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Ich las den Artikel von André Schulz mehrmals mit sehr großem Interesse. Vor vielen Jahren sprach ich über Fedor Bohatirchuk mit Ex-Weltmeister Boris Spassky, der Bohatyrchuk noch in Kanada besucht hatte. Ich sammele (in bescheidenem Ausmaß) auch alte und ältere Schachbücher und Bohatirchuks Buch "Mein Lebensweg zu Vlassow und zum Prager Manifest" fand ich immer sehr lesenswert. Es ist ein Buch ohne Schachdiagramme, vielleicht auch deshalb, weil Bohatirchuk mehr ein Doktor der Radiologie war als ein Schachprofi. Als Schachamateur spielte er noch mehrmals die Kanadische Meisterschaft mit und schade, nie hat jemand seinen Intelligenzquotienten gemessen. Er war sicher schlau genug, nicht mit General Vlassow nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion zurückzukehren. In Kanada fand er eine neue Heimat. Nach meinen Informationen wollte seine Tochter einen kanadischen Offizier heiraten, was ihm seinen "Lebensweg" auch erleichterte.
Während der Vorbereitung des "Prager Manifests" zeigte er seine ganze Spielstärke und gewann in einem Uhrenhandicap gegen eine Prager Auswahl mit 7,5:0,5. Ich nahm mir vor, alle acht Teilnehmer dieses Wettkampfs unter die Lupe zu nehmen. Habe ich alle auch gekannt? Was ist aus ihnen (im Sinne des Schachs) geworden?
1. Ferdinand Krtichka , 1892-1951 (Meisterklasse)
Mehrmaliger Teilnehmer der Tschechoslowakischen Meisterschaften. Er wirkte in meinem ersten Schachverein, Slovan Kladno, in den ich als fünfjähriger Junge beigetreten bin. Ich stand auch zusammen mit allen anderen Senioren aus Kladno und Umgebung bei seiner Beisetzung. Ich reichte meine kleine Hand, wie die anderen Herren, einer Dame in Schwarz. Unser "Ferda" ist den Schachkreisen von Kaldno immer noch in Erinnerung.
2. Vasil Bacinsky (Prager Meister)
"Je suis en docteur en droite", sprach mich ein älterer eleganter Herr während eines Turniers in San Bernadino (Schweiz) an. Dann versuchte er das auf Tschechisch. Er hat es wohl auch geschafft. Nicht nach Kanada, aber in die Schweiz. Aber wie und in welchem Jahr?
Bei der Schweizer Mannschaftsmeisterschaft traf ich einen viel jüngeren Bacinsky. War es sein Sohn? Nein, sein Enkel, ich bin fast sicher. So weit ich weiß, ist auch sein Nachfahre ein begeisterter Schachspieler. Falls er zufällig diesen Artikel liest, wären seine Informationen sehr hilfreich.
3. J. Runza, 1900-? (Meisterklasse)
Für mich eine geheimnisvolle Figur. In meiner aktiven Zeit existierte Runza J. nicht mehr. Ich habe recherchiert, aber auch in der tschechoslowakischen Kleinen Enzyklopädie (Ausgabe von 1989) findet sich seine Name nicht. Meine Suche war erfolgreich in den Zeitschriften Czechoslovasky Sach 1946-47. J. Runza war ein starker Prager Meister, der auch noch an der tschechoslowakischen Meisterschaft in Ostrava 1946 teilgenommen hatte. Seine Schacherfolge waren mäßig.
4. Karel Prucha, 1901-1980 (Meisterklasse)
Ein begeisterter Organisator und Schachpromotor. Er war als Experte für die Drachenvariante der Sizilianischen Verteidigung bekannt und ich konnte ihn sogar einmal in einer Turnierpartie unter Bauernangriff nehmen. Seine Liebe zum Fianchetto g7-g6 lässt vermuten, dass er als Prager Junge am Moldauufer gerne den Drachen steigen ließ. Er erstellte über viele Jahre Schachflugblätter, unterstützte das Jugendschach, war in den Jahren 1945-1953 Kapitän der Nationalmannschaft und bleib das ganze Leben treues Mitglied und auch Kapitän von Dynamo Praha, eine der besten tschechoslowakischen Mannschaften überhaupt.
5. Dr. Milan Bartosek , 1913-? (Meisterklasse)
Im Zivilberuf ein Professor der Mathematik. Ein Mitglied von Slavie Vysoke Skoly (Universitätsteam). Das Schachspiel war sein Vollzeithobby und sein Hobby könnte olympisch lauten: "Wichtiger als der Sieg ist die Teilnahme!" Ich kann mich an seine enge Brille und seinen dichten Haarwuchs gut erinnern. Außerdem zitterte ich auch mit, wenn das Mannschaftsresultat von seiner Partie abhing.
