrieden und sein ausgiebiger Weingenuss hatte ihn gesprächig gemacht. Warum beschimpft und beleidigt er eigentlich die Mexikaner so gemein? Was haben die ihm bloß getan?
"These scoundrels, cheaters, tricheurs, crooks, obmana", ein Schwall von negativen Worten in allen Weltsprachen folgte auf meine Frage hin. Ich erinnerte mich plötzlich auch daran, dass er einen kleinen Mexikaner während des Schachunterrichts ziemlich drangsaliert hatte. Er schenkte ihm nichts. Im Gegenteil, für jeden "illegalen Zug" wurde der Kleine von ihm mit Vergnügen bestraft und abkassiert.
Was wohl die Gründe für seine Aversion gegenüber den Mexikanern sein mochten, fragte ich mich insgeheim. Peut à peut entlockte ich ihm schließlich seine Geschichte.
Ganz in der Nähe seines Schach-Studios befand sich eine einfache, mexikanische Taverne. Das Essen wurde noch nach den Originalrezepten gekocht und es schmeckte hervorragend. So oft er konnte, aß er in dieser kleinen Taverne zu Mittag. Auch seine Spielerseele kam auf ihre Kosten. Jeden Sonntagnachmittag nämlich fanden in der gemütlichen Taverne auch kleine Pokerrunden statt. Man spielte um kleine Beträge, sozusagen unter Freunden. Jeder kannte jeden, der Einsatz (Chip) kostete einen Quarter. Bei diesen Minibeträgen schien es mir unmöglich, dass in dem Pott jemals eine astronomisch hohe Summe zusammenkommen könnte. Nicolas Rossolimo, der Lebenskünster, fehlte bis zu jenem Ereignis fast nie.
Eines Tages, dem Glück so nah! Während einer der Pokerrunden bekam mein Gastgeber tatsächlich gleich drei Asse auf die Hand. Selbstbewusst blickte er in die Runde. Nach dem Tausch von zwei Karten - tatsächlich noch ein Ass! Nicolas Rossolimo konnte sein Glück kaum fassen, pokerte die Beträge in die Höhe. Einer der Mexikaner zog mit. Zweimal folgten Pot und Repot. Der Haufen mit den Dollarscheinen wuchs und wuchs. Das Blatt wurde aufgedeckt. Der kleine Mann im Sombrero zeigte eine Karte nach der anderen: 7, 8, 10, Dame, König – nichts, nicht mal ein Pärchen, nur lauter Schrott! Aus der Sicht eines unparteiischen Beobachters ein total misslungener Bluff. Mit einem Siegeslächeln streckte Nicolas Rossolimo seine Hand nach dem Pott aus. Doch STOPP! Offensichtlich gab es hausinterne Regeln, die ihm noch nicht bekannt waren. "Mister, ich habe eine "Kaktuskarte" und die schlägt gerade und nur den Poker von vier Assen." Viele Mexikaner hatten der gemütlichen Pokerrunde zugeschaut, so dass jeder verbale und handfeste Protest von ihm sinnlos und niemals zu seinen Gunsten ausgefallen wäre.
Wie es der Teufel wollte, am nächsten Sonntag war er schon wieder dabei. Vom seinem Chess Studio zur Spielhölle waren es eben nur ein paar Schritte! Diesmal war ihm das Kartenglück nicht hold. Grandmaitre war zwar mit all seiner Energie beim Spiel, aber die Karten wollten ihn nicht. Automatisch und wie im Rausch zog er eine Karte nach der anderen. Ein Blick auf das Blatt – zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass auch er eine "Kaktuskarte", nämlich 7, 8, 10, Dame, König auf der Hand hatte.
Der Spielteufel kann sehr bösartig sein. Auf der Tischseite ihm gegenüber saß ein anderer Mexikaner, der langsam, nach und nach ein Blatt mit vier Assen aufdeckte. Eine Szene, wie aus einem Westernfilm. Spannung pur. In süßer Vorahnung der vollen Geldtaschen näherte sich Rossolimo dem prall gefüllten Pott. "Mister, Mister, we are very sorry, you have just bad luck today. Unser Hausgesetz gilt für jedermann hier in der Runde, danach gewinnt die "Kaktuskarte" gegen vier Asse nur einmal im Jahr. Sorry, Mister, really sorry!"
Trotz der Blessuren, die Nicolas Rossolimo durch die Mexikaner erlitten hatte, verbrachte ich bei dem Bonvivant, Charmeur und Lebenskünstler noch einen amüsanten Abend. Savoir vivre!
Viel später erfuhr ich noch, dass selbst der weltbekannte französische Maler Marcel Duchamp in Rossolimos Chess Studio seine Inspiration gesucht hatte.
The Sicilian Rossolimo for White
Die Rossolimo-Variante (1.e4 c5 2.Sf3 Sc6) wird zunehmend beliebter, auch und gerade unter Top-Spielern. Weiß umgeht die langen Theorievarianten im Offenen Sizilianer, aber stellt Schwarz vor dennoch vor Probleme. Viktor Bologan zeigt, wie man mit dieser Variante punktet.