1966 – ein denkwürdiges Olympiajahr
Vor einem halben Jahrhundert fanden im Oktober die Schach-Olympiaden der Männer und der Frauen statt. Obwohl beide Ereignisse völlig unterschiedlich verliefen, sorgten sie dafür, dass die Schach-Olympiaden 1966 einzigartig für den Deutschen Schachbund (DSB) in der Bundesrepublik geblieben sind.
Schauen wir zunächst auf die Schach-Olympiade der Männer, die im Oktober 1966 in Havanna ausgetragen wurde. Die Veranstalter der 17. Schach- Olympiade konnten bereits vier Wochen vor Beginn stolz auf einen Rekord verweisen. Nie zuvor hätten so viele Mannschaften wie in Havanna an einer Olympiade teilgenommen. 52 Teams traten zum Kampf um Gold, Silber und Bronze an. Das Besondere an dieser Veranstaltung aus deutscher Sicht: die Mannschaft der Bundesrepublik blieb zum ersten und einzigen Mal einer Schach-Olympiade fern!
Dabei hatten Wolfgang Unzicker (München), Klaus Darga (Berlin), Lothar Schmid, Helmut Pfleger (beide Bamberg), Dieter Mohrlok (Stuttgart) und Wolfram Bialas (Berlin) zwei Jahre zuvor in Tel Aviv mit dem Gewinn der Bronzemedaille Großartiges geleistet und der Sowjetunion mit einem 3 : 1 die höchste Niederlage ihrer Olympia-Geschichte beigebracht. Es hatte bis dahin für die UdSSR insgesamt nur einen weiteren Verlust gegeben, das 1,5 : 2,5 gegen Ungarn beim „Heimspiel“ 1956 in Moskau (Später verlor die UdSSR jeweils 1,5 : 2,5 noch 1972 in Skopje ein weiteres Mal gegen Ungarn, 1978 in Buenos Aires wiederum gegen die Bundesrepublik und 1984 in Thessaloniki gegen die USA).
Diese unverständliche Rolle des Zuschauers hatten die Funktionäre des DSB den Spielern und den Schachfans eingebrockt. Die Pleite war aus einer Mischung von politischer Lage, schlechter Information, Inflexibilität bei plötzlichen Veränderungen, Autoritätsgläubigkeit und einer Prise Feigheit bei den Verantwortlichen des Deutschen Schachbundes (DSB) entstanden.
Die politische Situation zwischen den USA und der Regierung unter Fidel Castro war seit 1961 rasant eskaliert. Der Versuch von Exilkubanern mit Unterstützung der CIA auf Kuba für einen Umsturz zu sorgen – die sogenannte „Landung in der Schweinebucht“ – endete mit einem Fiasko. Danach verhängte die USA gegen Kuba ein Embargo. Der Versuch der Sowjets auf Kuba Atomraketen zu stationieren, hatte die Welt im Oktober 1962 an den Rand eines Atomkrieges gebracht. Die Entschlossenheit von John F. Kennedy (mit einigen geheimen Zugeständnissen) siegte gegen Nikita Chruschtschow, der im letzten Moment die Atomwaffen von Kuba zurückzog.
Danach verschärfte die USA das Embargo, dem sich viele Verbündete der USA, dabei natürlich alle 14 übrigen Nato-Staaten, so auch die Bundesrepublik anschlossen. Neben den strengen Wirtschaftssanktionen bestand ein striktes Reiseverbot für alle US-Bürger nach Kuba. Das führte dazu, dass die US- Behörden 1965 Bobby Fischer die Teilnahme am „Capablanca-Memorial“ in Havanna verweigerten. Er könne fahren, aber nicht mehr in die USA zurückkehren, so lautete die knappe Botschaft des Außenministeriums, wobei man dies in sehr freundliche Worte verpackt hatte. Fischer spielte dennoch mit – per Fernschreiber.
Bei dieser kompromisslosen Haltung der USA schien eine Teilnahme an der Olympiade ausgeschlossen. Also kümmerte man sich beim DSB nicht um Entwicklungen und Änderungen. Man ging stramm voran, schaute nur nach vorn und sagte die Teilnahme ab. Umso größer war beim DSB-Präsidium die Überraschung als man feststellte, dass alle übrigen 13 NATO-Verbündeten ihre Teams gemeldet hatten. Am Ende reisten sogar die USA mit Bobby Fischer an der Spitze nach Havanna. Nach dieser Entdeckung fiel man aus allen Wolken. Was also tun?
