Die Lust am Leiden
Einen Blick von mir auf meine wahrscheinlich kommenden Gegner in
der bevorstehenden Oberliga Saison hat zutage gefördert, dass ich überwiegend
gegen deutlich stärker Gegner anzutreten habe. Es ist also wahrscheinlich, dass
im Laufe der kommenden Saison eine Menge schwieriger Stellungen auf mich
zukommen werden. Da trifft es sich gut, dass gerade jetzt ein neues Buch von
Karsten Müller und Merijn van Delft, das „Chess Cafe Puzzle Book 3 – Test and
Improve Your Defensive Skills“, herauskam. Es erscheint viel versprechend zu
sein, angesichts der bevorstehenden Aufgaben, sich auf schwierige Stellungen und
Verteidigung vorzubereiten.
Motivierend ist es zunächst zu lesen (im Vorwort des Buches),
dass verteidigen nicht unbedingt bedeutet, dass vorher schlecht gespielt wurde.
Verteidigung ist auch dann notwendig, wenn der Gegner angreift (häufig unter
Vernachlässigung solider positioneller Prinzipien) oder wenn die Eröffnung,
insbesondere wenn man mit den schwarzen Steinen spielt, dies verlangt. Sie
weisen darauf hin, dass kaltblütige Verteidigung häufig mit einem vollen Punkt
belohnt wird.
Verteidigen macht den meisten Schachspielern keinen Spaß.
Verteidigen bedeutet, dass man leidet. Der Spielpartner bestimmt wo man etwas
einstecken muss. Der Gegner setzt einen unter Druck, man ist bedroht von einer
Glanzpartie oder der Möglichkeit wie ein Trottel dar zustehen. Aber für eine
erfolgreiche Verteidigung, so die Autoren, ist es wichtig, dass man Spaß an
diesen Spielereien hat. Man muss die Verteidigung genießen, Spaß haben, wenn man
gefesselt da sitzt und sich nicht rühren kann (bzw. die eigenen Figuren nicht).
Man muss Freude daran haben, wenn der Andere austeilt und man selber kräftig
einstecken kann. Man muss es mit Vergnügen hinnehmen, wenn der Andere mehr Feuer
ins Spiel bringt. Denn am Ende, wenn an all dies erfolgreich ausgehalten hat, da
steht dann häufig sogar der volle Punkt, der Erfolg.
Soweit so gut. Man kann sich sicherlich schnell darüber
verständigen, dass eine positive Grundeinstellung mehr Erfolge bringt als eine
„das war wieder nichts, hoffentlich ist das schnell vorbei, dann sieht’s
wenigsten keiner“ – Einstellung. Aber nur die Einstellung bringt es nicht. Damit
das Leiden Spaß bringt und wirklich zu einem befriedigendem Ergebnis führt muss
man einige Brandtechniken beherrschen.
Daher kommt es entscheidend darauf an, dass man einige
grundsätzliche Verteidigungstätigkeiten beherrscht. Wobei der Ausdruck
Verteidigungstätigkeiten hier vielleicht nicht ganz richtig ist. Diese
Techniken, die die Autoren in Ihrem Buch erläutern, sind nicht nur
Verteidigungsfertigkeiten, sondern teilweise schlicht und ergreifend Grundlagen
guten Schachspiels.
Das Buch ist eigentlich kein klassisches „Puzzle-Book“.
Tatsächlich werden zunächst einige für die Verteidigung besonders wichtige
Motive und Denkmethoden vorgestellt und an Hand prägnanter Beispiele plastisch
gemacht. Der Aufbau ist so, dass für jeden Abschnitt, jeweils gefolgt von einer
knappen aber überzeugenden Erklärung, vorgestellt werden. Die Kommentierung der
einzelnen Partien und hat die Beispiele ist knapp gehalten. Allerdings ist sie
nicht oberflächlich. Sie beschränkt sich vielmehr auf die entscheidenden Punkte,
wobei hier verbale Erläuterungen, um das Prinzip, dass gezeigt werden soll, zu
verdeutlichen, im Vordergrund stehen.
Dies finde ich persönlich einen ausgesprochen angenehmen Ansatz.
Wem an der einen oder anderen Stelle überbordende Varianten fehlen, der mag sich
einen entsprechenden Variantenbaum mit Hilfe einer Engine erstellen. Aber die
wesentliche, die zu behaltende Informationen steckt bereits in den 215 Seiten,
12 Kapitel und 43 Unterkapiteln des Buches.
Die Beispiele sind nicht ganz einfach. Und man sollte, um sie
nachzuvollziehen, schon das Brett aufbauen und sich etwas Zeit nehmen. Ein Buch
nicht zum blättern, sondern für richtige Arbeit am Schach. Aber wer das tut, der
ist sicherlich gut gerüstet, wenn der Gegner das nächste Mal die Peitsche
schwingt oder mit dem Feuer zündelt. Man wird dann Spaß haben und hat gute
Aussichten auf den vollen Punkt.
Martin Fischer
The Chess Cafe Puzzle Book – Test and Improve Your Defensive Skills
Von Karsten Müller & Merijn van Delft
Russel Enterprises
Inc. 2010 - ca. € 23