Einem unsichtbaren Pferd die Sporen geben
Von Dr. René Gralla
Fotos:
ND/Burkhard Lange
Beinahe hätte in der Hauptstadt die Revanche für Dresden geklappt. Elisabeth
Pähtz, zweimalige Gewinnerin der Internationalen ND-Damen-Schachgala, war auf
dem besten Weg, den Einzug ins Finale und damit den Hattrick zu schaffen. Die
Fans fieberten jedenfalls kräftig mit, nach dem soliden, aber trotzdem wenig
befriedigenden Abschneiden der 23-jährigen deutschen Frontfrau bei der Olympiade
2008. Doch alles Daumendrücken half nichts, am Ende fehlte bloß ein halber
Punkt, und die gebürtige Erfurterin musste den Gang ins undankbare kleine Finale
antreten. Als erste ging die Ukrainerin Anna Muzychuk (18) durchs Ziel vor der
US-Meisterin Anna Zatonskih (25) und der gebürtigen Moldawierin Almira
Skripchenko (32), die jetzt für Frankreich spielt.
"Jung und weiblich, das ist die wichtigste Tendenz im aktuellen Schach", sagte
ND-Sportchef Michael Müller in seiner Begrüßungsansprache, und das war
unübersehbar im Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz, wo der Wettkampf in
diesem Jahr zum ersten Mal ausgetragen wurde, nach der Premiere 2006 und dem
Folgeturnier 2007 in den Räumen der Berliner Emanuel Lasker Gesellschaft. Nicht
nur auf der Turnierbühne, unter den übergroßen Diagrammen, die jeden Zug der
vier Kandidatinnen für die Zuschauer gut sichtbar darstellten, sondern auch im
Publikum. Zu dem dieses Mal, neben den erfolgreichen Lösern des ND-Schachrätsels
und Sportprominenz wie Schachbund-Geschäftsführer Horst Metzing, auch
Schachnachwuchs von Berliner Schulen gehörte. Und da zeigte sich, dass die
Mattjagd auf den König keineswegs nur Jungs begeistert, sondern auch viele
Mädchen, allen voran Elisabeth Koch von der BSV Chemie 63 Weißensee; die
Zehnjährige hat in ihrer Leistungsklasse schon eine Berliner Vizemeisterschaft
geholt.

