Das
Interview erschien in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
Nachdruck
mit freundlicher Genehmigung
DR. RENÉ GRALLA: Die Öffentlichkeit hat den
Eindruck, dass Schachspieler anders als der Rest der Bevölkerung ticken,
dass die Brettstrategen im Grunde eine Macke haben.
MARIA SCHÖNE: Sicher gibt es einige Schachspieler, die
eine „Macke“ haben, die also eigenbrötlerisch und egozentrisch wirken – wenn
Sie das mit „Macke“ meinen?! Für dieses Verhalten ist Schach aber nicht die
alleinige Ursache, sondern da spielen individuell immer noch viele andere
Faktoren mit hinein. Und wenn Psychologen Schachspieler therapieren, dann
aufgrund einer psychischen Erkrankung und nicht aufgrund des Schachs!
DR. R.GRALLA: Nehmen wir den Fall des 2008
verstorbenen Ex-Weltmeisters Bobby Fischer. War der gebürtige US-Amerikaner,
der durch Verfolgungswahn auffiel und manchmal jahrelang abtauchte, denn
nicht der Prototyp des monomanischen und irren Schachspielers?
MARIA SCHÖNE: Das Wort „irre“ finde ich beleidigend – so würde ich Bobby
Fischer nicht bezeichnen. Ich weiß nicht, an was für psychischen Problemen
er genau gelitten hat, aber ich denke nicht, dass sich diese allein durch
das Schachspiel entwickelt haben, sondern dass Schach sein schon immer etwas
eigentümliches Verhalten verstärkt, aber eben nicht verursacht hat. Das ist
ein gewaltiger Unterschied.
DR. R.GRALLA: Schachspieler sind aus Sicht der
Laienöffentlichkeit extrem kopfgesteuert. Ist das aus psychologischer Sicht
ein Erklärungsgrund dafür, dass derart verkopfte Personen im
zwischenmenschlichen Bereich auf Außenstehende oft gehemmt bis
kontaktgestört wirken?
MARIA SCHÖNE: Hä, wieso sollten Schachspieler
kopfgesteuert sein?! Nur weil sie während der Partie Unmengen von Varianten
berechnen, heißt das nicht, dass sie auch in allen anderen Lebensbereichen
so rational vorgehen. Ich kenne viele Schachspieler, die „normal“ eine
Familie gegründet haben. Leute, denen das schwer fällt, gibt’s in jeder
anderen Sportart auch. Sie haben ja nichts als Vorurteile gegenüber
Schachspielern. (lacht)
DR. R.GRALLA: Warum haben denn viele Schachspieler –
und hier insbesondere die Männer – offenkundige Probleme mit Beziehungen
zum anderen Geschlecht?! Oder ist auch das bloß ein Vorurteil?
MARIA SCHÖNE: Das ist meiner Meinung nach wieder ein Vorurteil. Hier
spielt weniger das nichtvorhandene „Kopfgesteuertsein“ als vielmehr der
unübliche Lebensstil von Schachspielern eine Rolle. Schachspieler sind
Nachtmenschen und haben eine eher lockere Lebenseinstellung. Damit muss man
als Partner erst mal klar kommen. Der Großteil der männlichen Schachspieler
nimmt aber schon Beziehungen zum anderen Geschlecht auf. (lacht)
DR. R.GRALLA: Trotzdem scheinen die Männer der
Schachszene, was emotionale Beziehungen angeht, nach unseren Beobachtungen
deutlich mehr Probleme mit Frauen zu haben, als umgekehrt die Schach
spielenden Frauen mit Männern. Wie erklären Sie diesen Unterschied?
MARIA SCHÖNE: Das liegt, denke ich, daran, dass es bedeutend weniger
weibliche als männliche Schachspieler gibt; die Frauenquote liegt - glaube
ich - bei drei Prozent. Demzufolge gibt es - absolut betrachtet - mehr
Männer, die Junggeselle bleiben … und voilà, der augenscheinliche
Geschlechterunterschied ist da.
Zusammen mit Sarah Hoolt
DR. R.GRALLA: Emanuel Lasker, der bisher einzige
deutsche Weltmeister von 1894 bis 1921, hat behauptet, dass auch Psychologie
über den Ausgang einer Partie entscheidet …
MARIA SCHÖNE: … dem stimme ich zu. Um kreative Ideen am Brett finden und
verzweigte Varianten sauber durchrechnen zu können, darf man sich von nichts
ablenken lassen, während man am Brett sitzt. Sprich: man muss gute Nerven
haben.
DR. R.GRALLA: Gegenüber der Position von Lasker,
der - wie auch viele nach ihm - die Bedeutung psychologischer Faktoren für
den Ausgang einer Partie betont hat, bezieht der Deutsche Großmeister und
einstige WM-Kandidat Dr. Robert Hübner die Gegenposition. Hübner rekurriert
auf den mathematischen Charakter des Spiels und hält den Einfluss
psychologischer Faktoren für gering, wenn nicht gar für zu vernachlässigen.
Ihre Meinung zur Position von Hübner?
MARIA SCHÖNE: Variantenberechnung hat zwar natürlich
einen mathematischen Charakter, aber um dazu in der Lage zu sein, braucht
man Motivation, Konzentrationsfähigkeit und so weiter – eben psychologische
Faktoren.
DR. R.GRALLA: Aber hat Hübner nicht vielleicht doch recht? Manche
Züge sind gut, andere schlecht. Das ist rechnerisch bestimmbar, sonst
würden Computer inzwischen nicht sogar die Topstars schlagen. Wie soll da
die Psychologie zusätzlich zum Tragen kommen?
