ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
„Mein lieber Wolfgang, warum hast Du nicht mehr über Dein Schachleben geschrieben? Du hast doch so viel gewusst und alle alten Schachmeister noch persönlich gekannt.“ Es war von mir eine gutgemeinte Anregung, gleichzeitig aber auch ein leiser Vorwurf.
Obwohl uns eine ganze Generation trennte, waren wir, Vlastimil H. und Wolfgang U. immer gute Schachkollegen. Nachdem er seinen Anfangsverdacht, ich sei ein kommunistischer Spion, nicht bestätigt fand, bot er mir das Du an. Ich habe das sehr geschätzt und wusste es zu würdigen. Er publizierte relativ wenig. Vielleicht hing es mit seinem Beruf zusammen, denn als Richter brauchte er zuerst wasserdichte Beweise. Mit Vermutungen und Halbwahrheiten konnte er nur wenig anfangen.
Zurück in die tiefe Vergangenheit. Am Sonntag, den 20. August 1950, beginnt in Dubrovnik die erste Schacholympiade nach dem 2. Weltkrieg. Im Frühling desselben Jahres kehren in ganz Jugoslawien die Kühe aus den gemeinsamen sozialistischen Stallungen zurück in die private Einzelhaltung. Der Bauer wird als Privatier staatlich anerkannt und kann wieder selbst über seinen Grund und Boden entscheiden. Die Beziehung Tito – Stalin ist gestört. Ein ideologischer Streit und Schisma. Ab sofort geht Jugoslawien seinen eigenen Weg und Marschall Josip Broz Tito übernimmt die Schirmherrschaft der 9. Schacholympiade in Dubrovnik.
Vor mir liegt das Buch „Turnir nacija Dubrovnik 1950“. Meines Erachtens ist es mit großem Abstand das beste Turnierbuch das je über eine Schacholympiade geschrieben wurde. Warum? Sachlich, Informationsreich, mit vielen Fotos, Karikaturen und sehr gut kommentierten Partien wird in dem großformatigen Leineneinband alles genau und präzise dokumentiert, so dass der Leser wirklich aus der nächsten Nähe dabei sein kann.
Was aber fehlt dem Turnier? Der ganze sozialistische Block bockt und boykottiert. Eine Rache? Genosse Dschugaschwili Stalin lässt grüßen! Aus diesem Grund gingen an der wunderschönen Adria auch nur 16 Staaten an den Start. Seltsam, bei der ersten Schacholympiade in London1927, nahmen auch nur 16 Länder teil.
Die BRD durfte im Jahre 1950 der FIDE wieder beitreten. Während die DDR-Spieler aus oben erwähntem Grund zu Hause bleiben mussten, konnten die BRD-Spieler an der Schacholympiade in Dubrovnik teilnehmen. Aufstellung der BRD-Mannschaft: 1. Wolfgang Unzicker, 2. Lothar Schmid, 3. Gerhard Pfeiffer, 4. Ludwig Rellstab – Reserve Hans-Hilmar Staudte. Für W.U. war es der Anfang einer langen erfolgreichen Schachkarriere. Er schaffte am ersten Brett 11 aus 14 (78,6%) ebenso wie Miguel Najdorf. Das beste Resultat am ersten Brett!
Die nächste Partie ist eine Kostprobe seines Schachstils:
Wann begegneten wir uns als Gegner eigentlich zum ersten Mal am Schachbrett? Es war die zweite Runde des gut besetzten Turniers Palma de Mallorca 1969.
In der komplizierten Stellung orientierte sich W.U. besser und hat verdient gewonnen. Eine der Schachwelt nicht bekannte Episode ist sicher erwähnungswert: Nach zwei Niederlagen (1. Runde Kortchnoi, 2. Runde Unzicker) war mein Gegner in der dritten Runde Bent Larsen, der ebenso wie ich mit 0 aus 2 gestartet war. Larsen zog in der 3. Runde den schwarzen Peter, denn er verlor gegen mich. „Das macht nix“, meinte der ewige Optimist Larsen während der Analyse zu mir, „ich fühle mich sehr wohl und ich werde das Turnier sowieso gewinnen!“ Mir blieb die Antwort im Halse stecken!