Als der Unmut in der Schachszene zunahm, verstieg man sich zu der Ausrede, man habe „Besetzungsschwierigkeiten“ und könne so kurzfristig keine starke Mannschaft zusammenbekommen. Dieser Trick hatte einen Haken: Um sicher zu sein, dass keine Mannschaft zusammenkommt, hatte man erst gar keinen der Spitzenspieler gefragt! Eine Maßnahme, die das Verhältnis zwischen Spielern und Funktionären nicht gerade verbesserte.
Hatte man einerseits die Männer verprellt, so zeigte man sich bei den Damen überaus galant. Zum ersten Mal fand in Oberhausen eine Schach-Olympiade der Frauen in der Bundesrepublik statt. Auch die blieb einzigartig für die Bundesrepublik, denn die nächste Frauenolympiade wurde erst 42 Jahre später 2008 in Dresden, also lange nach der Wiedervereinigung ausgerichtet.
Der spätere Präsident des Deutschen Schachbundes Alfred Schlya war die treibende Kraft, die Schach-Olympiade nach Oberhausen zu holen. 14 Mannschaften traten an und das Team der Bundesrepublik erwies sich als netter Gastgeber. Elf Gewinnen der Gäste standen zwei eigene Siege gegenüber. Da besann man sich der gemeinsamen Wurzeln und schrieb in der Tabelle „3. Deutschland (DSV)“ und „12. Deutschland (DSB)“. Denn die Damen vom Deutschen Schachverband aus der DDR trumpften ganz anders auf als die Damen vom Schachbund.
Der Star der Mannschaft aus „Ostdeutschland“ (so war damals die offizielle Sprachreglung) war Edith Keller-Hermann. Die Dresdnerin mischte in der Weltklasse mit, behauptete sich auch in Männerturnieren und verbuchte Siege über Großmeister.
Edith Keller-Herrmann
Zur Jahreswende1949/1950 spielte sie beim Weltmeisterschaftsturnier in Moskau um den vakanten Titel mit und teilte sich den 5. – 7. Platz (16 Teilnehmerinnen).
Dreimal, nämlich 1952 (4.-6.), 1955 (3.) und 1959 (4.-5.) mischte sie bei den Kandidatenturnieren der Frauen vorn mit. Viermal war sie bei Schach-Olympiaden (1957, 1963, 1966 und 1969) am Start und gewann dabei dreimal Bronze mit der Mannschaft, sowie einmal Silber und einmal Bronze in der Einzelwertung. Nach der Gründung der FIDE 1950 wurde ihr der Internationale Meistertitel verliehen.
Edith Keller-Herrmann in späteren Jahren, hier mit Ernst Bönsch
Die Nummer zwei war Waltraut Nowarra. Die DDR-Jugendmeisterin erhielt auch wegen der Leistung in Oberhausen 1967 den Titel einer Internationalen Frauenmeisterin. Sie startete ebenfalls zwischen 1963 und 1972 viermal bei Olympia und errang dreimal Bronze. Dr. Gabriele Just komplettierte das Feld. Die später promovierte Ärztin aus Leipzig spielte von 1966 bis 1972 dreimal bei Schacholympiaden, wobei die Bronzemedaille von Oberhausen die einzige blieb. Gabriele Just feierte vor wenigen Tagen ihren 80. Geburtstag und ist noch immer aktiv. DDR-Meisterin wurde sie zum ersten Mal 1964, Deutsche Seniorenmeisterin 1996.
Da konnte das „westdeutsche“ Team nicht mithalten. Die einzige Spielerin mit internationaler Erfahrung war zu der Zeit die „Grande Dame“ des deutschen Schachs, Friedl Rinder aus München. Die fünfmalige deutsche Meisterin hatte 1939 im Rahmen der Schach-Olympiade in Buenos Aires an der Frauen-Weltmeisterschaft teilgenommen und unter 20 Teilnehmerinnen den vierten Rang belegt. Den Sieg holte sich die zu der Zeit in der Damenwelt als unschlagbar geltende Vera Menchik mit 18 Punkten aus 19 Partien (+17 =2). Für die Kandidatinnen-Turnier in Plovdiv (Bulgarien 1959) und Vrnacka Banja (Serbien 1961) hat sich Friedl Rinder qualifiziert, kam über einen zwölften und einen fünfzehnten Platz jedoch nicht hinaus.
Weder Friedl Rinder noch die Mannschaftskolleginnen Ottilie Stibaner aus Frankfurt am Main und Irmgard Karner aus Starnberg konnte bei ihren insgesamt sieben Teilnahmen an Schach-Olympiaden eine Medaille gewinnen.