6. Jiri Podgorny, 1912-1987 (Meisterklasse)
Seine Liebe galt eindeutig dem Fernschach, wo er den Titel Internationaler Meister errungen hat. Seine Spielstärke im Turnierschach war auch bemerkenswert. Sein kleiner Taschenschachsatz war immer einsatzbereit. Er schrieb gute Artikel für Czecholslovensky Sach und in Fernschach. Seine Bücher Prag-Moskau 1946 (1947), Jan Foltys (1956), Könige der Schachwelt (1974) sind von guter Qualität. Bei der Schacholympiade von Skopje 1972 war er der Kapitän der Damenmannschaft und wir teilten zusammen ein Zimmer. Seine schwarze Aktentasche, sein schwarzer Regenschirm und sein Taschenschach tauchen bei seinem Namen immer in meinem Gedächtnis auf.
7. Cenek Kottnauer, 1913-1996 (Internationaler Meister)
"Kentauer" (sein Prager Spitzname) - Autodidakt, der Gewinner von Zlin (Bata-Turnier) 1943, wo die ganze tschechoslowakische Schachsahne anwesend war. Er verstand mit den schwarzen Steinen die Sizilianische Verteidigung hervorragend. Im Match Prag-Moskau 1946 schlug er Smyslov, Kotov und Simagin und war der beste tschechische Spieler. Bei der Schacholympiade in Helsinki 1952 lautete sein Resultat am vierten Brett 12,5 aus 15; er gewann die Goldmedaille für die beste Leistung. 1953 wählte er England als seine neue Heimat und ist der erste der tschechischen Emigrantenwelle. Er sollte in London viele talentierte Spieler (darunter Nigel Short, Julian Hodgson, Stuart Conquest) unterrichten. Unser erstes Gespräch fand in Hasting 1966/7 statt. (s. Rahres und Wahres 3). In späteren Jahren sahen wir uns noch bei Freddy Kornassel im Schachverein Tal Lichtenberg, wo er am ersten Brett gastierte. Es folgt sein sizilianischer Vortrag:
8. Ludek Pachmann , 1924-2003 (Internationaler Schachgroßmeister)
Der jüngste Teilnehmer des Uhrenhandicaps. Ein Politiker? Ein Schachspieler? Beides! Seltsamerweise existieren etliche Bücher von Ludek Pachmann - über ihn, soweit ich weiß, keines. Ich verspreche, einen Artikel über meinen Landsmann noch in diesem Jahr zu verföfentlichen. Meine Absicht und mein Willen stehen fest...
Ludek Pachmann hat seinerzeit selber alle Partien dieses Uhrenhandicaps kommentiert - in tschechischer Sprache. Meine Freunde Jan Michalek und Radek Turnier haben diese Kommentare gefunden und ins Deutsche übersetzt. Ich hoffe, die Leser meines kleinen Artikels haben ihre Freude an diesen alten Kommentaren. Bitte verzeihen Sie den tschechischen Akzent in der deutschen Übersetzung. Es wäre schade, ihn durch Korrekturen zu verfälschen.
Die Partie zwischen Ludek Packman und Fedor Bohatirschuk hat mich mit ihrem komplizierten Mittelspiel so begeistert, dass ich sie mir unabhängig davon selber auch angeschaut habe. Hier sind meine Kommentare:
Besuch bei Nikolai Krylenko
Das literarische Werk "Mein Lebensweg zu Vlassow und zum Prager Manifest" ist in San Francisco 1978 in SBONR (ein ukrainischer Verlag) erschienen . Für mich ist es ein Rätsel, warum das Buch nie in Englisch oder Deutsch übersetzt wurde. Wenn Sie am Abend mit der Lektüre beginnen, bleiben Sie dabei bis morgen früh. Radiologie und Schach waren sein Schicksal.
Ich erlaube mir, die Seiten 106-108 "Verhaftung des Sekretärs der Ukrainischen Schachsektion Herrn S und die Intervention von N.W. Krylenko" aus dem Buch frei zu übersetzen und die "schrecklichen Zeiten" den ChessBase-Lesern näher zu bringen.