Der
siebenjähriger Johnny Linh Vu Dieu und Großmeisterin Almira Skripchenko
"Wir möchten vor allem den Frauensport und den Breitensport fördern", so
begründete ND-Verlagsgeschäftsführer Olaf Koppe das Engagement seiner Zeitung
für das Denkspiel. Das wollte er ausdrücklich auch als Bildungsauftrag
verstanden wissen, deswegen freute es ihn besonders, dass die Agentur Dorland,
das Druckhaus Schöneweide und die Firma Mediaservice das Turnier gesponsert
hatten. Von dem er "hofft, dass es eine Tradition begründet" habe, die auf jeden
Fall auch über das Schachjahr 2008 mit WM und Olympiade in Deutschland hinaus
fortgesetzt werde.
Bevor die Titelanwärterinnen zur ersten Runde antraten, stellten sie sich einem
speziellen Warm-up. Die Schachkids durften die Profifrauen zu Schnellpartien
fordern. "Eine gute Idee", lobte die Favoritin des Turniers, Anna Muzychuk
aus dem westukrainischen Lviv, in ihrer Altersgruppe U-20 immerhin die Nr. 2 der
Welt. "Das ist eine ausgezeichnete Motivation für die Jugendlichen. Sie haben ja
nicht so oft Gelegenheit, gegen gute Gegnerinnen zu spielen." Diese Chance
nutzten auch Jenny Linh Vu Dieu (12) und ihr Bruder Johnny (7), die in
Friedrichshain-Kreuzberg wohnen. Die Geschwister duellierten sich mit Anna
Zatonskih beziehungsweise Almira Skripchenko, während Mutter Ha Vo Thi, deren
Elternhaus in Saigon steht, stolz fotografierte. Klar, am Ende triumphierte
Routine über unbekümmerte Frische, aber niemand nahm das tragisch. "Das war
interessant", resümierte Jenny Linh Vu Dieu selbstbewusst. "Eigentlich war ich
mit meiner Stellung ganz zufrieden, aber ich habe einfach zu lange überlegt und
meine Bedenkzeit überschritten."
Das knappe Limit, um Aufgabe oder Kapitulation zu erzwingen - 15 Minuten plus 5
Sekunden Bonus pro ausgeführtem Zug in der Vorrunde, 20 Minuten plus 10 Sekunden
Zugbonus im Finale - , das wurde auch das prägende Motiv im anschließenden
Kräftemessen der Galadamen. Wieder einmal mehr demonstrierte Anna Zatonskih, wie
sie die aktuelle Nr. 1 der US-Girls geworden ist. Dort hatte sie nämlich im
nervenzerfetzenden Tie-Break nach dem berüchtigten "Armageddon-Modus" mit einem
Abstand von Millisekunden ihre schärfste Verfolgerin Irina Krush abgehängt, und
wie sich das anfühlt, das musste gleich zum Turnierauftakt Almira Skripchenko
erfahren. Die Wahlfranzösin und Pop-Queen der Schachszene, hatte schon mehr
Material erobert und dazu ausreichend Zeit auf der Uhr, als Anna Zatonskih
plötzlich aufdrehte. Sie fixierte die Stellung, die Beine angewinkelt, als ob
sie einem unsichtbaren Pferd die Sporen gab. Die Absätze ihrer Stiefel
trommelten den Boden, oben hämmerte sie die Figuren auf den 64-Felder-Plan - und
plötzlich war es aus, Anna Zatonskih hatte das Treffen gedreht.
In den nächsten Runden ein ähnliches Bild, Anna Zatonskih stürmte furchtlos ins
Finale, für das sich die nach Elo-Rating mit 2508 Punkten hoch favorisierte Anna
Muzychuk erwartungsgemäß ebenfalls qualifiziert hatte.
Das Pausen-Match gegen jene ND-Leser, die das Schachrätsel gelöst und damit ein
Spiel gegen die Meisterinnen gewonnen hatten, war nicht mehr als eine
Fingerübung für die Spitzenfrauen. Die Schlusstabelle des Turniers zeigte dann
das Bild, das die meisten Experten vorausgesagt hatten: Ungeschlagen marschierte
Anna Muzychuk durch (3,5 Punkte) und distanzierte Anna Zatonskih (2,5 P.).
Almira Skripchenko legte einen Schlussspurt hin und überholte mit zwei Siegen
(2,5 P.) Deutschlands Elisabeth Pähtz, die im Trostfinale zwei ehrenhafte, aber
unglückliche Niederlagen kassierte (1,5 P.).
"Ein kämpferisches Finale", freute sich Paul Werner Wagner, Vorsitzender der
Emanuel Lasker Gesellschaft: "So etwas hätte ganz sicher auch dem einstigen
deutschen Weltmeister Lasker gefallen."
Stimmen zur 3.
Internationalen ND-Damen-Schachgala
aufgezeichnet von Dr. René Gralla
Gala-Siegerin
Anna Muzychuk (18):

"Die Atmosphäre
bei der Schach-Gala hat mir sehr gut gefallen. Ich bin zwar mit der höchsten
Elo-Zahl - 2508 - in den Wettkampf gegangen, aber das war kein Selbstgänger. Es
ist nicht leicht gewesen, das Turnier zu gewinnen: In einigen Partien kriegte
ich richtige Schwierigkeiten, und ich habe dann manchmal auch einfach mehr Glück
gehabt als meine Gegnerinnen. Ich freue mich schon auf die ND-Schachgala im
nächsten Jahr."
Anna Zatonskih
(25), Platz 2:

"Ich möchte viel
mehr solcher Turniere spielen, die liegen meinem Stil. Ich gehe immer bis zum
Äußersten, ich will meine Fans nicht enttäuschen. Allerdings hätte ich mich
heute wohl etwas mehr konzentrieren sollen, deswegen habe ich nicht durchgängig
gut gespielt. Vielleicht hat mir am Ende auch bloß einfach die Kondition
gefehlt, schließlich ist Schach ein Sport, und dafür musst du topfit sein."
Almira Skripchenko
(32), Platz 3:

"Am Anfang hatte
ich richtige Schwierigkeiten, in das Turnier reinzukommen, obwohl ich in allen
Partien gewonnene Stellungen hatte. Das passiert mir oft: Je länger ein Turnier
dauert, um so besser spiele ich, und so ist das auch heute gewesen. An Turnieren
wie der ND-Schachgala werde ich immer teilnehmen. Weil sie eine wunderbare
Promotion für Schach sind, insbesondere wenn wir auch mit Kindern spielen wie
heute."
Elisabeth Pähtz
(23), Platz 4:

"Die
ND-Schachgala hat mir wieder großen Spaß gemacht, wie auch in den
vorausgegangenen Jahren. Und für die Kinder ist das ganz toll gewesen, dass sie
gegen uns spielen durften, das war eine sehr nette Idee. Was meine persönliche
Form betrifft, so glaube ich, dass ich zur Zeit in keiner optimalen Verfassung
bin. Taktisch habe ich einige Dinge einfach nicht gesehen, daher überrascht
mich mein Abschneiden eigentlich nicht."