Vlastimil Hort: Rares und Wahres (1)

von Vlastimil Hort
25.12.2017 – Vlastimil Hort, Jahrgang 1944, gehörte über Jahrzehnte zu den weltbesten Spielern und spielte unzählige Turniere und Wettkämpfe mit. Er traf viele andere Weltklassespieler und erlebte dabei die eine oder andere Geschichte. Einige erzählt er hier. (Foto: André Schulz)

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Vlastimil Hort: „Rares und Wahres“ – Teil 1

Am ersten Weihnachtsfeiertag kommt mir unweigerlich das Hastings-Turnier in den Sinn. Im Jahr 1967/68 habe ich zum ersten Mal teilgenommen. Eine Hin-Reise voller Abenteuer, quer durch Europa mit dem Zug. In Calais wartete ein Schiff. Für mich war es die erste Begegnung mit der offenen See. Die riesigen Wellen hatten es leicht, meinen empfindlichen Magen in Aufruhr zu versetzen. Am 26.12. begann normalerweise das traditionellste Turnier der Welt. Mein Magen und leider auch meine Taschen waren total leer. Das heißt, ich hatte nicht die kleinste Münze zur Verfügung. Valuten hatte mir der tschechoslowakische Schachbund nicht geliehen. Zudem waren die Zöllner wie bissige Hunde auf unerlaubte Valuten aus. So hütete ich krampfhaft meine Fahrkarten nach Hastings und zurück, außer einem kleinen Köfferchen voller Varianten und Proviant, meine einzige Überlebens-Versicherung.

Frage an die Leser: Haben Sie vielleicht einen der wunderschöne Filme „Paddington“ gesehen? Das Bärchen hatte auch nur ein kleines Köfferchen und ein Sandwich mit Orangenmarmelade – ich ein Butterbrot mit Prager Schinken.

Würde ich überhaupt rechtzeitig zum Turnier kommen? Die Franzosen hatten es im Jahre 1066 jedenfalls geschafft. Weißer Felsen von Dover! Endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Das Schiff hatte sehr große Verspätung. Ich sprang blitzschnell auf den letzten Zug nach London. Es war sehr kalt und ich allein in unbekannter und fremder Welt. Wie und wo sollte ich in der britischen Metropole nur den richtigen Zug nach Hastings finden? Der Londoner Bahnsteig leerte sich sehr schnell und hinter mir fielen schon die Gitter. Trotzdem musste ich lachen, denn ich dachte dabei an den „Iron Curtain“

Das Quecksilber im Thermometer fiel und fiel, die Weihnachtslichter in den warmen Wohnungen erloschen nach und nach, the last calls in den Pubs wurden eingeläutet. 10 Grad minus – was für eine Bescherung!  Warmes Fleckchen - wo bist Du? Sämtliche Textilien aus meinem Köfferchen kamen zum Einsatz. Vlastimil, warum hast Du nicht noch einen weiteren Pullover mitgenommen? Kalte Füße! Du musst Dich unbedingt bewegen, sonst wird das Turnier ohne Dich stattfinden. Der nächste Zug nach Hastings fuhr erst in der Früh, um 5.30 Uhr. Inzwischen wurde es auch schon dunkel. Ich befand mich irgendwo in  der Nähe des Hydepark Corners, doch langsam verlor ich den Orientierungssinn. Eine staatliche Tanne kam mir gerade recht. Naiv suchte ich Schutz unter ihren breiten Ästen und schimpfte laut über den Geiz des tschechoslowakischen Schachverbandes, der mich ohne Penny nach England reisen ließ. In meinem Deutschkurs in Prag zirkulierte damals ein blöder Witz „Was sind die besten Wiesen?“ Antwort: „Devisen“.

Ich fror hundserbärmlich. Die Schachschlacht in Hastings 1967/68 wird wohl ohne den braven Soldat Schwejk stattfinden müssen. Ein Testament fehlte auch…

Fortsetzung der Geschichte folgt morgen, jetzt please, „keep smiling“ für meine Anekdoten:

1

Ein Schachspieler XY ist sehr stolz und lässt sich in seinem Verein groß feiern. Er besiegte nämlich im Uhren-Handicap den Weltmeister Emanuel Lasker.

Emanuel Lasker (unbekannter Fotograf)

Viele Gratulanten stehen Spalier und er strahlt über das ganze Gesicht. „Mensch, wir sind neugierig, zeige uns endlich die ganze Partie“. Unser Held: „Es war eigentlich sehr einfach! Lasker hatte weiße Steine und eröffnete 1.d2-d4, ich spielte 1…d7-d6, Lasker 2.c2-c4 und ich antwortete ganz raffiniert 2…d6-d5.“ Seine Bewunderer waren auf das Äußerste gespannt. „Mensch, was passierte dann?“ Der glückliche Gewinner verschmitzt: „Überhaupt nichts mehr, Lasker glaubte die ganze Zeit, ich sei am Zuge und überschritt sehr schnell die Zeit.“

2

Ein Kommentar von Boris Spassky zu all seinen Ehen. „Alle meine Ehen erinnerten später an ungleichfarbiges Läuferendspiel.“

Ich stelle mir seine Scheidungsverfahren vor. Gerichtssaal. Ist der Richter ein Schachspieler, der ein solches Endspiel am vorigen Sonntag verloren hat, dann weiß er ganz genau Bescheid! Hahaha.

3

Großmeister L. Kavalek erzählt: „Gegen Sammy Reshevsky war es nie leicht zu spielen, angenehm war nur seine Zeitnot. Bis dahin war ich mit seinem lauten Gesang konfrontiert. Er hatte einen stattlichen Bariton, der sogar bis zu den Nebenbrettern schallte und störte.“ L.K. ging zum Schiedsrichter Bisguier: „Was soll ich nur machen, der Kerl singt und singt, aber ich will nicht offiziell protestieren?“ Der Referee wusste sofort Rat und leistete die erste Hilfe: „Its very simple, Lubos, sing back, sing just back!“

Lone Pine 1974 Hort-Reshevsky. Ich machte dieselbe Erfahrung. Gott sei Dank war Reshevskys Gesang besser als sein Spiel in Zeitnot!

Meine Partien gegen die Weltmeister

Hort stellte einige seiner Partien gegen die Weltmeister vor und weiß viel über diese großen Persönlichkeiten des Schachs zu berichten.

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Ehemaliger Weltklasse-Spieler, WM-Kandidat, vielfacher Autor und bekannter TV Schachmoderator.

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