Zum ersten Mal Vorteil
Von André Schulz
Fotos: Wolfgang Rzychon
Der Bonner Posttower, davor ein paar Brieftauben (oder Möwen?)
In der Rheinaue geht Kramnik bei seinen Bonner Einsätzen gerne spazieren.
Die Bundeskunsthalle
Der Umstand, dass die Weltmeisterschaft zwischen Anand und
Kramnik in Deutschland, in Bonn stattfindet, ist auch ein Verdienst von Peer
Steinbrück. Der jetzige Bundesfinanzminister hatte von seiner Großmutter das
Schachspiel gelernt und ist seitdem von diesem seltsamen Virus infiziert. Schon
zu Zeiten als Ministerpräsident von NRW hatte er davon geträumt, einmal eine
richtige Weltmeisterschaft in sein Bundesland zu holen. Mit der Bundeskunsthalle
und dem dortigen Forums-Chef Stephan Andrea fand man eine tolle Bühne und einen
Partner, der Schach zur Kunst zugehörig betrachtet.
Peer Steinbrück hat selber schon gegen Vladimir Kramnik in der Bundeskunsthalle
gespielt, sich gut gehalten und ehrenhaft verloren. Vor zwei Jahren sollte hier
eigentlich der Wiedervereinigungswettkampf zwischen Kramnik und Topalov
stattfinden. Doch im letzten Moment machte Topalov oder sein Manager Danailov
oder die FIDE einen Rückzieher. Ersatzweise wurde dann der Wettkampf zwischen
Deep Fritz und Kramnik in der Kunsthalle anberaumt. Und vor diesem stand Topalov
dann doch zum Wiedervereinigungswettkampf bereit, der dann allerdings in Elista
- mit den bekannten Nebengeräuschen - ausgetragen wurde.
UEP-Präsident Josef Resch erläutert Bundesfinanzminister Peer Steinbrück
Alte Bekannte: Steinbrück und Kramnik
Händeschütteln der Kontrahenten
Steinbrück begrüßt Anand
Natürlich hatte sich "Peer Steinbrück" seine Weltmeisterschaft
dick in den Terminkalender eingetragen und wollte zur Eröffnung sicher dabei
sein. Auch bei seinen Partiefreunden von der SPD hatte er den Termin angemeldet,
damit diese nicht etwa zur Unzeit wichtige Sitzungen abhalten würden. Dann
machte dem Bundesfinanzminister die weltweite Bankenkrise einen Strich durch die
Rechnung. Wenn die Ersparnisse der Bürger auf dem Spiel stehen, kann der
Finanzminister natürlich nicht zum Schachspielen gehen. Inzwischen ist die Krise
zwar nicht vorbei, aber wichtige Maßnahmen zu ihrer Behebung wurden beschlossen.
Der erste Zug
1.d4. Steinbrück selbst hätte 1.e4 gezogen
Heute keine Meraner Variante
Die Zuschauer
Josef Resch und Peer Steinbrück
Peer Steinbrück hatte sich den ganzen Tag "frei" genommen und
blieb bis zum Schluss der Partie. Obzwar er bisher nicht selbst beim Wattkampf
dabei sein konnte, hat er alle Partien des Wettkampfes in Berlin nachgespielt
und sich ein Urteil gebildet: "Kramnik sollte in seinen Eröffnungen variabler
sein und wie Anand mehr variieren."
Zum großen Bedauern von Organisator Alfred Seppelt hat der Finanzminister bisher
nie Zeit gefunden, am Berliner Politikerschachturnier teilzunehmen. Als
Familienmensch nutzt Steinbrück stattdessen jede Möglichkeit, an den Wochenenden
seine Familie zu sehen.
Wer sich die Partie erklären lassen will, geht in die
Ostgalerie. Dort stehen zwei Kommentatoren bereit. Dr. Helmut Pfleger und im
Wechsel Artur Jussupow oder Klaus Bischoff.
Der Bamberger Arzt und Großmeister Dr. Helmut Pfleger ist für seine
unterhaltsame Art des Kommentierens bekannt. "Mich hat der feuilletonistische
Zugang von Martin Beheim-Schwarzbach (Knaurs Schachbuch) zum Schach beeindruckt
und geprägt", erläuterte Pfleger. Erst im NDR, dann im WDR hat er über 20 Jahre
Schach kommentiert und die Denkpausen zwischen den Zügen mit Anekdoten gefüllt.
