Ein Interview mit Miguel Najdorf - Teil 2

von ChessBase
14.06.2021 – 1988 führte der Journalist José Luis Barrio für die monatlich erscheinende argentinische Sportzeitschrift "El Grafico" ein langes Interview mit Miguel Najdorf. Im ersten Teil des Interviews sprach der am 15. April 1910 in Warschau geborene Najdorf sprach über seine Familie, die im Holocaust ermordet wurde, über das Talent Capablancas, über Aljechin und über Argentinien, das Land, in dem er nach der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires geblieben ist. Im zweiten Teil spricht Najdorf über seine Lebensgewohnheiten, Politik und verrät, was er aus Niederlagen gelernt hat.

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Ein Interview mit Miguel Najdorf - Teil 2

Von José Luis Barrio
 

Miguel NajdorfDon Miguel, warum spielen Sie immer noch Wettkämpfe?

Weil ich es kann, und weil ich es mag. Meine Töchter sagen, dass ich spielen, aber nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen sollte; dass Niederlagen in meinem Alter sehr schmerzhaft sind. Sie haben mich zu einem Psychoanalytiker geschickt — das war ziemlich teuer, aber ich bin hingegangen. Er hat mir das Gleiche erzählt. Nach einem Turnier hat mich der Analytiker angerufen und mir gesagt, ich hätte recht. Er wollte sich wieder mit mir treffen, aber ohne Honorar. In der Schweiz ist mir etwas Ähnliches passiert, ein Arzt wollte mir Geld geben, damit er mich untersuchen kann... Wissen Sie was? Ich hatte mein Leben lang noch nie Kopfschmerzen. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt.

Schlafen Sie viel?

Ich stehe jeden Morgen um sechs auf. Was mich jung hält, ist die Leidenschaft und die Liebe für das Schach. Ich stehe auf, ich lese La Prensa, La Nación, Clarín, und bevor ich ein Bad nehme, schaue ich mir eine der Partien an, die in diesen Zeitungen veröffentlicht sind. Ohne Schachbrett, das brauche ich nicht. Ich könnte mein Geld als Zauberer verdienen.

Warum?

Weil ich jederzeit sagen kann, dass ich jetzt eine Viertelstunde schlafen werde — ich lege mich hin und schlafe. Fragen Sie meine Töchter, was vor Kurzem passiert ist. Ein Tischler kam und er hat so laut gehämmert, dass man es noch auf der Straße hören konnte, aber mich hat er nicht aufgeweckt.

Erzählen Sie mir von Savielly Tartakower.

Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, er sei mein Mentor gewesen, aber er hat mich beeinflußt. Er hat mir Ideen gezeigt, keine Züge. Er hat gesagt, Dummköpfe würden es umgekehrt machen. Wissen Sie, wer Tartakower war?

Nein...

Während des Krieges avancierte er unter dem Namen "Colonel Cartier" zum Assistenten von General de Gaulle. Er war in Frankreich in der Resistance und beim Schlussangriff dabei. De Gaulle bat ihn zu bleiben, aber er hat sich dagegen entschieden — der Krieg war vorbei und es war Zeit für das Schach.

Ich habe im Laufe meiner Schachkarriere eine Reihe von Politikern getroffen: Winston Churchill, Nikita Khrushchev, den Schah von Persien, Feldmarschall Tito und noch mehr. Che Guevara hat mich einmal nach Kuba eingeladen, und eines Nachmittags spielte ich gegen zehn Gegner simultan. Ich verrate Ihnen ein paar meiner Gegner: an Brett 1, Fidel Castro; an Brett 2, sein Bruder Raúl; an Brett 4, Camilo Cienfuegos; an Brett 5, Präsident Dorticós; an Brett 6, Che...

Und?

Ich habe Che ein Remis angeboten, aber er hat abgelehnt. Er hat mir gesagt, "Gegen dich gewinne oder verliere ich". Ich habe ihn geschlagen; gegen Fidel habe ich Remis gespielt, man weiß ja nie...

Ist Ihnen die Politik nie in die Quere gekommen?

Nicht ein einziges Mal. Ich war einmal bei Che zu Hause, und wir haben nicht einmal über Politik gesprochen. Ich habe nur ein paar Fotos von seiner kleinen Tochter für ihre Großeltern mitgebracht, die in der Arenales-Straße wohnten.

Hat man Sie nie gefragt, ob Sie politisch aktiv werden wollen?

Im Iran. Ich war dort ein paar Monate vor dem Sturz des Schahs, um Vorträge zu halten und Simultanveranstaltungen zu geben. Ein Fernsehregisseur bat mich, die Arbeit zu preisen, die der Schah für sein Land geleistet hätte, und ich sagte ihm, dass ich das nicht tun würde, dass ich mich für solche Dinge nicht hergebe. Ich kenne nur zwei Wörter: Schach und Matt.

Allerdings ist auch die Musik sehr wichtig für mich und die Beziehung zum Schach funktioniert in beide Richtungen - die großen Musikgenies haben auch gerne Schach gespielt. Und das Kino... Haben Sie den Film "Mondsüchtig" von Cher gesehen? Sehr zu empfehlen, ein Genuss.

Miguel Najdorf, Robert Hubner

Lesen Sie gern, Don Miguel?

Sehr viel und ohne Brille. Sind Sie verheiratet? Dann sollten Sie sich mich Ihrer Frau "Mondsüchtig" ansehen.

Ich bin leidenschaftlicher Sportfan, mir gefällt alles daran, und ich lese den Sportteil der Zeitung immer zuerst. Als ich vor kurzem in Italien war, habe ich gehört, dass [der argentinische Motorbootrennfahrer] Scioli in Sardinien Rennen fährt, also habe ich mich ins Flugzeug gesetzt, um ihn zu besuchen.

Haben Sie einen Lieblingsverein?

Ich war Mitglied bei Newell, als ich da gelebt habe. Aber jetzt habe ich das Problem, dass alle meine Enkel Fans von River oder Boca sind.

Nun gut, auch die haben Probleme.

Da haben Sie recht. Tatsächlich ist Schach Sport und braucht andere Sportarten. Kasparov spielt gerne Fußball und Oscar Panno spielt jeden Tag Tennis...viel Tennis.

Was für ein Typ Schachspieler sind Sie?

Angriffslustig, ein Kämpfer. Kasparov greift an, Petrosian verteidigt, Karpov spielt in jedem Stil gut, aber ist in keinem der Beste. Als Schachspieler sucht man Perfektion, aber die gibt es nicht. Am Ende gewinnt derjenige, der ein bisschen besser als der Gegner ist. Wie im Leben. Das Schachspiel ist ein Spiegel des Lebens, jeder spielt, so wie er ist.

Was bedeutet gewinnen für Sie?

Das ist etwas Schönes, ich fühle mich wie ein Schauspieler auf der Bühne, ich genieße den Applaus.

Und Niederlagen?

Die tun weh. Aber durch das Schach habe ich das Verlieren gelernt. Ich habe gelernt, nach Niederlagen, nicht den Mut zu verlieren.

Miguel Najdorf

Dies ist der zweite Teil einer gekürzten Fassung des Interviews mit Najdorf, das 1988 in El Gráfico erschien.

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