Man schreibt das Jahr 1935 und das Wort hat F. Bohatirschuk:
"Nach meiner Rückkehr vom Moskauer Turnier 1935 nach Kiew warteten auf mich unangenehme Neuigkeiten. Der Sekretär der Schachsektion N.S. war verhaftet worden und seine Frau bat mich verzweifelt um Hilfe. N.S. war der Vater von fünf Kindern, ein sehr bescheidener und ruhiger Mensch. Ich habe nie bemerkt, dass er sich außer um Schach und seine Familie um etwas anderes gekümmert hätte. Er und ein politisches Engagement gegen die sowjetische Macht? Es hatte keinen Sinn, bei den lokalen Institutionen nachzuhaken. Ich entschied mich, den Stier sozusagen bei den Hörnern zu packen und in Moskau um Gnade zu bitten. Der große Justizkommissar N. Krylenko war auch der Vorsitzende des Sowjetischen Schachbundes und dafür bekannt, dass er hier und da Schachspielern in der Not half. Krylenko bat mich ihn zu besuchen. Ich kannte seinen Ruf. Seine Prozesse gegen die "Staatsfeinde", wo er die "Straflatte" sehr hoch hielt, machten mich sehr nachdenklich... Er wohnte nicht weit vom Zentrum in einem vieletagigen unauffälligen Haus, in dem auch andere hohe Staatsbeamte ihre Domizile und ihre Arbeitszimmer hatten. Der Wachmann, der über mich anscheinend Bescheid wusste, ließ mich ins Gebäude hinein und fuhr mit mir in dem Lift. Ein Aufzug - was für ein Luxus in diesen Zeiten! Die Wohnung war ganz bescheiden ausgestattet. Ich hatte N. Krylenko bis dahin nur von Weitem bei seinen Auftritten im Sowjetischen Schachverband gesehen. Aus der Nähe betrachtet war der Prokurator nur mittelgroß, aber mit Hang zur Korpulenz und mit deutlich sichtbaren Führungseigenschaften ausgestattet. Sein Gesicht konnte man als freundlich, fast gutmütig bezeichnen. Auch seine milden Bewegungen und Manieren harmonisierten irgendwie nicht mit der Grausamkeit gegenüber den Generälen und Offizieren, die in seine Hände gefallen waren. Kurz und gut, vor mir hatte ich einen Henker mit menschlichem Gesicht, eine Figur, die ich bisher nur aus der Literatur kannte. Ein fanatischer Prokurator ohne jede Hemmung, immer bereit, die Todesurteile auszusprechen und zu unterschreiben. Gleichzeitig traute ich ihm aber zu, über die eigene schwer verletzte Katze oder einen Hund, bitter zu weinen oder lange zu trauern.
Der junge Nikolai Krylenko (unbekannter Fotograf)
Krylenko hörte mir zu und dann ging er ins Nebenzimmer, wo sich das "Regierungstelefon" befand. Nach einer Viertelstunde kam er zurück und teilte mir mit: "Ich habe mit dem Vorsitzenden der Ukrainischen NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) Balickij gesprochen, leider zu spät. Ihr Sekretär N.S. hat gerade ein Geständnis abgelegt." Das Wort "Geständnis" klang in seinem Mund sehr seltsam. Krylenko war natürlich mit allen Methoden des Untersuchungsrichters bestens vertraut. Ich konnte sogar einen mitleidigen Ton in seinen Worten hören.
Was hat Sekretär N.S. eigentlich verbrochen? Meine Mission war jedoch erfolgreich. Der Prokurator empfahl telefonisch die "sanfte" Behandlung und N.S. wurde nur auf zwei Jahre nach Sibirien geschickt.
Ich bin überzeugt, dass ohne die Einbeziehung des Volkskommissars für Justiz 10 Jahre Sibirien mit anschließendem Aufenthaltsverbot für Kiew fällig gewesen wären."
Auf S. 120, Zweiter Absatz, schreibt Bohatirschuk:
"Ich hatte mit meiner Frau folgende Abmachung getroffen. Wenn ich abwesend war und das NKWD uns zu Hause besuchte, stellt sie einen größeren Blumentopf mit einer bestimmten Pflanze auf den Balkon. Ich versprach mir davon mindestens einen Zeitgewinn und Vorsprung. Vielleicht konnte ich ein Versteck finden und über meinen nächsten Zug nachdenken. Kein Mensch kann sich vorstellen, was wir durchstehen mussten."
Die Ironie des Schicksal hat auch N. Krylenko erwischt. Bei einer der nächsten "Säuberungswellen" von Stalin ist er zum Opfer geworden. Wie die historischen Dokumente beweisen, wurde er am 31. Januar 1938 von einem NKWD-Einsatzkommando in seiner Datscha verhaftet, später so lange gefoltert bis er "freiwillig" alles eingestanden hatte. Gegen den "Staatsfeind" Krylenko dauerte die Gerichtsverhandlung nur 20 Minuten. Am 29. Juli 1938 wurde er erschossen.
Wahr oder nicht wahr? Im Turnierbuch zu Moskau 1935 schrieb N. Krylenko noch ein Vorwort voll von sozialistischem Optimismus. Nach seiner Liquidation versuchten die Zensoren sogar sein Vorwort zu neutralisieren, d.h. die betreffenden Seiten aus dem Buch zu entfernen. Falls sie das Turnierbuch im Original in russischer Sprache in ihrer Bibliothek haben, bitte schauen Sie nach! Beginnt das Buch erst mit der Seite 9, wissen Sie nun warum.
Schade, der Kollege Boris Spassky, hatte mich nach Kanada zu Bohatirschuk nicht eingeladen. Schade! Ich hätte F.B. tausendundeine neugierige Fragen gestellt.
Meine Partien gegen die Weltmeister
Hort stellte einige seiner Partien gegen die Weltmeister vor und weiß viel über diese großen Persönlichkeiten des Schachs zu berichten.