In der Zeit und in der Welt am Sonntag publiziert er
allwöchentlich pointierte Schachkolumnen. Einmal im Jahr ruft er zusammen mit
dem Ärzteblatt die Ärzte zum Schach. Weil er nie sprachlos ist, ist Pfleger ein
gefragter Interviewgast und hat während des Wettkampfes schon zahlreiche
Studiobesuche beim Hörfunk oder TV absolviert.
Das WDR-Team, links Fußballkommentator Thorsten Winkler, dreht für die
Tagesthemen und die Sportschau (Beitrag ist die heutige Ausgabe geplant)
Pfleger wird befragt
Ergänzend zu den Kommentatoren ist ein begleitendes
Schachkulturprogramm installiert. Nach Stefan Meyer-Kahlen, Prof. Christian
Hesse, Matthias Deutschmann und der Musikerin Vaile bestritten gestern der
Kunstprofessor Ernst Strouhal und der Galerist und Zauberei-Theoretiker Volker
Huber das Programm. Thema des Gesprächs war "Das Denken in Grenzbereichen und wo
Vernunft überhaupt endet". Schach sei kein Sport hat Robert Hübner ja in seiner
Glosse für die Frankfurter Allgemeine erläutet. Ist es etwa Zauberei?
Prof. Ernst Strouhal und Volker Huber
hinten: Jussupow und Pfleger betrachten den Rechner etwas fassungslos
Was ist denn das?
Wenn es Probleme gibt, kommt der Techniker Guido Kohlen (Mitte) und löst sie.
Das Pressezentrum war zur Eröffnung prall gefüllt. Nach dem
ersten Tag ist es ruhiger geworden und man findet im Pressezentrum die
Journalisten, die immer auf Schachturnieren zu finden sind. Wenn Anand spielt,
reist eine Gruppe indischer Journalisten an und berichtet in die Heimat, was ihr
populärster Sportler (natürlich erst nach allen Kricketspielern des Subkontinents) leistet.
Insgesamt haben sich bei dieser WM über 400 Journalisten akkreditieren lassen.
Pressesprecher Rolf Behovits
Kema Goryaeva und Assistentin von der UEP
Rob Huntington schreibt für AP
Martin Breutigam versorgt verschieden Zeitungen
Ian und Cathy Rogers
Die Inder haben gute Nachrichten für ihre Landleute
Schließlich muss Vladimir Kramnik seine Bemühungen, zum ersten ganzen Punkt zu
kommen, einstellen. Gegen Anands aufmerksame Verteidigung gab es kein
Durchkommen.
Nach der Partie versammeln sich Zuschauer und Presseleute in
der Ostagalerie, wo die Spieler zur Pressekonferenz erwartet werden.
Die VIPs sitzen in der ersten Reihe
Links im blauen Hemd: Dirk Poldauf
Zum Turnier dazu gehören auch vier Hostessen, die auf der
Pressekonferenz die Hauptsponsoren Gazprom und Evonik repräsentieren.
Wer die jeweils vier jungen Damen, die im Wechsel bei der Pressekonferenz hinter
Moderator Klaus Bischoff und den beiden Spielern stehen, ein paar Tage lang
gesehen hat, kann sich schon gar nicht mehr vorstellen, wie
Schach-Pressekonferenzen ohne sie stattfinden können.
Ihre Hauptaufgabe ist es, zusammen mit ihren Schärpen fotografiert zu werden.
Diese Aufgabe erledigen sie routniert und erfolgreich, wie man sieht. Dann
kommen die Spieler
Auch Anand und Kramnik machen Werbung. Anand trägt abwechselnd Hemden und
Pullover seiner Sponsoren AMD und Niit. Viele indische Spieler werden von
Wirtschaftsunternehmen unterstützt, die z.B. alle Aufwendungen bei
Turnierteilnahmen bezahlen. Vladimir Kramnik trägt einen Sticker seines Sponsors
Eurocement am Revers.
Nachdem die beiden Spieler ihre Statements abgegeben haben,
dürfen die anwesenden Journalisten Fragen stellen. Meist werden diese von
Großmeistern wie Ian Rogers, Igor Nataf oder Miguel Illescas formuliert, die
bestimmte Varianten anfragen oder etwas über die Matchstrategie wissen wollen.
Klaus Bischoff, der schon seit viel Jahren in Dortmund kommentiert und im
letzten Jahr die Bundesliga als Kommentaor begleitet hat, leitet die
Pressekonferenz souverän und mit schwäbischem Humor.
"Natürlich muss man bei diesem Wettkampfstand etwas riskieren, aber es macht
keinen Sinn, wie ein Idiot zu verlieren."