Anhand der Turniertabelle kann der Leser Larsens Prophezeiung nachprüfen…
Bent Larsen wusste auch außerhalb des Schachs sehr viel, Wolfgang Unzicker vielleicht noch mehr. Ich damals noch sehr wenig! Seit dem sowjetischen Einmarsch 1968 sprach ich aus Protest kein Russisch mehr. Zu meinem großen Erstaunen musste ich feststellen, dass W.U. die russische Sprache nicht nur verstand, sondern sich darin auch ziemlich fließend unterhalten konnte. Allerdings hatte er noch den altmodischen zaristischen Akzent mit vielen archaischen Ausdrücken. Bekam er möglicherweise Unterricht von den Flüchtlingen der Oktoberrevolution? Weltmeister Boris Spassky konnte ihn jedenfalls hervorragend imitieren. Was für ein Vergnügen hatten wir dabei und wie haben wir gelacht! Unzicker korrigierte gerne mein Prager Deutsch, ich sein zaristisches Russisch. Die Witze und Wortspiele waren oft ziemlich saftig und heikel. „Vlastimil, was ist eine bodenlose Frechheit?“ Ich erklärte es ihm mit meinen eigenen Worten. „Richtig, richtig! Aber Vlastimil, was ist eine hodenlose Frechheit?“ Es hat lange gedauert, bis ich hinter die Pointe kam…
Wolfgang Unzicker 2001 (Foto: André Schulz)
W.U. hatte ein phänomenales Gedächtnis. Ich vermute, dass er diesem seine hohe Spielstärke zu verdanken hat. Meiner Schätzung nach, war er in der Lage bis zu 200 Musterpartien, natürlich auch mit Sub- und Nebenvarianten, abzuspeichern und abzurufen. Um irgendeiner meisterlichen Partie zu folgen, schaltete er sein Gedächtnis einfach auf „on“. Von seiner Memo-Technik hatten wir, seine Gegner, in den fünfziger und sechziger Jahren noch keinerlei Ahnung.
Immer korrekt und ausgesprochen fair war sein Benehmen am Schachbrett. Manchmal sogar mit zu viel Verständnis für die Gegner. Ein sehr berühmter und bekannter Vorfall aus seiner Begegnung mit dem legendären Bobby Fischer beweist das. Buenos Aires 1960, Fischer ist in Bedrängnis und berührt seinen h-Bauern. Dann sieht er, dass dies verliert. Zwei faire Spieler sitzen sich gegenüber:
Unzicker erinnert sich: "Im 12. Zug - ich traute meinen Augen nicht - fasste Fischer, der am Zuge war, seinen h-Bauern fest an, offensichtlich, um ihn zu ziehen. Nach wenigen Sekunden ließ er ihn wieder los. In diesem Augenblick zeigte Fischer vorbildliche Fairness. Da er den Bauern angefasst hatte, zog er ihn, der Regel gemäß, auch, obwohl es der Verlustzug für ihn war. Ich hatte nicht beabsichtigt, zu protestieren, falls er einen Zug mit einer anderen Figur gemacht hätte. Ich hätte ihm einen Verstoß gegen die Regel "berührt-geführt" kaum nachweisen können und außerdem widerstrebt es mir in hohem Maße, mich wegen derartiger Vorfälle an die Turnierleitung zu wenden. Fischer hat diese Partie eben auch durch seine Fairness verloren, und mir selbst hat dieser Gewinnpunkt nie Freude bereitet."
Eine andere sehr beeindruckende Partie spielte Unzicker gegen Ex-Weltmeister M. Tal.
Der Leser könnte dem Irrtum erliegen, dass Tal die weißen Steine führte. Nein, zweimal Nein! W.U. war ein sehr universaler Spieler und er konnte auch wie Tal stürmen und opfern. Bravo! Ich bin sicher, falls W.U. ein Schachprofi geworden wäre, hätte er zu den WM-Kandidaten gezählt.
Familie, Beruf, Schach – die Rangfolge seines Lebensratings. Er hatte Glück mit seinen beiden Söhnen. Alexander und Ferdinand haben die Liebe des Vaters zum Schach geteilt und sind in seine Fußstapfen getreten. Heute spielen sie als starke Amateure noch ganz passabel Schach. An dieser Stelle möchte ich mich bei einem der beiden sehr herzlich bedanken. Während meines Blind-Simultans 1980 im Olympiadorf München übermittelte einer (Alexander?, Ferdinand?) mir die Züge. Das machte er ruhig, genau, fehlerfrei – einfach exzellent, so dass ich mich ungestört auf meine 20 Bretter konzentrieren konnte.
„Lieber Wolfgang, ich möchte Dir einen Witz erzählen. Ja, in Russisch. Nein, ich bin sicher, Du hast ihn noch nicht gehört!“ Dein Vlastimil Hort.
Meine Partien gegen die Weltmeister
Hort stellte einige seiner Partien gegen die Weltmeister vor und weiß viel über diese großen Persönlichkeiten des Schachs zu berichten.