MARIA SCHÖNE: Wenn ein Zug objektiv betrachtet schlecht ist, muss der
Gegner erst mal die Widerlegung finden. Wenn dem Gegner aber der Charakter
der Stellung nicht liegt, fällt ihm das umso schwerer. Deswegen ist es
psychologisch schlau, eine Variante zu spielen, die der Gegner nicht leiden
kann.
DR. R.GRALLA: Laskers Kernthese war: Es sei nicht
wichtig, den objektiv besten Zug zu machen. Es sei wichtig, den für den
jeweiligen Gegner unangenehmsten Zug zu machen. Klingt gut - aber wie soll
das funktionieren?! Okay, wenn ich Partien des Gegners studiere, sehe ich,
was früher mal für den Betreffenden unangenehm gewesen war in bestimmten,
aber – sic! – bereits vergangenen Situationen. Doch die nächste Partie ist
wieder neu: Wie soll ich da wissen, was in den dann anstehenden neuen
Situationen für den Gegner jeweils unangenehm sein wird?!
MARIA SCHÖNE: Jene Stellungstypen, die einem Schachspieler unangenehm
sind, ändern sich nicht so schnell. Wenn ich weiß, gegen welche Strukturen
mein Gegner bisher schlechte Ergebnisse erzielt hat, sollte ich diese
anstreben.
DR. R.GRALLA: Kann man die Spieler typisieren? So
dass man denen dann auch bestimmte Stellungstypen zuordnen kann, die ihnen
liegen, und andere Stellungstypen, die ihnen nicht liegen?
MARIA SCHÖNE: Ja, zum Beispiel mögen die einen taktisch verwickelte
Stellungen, wo das Brett „brennt“ und man sehr viel rechnen muss. Und andere
Spieler mögen lieber ruhige Positionen, bei denen man eher ein gutes
strategisches Verständnis haben muss.
DR. R.GRALLA: Kommt denn Ihnen das
Psychologiestudium zu Gute bei der Punktejagd?
MARIA SCHÖNE: Konkret nicht, eher allgemein, weil ich mich durch das
Studium ja persönlich weiter entwickele. So bin ich, denke ich,
selbstbewusster geworden.
DR. R.GRALLA: Gibt es Unterschiede in der
psychologischen Beeinflussbarkeit von Frauen und Männern? Lassen sich Frauen
oder Männer leichter beeinflussen?
MARIA SCHÖNE: Ich denke, dass sich Frauen generell mehr Gedanken über
alles Mögliche machen und sich demzufolge nicht so leicht ausschließlich auf
die Partie konzentrieren können wie Männer. Somit lassen sie sich leichter
von äußeren Einflüssen ablenken, und das kann leicht der Qualität der Partie
schaden.
DR. R.GRALLA: Wovon lassen sich denn die Männer
beeinflussen?
MARIA SCHÖNE: Natürlich haben auch Männer noch andere Sachen im Kopf
als Frauen, aber sie können diese während der Schachpartie besser
ausblenden, nehme ich an.
DR. R.GRALLA: Sie sind eine der wenigen deutschen
Frauen in der Schachbundesliga. Warum gibt es da so wenige heimische
Vertreterinnen?
MARIA SCHÖNE: Weil das Niveau sehr hoch ist und es in Deutschland sowie
auf der ganzen Welt viel mehr Männer gibt, die stärker Schach spielen als
Frauen. Letztens habe ich aber gelesen, dass das nicht daran liegt, dass
Männer einfach für diese Sportart prädestiniert sind, sondern dass es viel
weniger Schach spielende Frauen gibt. Demzufolge spielen Männer besser, wenn
man das Ganze in absoluten Zahlen betrachtet, nicht aber relativ.
DR. R.GRALLA: Sind die deutschen Frauen
mehrheitlich wirklich schlechter als ihre Geschlechtsgenossinnen aus
Osteuropa?
MARIA SCHÖNE: Ja. Ich möchte zwei mögliche Gründe anführen. Zum einen
wird Schach in Osteuropa ganz anders gefördert, da gibt es zum Beispiel mehr
Trainingsangebote als in Deutschland. Zum anderen gilt auch beim Schach wie
in jeder anderen Sportart: 20 Prozent Talent, 80 Prozent Training, und bei
uns steht in der Regel Schule beziehungsweise Arbeit an erster Stelle, so
dass oft leider wenig Zeit für Schach bleibt.
DR. R.GRALLA: Wie ist Ihr Start für Erfurt in die
Bundesliga gewesen?
MARIA SCHÖNE: Punktemäßig für mich persönlich nicht gut: ich habe bis
jetzt null Punkte aus vier Runden. Erfahrungsmäßig dafür umso mehr, weil ich
sehr viel gelernt habe. Ich hoffe aber, dass ich noch den einen oder anderen
Punkt für mein Team beisteuern kann. Auf alle Fälle ist es eine große Ehre
für mich, in der Ersten Männer-Bundesliga spielen zu dürfen, und ich freue
mich, diese Chance bekommen zu haben.
DR. R.GRALLA: Was war los bei verpatzten
Saisonauftakt?!
MARIA SCHÖNE: Tja, ich war zu schlecht.
DR. R.GRALLA: Was müssen Sie besser machen?
MARIA SCHÖNE: Ich muss mehr trainieren.
DR. R.GRALLA: Wie schätzen Sie Ihre Chancen bei der
Internationalen ND-Schnellschachgala ein?
MARIA SCHÖNE: Durchwachsen. Mein Ziel ist es, qualitativ hochwertige
und interessante Partien zu spielen, und wenn mir das gelingt, bin ich auch
mit dem Ergebnis zufrieden.
DR. R.GRALLA: Werden Sie auch Psychotricks
einsetzen?
MARIA SCHÖNE: Nein, ich konzentriere mich aufs Schach
spielen.